Schumanns "Szenen aus Goethes Faust"

Konzertkritik Christian Gerhaher (als Faust und Doctor Marianus) - Daniel Harding (Einspringer für Harnoncourt) leitete die Berliner Philharmoniker

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Vor knapp zwei Wochen musizierten die Berliner Philharmoniker unter Riccardo Chailly Richard Wagners und Franz Liszts Beiträge zu dem großen Goethe-Faust - da hörten wir (mal wieder) zwei ambitionierte Werke von zwei Komponisten, die, was eine wirkungsstarke Theatralik anbelangte, auf dem dahingehenden dramatischen Gebiet recht ausgewiesen waren; und es hatte uns zwar nicht vom Stuhl gerissen - doch das lag mitnichten am Orchester oder dem gastiert habenden Dirigenten, nein, es lag ganz einfach an der unbedingten Schlicht- und eigentlichen Unbedarftheit des uns so sinfonisch Vorgeführten...

*

Gestern Abend nun gab es Szenen aus Goethes Faust von Robert Schumann - "ein Werk, das bis heute ein Schattendasein im Konzertbetrieb führt. Doch halt! Hat Schumann bei der Auseinandersetzung mit der deutschen Tragödie schlechthin deshalb tatsächlich kompositorischen Schiffbruch erlitten? Oder wurde seine Musik von der Mit- und Nachwelt ganz einfach (noch) nicht verstanden?" fragten sich auf der betriebsinternen Website die Berliner Philharmoniker.

Die Antwort sollte simpel sein, denn: Goethes Faust in Noten umzusetzen war und bleibt halt schier unmöglich! Leider Gottes ist das nun mal so.

Nichts desto Trotz bemühte sich die Heerschar der zu dieser konzertanten Aufführung Vorortgewesenen - allen voran der für den ursprünglich als Dirigent geplanten Harnoncourt kurzfristig eingesprung'ne Daniel Harding - um eine doch glaubwürdige Unterstreichung dessen, dass das ausufernde Schumann-Opus in der Tat ganz großartige Züge an sich hat.

Was diesbezüglich schon verwundern könnte, ist: Die abgehobensten wie auch interessantesten Passagen der im Ganzen doch sehr sinnlos à la Best-Of-Goethesfaust abnudlerischen Nummernoper sind diejenigen, wo leise und zurückhaltend gesungen und gespielt wird; Christian Gerhaher (als Doctor Marianus und, zuvor, als Faust) konnte da wohl bei seinem "Eintritt" in die Schlussverklärung mit dem sinnstiftenden Text "Hier ist die Aussicht frei" etc. ein Liedlein singen - diese Stelle [ohne Ironie gesprochen] provozierte bei mir Gänsehaut und Tränenunterdrückung; nicht zu toppen!!

Und ein Meisterstück des Musikalisch-Dramaturgischen dürfte dann sicherlich auch Fausts Begegnung mit der Sorge, die ihn schließlich blendete, gewesen sein; Anna Prohaska konnte diesem psychologisch-anspruchsvollen Part die (fraulich) strafenden und weissagenden Züge, die der Rolle innewohnen, unvergesslich rausmeißeln und an den Faust (und uns, die zuhörenden Faust-Liebhaber) transportieren - hochgenial!

Hervorzuheben noch das Gretchen Dorothea Röschmanns - flirrend-fremdelnd auch von ihrer Stimm-Aussage her.

Der Rundfunkchor Berlin - dessen phänomenale Sängerschaft man spaßenshalber ruhig mal hätte fragen sollen, welche Variante der Bearbeitungen von der Faust-Verklärung "ihr" am nächsten also singbarsten erscheint: die Mahler'sche oder die (auszugsweise) Liszt'sche oder halt die Schumann'sche; ich ahne schon die eindeutige Antwort - strahlte himmlisch hoch und hell! Von ihm würde man allzu gern in das Elysische beeskortiert werden, o ja!!!

Beim guten Harding fällt mir allerdings nur Dieses zu den Faust-Szenen vom Schumann ein: Solide und vom Blatt her dirigiert. Entsprechend unauffällig musizierte das Orchester.

Nochmal hätte ich bestimmt nicht Lust und Ausdauer, mir dieses merkwürdige Werk, was mich kaum intellektuell geschweige denn emotional (will sagen: kaum emotional) erreichte, anzuhören.

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 15. 12. 2013 auf KULTURA-EXTRA]

http://vg06.met.vgwort.de/na/2a060704e431494798db7834a15a4b17

BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 14.12.2013)
Robert Schumann: Szenen aus Goethes Faust
Dorothea Röschmann (Gretchen, Una Poenitentium)
Anna Prohaska (Marthe, Sorge, Engel, Sopran soli)
Andrew Staples (Ariel, Pater Exstaticus, Tenor soli)
Christian Gerhaher (Faust, Pater Seraphicus, Dr. Marianus)
Luca Pisaroni (Mephisto)
Franz-Josef Selig (Pater profundus, Bass soli)
Elisabeth von Magnus (Mangel, Mulier Samaritana, Mezzosopran soli)
Wiebke Lehmkuhl (Schuld, Mater Gloriosa, Maria Aegyptiaca, Alt soli)
Rundfunkchor Berlin
Choreinstudierung: Robin Gritton
Knaben des Staats- und Domchors Berlin
Choreinstudierung: Kai-Uwe Jirka
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Daniel Harding

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden