Gruß mit Leuchtturm

Ostharz: Hart am Wind - ein Roman in Fragmenten

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Bauleiter Grau hat die Kantine mehrfach durchgerechnet... alle Massen aus den Plänen gezogen, die günstigsten Preise eingesetzt.... die Baukosten bleiben bei einskommadrei Millionen... preiswerter geht es nicht, sagt er schroff zu Frau Keyser und Maik Peters.

Die Küche darf nicht mehr als eine Million plus Mehrwertsteuer kosten, hat Frau Bernstein gesagt! empört sich die Architektin, wir können den Baukörper nicht kleiner machen, der Küchenplaner warnt uns, für achthundert Essen täglich brauchen wir diese Fläche!

Rechnen Sie doch selbst, liebe Frau Keyser, ätzt Bauleiter Grau, ich bleibe bei meiner Zahl!

Bestimmt ist das Dach besonders teuer! argwöhnt Frau Keyser.... Maik Peters hat ein flach geneigtes Pultdach für das Haus gezeichnet, sie sucht einen Grund, ihm das Dach auszureden.... So was mögen die Leute hier nicht! hat sie ihm immer wieder erklärt. Alle Häuser der Bauprojekt haben ein geneigtes, nach allen vier Seiten abgewalmtes Dach, gedeckt mit hellroten Ziegeln.

Das Dach ist nicht teurer als jedes andere! wehrt sich Maik Peters.

Sind wir nun bei einer Million netto? kommt der Geschäftsführer jetzt dazu, in einer Stunde hat er den Termin bei Frau Bernstein, sie ist verantwortlich für alle Immobilien des Vereins Lebensweg e.V. und will die neue Küche bald dem Finanzvorstand empfehlen.... wenn sie für eine Million zu bauen ist. Netto.

Die Kücheneinrichtung soll fast vierhunderttausend kosten, klagt die Architektin, da bleibt für das Haus nicht genug übrig! Vielleicht kann man am Dach noch etwas sparen.... Maik Peters verdreht still die Augen.

Wie teuer wird die Kantine denn? fragt der Geschäftsführer, und Grau antwortet. Anderthalb Millionen brutto, wenn wir die Durchschnittspreise aus dem letzten Jahr nehmen, einskommadrei, wenn wir günstig bauen.... alles noch ohne Honorare!


Schilling ist am Telefon, Kristin Radomsky ist neugierig..... wie geht es in der Firma.... Ihr macht weiter, habe ich gehört?

Ist nicht leicht, wenn man nicht mehr Herr im eigenen Haus ist, sagt Schilling, überall redet der Insolvenzverwalter mit..... jeder Euro landet auf seinem Konto.... mit Obermeyer muss ich sprechen, kannst Du mich verbinden?

Geht es immer noch um Alexisbad? fragt Kristin Radsomsky..... unsere Rechnung ist bisher nicht bezahlt!

Ja, wegen Alexisbad, sagt Schilling kühl, wegen der Pläne, die ihr geliefert habt, da sind Fehler drin.... deswegen muss ich mit Obermeyer reden, er muss nachbessern... aber sag Deinem Chef lieber nix davon....


Als der Geschäftsführer mit den Plänen der Kantine zu Frau Bernstein aufgebrochen ist, fragt Frau Keyser Herrn Grau: Wer soll Ihnen denn in Zukunft bei den Ausschreibungen helfen? Frau Bollmann kommt nicht wieder, sie hat ja gekündigt... Haben Sie schon mit dem Chef geredet?

Maik Peters ist überrascht: Gekündigt?

Sie geht in das Büro von Helmdeck & Mantey, zu unseren ehemaligen Kollegen, grollt Bauleiter Grau, und Frau Keyser ergänzt: ....die bei allen Bauherrn schlecht über uns reden!

Wer weiß, vielleicht soll mir der junge Kollege hier helfen... murmelt Grau finster, und seine Augen fixieren verkniffen die leere Steckdose in der Wand hinter dem Schreibtisch...

