Festivaltagebuch - Tag 3. Filme! Teil 1

Kritiken Studenten der MHMK Berlin haben vier Festivalfilme besucht und ihre Eindrücke der Vorstellungen aufgeschrieben. Im ersten Teil: Familienfieber und Vergrabene Stimmen

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Nico Sommers Familienfieber
Nico Sommers Familienfieber

Familienfieber

Auch die neue Tragikomödie von Nico Sommer, der im letzten Jahr mit dem Frauenportrait „Silvi“ den Wettbewerb gewann, geht in der Kategorie Spielfilme an den Start.


Was ist schon eine Tragikomödie? Lassen sich zwei so grundverschiedene Genres wie eine Komödie und ein Drama überhaupt harmonisch vereinen? Wann wird die Diskrepanz zwangsläufig zu groß? Wer kam eigentlich auf das Konzept der Filmgattung „Dramedy“? Wer seinen neuesten Film "Familienfieber" gesehen hat, wird wissen, dass Menschen wie Regisseur Nico Sommer diese brodelnde Mixtur erfunden haben müssen. Hier verschmilzt eine laute, derbe Komödie mit einem leise und tiefschürfend inszenierten Drama – aber Sommers eigentliche Leistung, die wirkliche Finesse liegt in der Tatsache, dass es so natürlich und ungekünstelt wirkt wie eine Dokumentation.


Ob es Nico Sommer mit diesem Streifen gelingen wird, seinen letztjährigen Sieg mit „Silvi“ zu wiederholen und den Titel des „new berlin film awards“ somit zu verteidigen, bleibt abzuwarten. Dass es sich hierbei jedoch um ein herausragendes Familiendrama handelt, ist schon heute, nach der exklusiven Berlin-Premiere offenkundig. Die Ausgangssituation ist so simpel wie genial: die schwer verliebten Teenager Alina und Nico beschließen, dass es nach drei Monaten Beziehung allerhöchste Zeit wird, dass sich ihre Eltern kennenlernen. Bei der direkten Konfrontation muss Alinas Mutter Maja zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie Nicos Vater gut, um nicht zu sagen: nur allzu gut kennt, und als beide Familien nach einer Autopanne im Haus von Nicos Eltern festsitzen und ein ganzes Wochenende miteinander verbringen müssen, ist das Chaos natürlich perfekt.

Dieses Szenario ist an sich nichts Neues. Bereits nach wenigen Minuten ahnen geneigte Kinogänger und besonders die Frauenroman-Liebhaber unter ihnen, wohin die Reise geht. Und auch das Finale ist alles andere als unvorhersehbar. Aber darum geht es tatsächlich gar nicht. Denn der Film ist eine sensible Beziehungsstudie (mit wunderschönen Bildern des sonnengeküssten Berlins), wirft die zentralen Fragen des Ehelebens auf: Nico Sommer und sein Drehbuchautor Daniel Fink zeigen auf sympathische Art und Weise, dass man nach 20 Jahren Ehe in gewissen Punkten genauso unbeholfen sein kann wie nach drei Monaten Verliebtheit. Und dass Beziehungen, ganz gleich welcher Art, einer kontinuierlichen Pflege bedürfen. Praktisch alles wird überstrahlt von Peter Trabners schauspielerischer Leistung als Alinas Vater, der anfangs noch sehr einfach und unsympathisch wirkt, doch schon sehr bald sein großes Herz nach außen trägt und mit seiner plumpen, aber liebenswerten Art nicht nur für die besten Lacher, sondern auch für die herzerwärmendsten Momente sorgt.

„Familienfieber“ beginnt als Klischee, aber endet mit viel mehr als das: Es ist eine charmante Sicht auf das Leben in all seinen Facetten und beweist einmal mehr, dass allein unsere Entscheidungen definieren wer wir sind.

