Zu loyal gegenüber der Verfassung?

Inge Hannemann Am Mittwoch, den 28. August 2013 beginnt vor dem Hamburgischen Arbeitsgericht die Hauptverhandlung Inge Hannemann gegen team.arbeit.hamburg mit einer Güteverhandlung.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Hier wird unter Leitung der Kammervorsitzenden zuvor noch einmal ausgelotet, ob es eine gütliche Einigung geben kann. Scheitert dieser Versuch, so wird der Termin zur Hauptverhandlung festgesetzt.

Inge Hannemanns Klage richtet sich gegen die vor vier Monaten, am 22.4.2013 ausgesprochene Suspendierung von ihrer Tätigkeit als Arbeitsvermittlerin. Ein entsprechender Eilantrag auf Rücknahme der Suspendierung war zuvor gescheitert.

Suspendiert wurde Hannemann, weil ihr Arbeitgeber meint, dass ihr Verhalten den Betriebsfrieden störe und zudem der Verdacht des vorsätzlichen Verstoßes gegen die gesetzlichen Bestimmungen bei der Betreuung der Kunden des Jobcenters bestehe. Zeitungen hatten immer wieder berichtet, dass Hannemann sich weigere, ihre meist jugendlichen „Kunden“ (U 25 = erwerbstätige Hilfsbedürftige unter 25 Jahre) negativ zu sanktionieren. Außerdem betreibt Frau Hannemann seit April 2012 einen Blog, in dem sie regelmäßig kritische Artikel zu Missständen im Bereich von Hartz IV veröffentlichte.

Angesichts der heutigen Hauptverhandlung sollen zwei Dinge beleuchtet werden. Zum einen, was kann die von Hannemann geschuldete Loyalität sein und ferner, welche Perspektiven könnte es geben?

Illoyal?

Einer der beliebtesten Vorwürfe gegenüber Inge Hannemann lautet, dass sie nicht loyal sei und von daher der Arbeitgeber recht daran getan hat, sie von ihrem Arbeitsplatz zu entfernen. Gerne wird noch nachgeschoben, dass sie froh sein könne, nicht sofort und unter Nichteinhaltung von Fristen gekündigt worden zu sein.

Diese Idee von Treue gegenüber dem Arbeitgeber, die soweit geht, dass die Meinungsfreiheit ihre Grenzen da findet, wo die Interessen des Arbeitgebers negativ tangiert sein könnten, muss hier nicht weiter vertieft werden. Inge Hannemanns Arbeitgeber ist nicht Privatperson, sondern im weitesten Sinne die Bundesrepublik Deutschland. Tatsächlich ist sie von der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration zur Gemeinsamen Einrichtung – nach § 44b SGB II - von Bundesagentur und Stadt Hamburg abgeordnet. Was Inge Hannemann nun den Vorwurf der Illoyalität einbringt, ist die Wahrnehmung ihres Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung und das Abgleichen des SGB II und der entsprechenden Dienstanweisungen mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Das ist schon ganz lustig, dass dies nun in der Kritik steht und die Bundesagentur immerhin dazu veranlasste, bundesweit folgendes zu verbreiten: „Wer in einem Jobcenter arbeitet, hat sich an Recht und Gesetz zu halten. Es kann nicht sein, dass eine Mitarbeiterin nach Gutdünken handelt und persönliche, politische Vorlieben auslebt“. Und kam daher zum Schluss: „Frau Hannemann hat sich den falschen Beruf ausgesucht“.

In der Tat: Das Handeln des öffentlichen Dienstes muss gesetzeskonform und vor allen Dingen grundgesetzkonform sein. Haben Bedienstete Zweifel, so sind diese zu äußern und ggf. sind die für nicht gesetzeskonform gehaltenen Handlungen, die verlangt werden, zu unterlassen. Das hieße beispielsweise, bei direkten Aufforderungen zu einer konkreten Sanktionspraxis, hätte Frau Hannemann remonstrieren müssen. So ist es zu mindestens im Beamtenrecht (§ 63 BBG) geregelt und bedeutet, dass Bedienstete ihre dienstlichen Handlungen auf ihre Rechtmäßigkeit prüfen müssen, da sie hierfür auch persönliche Verantwortung tragen. Gibt es entsprechende Bedenken gegen eine Weisung, so muss gegenüber den unmittelbaren Vorgesetzten remonstriert, d. h. gegen die Ausführung der Weisung Einwand erhoben werden.

Im vorliegendem Fall wird dies nicht notwendig gewesen sein, denn als „Arbeitsvermittlerin“ übt Frau Hannemann ihr Ermessen aus und kann damit, sofern sie nicht zum Ergebnis kommt, dass sanktioniert werden muss, die Hürde umgehen, einen Widerstreit unterschiedlicher Normen zu konstatieren. Gleichwohl hat sie diesen Konflikt an anderer Stelle thematisiert. So u.a. in ihrem Blog und mittlerweile natürlich auch in zahlreichen Veranstaltungen, Interviews usw.

Dabei kann Hannemann sich nicht nur auf kompetente Juristen wie Wolfgang Nešković, Richter am Bundesgerichtshof a. D. – komplett - oder Prof. Dr. Uwe Berlit, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht - teilweise - stützen, sondern auch auf das Bundesverfassungsgericht, das in einem Urteil vom 09.02.2010 Hannemanns Idee vom Lebensminimum, das die Leistung des ALG II darstellen würde und deswegen nicht durch Sanktionen weiter eingeschränkt werden darf, stützte. In der damaligen Presseerklärung des Gerichtes hieß es u.a.:

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden...

