Berlin-Nostalgie: Nachtgestalten im Straß

Rückblick auf die diesjährige Retrospektive „Berlin im Film der 90er Jahre“ anlässlich 10 Jahre „achtung berlin“, Teil 1 .

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Nachtgestalten
Nachtgestalten

90er Jahre, Berlin steckte im Übergang: Gerade noch geteilte Stadt und Zentrum des Ost-Westkonflikts, dann plötzlich neue Hauptstadt eines wiedervereinigten Deutschlands. Brachen und renovierungsbedürftige Viertel prägten das Bild im Ostteil der Stadt. Die von Festivalleiter Hajo Schäfer und Regina Kräh ausgewählten Beiträge der Retrospektive vermitteln eindrucksvoll die Aufbruchsstimmung, die stetige Veränderung und der Wandel der damalige Zeit.

Zu sehen war unter anderem, wie der Potsdamer Platz, Prenzlauer Berg und Friedrichshain vor der Totalsanierungen aussahen. Beispielsweise in „Ostkreuz“ mit der damals 15 jährigen Laura Tonke („Baader“). Der Film lädt zur Nostalgie ein ohne „ostalgisch“ zu werden. Im Dokumentarfilme „Berlin-Prenzlauer Berg“ konnten Zugezogene in die Zeit eintauchen, in denen nicht Biosupermärkte und hippe Cafés das Bild des Bezirks prägten. Es war die Zeit, in der ständig der Geruch von kalter Asche aus den Hinterhöfen zog und Trabant und Wartburg über holpriges Kopfsteinpflaster knatterten, wie es noch im Kurzfilmprogramm z.B. im Beitrag „Das Blaue vom Himmel“ von Matl Findel zu sehen war. Der leichthändig inszenierte Tagtraum, in denen die Berliner U-Bahn zu fliegen beginnt, wurde im Sommer 1991 ausschließlich an der berühmten Ecke Eberswalder/Danziger Str. (damals noch Dimitroffstr.)/Schönhauser Allee gedreht.

Filme wie „Das Leben ist eine Baustelle“ mit den damals noch unbekannten Akteuren Jürgen Vogel und Christiane Paul und nicht zuletzt „Angelexpress“ von Indie-Legende RP Kahl zeigen, dass der deutsche Film der 90er Jahre mehr zu bieten hatte als Til Schweiger-Klamauk à la „Manta Manta“ oder der „Bewegte Mann“. Eine der positivsten Entdeckungen der Reihe war zweifellos der älteste Film der Reihe, „Der Straß“, der sowohl mit DDR- wie auch Westförderung im Wendejahr 1990 in Ostberlin von Andreas Höntsch inszeniert wurde. Höntsch, der seinen Stoff über einen Fotografen, der sich Hals über Kopf in eine Stripteasetänzerin verliebt und zunehmend die Drangsalierungen innerhalb des DDR-Gesellschaftssystems in Frage zu stellen beginnt, bereits seit Mitte der Achtziger Jahre entwickelt hatte, berichtete in der Spätvorstellung in den Tilsiter Lichtspielen bei „achtung berlin“ über die abenteuerlichen Produktionshintergründe.

Demnach rechnete Höntsch 1989 noch damit, dass die DDR-Behörden nach Sichtung des Rohschnitts ein Verbot für die Fertigstellung aussprechen würden. Doch dann fiel die Mauer und Höntsch hatte plötzlich alle Freiheiten, die er sich immer erträumt hatte. So wurde „Der Straß“ zu einer höchst verspielten, fellinesk fotografierten Mischung aus Politsatire und Phantasmagorie eines Künstlers, der von größerer politischer wie persönlich-erotischer Freiheit träumt. Unvergleichlich – hoffen wir auf eine baldige DVD-Auswertung.

Von Eugen Damm und Max-Peter Heyne

„Nachtgestalten“

„Nachtgestalten“ von 1998 war auf der Berlinale ein großer Erfolg. Schauspieler Michael Gwisdek wurde mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Beim Deutschen Filmpreis wurde „Nachtgestalten“ als bester Film ausgezeichnet. Was diesen Film so besonders macht? Die Ausgangslage. Im Berlin von 1998 steht ein Papstbesuch an, auf den sich die Stadt vorbereitet. Regisseur Andreas Dresen stellt in seinem Film die Einzelschicksale in den Vordergrund und verwebt die Geschichten auf beeindruckende Art und Weise miteinander. Da sind die beiden Obdachlosen Hanna (Meriam Abbas) und Victor (Dominique Horwitz), die es einer Spende sei Dank zu ein wenig Geld gebracht haben und sich nun eine Nacht in einem Hotel gönnen wollen. Oder Jochen (Oliver Breite), der vom Dorf leichtgläubig in die Stadt kommt und von allen ausgebeutet wird, die Nähe einer Frau sucht und dies in Person der Prostituierten Patty (Susanne Bormann) findet.

Der Favorit der Zuschauer aber war der Handlungsstrang mit dem Sprachwunder Peschke (Michael Gwisdek), einem Angestellten, der am Flughafen den gerade aus Angola angekommenen Feliz (Ricardo Valentim) aufliest und sich des kleinen Jungen mit einem Gemisch aus Deutsch, Englisch und Spanisch annimmt. Gerade diese Szenen machen „Nachtgestalten“ zu einem herausragenden Kinoerlebnis. Denn wie Peschke mit starkem Berliner Akzent versucht, sich mit dem stillen Jungen zu verständigen sorgt für überragende Situationskomik. Dabei fand der Dreh nicht gerade unter leichten Bedingungen statt. Produzent Peter Rommel, Kameramann Andreas Höfer und Hauptdarstellerin Meriam Abbas erklärten nach der Vorstellung, dass 40 Nächte bei Eiseskälte gedreht wurde. Regen wurde künstlich erzeugt und gefror einmal so stark, dass die Kabel unter einer zentimeterdicken Eisschicht verschwanden. Umso bemerkenswerter, was die Verantwortlichen aus diesen Bedingungen herausgeholt haben und welch ein großartiger Film ihnen mit „Nachtgestalten“ gelungen ist.

Von Stefan Bröhl

/ im Rahmen des Studiengangs Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation – MHMK, Standort Berlin. Beitrag kommentieren
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Der achtung berlin - new berlin film award ist ein Filmfestival, das sich mit Leib und Seele dem Hauptstadtkino verschrieben hat. 9.-16. April 2014

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