Gefängnis statt Altersheim

Wahnsinn! Weil ein sozialdemokratischer Landrat eine Greisin zur Festnahme ausschreiben lässt, musste die Bundespolizei handeln.

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Knapp 500 Euro Strafe und Gebühren konnten von einer 86 jährigen Frau nicht erbracht werden, weswegen sie nun in`s Gelsenkirchener Gefängnis muss.

Von der Frau ist momentan nicht mehr bekannt als ihr Alter und dass die obdachlose Frau am 20. Juni von der Bundespolizei in das Gefängnis gebracht wurde, weil das Amtsgericht Wuppertal sie wegen Erschleichung von Leistungen zu 40 Tagessätzen verurteilt hatte. In der Pressemitteilung der Bundespolizei heißt es erklärend, warum diese die Greisin der Justizvollzugsanstalt zuführen mussten: „Bei der Kontrolle stellte sich heraus, dass der LR des Ennepe-Ruhr-Kreises die Frau zur Festnahme ausgeschrieben hatte“. Die Nachfrage was denn wohl mit „LR“ gemeint sei, erbrachte, dass es sich mit Landrat übersetzen würde. Im Gegensatz zu der 86 jährigen Obdachlosen hat der Landrat ein Gesicht. Es handelt sich um den, in wenigen Tagen 61 Jahre alt werdenden Dr. Arnim Brux. Nach eigenem Bekunden geht es bei ihm Zuhause lebendig zu. Vier Generation wohnen unter einem Dach auch die Mutter von Brux lebt dort. Der Sozialdemokrat, der auf der Seite der SPD NRW unter Köpfe/Landräte zu finden ist, befindet sich dort eingerahmt, von Peer Steinbrück und natürlich dem „Das wir entscheidet“. Nichts weist darauf hin, dass er ein Mensch sein könnte, der Alte in den Knast bringen lässt, weil sie in seinem Landkreis Beförderungsleistungen erschlichen haben. Und dennoch ist genau das geschehen, weil er es veranlasst oder es in seinem Namen veranlasst wurde. Dr. Brux wird sicherlich nicht das Geringste gegen diese Frau haben aber leider wurde sich auch nicht die kleinste Überlegung gemacht, warum imLandkreis Ennepe-Ruhr eine Greisin öffentliche Verkehrsmittel benutzt hat ohne zu bezahlen. Stattdessen ging alles seinen Verwaltungsgang. Personalien wurden ermittelt, wahrscheinlich sollte ein erhöhtes Beförderungsentgelt gezahlt werden, vielleicht auch nicht das erste Mal. Es kommt zum Prozess. Richter, Staatsanwälte und Zeugen treten auf. Es gibt ein Urteil. Geldstrafe und Gebühren werden fällig. Die Frau zieht weiter, vielleicht auch deswegen und der Landrat schreibt, nachdem irgendwann klar geworden ist, dass die Greisin weder bezahlt hat noch erreichbar wäre, diese zur Festnahme aus, Das ist wahrscheinlich ganz normales und wie es scheint auch vorgeschriebenes Handeln von Verwaltung. Es ist auch nicht auszuschließen, dass hier für den Landrat ein Verwaltungsangestellter gehandelt hat und der Landrat von alle dem nichts wusste.

Die Tragik dieses Falles ist, dass wahrscheinlich an jeder Stelle richtig im Sinne von normenkonform gehandelt wurde und das Ergebnis so verdammt beschämend ist. Niemand hat es für nötig gehalten, in das Rad der Amtsmühle zu greifen und stattdessen dafür zu sorgen, dass der Person Führsorge zuteil wird, die für sie annehmbar wäre. Und es hat offenbar auch niemand gegeben, der auf dem langen Weg der Greisin in den Knast gesagt hätte: Stopp. Der Knast kann hier kein gangbarer Weg sein.

