DER ARME MATROSE, Hammermörderinnensplatter

Oper als Film Mainfranken Theater Würzburg unternimmt "eine szenisch-musikalische Reise mit Musik von Darius Milhaud, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Dmitri Schostakowitsch"

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Das Dreispartenhaus des Mainfranken Theaters Würzburg hatte für Ende Januar die Kurzoper Der arme Matrose von Darius Milhaud (ergänzt mit ein paar Werken und Werkausschnitten von Beethoven, Schubert und Schostakowitsch; weil halt die halbstündige Kurzoper für einen Abendfüller viel zu kurz gewesen wäre) im Premierenkalender stehen. Daraus wurde wegen Covid-19 nichts.

Was tun?

Oper als Film!

"Als künstlerisches Kreativteam konnten Regisseur Tomo Sugao und Bühnen- und Kostümbildner Paul Zoller gewonnen werden, die auch für die ursprünglich geplante Bühnenfassung engagiert wurden und das Szenarium für den Film neu ausgearbeitet haben; zuletzt zeichneten beide gemeinsam für die spektakuläre Inszenierung von Wagners Götterdämmerung am Mainfranken Theater verantwortlich. Bei der Realisierung der Filmarbeiten arbeiten sie mit dem Würzburger Kameramann und Filmkünstler Steffen Boseckert (mindcore productions) zusammen.

Anfang März fanden die Tonaufnahmen mit Solistenensemble und Philharmonischem Orchester Würzburg unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Enrico Calesso statt."

(Quelle: mainfrankentheater.de)

Eingebetteter Medieninhalt

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Das Resultat dieser an filmischen Ideen sich geradezu dann überschlagen habenden Spon­ta­ne­i­tät - wir rezipierten gestern Abend den auf mainfrankentheater.de veröffentlichten Stream - ist allersehenswert!

Der Plot geht so:

"Seit 15 Jahren wartet eine Frau auf die Heimkehr ihres Mannes, des Matrosen, aus der Fremde. Er kommt tatsächlich, äußerlich schwer gezeichnet, aber im Besitz einer kostbaren Perlenkette. Inkognito bittet er um ein Nachtlager und kündigt der Frau die Heimkehr ihres angeblich völlig verarmten Mannes an. In der Nacht erschlägt sie den 'Fremden' und nimmt die Kette, um mit diesem Vermögen ihren Mann zu retten." (Quelle: dto.)

Und wir vermuten, dass esBerthold Warnecke (der Dramaturg des Videos) war, der dem Kurzopernplot noch eine Vorgeschichte anempfahl, die sich dann ihrerseits aufs Progressivste hin verselbständigte:

Es ist Hochzeit, und die Brautleute sind glücklich. Doch dann tut der Bräutigam die Braut sofort und ohne jede Vorwarnung verlassen; und das deuteten wir so, dass er von ihr die Schnauze bereits voll hatte, noch ehe sie dann überhaupt so eine schöne und normale Ehe miteinander ausprobierten, also Panik, Flucht und Freiheit. Und dann sehen wir den nicht von seiner Braut Geschiedenen eine gewisse Zeit auf hoher See verbringen, und dann strandet er wohl irgendwo, und sein bis dahin unversehrt gebliebenes Matrosenangesicht hatte inzwischen derart viele Narben, dass man hätte darauf schließen müssen, dass er krank geworden war oder als Opfer von Gewaltattacken überlebte... / Schnitt //

Dann trifft er seinen alten Freund wieder, der seinerseits, und seit der Bräutigam der Braut vermisst wurde, ein Auge auf sie hat. Er zeigt ihm eine Perlenkette, was dann wiederum die Habgier seines alten Freundes bis zur Mordlust animiert (sehr schöne Traumsequenz eines in Blut sich wälzenden Matrosenmörder-Hagens). Und inzwischen fristete die Braut mit ihrem trunksüchtigen Vater ein bedauernswertes Kneipenwirtinnendasein und wartet dennoch "treu" auf den vermisst geglaubten Bräutigam... / Schnitt //

Der sich als Freund des Bräutigams ausgebende (Ex-)Bräutigam wird von der Braut beherbergt. Er erzählt ihr, dass er mit der Königin von Mexiko (mit einer "Wilden"? tut sich da die koloniale Braut entsetzen) schlafen musste und von ihr, als Lohn hierfür, besagte Perlenkette kriegte... / Schnitt //

Ja und desnachts erschlägt die Braut dann den als Freund des Bräutigams sich ausgegeben habenden (Ex-)Bräutigam mit einem Fleischerhammer, um sich dessen Perlenkette aneignen zu können, womit sie den Bräutigam, so wie sie meinte, aus seiner bedauernswerten Armut retten will. Sie und ihr Vater schleifen den Erschlagenen ins Freie; und Lied aus!

* *

Silke Evers spielt und singt die Hammermörderin, die sich weit vor ihrer so krassen Negativentwicklung showbuisinessmäßig beweisen wollte.

Roberto Ortiz ist als Titelheld zu sehen und zu hören; zweimal stimmt er auch dann je ein orchestriertes Liedlein aus der Winterreise von Franz Schubert an, ja und das passte wie die Faust aufs Auge.

Kosma Ranuer brilliert als sex- und mordsüchtiger Braut- und Bräutigamverfolger; zusätzlich stachelt er als Pizarro aus dem Beethoven-Fidelio auch noch die kriminelle Energie des Vaters von der Braut bedenklich an.

Und Igor Tsarkov kann als Vierter in dem bandengleichen Unmenschenquartett, wo er den Brauterzeuger mimt, auch noch beim Aufsingen von Lorcas De profundis (aus der Sinfonie Nr. 14 von Schostakowitsch) zusätzliche Hochbegeisterungspunkte einheimsen.

Fazit: Das Video ist ein Wurf!

Anschauen, anhören!!

Weitersagen!!!!!

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 15.05.2021.]

DER ARME MATROSE (Oper als Film)
Musikalische Leitung: Enrico Calesso
Regie: Tomo Sugao
Bühnen- und Kostümbild, Video-Setting: Paul Zoller
Sounddesign: Tobias Heß
Filmteam: Steffen Boseckert / Mindcore Productions
Dramaturgie: Berthold Warnecke
Besetzung:
Der Matrose / Florestan / Tenor ... Roberto Ortiz
Seine Frau / Leonore / Sopran ... Silke Evers
Ein Freund / Pizzarro / Bassbariton ... Kosma Ranuer
Ihr Vater / Rocco / Bass ... Igor Tsarkov
Philharmonisches Orchester Würzburg
Online-Premiere war am 14. Mai 2021.
Livestream auf mainfrankentheater.de v. 14.05.2021

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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