Kaum Wohnraum für Flüchtlinge

Arbeitsmarktintegration Viele Flüchtlinge wohnen in Unterkünften, weil sie auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert werden und bezahlbare Wohnungen fehlen. Das erschwert die Arbeitsmarktintegration

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Ob in Erstaufnahmeeinrichtungen oder am freien Wohnungsmarkt: Wohnen ist für viele Geflüchtete ein schwieriges Thema (Symbolbild)
Ob in Erstaufnahmeeinrichtungen oder am freien Wohnungsmarkt: Wohnen ist für viele Geflüchtete ein schwieriges Thema (Symbolbild)

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Bis Flüchtlinge in Deutschland in eine eigene Wohnung ziehen können, ist es häufig ein langer Weg. Nach Ankunft werden sie zunächst in Landeserstaufnahmeeinrichtungen untergebracht, anschließend auf Gemeinschaftsunterkünfte verteilt. Erst nach 24 Monaten im Asylverfahren besteht rechtlich die Möglichkeit, in eine privat gemietete Wohnung umzuziehen. Geflüchtete, die auf Dauer bleibeberechtigt sind, sowie Kontingentflüchtlinge dürfen ihren Wohnsitz in Deutschland frei wählen. Finden sie jedoch keine geeignete Wohnung, werden sie in einer sogenannten Anschlussunterbringung – das sind je nach Kommune Gemeinschaftsunterkünfte oder Wohnungen – untergebracht.[1] Asylbewerber aus so genannten „sicheren Herkunftsstaaten“ müssen bis zum Ende des Asylverfahrens in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen. In den Unterkünften gibt es wenig Privatsphäre, in Erstaufnahmeeinrichtungen – insbesondere den AnkER-Zentren – wohnen viele Menschen auf engem Raum, der Schutz besonders vulnerabler Gruppen (z.B. Frauen, Kinder, LSBTIQ) ist häufig nicht gewährleistet und die Bewohner sind Willkür und Gewalt durch private Securities ausgesetzt.[2] Mit der 2016 eingeführten Wohnsitzauflage werden anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte verpflichtet – sofern sie keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von mehr als 15 Stunden aufnehmen, die es erlaubt, den Lebensunterhalt zu sichern, eine Ausbildung beginnen oder studieren –, die ersten drei Jahre nach Abschluss des Asylverfahrens im gleichen Bundesland wohnen zu bleiben. Zudem ist es möglich, die Geflüchteten dazu zu verpflichten, an einem bestimmten Ort zu wohnen oder nicht in einen bestimmten Ort zu ziehen.[3]

Ob Flüchtlinge in eine eigene Wohnung ziehen können, ist jedoch nicht nur eine Frage der rechtlichen Rahmenbedingungen. Bezahlbarer Wohnraum ist in vielen Regionen rar, darüber hinaus diskriminieren viele Makler und Vermieter Geflüchtete bei der Wohnungsvergabe. „Es ist schwierig eine adäquate Unterkunft zu finden“, stellt der Mitarbeiter einer niedersächsischen Handwerkskammer (HWK) fest.[4] Der Wohnungsmarkt sei ohnehin „nicht ganz einfach“. Zudem sei eine Diskriminierung von Geflüchteten an der Tagesordnung, „sobald ich das Stichwort ‚Jobcenter‘ sage oder ‚ich bin Flüchtling‘, habe ich sehr wenig Chancen auf dem Wohnungsmarkt.“ Inwieweit die Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden, einer Diskriminierung oder der allgemein schwierigen Situation auf dem Wohnungsmarkt geschuldet seien, ließe sich nicht immer klar unterscheiden, berichtet die Mitarbeiterin einer baden-württembergischen Beratungsstelle: „Ich hatte zwei junge Männer aus Afghanistan bei mir in der Sprechstunde, die gesagt haben, sie finden einfach keine Wohnung. Der Wohnungsmarkt ist schwierig. Sie glauben aber, dass es daran liegt, dass sie keine deutschen Namen haben. Man weiß nie so recht, hat es was mit meiner Herkunft oder mit meiner Religion oder mit was auch immer zu tun oder ist der Wohnungsmarkt einfach Scheiße. Das ist sehr aufreibend und kraftraubend.“ Geflüchtete sind dadurch „ohne Hilfe auf dem Wohnungsmarkt eigentlich chancenlos“, wie der Leipziger Stadtsoziologe Dieter Rink gegenüber dem Migazin erklärt.

Ehrenamtliche, die sich um Wohnungen für Geflüchtete bemühen, berichten von explizit diskriminierenden Aussagen. „Die Hautfarbe passt nicht ins Haus“, habe ein Vermieter gesagt, erzählt eine Aktive aus Niedersachsen. Eine Ehrenamtliche aus Baden-Württemberg kritisiert, wenn sie Vermieter anrufe, bekomme sie teilweise die Rückmeldung: „Neger wollen wir hier nicht“. Makler lehnten es grundsätzlich ab, Geflüchteten als Mieter eine Chance zu geben, so die Erfahrung der niedersächsischen Ehrenamtlichen. „Die besten Chancen hat man, wenn man eine normale Tageszeitung hat und da eine Telefonnummer steht und man gleich morgens anruft. Über Ebay-Kleinanzeigen hat man Unmengen an Bewerbern, das ist schwierig. Auf Chiffreanzeigen habe ich trotz frankiertem Rückumschlag nie eine Antwort bekommen. Das ist dann so anonym, dass man weiß, man muss sich jetzt nicht melden“, erzählt eine andere Ehrenamtliche aus Niedersachsen. Die Wohnungen, die Geflüchtete bekämen, seien „teilweise wirklich in einem schlechten Zustand. Die Vermieter sind nicht mehr gezwungen, da irgendetwas neu zu machen, weil die Wohnungen gehen je sowieso weg. Egal ob die saniert sind oder unsaniert. Bei einem jungen Mann, da hing die Tapete wirklich in Fetzen herunter, im Laminat waren Löcher, es war wirklich böse: ‚Ja klar, nehme ich!‘.“

Wie verbreitet diskriminierende Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt sind, wird auch in Statistiken der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sichtbar. 80 Prozent der im Jahr 2016 befragten Anlauf- und Beratungsstellen geben an, geflüchtete Menschen seien auf dem Wohnungsmarkt „besonders von Diskriminierung betroffen“. Diskriminierungen „kann mit den verfügbaren Rechtsschutzinstrumenten oft nicht wirksam begegnet werden“, stellt eine Studie des Paritätischen Nordrhein-Westfalen fest, selbst „wenn Zeug*innen verfügbar sind, die die Ablehnungsgründe bestätigen können, wird vielen Geflüchteten der Aufwand zu hoch sein, zumal sie die Wohnung dadurch nicht mehr erhalten können.“ Für die Zimmer in Unterkünften, die sie aufgrund des schwierigen Zugangs zum Wohnungsmarkt nicht verlassen können, müssen berufstätige Flüchtlinge in Einzelfällen Gebühren zahlen, die die Kosten für eine private Wohnung deutlich überschreiten.[5]

Dauerhaft in einer Unterkunft mit wenig Privatsphäre wohnen zu müssen, erschwert den Geflüchteten unter anderem den Prozess der Arbeitsmarktintegration. „Wir erleben immer noch, dass auch Auszubildende in Flüchtlingsunterkünften leben“, so der Mitarbeiter einer Hamburger Berufsschule, „das ist sehr nachteilig, weil die Jungs manchmal, wenn sie betriebliche Phasen haben, um vier aufstehen müssen und wenn dann die ganze Nacht Trubel ist, schaffen sie das schwer“. In Unterkünften sei es häufig sehr laut, berichtet auch der Mitarbeiter der niedersächsischen HWK, es gebe durch die Enge Probleme mit Mitbewohnern: „‘Ich kann mich nicht auf den Sprachkurs konzentrieren, weil nachts um drei immer jemand reinkommt und ich nicht schlafen kann. Ich kann mich nicht konzentrieren, habe keinen Platz zum Lernen‘. Das bringt die Wohnsituation mit sich.“

Hinzu kämen Schwierigkeiten, die Arbeit zu erreichen, ergänzt er: „Das heißt, ich habe einen Betrieb gefunden wo ich eine Ausbildung machen könnte, aber wie komme ich jetzt hin?“ Gerade bei atypischen Arbeitszeiten ist es teilweise nicht möglich, weiter entfernt liegende Arbeitsstellen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. „Die haben Schichtbetrieb im Altenheim, das heißt, der Flüchtling kann nicht irgendwohin ziehen in den Landkreis. Der muss da mit öffentlichen Verkehrsmitteln hinkommen können und das zu den unmöglichsten Zeiten, zum Beispiel morgens um sechs“, beschreibt ein Ehrenamtlicher die schwierige Situation in einer Region in Baden-Württemberg. Es gebe, ergänzt die Mitarbeiterin einer Industrie- und Handelskammer in Baden-Württemberg, eine „Immobilität, die die Geflüchtete mit sich bringen, weil sie einfach in seltenen Fall ein Auto besitzen oder ein Auto unterhalten können.“ Es sei deswegen notwendig, bei der Arbeitsvermittlung darauf zu achten, die Wege so kurz wie möglich zu halten, „damit Zeit für das Privatleben übrigbleibt und um das fehlende, oder das wenige Geld, was sie haben, jetzt nicht unbedingt für die Fahrtstrecke aufzuopfern.“ Die zuständigen Sozialbehörden förderten den Flüchtlingen auch in Fällen, wo dies wichtig sei, teilweise keinen Führerschein, bedauert der Mitarbeiter einer sächsischen Beratungsstelle. Dabei sei es notwendig, einzusehen, „dass große Entfernungen zurückgelegt werden müssen und dass es kein öffentliches Nahfernverkehrssystem gibt, was es zum vernünftigen Preis schafft. Wir haben Auszubildende, die müssen zum Teil durch drei Tarifzonen fahren. Da kostet ihre Monatskarte mehr, als die im Monat verdienen. Das kannst du doch niemand vernünftig erklären. Und dann gibt es noch die Wohnsitzauflage. Wo ich nur sagen kann: Dann lass sie doch wenigstens umziehen an ihren Arbeits- oder Ausbildungsort.“

[1] https://www.fluechtlingshilfe-bw.de/praxistipps/handbuch/inhalt-des-handbuchs/unterbringung/wie-wohnen-fluechtlinge/

[2] https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Expertise_Anker-Zentren_August_2018.pdf; https://taz.de/Gewalt-durch-Securitys-im-Ankerzentrum/!5598742/; http://cultureofdeportation.org/

[3] https://www.gesetze-im-internet.de/aufenthg_2004/__12a.html

[4] Die Zitate sind Interviews entnommen, die im Rahmen des durch das BMBF geförderten Forschungsprojekts „Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland“ (www.welcome-democracy.de, Laufzeit: 10/2017-09/2020) geführt wurden. Sie wurden sprachlich geglättet.

[5] https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.hohe-nutzungsgebuehr-in-fluechtlingsunterkuenften-mehrheit-fuer-entlastung-der-selbstzahler-in-stuttgart.ca48498e-363b-40fc-943a-dd1162c19045.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Wir forschen im durch das BMBF geförderten Projekt "Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland" zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.

Doreen Bormann / Nikolai Huke

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