Passend hierzu hat die größte Behörde in diesem Land, die Bundesagentur für Arbeit (BA) gerade erst am 14. Juni per Pressemitteilung verbreiten lassen: „Wer in einem Jobcenter arbeitet, hat sich an Recht und Gesetz zu halten. Es kann nicht sein, dass eine Mitarbeiterin nach Gutdünken handelt und persönliche, politische Vorlieben auslebt“. Das richtete sich gegen eine Mitarbeiterin, Inge Hannemann, die es sich erlaubt hatte, den Menschen in den Mittelpunkt ihres Verwaltungshandeln zu stellen. (Wen es interessiert kann hier mehr erfahren).

So sehr es zu begrüßen ist, dass es klare Verwaltungsabläufe gibt und die Beteiligten nach Recht und Gesetz zu handeln haben und es so etwas wie Sicherheit durch Verfahren gibt, es gibt auch noch den eigenen Kopf, Empathie, die Menschenrechte und das Grundgesetz. Und deutsche Beamte und Verwaltungsangestellte haben ihre Handlungen und die Weisungen von Vorgesetzten auf Rechtmäßigkeit zu prüfen. Haben sie Zweifel, so müssen sie diese gegenüber ihren Vorgesetzten deutlich machen. Das nennt sich remonstrieren und die meisten Beamten und Bediensteten wissen nicht einmal, dass es so etwas gibt. Deswegen geschieht es kaum.

Ob die Remonstration im Falle der 86 Jährigen das richtige Mittel gewesen wäre, kann man mit Fug und Recht bezweifeln. Der Landrat hätte das aber sicher problemlos auf politischem Wege zur Erledigung bringen können. Es hätte Wege gegeben und wenn nicht, hätte man sich wenigstens klar gemacht, dass es Regelungsbedarf für solche Fälle und die Notwendigkeit der Eröffnung von Ermessensspielräumen gibt.

Vor allem hätte man dafür sorgen müssen, dass sich um die Frau gekümmert wird, denn wenn man 86 Jährige obdachlos sein lässt, weil dies zur Freiheit der Bürger gehört, dann pervertiert sich der Freiheitsbegriff. Es ist dann geradezu der dialektische Zwilling der Überbetreuung, wie es sie z.B. in der DDR gab.

Momentan erleben wir eine Art perverser Empathie gegenüber einen Finanzsystem, dass die wenigsten verstehen, von dem man aber glaubt, dass man es um jeden Preis am Leben erhalten muss. Hierfür werden Ermessensspielräume eröffnet, die so groß sind, dass sich die politischen Akteure darin verlieren. Recht und Gesetz spielt nur insofern eine Rolle, dass man sich von Großkanzleien (Freshfields Bruckhaus Deringer) die Gesetze so schreiben lässt, nun auch legal allen Anforderungen der Banken gegenüber willfährig sein zu dürfen. Hätte die 86 jährige Greisin, einige Milliarden bei der WestLB verzockt, das Gefängnis wäre ihr erspart geblieben und sie wäre eine geachtete Frau, die der Landrat jederzeit auch bei sich im Viergenerationenhaus bewirtet hätte, um mit ihr ein wenig über Wirtschaft und Finanzen zu plaudern.

Wäre die alte Frau nur für irgend Jemanden wichtig gewesen, auf ihren langen Weg in die Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen, ihre wäre der Weg in den Knast sicherlich erspart worden. Halt, den Bundespolizisten war das Schicksal der Frau nicht egal: „Diese Maßnahme fiel keinem der beteiligten Beamten leicht, aber Festnahme bleibt eben Festnahme“. Eben, was sollten sie, am Ende der „Nahrungskette“ schon machen? Sie haben das Richtige gemacht und ihren Pressemann informiert und der hat aus der Sache eine Pressemitteilung gemacht.

Nun ist es an uns dafür zu sorgen, dass man den "Druck noch drückender macht, indem man ihm das Bewußtsein des Drucks hinzufügt, die Schmach noch schmachvoller, indem man sie publiziert. Man muss jede Sphäre der deutschen Gesellschaft als die partie honteuse |den Schandfleck| der deutschen Gesellschaft schildern, man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt“ (Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, MEW 1, 381)

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