Offenbar fühlt sich Frau Hannemann in Loyalität dem Gemeinwesen gegenüber, dessen höchste nationale Norm nun einmal das Grundgesetz ist. Etwas, das man von der Bundesagentur (BA) sicherlich in Bezug auf die obige Pressemitteilung nur eingeschränkt behaupten kann. Die "Loyalität" der BA ist nämlich die Treue und die Unterwerfung unter ein einfaches Bundegesetz. Sie basiert nicht auf moralischen Werten und der Verfassung, sondern unterstellt deren Gegebenheit blind. Dies kann und muss man sicherlich als Institution so praktizieren, aber man darf seinen Mitarbeitern nicht verwehren, zu anderen Auffassungen zu kommen. Im Gegenteil. Aus der Geschichte und dem bestehenden Bundesbeamtengesetz heraus besteht die Verpflichtung, Gesetzte vor ihrer Anwendung auch auf ihre Grundgesetz- und Völkerrechtskonformität hin zu überprüfen.

Dadurch, dass Frau Hannemann ihre Überlegungen der Öffentlichkeit nicht vorenthält, entsteht natürlich insofern Druck, als Mitarbeiter(innen) der JobCenter auf ihr womöglich gesetzwidriges Handeln aufmerksam gemacht werden. Hierin genau wird vom Arbeitgeber auch die eigentliche Gefahr gesehen: es könnte zur Anwendung des Remonstrationsrechtes kommen und Angestellte könnten sich ebenfalls darauf berufen, dass sie für bestimmte, für gesetzeswidrig gehaltene Handlungen direkt vom Vorgesetzen angewiesen werden möchten.

Es ist also genau Umgekehrt. Nicht ein Mangel an Loyalität kennzeichnet Hannemanns Verhalten, sondern gerade ihre Loyalität ist das Problem. Loyalität ist die Verbundenheit aufgrund von Werten und Normen im Interesse eines gemeinsamen höheren Ziels.

Menschenwürde ist so ein Ziel und es ist mehr als offensichtlich, dass es von Seiten der BA aber auch des eigentlichen Arbeitgebers von Frau Hannemann, der Hamburger Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration nicht gewünscht ist, dass Loyalität geübt wird. Gewünscht ist Treue, Unterwerfung und Gehorsam, also das Ausleben von Sekundärtugenden gegenüber dem öffentlichen Arbeitgeber.

Perspektive

Das Arbeitsgericht erklärt die Suspendierung von Frau Hannemann für rechtswidrig und damit für unwirksam. Sie kehrt an ihren Arbeitsplatz zurück und nimmt ihre Beschäftigung wieder auf. Dies ist eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit bestände darin, dass für Frau Hannemann im JobCenter eine neue Stelle geschaffen wird, die die Aufgabe hat, Ansprechpartnerin für alle Beschwerden im Zusammenhang mit der Durchführung des SGB II im JobCenter zu sein. An sie könnten sich sowohl die sog. Kunden wie auch die Mitarbeiter(innen) wenden und sie dürfte von sich aus mit jeder(m)Mitarbeiter(in) und mit jeder(m) Kundin(en) direkt Kontakt aufnehmen. Damit könnte die Rechtsabteilung des Jobcenters ebenso wie die Sozialgerichte entlastet werden und die Zufriedenheit von sog. Kunden und Mitarbeitern steigen. Ein Versuch wäre es wert und die Kosten lägen erst einmal nicht über den Kosten der jetzigen Suspendierung. Der Arbeitgeber jedenfalls wäre gut beraten, aus seiner Trotzhaltung heraus zu kommen und gemeinsam mit Inge Hannemann nach konstruktiven Lösungen zu suchen.

Dass es dazu kommt, ist eher unwahrscheinlich. Hierzu müssten wohl erst einmal noch mehr Mitarbeiter(innen) in den JobCentern den Mut aufbringen, loyal gegenüber der Verfassung zu sein, statt nur in Treue fest das SGB II nach den ermessenslenkenden Weisungen ihres Arbeitgebers umzusetzen.

In dem vor der 13. Kammer des Arbeitsgerichts Hamburg absolvierten Gütetermin unterbreitete der Vorsitzende den Parteien einen Vorschlag für eine gütliche Einigung. Danach sollen sich die Parteien bis zum 9. September äußern, ob im Hinblick auf eine anderweitige Beschäftigung der Frau Hannemann beim Jobcenter, ggf. unter Hinzuziehung der Freien und Hansestadt Hamburg als Vertragspartei des Arbeitsvertrages mit der Klägerin, kurzfristig Gespräche aufgenommen werden, oder diese im Rahmen einer weiteren Güteverhandlung, oder im Rahmen eines Güterichterverfahrens am Arbeitsgericht Hamburg erfolgen sollen.

Für den Fall, dass eine vergleichsweise Lösung entsprechend dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag nicht möglich sein sollte, hat das Arbeitsgericht einen Kammertermin

auf Freitag, den 15.11.2013, Saal 112 im Arbeitsgericht, Osterbekstr. 96, 22083 Hamburg

anberaumt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden