Abend mit Piratenkoenig

Liquid Space - wir wollen das Leben nicht verschönern, wir wollen das Leben organisieren

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Frisch aus der Vergangenheit. 22.09.20?? El Lissitzky kommt spät am Abend zurück in den archinaut:

Ich habe den Piratenkoenig getroffen, erzählt er, nicht weit von hier, drüben am Alexanderplatz.Wir kennen uns aus einer anderen Zeit, jetzt ist er bei einer neuen Partei. Ich habe ihn gleich erkannt an seinem Blick, der geht immer leicht über den Horizont in die Nebelbänke, dahin wo es leuchtet.

In eine italienische Spelunke hinter dem Alex hat er mich verschleppt, dort soll eine Beratung mit Publikum abgehalten werden: um illegales Piratenwerk wird verhandelt, das Kapern und Saugen von Musik- und Filmdateien über die elektronischen Handelswege im Internet.

Eine schöne blonde Frau ist aus Wien eingeflogen, ihr Kleid leuchtet so rot wie Klatschmohn, die Männer halten Abstand. Verschiedene demokratische Parteien besetzen das Podium, einige Vertreter von Verbänden, der Verleger einer kleinen intelligenten Wochenzeitung ordnet Podium und Publikum als Moderator. Es sind viele Gäste im Laden, aber nur wenige davon sind zum Betreff gekommen.

Jeder darf seine Position erläutern, das dauert sehr lange und schafft noch keine Fronten. Wir handeln als Unternehmer, sagt der Piratenkoenig zum Eingang seines Statements. Alle reden über eine Kulturflatrate, jeder versteht etwas anderes darunter, einige sind bedingt dagegen, keiner ist unbedingt dafür.

Zum Schluss darf sich die schöne Frau aus Wien äußern, alle Männer wollen ihr plötzlich sehr nah sein, aber leider verstehen sie sich nicht. Man müsse die Piraten legalisieren, sagt sie.

Ein männlicher Redner im Podium fordert die ordnende Hand der Staatsmacht. Die chinesische Methode wird diskutiert, jede e-mail wird mitgelesen. Damit haben sie Erfahrung in Berlin.

„Und wer hat gewonnen?“ fragt John “The Brain“ jetzt vorsichtig nach.

Lissitzky sucht nach einem Vergleich: Es ist wie in der Prohibitionszeit... in Chicago konnten die Gangs reich werden, bis der Staat die Gangster bekämpfte, Alkohol ist legalisiert und wird besteuert. Wer kein Geld hat, brennt sich selbst was. Die Steuereintreiber, die Brauereien und Destillerien versuchen jetzt, Produzenten und Importeure von Rauschmitteln aus anderen Kulturkreisen vom Markt fernzuhalten.

„Das Wort ist die mächtigste Droge des Menschen, so nach Kipling..?“ spöttelt Marlene. „Wer verdient denn heute an meinen Liedern und Filmen?“

Die gehören nicht mehr Deinen Produzenten, sondern in das kollektive Gedächtnis, liebe Marlene, vielleicht ist ja die Idee vom Eigentum die mächtigste Droge...?

„Was ist mit der schönen Frau aus Wien? Warum hast Du sie nicht mitgebracht?“ will Peggy wissen

Ich habe sie nicht angesprochen, sie war so frisch, ganz blond, ungebrochen idealistisch, sie hat versucht einen deprimierten Musikproduzenten im Publikum zu trösten........

Die Wahrheit ist, es gab keinen Sieger, das Publikum hat etwas gewonnen und das Podium auch. Die anderen Gäste der Taverne tafelten lärmend, sprachen diversen Stimulantien zu, die Küche italienisch wie gesagt, Gelächter und Gesang füllte den niedrigen Raum, der Piratenkoenig kam am Ende zu mir und sagte, es ist so eng hier, die Luft zu schwer zum Denken oder Reden, lass uns verschwinden.


Wir setzen uns dann in ein Straßencafé, draußen in die warme Berliner Spätsommernacht. Die müden Augen des Koenigs glänzen, als er mir von seinen neuen Gefährten erzählt und von ihren Plänen: Volksstimmen beweglich wie Schwärme im Meer, die sich in den Laichgründen treffen, einen Chor bilden nach dem Wind oder nach Gezeiten..... sie probieren es wohl schon in der Neuen Welt: „liquid democracy.“


Mies taucht in seine traumtiefe Erinnerung.....rauscht da nicht der fließende Raum, nach dem sie immer gesucht haben?

„Wollen wir zusammen was konstruieren, lieber Lazar Markovich Lissitzky, wir könnten probieren, ob so ein liquider Raum wohl ein Gehäuse braucht? Wir wollen das Leben nicht verschönern, wir wollen das Leben organisieren, das ist doch von Dir, oder?“

El Lissitzky erinnert sich dunkel. Diese Worte kommen aus der alten Zeit. „Hast Du mal gesagt, dass man nicht an jedem Montag eine neue Architektur erfinden kann?“

Mies entzündet jetzt eine Havanna, das dauert eine Weile, dann betrachtet er sie zwischen seinen Fingern wie einen frisch gespitzten Bleistift: „Ein neues Jahrhundert ist angebrochen, alter Freund, es wird Zeit!“

Hier endet der 19. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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