Vom Blogger zum Blockwart?

Bloggerkritik Was unterscheidet den Blogger vom Blogger? Der Publizist Magnus Klaue, der auch ab und zu im Freitag seinen Gedanken Lauf lässt, hat sich Notizen gemacht und publiziert.

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"Blog. Ein Sprachklump aus Tagebuch, Poesiealbum, Selbstbiographie, Dissertation und Tageszeitung, der einen davon dispensiert, sich für eine dieser Formen die notwendige Zeit zu nehmen. Ein Blog bezieht in der Regel vom Tagebuch die authentizitätsgesättigte Nabelschau, vom Poesiealbum die Neigung zum automatisierten Aphorismus, von der Selbstbiographie die Logorrhöetendenz*, von der Dissertation das obskurantistische Expertentum und von der Tageszeitung die zusammenhanglose Wiedergabe irrelevanter und bedeutungsvoller Informationen. Die meisten Blogs tentieren zum Block, sowohl im Sinne von Notizblock wie von Blockwart. Gute Blogs könnten auch Bücher sein." (Magnus Klaue, konkret, 10/2013)

Freundlich ist das nicht. Ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen den professionellen Schreibern und denen, die sich mit ihren Freizeit-Texten ins Internet begeben, ist immer virulent. Oft müssen sich Journalisten auf die Finger beißen, wenn ihre Zeitung eine Blog-Sparte betreibt. Kritik an den Autodidakten könnte negativ auf die Abonnentenzahl der Publikation, der sie ihr Auskommen verdanken, zurückschlagen. In Periodika wie konkret, die keine oder nur geringe Netzaktivitäten entwickeln, kann man schon deutlicher werden. Klaue hat dort formuliert, was er von den Textbastlern hält.

http://www.rlp.de/typo3temp/pics/164e8f1326.jpgEr attestiert ihnen, Verschnitte aus Tagebuchprosa und Poesiealbenlyrik zu produzieren. Das sind Tätigkeiten, die üblicherweise im Kindes- und frühen Jugendalter verbreitet sind. In dieser Lebensphase ergötzte man sich an den immergleichen Versen, die schon die eigene Großmutter gesammelt hat. Oder man brauchte ein Gegenüber, dem die Sehnsüchte und Sorgen anvertraut wurden, und wenn es nur eine Kladde war, deren weiße Blätter vollgeschrieben werden mussten. Wenn Klaue solche Assoziationen weckt, dürfte er so falsch nicht liegen. Manchmal ist der Mut der Blogger bewundernswert, ohne Komma aber immerhin ab und zu mal einen Punkt setzend, Spontaneinfälle, die im Kopf zufällig umherschweifen, der Welt mitzuteilen.

Das biografisch Geschwätzige, die Tendenz zum Sprechdurchfall (Logorrhö), die Klaue vielen Bloggern unterstellt, ist auch außerhalb der Szene verbreitet. Ohne den ausgeprägten Hang zur Geschwätzigkeit wird man heutzutage in keiner medialen Gesprächsrunde die erwünschte Figur machen. Phrasenhaftes Gerede, unsachliche Übertreibungen oder die gesteigerte Tendenz, das Ich zu überhöhen, sind einige Attribute, die der Logorrhö zugerechnet werden. In welcher Talkshow sind diese Symptome nicht zu beobachten? Aber: Eine Gesprächsrunde mit der medialen Welt abgewandten Attitüden würde niemand verfolgen. Da taucht die Dauerfrage auf: Haben die Rezipienten ein Niveau, auf das sich die Produzenten herablassen müssen, oder ziehen die Öffentlichkeitsuchenden auf ihre Geistes-Ebene herab?

Das obskurantistische Expertentum, das Klaue meint zu beobachten, das so tut als sei die ganze Welt mit der Spezialmaterie, die von diesen Fachbloggern (manche nennen sie auch Fachidioten) ins Netz gestellt wird, vertraut, ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Solche Blogger nehmen keinerlei Rücksicht auf die Leserschaft. Sie meinen, ihre Welt sei die aller und deshalb evident nachvollziehbar. Dass dem nicht so ist, wird ihnen auch bei entgegengehaltener Kritik nicht in den Sinn kommen. Sie haben sich selbst immunisiert.

Blogger als Blockwarte zu charakterisieren, ist schon ein bisschen böse. Der Blockwart war innerhalb der NSDAP für seine unmittelbare Nachbarschaft zuständig. Für seinen Block eben, der meist rund 50 Haushalte umfasste. Er sorgte für die nationalsozialistische Alltagsordnung, war Beobachter, Vorbild und Denunziant zugleich. Dieser Teil des deutschen Charakters soll sich bis heute erhalten haben und in den vielen Nachbarschaftsprozessen seinen Ausdruck finden. Die Blogger mit der Blockwartmentalität sind wohl diejenigen, die andere anprangern, sei es der Blog- oder der Blocknachbar.

Gute Blogs könnten auch Bücher sein, scheibt Klaue. Immerhin werden von den deutschen Verlagen jährlich zwischen 80.000 und 90.000 Neuerscheinungen auf den Markt geworfen. Dass in dieser Masse von Büchern auch viele sind, deren Urheber genau jene Eigenschaften besitzen und pflegen, die Klaue den Blog-Verfassern zuschreibt, bezweifle ich nicht. Auch wenn klar ist: Gute Bücher könnten auch Blogs sein.

* Logorrhöetendenz: Der Duden-Verlag schlägt Logorrhö vor. Selten gibt es noch Logorrhoe. Und noch seltener, eigentlich so gut wie nie, Logorrhöe.

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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