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Einheitsdenkmal Brief nach Leipzig

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Bis 2009 war Florian Mausbach Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, im Januar 2013 veröffentlicht der Berliner Tagesspiegel einen offenen Brief des Herrn Mausbach an den Oberbürgermeister und an die Abgeordneten der Stadt Leipzig zum Freiheits- und Einheitsdenkmal. Zur Ermutigung folgt hier mein Brief an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Sie haben es verdient.

An die, die dabei waren,

an die mutigen, an die zögerlichen, an die glücklichen

und auch an die enttäuschten Leipzigerinnen und Leipziger,

ein früherer Bundesbeamter im frisch verdienten Ruhestand hat einen offenen Brief an Eure Stadtvertreter geschrieben und sich mit dem Hinweis auf die beiden Berliner Wettbewerbsverfahren eine neue Ausschreibung für ein „Leipziger Denkmal der friedlichen Revolution“ gewünscht. Er kritisiert die Auslobung, den Titel, den Ort und die Entscheidung der Jury, also auch die prämierten Arbeiten.

Ziel eines zweiten Wettbewerbs muss es sein, einen volkstümlichen öffentlichen Platzraum zu gewinnen, einen Rathausplatz in der Umgebung von Rathaus, Stadtbücherei, neuer Kirche und Markthalle, der für vielfältige Zwecke wie Kundgebungen, Feiern, Feste und Markt zur Verfügung steht. Das Denkmal sollte den Platz prägen und krönen, nicht aber den ganzen Platz für sich beanspruchen.

Warum nur dreht sich mein Magen um, wenn ich diese Worte lese?

Ist es der Imperativ? Weil jemand aus Berlin, der vermutlich nicht dabei war, mit aller Ernsthaftigkeit befehlen will, wie das „richtige“ Denkmal auszusehen hat? Schweigend haben die Leipziger auf dem Ring gegen Bevormundung aus der Hauptstadt demonstriert.... wie erinnert ein Bauwerk daran? Woran ist ein volkstümlicher Platzraum zu erkennen, soll er signalisieren Wir sind das Volk oder Wir sind ein Volk?

Florian Mausbach ist auch einer der Initiatoren des Freiheits- und Einheitsdenkmals auf der Berliner Schlossfreiheit, wie er in der Einleitung seines Schreibens vermerkt, das ebenfalls einen längeren Prozess im Spagat zwischen den Erwartungen der denkmalverordnenden Staatlichkeit und der denkmalausführenden Gesellschaft durchlaufen hat. Aus dem, wie er sagt: quälenden Verfahren in Berlin hat er seine eigenen Schlüsse gezogen:

Warum kann man die Jahrtausende alte Denkmalkunst nicht in zeitgemäßer Weise fortentwickeln, statt ihr krampfhaft etwas entgegenzusetzen? Bestärkt wurde dies durch die Forderung: „Das Kunstwerk sollte mit zeitgenössischen formalen und ästhetischen Mitteln arbeiten.“ Diese einschränkende Verpflichtung auf Noch-nicht-Da-Gewesenes schließt Künstler mit anderen Ansätzen von vornherein aus. Vollends in die Irre führt die Aufmunterung, „auch konzeptuelle Kunst und partizipatorische Ansätze“ zu liefern. Historische Denkmäler, die ja auf Dauer angelegt sind, eignen sich nicht für unfertige Konzepte und modische Mitmach-Spielereien.

Partizipation kann zum Schimpfwort werden, wo nur ein andachtsvoller Kranz zum richtigen Datum gewünscht ist.... Ob aus diesem Geist auch das Berliner Schloss neu gezeugt wurde, das vermutlich aufwendigste Denkmal der Deutschen Einheit, immerhin über 600 Millionen EUR schwer inklusive Abriss des Palasts der Republik? Alle Bundesländer werden an den Ausgaben beteiligt, aber zum Freiheitsdenkmal wird es trotz des Aufwands nicht taugen.

In einem Gespräch mit dem SPIEGEL führt der niederländische Psychologe Douwe Draaisma aus: Wir möchten unser Gedächtnis gern als etwas begreifen, das durch das Bewahren, Dazulernen gekennzeichnet ist. Doch die wichtigste Aufgabe des Gedächtnisses ist es, zu vergessen.

Nein, liebe Leipzigerinnen und Leipziger, Ihr dürft selbst entscheiden, ob Ihr die Runde Ecke zum Freiheitsdenkmal erklärt, ob Ihr einen Herbstgarten pflanzt oder ob Euer Denkmal sich mit 70.000 Teilen humorvoll und weise der Entropie der Urbanität ergeben darf.

Die Erinnerung an Ärger mit unseren Bekannten und Freunden vergeht, erläutert Draaisma, und wir können einen Weg finden, wieder zueinanderzukommen. Ich glaube es ist kein Zufall, dass wir Vergeben und Vergessen als einander so nah empfinden.

Was wir wirklich erinnern wollen, müssen wir verloren geben wie den glücklichen Augenblick einer unerwarteten Ahnung von Freiheit, die im kühlen Licht des nächsten Morgens vergeht.

Gibt es Herrn Mausbach nicht zu denken, dass viele Beiträge zum Wettbewerb in Berlin wie in Leipzig versucht haben, sich der gestellten Aufgabe mit Ironie zu nähern? Die deutsche Einheit ist noch immer Fiktion, unerreichter Anspruch und tägliche Aufgabe, solange beispielsweise im Öffentlichen Dienst die Unterscheidung zwischen Tarif West und Tarif Ost noch gilt: Möglicherweise ist zu spät oder zu früh für Denkmäler, die prägen und krönen?

Ironie ist jedoch kein tragfähiger Baugrund, beim Bauen gibt es nur eine Tonart: Man kann als Musiker melancholisch sein und in Moll komponieren, sich als Schriftsteller in tragischen Aspekten ergehen und als Filmemacher von Verzweiflung hinreißen lassen. Aber man kann als Architekt kein Pessimist sein, meint der Architekt Daniel Libeskind.

Wird ein Denkmal als pädagogische Floskel oder als standfestes Alibi empfunden, reagieren die Denkmalbedachten mit Skepsis oder Spott, mit Desinteresse oder Abwehr.

Vor allem eines bleibt Menschen ein Leben lang in Erinnerung, sagt der Psychologe Draaisma: wie es sich anfühlt, gedemütigt zu werden.

Im Schatten des kolossalen Völkerschlachtdenkmals mag man sich an einem stillen Winternachmittag überlegen, welche Denkmale uns als Zeitgenossen ärgern oder ängstigen, welche uns berühren, und welche darüber hinaus die Kraft entwickeln, unsere liebsten Erinnerungen in die Zukunft zu tragen.

Gibt es doch möglicherweise nur eine einzige autorisierte Reliquie der deutschen Einheit...... die Berliner Mauer, deren gesprengte Fragmente in zahllose Sammlungen rund um die Erde verstreut an den kurzen Glücksmoment der Möglichkeiten erinnern.

Ich wünsche Euch genug Mut für die richtige Entscheidung.


Nachtrag zum 73. Eintrag vom 09.03.2010: Hinter uns liegen die Chronolysen (in vier Akten)... die Timeline im Blog archinaut: ist inzwischen justiert. Dieser Blog berichtet aus Deiner Welt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich werde Euch nicht schonen. Öffne Deine Augen.


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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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