"Spirit Berlin" und "Wiener Ecke Manteuffel"

Eindrücke Unsere Autoren Marc Burgemeister und Tobias Grimm haben Festivalfilme geguckt - und berichten von ihren Eindrücken

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"Spirit Berlin" und "Wiener Ecke Manteuffel"

Alles ist erleuchtet -- dank Doku-Spirit! Gestern war Dokumentarfilmtag bei "achtung berlin", und auch in diesem Jahr stellen die vielen aufschlussreichen und sehenswerten Dokumentarfilme aus der Hauptstadtregion wieder einen unverzichtbaren Teil des Gesamtprogramms des Festivals dar. Unsere Autoren Marc Burgemeister und Tobias Grimm berichten über zwei der Doku-Highlights: "Sprit Berlin" und "Wiener Ecke Manteuffel".

Spirit Berlin
Berlin, 12.4.14., 18:31 Uhr: Endlich ist es soweit. Im Babylon erwartet das Publikum des 10. „achtung berlin“ Filmfestivals mit enormer Spannung die Weltpremiere von Kordula Hildebrandts „Spirit Berlin“. Der Film ist in der Kategorie bester Dokumentarfilm für den „new berlin film award“ nominiert. Doch bereits nach wenigen Minuten wird deutlich, dass der Film mehr ist als eine schlichte Doku.

Wie schon William Shakespeare vermittelt auch die brillante Regisseurin Kordula Hildebrandt die Frage nach dem „Sein oder Nichtsein“. Diese tiefsinnige und philosophisch angehauchte Frage begleitet sowohl die Hauptfigur als auch die gefesselten Zuschauer durch den emotional ergreifenden Film. Die Sinnsuche appelliert unterschwellig an das Publikum, sich selbst danach zu fragen, wie man dem Leben mehr Jahre und den Jahren mehr Lebendigkeit schenken kann. Die Besucher erleben hautnah mit, was es heißt im hektischen Berlin Körper, Seele und Geist miteinander zu vereinen. Denn nur Selbstverwirklichung und die innere Ruhe scheinen das Ergebnis eines erfüllten Lebens zu sein.

Jungschauspieler Stephan will seinem Alltag eine ausgeglichene innere Balance verleihen. Er tritt voller Erwartung die Reise durch die Welt der Ashrams, Yogazentren und spirituellen Gemeinschaften an. Ohne Unterbrechung eilt Stephan von einem Event zum nächsten und verliebt sich in die schöne Yogalehrerin Simone. Getrieben nach dem unersättlichen Wunsch, die Erleuchtung zu finden, verliert sich Stephan in dem breiten Angebot spiritueller Praktiken.

Der pointierte Humor, der über die Gestik und Mimik des talentierten Hauptdarstellers vermittelt wird, lockert das tiefsinnige psychologische Thema auf. Das raffinierte Zusammenspiel von Kameraführung, Schnitt und Ton untermalen die innere Zerrissenheit der Hauptfigur.

Kordula Hildebrandt ist es mit „Spirit Berlin“ gelungen, das facettenreiche spirituelle Berlin und ihre Akteure so miteinander zu verbinden, dass jeder der Anwesenden schon nach dem Film mit der eigenen Sinnsuche im gut besuchten Babylon beginnen möchte.

von Tobias Grimm

Wiener Ecke Manteuffel
HIV 1+2 positiv - Gehirnhautentzündung - Koma. Als Pat 1996 aus diesem Koma erwacht, prognostizieren ihm seine Ärzte nur noch wenige Monate zu leben. Damals war er schon mit seiner Freundin Dijana zusammen, die ebenfalls an AIDS erkrankt ist. Dass ist nun mittlerweile 18 Jahre her. Die Liebe zwischen beiden ist weiterhin ungebrochen. „Wiener Ecke Manteuffel“ zeigt zwei lebensfrohe Menschen mit einer bewegenden Geschichte.

Alles begann 1991, an der Wiener Ecke Manteuffel. Hier trafen sich Pat und Dijana das erste Mal und entdeckten ihre Liebe zueinander. Mit einer schwarzweiß Fotografie aus dieser Zeit wird der Zuschauer direkt in die Geschichte des Films hineingezogen. Zwei junge, strahlende Menschen werden im nächsten Moment von zwei sichtlich erkrankten Persönlichkeiten ersetzt. Natürlich, unverfroren und ungekünstelt erzählen die Protagonisten ihre bisherige Lebensgeschichte.

Der Anfangs noch zahnlose Pat berichtet dem Zuschauer, wie er sich 1981 mit dem afrikanischen und asiatischen AIDS-Virus infizierte, nachdem er mit Tabledancerinnen geschlafen hat. Er beschreibt, wie er sämtliche Medikamente ablehnte, Ärzten nicht vertraute und dann durch die Infektionskrankheit Toxoplasmose ins Koma fiel. Seitdem ist er ein anderer Mensch. Kann nur mit Krücken laufen. Am liebsten ist er auf seinem Fahrrad. Versehen mit Stützrädern bedeutet dies für ihn Freiheit.

Regisseur Florian Schewe begleitete Pat und seine Freundin über drei Jahre mit der Kamera.
Im Zeitraum von 2009 bis 2012 filmte er, wie Pat nach über 15 Jahren seine Familie wieder besucht, wie er sich künstliche Zähne einsetzen lässt und jeden Tag trainiert, um irgendwann doch wieder normal laufen zu können.

„Wiener Ecke Manteuffel“ ist ein echter Spagat zwischen Tragik und Komödie. Berührende Szenen und emotionale Momente werden meist von humorvollen Sequenzen abgelöst. Sei es eine lachende Dijana, die sich freut, endlich wieder Haare zu bekommen, nachdem ihr diese durch eine Medikamententherapie ausgefallen waren. Oder ein wild-kiffender Pat, der sogar in seiner Wohnung Marihuana züchtet. Ein leichtes Lachen über die authentischen Persönlichkeiten war des Öfteren mal im Kinosaal zu hören, als der Film am Sonntag, dem 13. April Weltpremiere feierte.

Zusammenfassend stellt das Langzeitprojekt von Florian Schewe ein sehr persönliches Werk dar, das berührt, das auch traurig macht - zuletzt aber Mut gibt und zeigt, wie schön das Leben doch sein kann, trotz schwerer Lebenslast.

von Marc Burgemeister

im Rahmen des Studiengangs Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation – MHMK, Standort Berlin
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

achtung berlin

Der achtung berlin - new berlin film award ist ein Filmfestival, das sich mit Leib und Seele dem Hauptstadtkino verschrieben hat. 9.-16. April 2014

achtung berlin

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