Die Wirkungsmacht der Klobürste

Hamburg Die Polizei hat Teile der Innenstadt zum Gefahrengebiet mit eingeschränkten Grundrechten erklärt. Nun kämpfen die Bürger dagegen - mit einer Klobürste
Die Wirkungsmacht der Klobürste

Foto: Screenshot, Youtube

Der Protest gegen die Proklamation des Gefahrengebiets in der Hamburger Innenstadt bedient sich zunehmend und erfolgreich satirischer Mittel. Im Internet findet sich eine Fotomontage, die das Gefahrengebiet als Gesellschaftsspiel für die ganze Familie präsentiert – da kann es auch mal Puff machen und dann gibt es ein großes Hallo und viel Spaß. Ebenfalls kursiert eine „Bonuskarte Gefahrengebiet“, die in Anlehnung an handelsübliche Sammelkarten ein Grundgesetz gratis bei der zehnten Polizeikontrolle verspricht. Auch im realen Leben wird der Protest immer humorvoller: am Donnerstagabend fand die erste Kissenschlacht statt, weitere sind geplant, zu denen über 1.000 Teilnehmer erwartet werden.

Zur unangefochtenen Ikone des Kampfs um die Stadt entwickelt sich jedoch ein unverdächtiger Gebrauchsgegenstand: die Klobürste. Jedem von klein auf vertraut, entfaltet sie nun politische Wirkungsmacht und wird zum Symbol der subversiven Avantgarde. Wer hätte geahnt, welches Potential in diesem Feger steckt!

Die Erfolgsgeschichte begann am Dienstagabend. Um die polizeiliche Drohkulisse ad absurdum zu führen, kamen einige Hamburger auf die Idee, Dinge wie einen Rucksack voll schmutziger Wäsche, Plastiktütchen mit getrockneter Petersilie oder Gurken mit Zündschnur beim Abendspaziergang durchs Gefahrengebiet mit sich zu führen. Das ARD-Nachtmagazin zeigte denn auch prompt eine Polizeikontrolle im Gefahrengebiet, bei der ein Polizist einem jungen Mann eine Klobürste aus dem Hosenbund zog. Das Video löste einen allgemeinen Lachanfall bei Facebook und Twitter aus.

Seitdem toben sich Hamburgs kreative Köpfe an ihren Bildbearbeitungsprogrammen aus: Je nach persönlichem Geschmack kann man sich Bilder von Meister Yoda, Harry Potter, Mel Gibson oder dem kleinen Maulwurf bewaffnet mit der Klobürste auf dem Weg durchs Gefahrengebiet ansehen. Sowohl in die Flagge von Altona als auch in das Wappen von St. Pauli ist die Bürste bereits integriert worden, eine Fülle weiterer Bilder kursieren im Netz.

Doch auch im realen Leben scheint der Siegeszug unaufhaltsam. In manch einem Supermarkt der Hamburger Innenstadt waren Klobürsten zeitweise ausverkauft; kreativer Protest läuft in der Hansestadt nur noch unter dem Label „Brushmob“. „Klo-Klo-Klobürsteneinsatz“ wird von den Protestierenden skandiert, die inzwischen nur noch von der „Klolizei“ sprechen. Das Tragen der Bürste in der Öffentlichkeit ist zu einer Form des zivilen Ungehorsams geworden.

Es scheint, als wäre der Hamburger Polizeisprecher der einzige, der darauf mit bitterem Ernst reagiert. Er spricht in der ARD in dröger Beamtenmanier von der Gefahr für Leib und Leben, die in der Innenstadt bestehe, und angesichts derer sich das Lachen verbiete.

Geht's noch? Von einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben sind in Hamburg ausschließlich die Lampedusa-Flüchtlinge bedroht, und zwar durch die Staatsgewalt – ausgerechnet die vermeintlich so gefährliche Bevölkerung von St. Pauli schützt sie.

Die Fronten haben sich in den letzten Wochen verhärtet. Umso mehr ist der Siegeszug der Klobürste zu begrüßen. Der Protest zeigt seine Souveränität in der Fähigkeit, zu spotten und ironische Distanz zu gewinnen. Auf die Einschränkung demokratischer Grundrechte reagiert die Linke mit Hohngelächter.

Die Bürste bietet sich nicht nur aufgrund der starken Ausdruckskraft fäkal assoziierter Gegenstände an, sondern auch, weil sie für all das steht, was St. Pauli und das Schanzenviertel ausmacht: sie ist unverträglich, dreckig und widerborstig. Im positivsten Sinn. Es könnte kein besseres Symbol dafür geben, dass Hamburgs Polizei mit dem Gefahrengebiet ins Klo gegriffen hat. Die Klobürste entwickelt sich zum Zepter des demokratischen Souveräns.

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Geschrieben von

Andrea Wierich

Praktikantin in der Freitag-Redaktion

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