Von Katharina Kunisch

Vergrabene Stimmen

Er ist wieder in Freiheit und doch gefangen in seiner hoffnungslosen Welt. Regisseur und Drehbuchautor Numan Acar erzählt in seinem Regiedebüt von einem Mann, der aus der Berliner Unterwelt nicht herauskommt und an seinem Schicksal als ewig Krimineller zerbricht.

Kaan Vahaf (Numan Acar) ist Mitte dreißig und kommt nach acht Jahren Gefängnis als freier Mann wieder in seine Heimatstadt Berlin. Ohne Geld, ohne Job, ohne Perspektive. Die langen Szenen, in denen Kaan durch die grauen Straßen der Hauptstadt läuft, lassen erahnen, wie schwer ihm der Weg nach Hause fällt. Das Leben hat sich verändert, während er – komplett von der Außenwelt isoliert – seine Haftstrafe absaß. Kaans Mutter Selda ist verstorben und sein Vater ist mit sich selbst und seinen Problemen beschäftigt. Nur seine alten Freunde scheinen sich kaum geändert zu haben: in den Tag hineinlebend kommen sie mit Hartz IV halbwegs über die Runden.


Kaan will raus aus diesem Milieu, weg von seiner kriminellen Vergangenheit. Nachdem es über den offiziellen Weg im Arbeitsamt nicht funktioniert hat, wendet er sich an seinen Kumpel Mo (Stipe Erceg), der ihn vermittelt. Für den zwielichtigen Mr. Omar (Ralph Herforth) chauffiert Kaan Prostituierte durch Berlin, bis er von seinem Auftraggeber die verantwortungsvollere Aufgabe des Schutzgelderpressers übertragen bekommt. So rutscht Kaan wieder in die Illegalität des Berliner Untergrunds. Seine Gefühle versteckt er hinter einer starren Maske. Nur wenn er sich verletzt, spürt er, dass er noch am Leben ist; durch Schmerz wird Kaan stärker. Das war schon in der Vergangenheit so. Einzig am Grab seiner Mutter, an dessen Tod er zerbrach, wird er sentimental und nachdenklich. Dort auf dem Friedhof beobachtet Kaan die schöne, blonde Aenna (Julia Dietze), die kleine Kassetten mit Audiospuren unter Laub und Schnee versteckt. Eine Halluzination? Die weilbliche Stimme auf den Aufnahmen erzählt eine Geschichte, die Kaan nur allzu bekannt vorkommt. Eine Geschichte über Kriminalität und Misshandlung. Ist es seine eigene? Vielleicht ist es seine innere Stimme, die ihm vor Augen führt, dass nach dem Knastaufenthalt doch noch immer alles wie früher ist: voller Gewalt und Trostlosigkeit.


Numan Acar übernahm in diesem Film nicht nur die Hauptrolle, sondern schrieb auch das Drehbuch und führte Regie. Die Geschichte von „Vergrabene Stimmen“ beruht dabei auf einer wahren Begebenheit. In seinem Regiedebüt zeichnet er ein tristes und düsteres Berlin-Bild. Abseits von hippem Hauptstadt-Flair und brummendem Tourismus skizziert er die scheinbar ausweglose Situation ehemals krimineller Neuanfänger. Expressionistische Elemente, wie Zeitraffer und rückwärts abgespielte Szenen, verdeutlichen die seelischen Abgründe des Protagonisten, der durch das Leben und die Chancenlosigkeit abgestumpft ist. Ein Film, der zeigt, wie die persönliche Vergangenheit den Menschen ewig beeinflusst und eine hoffnungslose Zukunft die eigene Seele zerbricht.

Von Sarah-Charline Meiners

im Rahmen des Studiengangs Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation – MHMK, Standort Berlin.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

achtung berlin

Der achtung berlin - new berlin film award ist ein Filmfestival, das sich mit Leib und Seele dem Hauptstadtkino verschrieben hat. 9.-16. April 2014

achtung berlin

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden