Megadeals bekämpfen, Klima retten

TTIP & Co Freihandelskritiker trafen sich in Brüssel zum Austausch über ihr weiteres Vorgehen

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Aus der Empörung gegen TTIP muss eine Bewegung werden
Aus der Empörung gegen TTIP muss eine Bewegung werden

Bild: Jürgen Klute

Für die Gegner der „Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) läuft es derzeit rund. Nachdem die Bewegung am 10. Oktober 200.000 Bürger zur Großkundgebung in Berlin mobilisieren konnte, will EU-Parlamentspräsident Martin Schulz nun prüfen, ob die Organisatoren der selbstorganisierten Bürgerinitiative gegen TTIP zur Anhörung vor den Petitionsausschuss nach Brüssel geladen werden sollten.

An mangelnder Ortskenntnis dürfte der Austausch nicht scheitern: Am Dienstag dieser Woche lud die europäische Linksfraktion Vertreter des Protestbündnisses zur vierten Grossveranstaltung in die Räume des EU-Parlaments in Brüssel.

Die Organisatoren wollten den Blick bewusst über den europäischen Tellerrand hinaus richten. Geladen waren deshalb Experten aus vier Kontinenten, die diskutierten welche Folgen für Umwelt, Entwicklung und Rechtsstaat durch TTIP und die übrigen „Megadeals“ zwischen den großen Handelsblöcken der Erde drohen und wie die jüngsten Kompromissangebote von EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström zu bewerten sind.

Denn um Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen und Entgegenkommen gegenüber den Forderungen des EU-Parlaments zu zeigen, legte Malmström im September zwei überarbeitete Vorschläge vor.

Die EU-Parlamentarier hatten sich in ihrer TTIP-Entschließung vom Juli diesen Jahres dafür stark gemacht, ein eigenes Vertragskapitel für nachhaltige Entwicklung verbindlich im EU-US-Abkommen zu verankern. Ganz im Gegensatz zu den übrigen Verhandlungspositionen der europäischen Unterhändler wurde ein entsprechender Vorschlag nun im Wortlaut der Öffentlichkeit vorgelegt.

Paul de Clerck, der als Vertreter der Umweltschutzorganisation ‚Friends of the Earth’ zur TTIP-Anhörung geladen war, bezeichnete die Substanz des EU-Vorschlags jedoch als „pure Enttäuschung“. Vergleiche man den Kapitelentwurf mit den bisher vorliegenden Textvorschlägen, etwa zum Thema Investitionsschutz, springe sogleich ins Auge, dass hier den Bürgern lediglich mit Unverbindlichkeiten Sand in die Augen gestreut werden solle.

Auch Ruth Bergan, die für das britische Trade Justice Movement an der Anhörung teilnahm, bedauerte das Fehlen von Durchsetzungsmaßnahmen im Textentwurf der Kommission. Doch selbst mit weiteren Verbesserungen in Richtung der Parlamentsforderungen sei nur schwer vorstellbar, dass die positiven sozialen und ökologischen Effekte durch das Gesamtpaket TTIP am Ende überwiegen. Denn das Kernproblem der Megadeals sei ein anderes: Die Entscheidung über politische Prioritäten läge heute immer mehr in den Händen jener, die ausschließlich die Interessen des globalen Handels vertreten. Damit die wirklich drängenden Probleme – Stichwort Klimawandel – angegangen werden können, so Bergan, müsse die Handelspolitik dringend „zurück in ihre Box“.

Entgegenkommen wollte die Kommission auch bei der Frage der Sondergerichtsbarkeit für Investoren zeigen. Zwei Bürgerrechtler aus Kanada konnten aus erster Hand berichten, was mit der Ausweitung privater Sondergerichte auf uns zukommen könnte.

