Erdoğans späte Einsicht

Syrien Nach dem terroristischen Anschlag in Brüssel hat der Konflikt in Syrien nun auch auf europäischem Boden Opfer gefordert. Zeit, einen politischen Diskurs anzustoßen

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Erdoğans späte Einsicht

Bild: SALAH AL-ASHKAR/AFP/Getty Images

Zum ersten Mal hat der Bürgerkrieg in Syrien auf europäischem Boden Opfer gefordert: Ein Franzose hat in einem jüdischen Museum in Brüssel ein israelisches Paar und eine ehrenamtliche Mitarbeiterin erschossen, ein weiterer Schwerverletzter wurde für klinisch tot erklärt. Der Franzose hat sich vergangenes Jahr der ISIS in Syrien angeschlossen und an der Seite der Islamisten gegen die Regierung gekämpft. Obwohl er dem französischen Inlandsgeheimdienst DGSI bereits bekannt war, konnte er vergangene Woche – bewaffnet mit einer Kalaschnikow und einem Revolver – in das jüdische Museum eindringen und vier Menschen töten. Die französischen Behörden vermuten einen terroristischen Akt.

Seit Beginn des Bürgerkrieges 2011 in Syrien haben sich rund 780 Franzosen dem Konflikt angeschlossen und an der Seite der Dschihadisten radikalisiert. Insgesamt sind es mehr als 2000 Europäer. Das liegt vor allem daran, dass es nicht besonders schwer ist, nach Syrien zu gelangen. In einer türkischen Grenzstadt wimmelt es nur von Kontaktmännern, die Freiwillige ins Kampfgebiet schleusen. Dort werden sie ausgebildet und für den Kampf trainiert. Ihre Einsatzgebiete reichen über Syrien, Irak bis nach Libyen. Hussam Najjaar, ein geborener Ire, der sich den Kämpfen in Libyen angeschlossen hat, meint, dass die wenigsten ausländischen Kämpfer einer Gehirnwäsche unterzogen werden, sondern größtenteils aus Pflichtbewusstsein handeln. Andere widersprechen dem jedoch und gehen von einer bewussten Verführung, in den Dschihad zu ziehen, aus. Einer dieser Verführer ist zum Beispiel der Brite Anjem Choudary, der sich rühmt insgesamt 250 bis 300 Euroäper nach Syrien geschickt zu haben, einige davon wohl auch in den Tod.

Auch in der Türkei gibt es viele Fälle von jungen Menschen, die für al-Qaida Ableger oder die ISIS kämpfen. Das türkische Innenministerium ging vor einem halben Jahr von 500 Türken aus, die nach Syrien gegangen sind. Die Zahlen könnten heute viel höher sein. Es gibt dabei durchaus Parallelen zu Afghanistan, wo sowohl im Bürgerkrieg gegen die Sowjets als auch gegen die Amerikaner viele Ausländer vor Ort für den so genannten Dschihad rekrutiert wurden. Allerdings ist Syrien viel leichter zu erreichen als das ferne Afghanistan, die Grenzkontrollen an der Türkei sind zudem nicht besonders strikt. Ein türkischer Vater klagte vor einigen Monaten, dass sein Sohn bereits dreimal die syrisch-türkische Grenze passierte, ohne von Sicherheitskräften gestoppt worden zu sein. Der türkische Premier Erdoğan hat sich dabei bewusst und offen schon zu Beginn des Krieges im Nachbarland auf die Seite der Opposition gestellt, insofern ist es möglich, dass die laschen Grenzkontrollen mit Erdoğans Sympathien für die syrische Rebellion zusammenhängen. Über die zahlreichen Waffenlieferungen aus türkischen Grenzgebieten in die Kampfgebiete und den geplanten False-Flag-Angriff wurde bereits berichtet, die ebenfalls belegen, dass die türkische Regierung ein Interesse daran besitzt, Assad abzusetzen.

Jedoch hielt der Außenminister der Türkei Ahmet Davutoglu dagegen und forderte von den europäischen Regierungen die Ausreise junger Radikaler zu erschweren. Sofern man betroffene Personen kenne, solle man diese hindern nach Syrien einzureisen. Er fragte des Weiteren, wie es von der Türkei zu erwarten sei, Informationen über die Freiwilligen zu haben, wenn diese nicht einmal europäische Geheimdiensten vorlägen. Es ist allgemein schwer vorstellbar, dass die Radikalen von beiden Seiten groß daran gehindert werden nach Syrien zu gelangen. Im Gegenteil gehen einige – wie zum Beispiel die pro-Assad Hackergruppe Syrian Electronic Army – davon aus, dass politisches Kalkül dahinter steckt, da man die syrische Regierung stürzen wolle. Neben Waffen und auch Geldern aus dem Ausland, schicke man so auch Kämpfer, wenn auch indirekt.

Man hat mit dem Anschlag des ISIS-Kämpfers in Brüssel nun gesehen, wie gefährlich dieses Spiel mit dem radikalen Kräften ist. Viele der Kämpfer kehren nach einiger Zeit in ihre Heimat zurück. Aufgrund dessen zeigte sich der britische Botschafter in Ankara, David Reddaway, besorgt über mögliche Anschläge in der Türkei oder in Europa. Seine Befürchtungen sprach er bereits im November 2013 aus. Leider sollte er Recht behalten. Eventuell werden jetzt – nach dem Anschlag in Brüssel – die Stimmen lauter, die eine Wieder-Einreise der Kämpfer nach Europa verbieten wollen. Es steht jedoch fest, dass dieser Anschlag hätte verhindert werden können. Die Problematik ist schon seit längerer Zeit bekannt und indirekt selbstgeschaffen. Man scheint aus Afghanistan und Irak nichts gelernt zu haben. Auch dort unterstützte die westliche Politik eine Seite, bis genau diese fütternde Hand gebissen wurde.

Putin und Erdoğan haben sich in den letzten Tagen bei einem Telefonat miteinander verständigt. Sie warnen vor Kontakten mit Terror-Gruppen in Syrien und sprechen von der "Notwendigkeit einer Neutralisierung" der radikalen Kräfte. Es gäbe keine Alternative zur politischen Lösung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Abrahan Garcia

Angehender Orientalist

Abrahan Garcia

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