Maik Peters hat ganz entschieden das Gefühl, dass Bauleiter Grau seine Mitwirkung nicht als Hilfe verstehen mag....

Frau Keyser verlässt das Büro und schaut noch kurz bei Kristin Radomsky vorbei..... Wann macht der Chef eigentlich Urlaub? fragt sie, Kobold hat sich immer als Erster in die Urlaubsliste eingetragen...

Weiß ich nicht, Hanne, er sagt mir auch nicht alles!

Im letzten Jahr hat er gar keinen Urlaub gemacht, erinnert sich Hanne Keyser, meinst Du, er bleibt wieder den ganzen Sommer hier? Er hat doch Kinder!

Weiß nicht.... ich fahre erst im September weg..... Kristin Radomsky holt einen Reisekatalog aus der Schublade.



Wie war es bei Frau Bernstein? fragt Kristin Radomsky eine Stunde später, als der Chef zurückkommt, können wir weiter an der Kantine arbeiten?

Nein, ihr Budget reicht nicht, antwortet er müde, sie hat mir genau vorgerechnet, wie viel Geld der Verein für eine Mahlzeit berechnen darf, wie viele Essen im Durchschnitt verkauft werden können, wie teuer die Kantine sein darf, damit die Finanzierung sicher steht....

Grau rechnet zu hoch... das war schon früher so, seine Kostenschätzung war immer höher als die Schätzung von Helmdeck, ärgert sie sich... für die Bauherrn wurde es später teurer, von den Firmen kamen mehr Nachträge, dadurch stieg dann auch unser Honorar....

Unsere Bauherren müssen wissen, wie viel der Bau am Ende kostet, erwidert er, wir tun unseren Kunden keinen Gefallen, wenn wir die Kosten kleinlügen...

Aber die Kosten ändern sich doch, im Winter sind die Preise niedrig, im Sommer hoch!

Deswegen müssen wir Annahmen treffen, sagt er, um so genau wie möglich die letzte Summe zu ermitteln.... dieses Projekt für den Verein Lebensweg e.V. geht nicht weiter, aber Frau Bernstein zahlt das Honorar für den letzten Entwurf....

Vor zwei Jahren haben wir schon mal an einem Entwurf für die Kantine gearbeitet, aber Kobold hat damals keine Rechnung gestellt, kommt als zarter Hinweis von Kristin Radomsky.

Ich weiß, sagt er, stell doch bitte alle Stunden zusammen, die bisher in diesem Projekt zusammengekommen... vielleicht kann ich Frau Bernstein überzeugen, noch etwas draufzulegen...




Die meisten Mitarbeiter bei Bauprojekt Quedlinburg machen pünktlich Feierabend, Kristin Radomsky bleibt eine halbe Stunde länger.... schließlich sind nur noch die beiden jungen Architekten Maik Peters und Ronny Kaske im Haus.... außer dem Geschäftsführer. Jetzt öffnet er den Brief, der heute mit der Post gekommen ist, auf dem Umschlag etwas krakelig die Kinderschrift:


Lieber Papa

Tolles Briefpapier ne?

Habe ich Bennie abgequatscht!

Wir haben gestern eine Dünen Rallye gemacht. Wir mussten da einen kleinen Tümpel mit/auf einem Seil überqueren. Davor musste ich mit zwei anderen das Haus putzen, Toiletten putzen und abtrocknen.

Morgen (Freitag) machen wir eine PARTY, Modenschau, Spiele, vielleicht noch Karaokel.....

Ein mächtiger, rot-weiß gestreifter Leuchtturm ragt links auf das Blatt zart gedruckt in Pastell, um die Spitze läuft eine Aussichtsplattform ringsherum, unten läuft die Schrift seiner kleinen Tochter in das blaue Meer, da steht:

Schreib bitte mal nen Brief, Mami hat die Adresse

HDGGGGDL

Und über dem I in ihrem Namen hat sie mit dem Kuli ein ganz, ganz kleines Herz gekrakelt.


Hier endet der 343. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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