Garry Neil, Geschäftsführer des ‚Council of Canadians’ erklärte, dass sein Land sich seit Einführung der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA – inklusive der privilegierten Gerichte, vor denen ausländische Investoren ihre Profitinteressen gegenüber Staaten geltend machen können – zum am häufigsten verklagten Land der Erde entwickelt habe. In mehr als der Hälfte der Fälle seien Maßnahmen zum Schutz von Umwelt, Naturschutzgebieten, Trinkwasser etc. für die Unternehmen der Anlass, die öffentliche Hand zur Zahlung millionenschwerer Entschädigungen zu zwingen.

Im Hinblick auf die am 30. November in Paris beginnende UN-Klimaschutzkonferenz ‚COP 21’ gab Friends of the Earth-Experte de Clerck zu bedenken, dass selbst eine Einigung auf ehrgeizige Ziele ohne Folgen bleiben dürfte, wenn die konkrete Umsetzung von Klimaschutzmassnahmen vor Schiedsgerichten oder durch (wie in den TTIP-Verhandlungen vorgesehene) technokratische Gremien zur ‚Regulierungszusammenarbeit’ blockiert werde. Die französische Attac-Aktivistin Amélie Canonne nutzte die Anhörung deshalb zur Bewerbung der Protestaktionen zum Klimagipfel, am 29. November und 12. Dezember in Paris.

Sowohl die geladenen Aktivisten als auch die Sprecher der Linksfraktion im EU-Parlament waren sich einig, dass der neue Vorschlag der Kommission zur Besetzung der Schiedsgerichte im Abkommen mit den USA Augenwischerei sei. Entsprechend gering war das Interesse der Diskussionsrunde, die momentane Schwäche der Handelskommissarin und ihres Team auszunutzen, um weitere Zugeständnisse zu erreichen.

Der Tenor der Anhörung war ein anderer: Aus der Empörung gegen TTIP, gab der franko-belgische Publizist Raoul-Marc Jennar bereits im Eröffnungspanel zu bedenken, müsse eine Bewegung werden, die der Freihandelsagenda konkrete solidarische Alternativen entgegensetzt. Denn „Freihandel heißt stets jenen noch mehr Rechte zu geben, die bereits mehr als genug Rechte haben“, erinnerte Amélie Canonne.

John Hilary, Direktor des Netzwerks ‚War on Want’ erinnerte an die Erfolge der Bewegung: „Wir haben TTIP und CETA bereits wiederholt geschlagen. Aber die selben Forderungen werden von der Politik immer wieder neu auf den Tisch gelegt. Bereits die Weiterführung der Verhandlungen über TTIP ist ein Akt der Gewalt gegen den Willen und den Widerstand der Bürger.“

Anhand eines konkreten Beispiels zeigte der Kanadier Neil, dass es für die europäische Öffentlichkeit gefährlich sei, den Blickwinkel zu sehr auf TTIP zu verengen. Das im September 2014 unterzeichnete, bislang aber noch nicht ratifizierte ‚CETA’-Abkommen zwischen Europa und Kanada werde Unternehmen Zugang zu privilegierten Sondergerichten schaffen. Ebenso wie dank NAFTA in der Vergangenheit selbst kanadische Unternehmen ISDS-Verfahren genutzt haben, um Ansprüche gegenüber ihrem ‚Mutterland’ geltend zu machen, werden US-Konzerne mit Niederlassung in Kanada auch EU-Staaten vor Schiedsgerichte zerren können.

„Die Debatte um TTIP ist bereits jetzt riesig, aber gemeinsam werden wir sie noch größer machen“, appellierte der irische EU-Abgeordnete Matt Carthy an die Teilnehmer, noch mehr Bürger wachzurütteln. Es liege schließlich auf der Hand, wie John Hilary meinte, dass es derzeit nur zwei Gruppen von EU-Bürgern gebe: „Jene die gegen TTIP sind, und jene, die noch nichts von TTIP gehört haben.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hanna Penzer

Geboren in der Stadt, die singt und lacht. Lebt seit 2009 als freiberufliche Übersetzerin in Brüssel. Politikwissenschaftlerin und Kompostmeisterin.

Hanna Penzer

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