Müssen sich Berliner für das Schloss schämen?

Berliner Schloss: Meilenstein Deutscher Bauherrschaft

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Eine Millionenüberweisung sei zugesagt an die Stiftung Berliner Schloss - Humboldtforum, zweckgebunden für die pompöse Ornamentierung der bisher eher schlicht geplanten Betonkuppel, dies wurde verkündet zu Berlin am 20.03.2013.

Der geheime Großspender sei ein Deutscher, versichert Wilhelm von Boddien als Geschäftsführer des Fördervereins dem Berliner Tagesspiegel, ein Spender, der unter allen Umständen anonym bleiben wolle – und ihm Hilfe in Notfällen angeboten habe. Seit 2003 sammelt der Förderverein Berliner Schloss Spenden für das Vorhaben, seit 2011 ist die vom Bund initiierte Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum der richtige Ansprechpartner für Großspender.

Die Kuppel sei in den budgetierten Gesamtkosten des Schlossneubaus nicht enthalten, hieß es früher. Im Jahr 2010 wurden Baukosten von etwa 15 Millionen für dieses Bauteil benannt, und bereits damals meldete die Berliner Morgenpost einen angeblichen Wettlauf der Sponsoren.... Wir haben bis heute nicht gehört, ob daraus Zusagen oder Zahlungen erwachsen sind, aber der Kuppelbau scheint inzwischen mit dem Budget vereinbar – zur Erinnerung: Die geschätzten und als Kostenrahmen gesetzten Baukosten in Höhe von 590 Millionen EUR sollen aufgebracht werden im Bundeshaushalt mit dem Löwenanteil von 478 Mio. EUR, mit einer Beteiligung des Landes Berlin über 32 Mio. EUR und durch private Spenden für die historischen Fassaden in Höhe von 80 Mio. EUR

Die drohende Niederkunft einer nackten Kuppel aber scheint den Vereins-Chef Herrn von Boddien jetzt medienwirksam vor der Grundsteinlegung zu seinem erfolgreichen, publizitätsträchtigen Coup veranlasst zu haben. Dabei liegt auch das Spendeziel des Fördervereins von 80 Millionen für die Schlossfassade noch in weiter Ferne: Ende 2012 wurde nach neun Jahren ein Stand von knapp 25 Millionen erreicht. Ob Herr von Boddien von den fehlenden Millionen ablenken will?

Dem Tagesspiegel erklärt Stiftungschef Manfred Rettig, vom Bund bestellter Vertreter der Bauherrschaft, die Spende sei gerade noch rechtzeitig gekommen. Bereitwillig greift die Presse die implizierte Rettungs-Botschaft auf und verteilt das Sedativum unhinterfragt in die Feullitons und Postillen der Republik. Nicht die fehlenden Millionen werden Thema, sondern die versprochenen... Wie schade, dass wir nicht wissen, wer die huldvolle Zuwendung avisiert hat... Familie Quandt? Gebrüder Albrecht? Kanzlerfreund Maschmeyer? Sportfahrer Wendelin Wiedeking? Joe Victory Ackermann, der schon im Kuratorium sitzt?

Ihr wisst schon, dass mit jeder Spende eine Spendenquittung und ein entsprechender Steuernachlass verbunden ist, oder? Jede quittierte Million für das Berliner Stadtschloss geht dem Steuersäckel verloren. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit – der Ruf nach Transparenz verhallt nahezu ungehört....

Wer will noch mal, wer hat noch nicht?

Würden Sie für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses spenden? Mit einem Konjunktiv startet der Berliner Tagesspiegel eine Umfrage, die durch die Möglichkeitsform in der Formulierung den potentiellen Sponsoren das Schlupfloch des Irrealis belässt:

Nein. Für diese Disneyland-Schlossattrappe spende ich nichts. Berlin hat andere Sorgen.[1491 Stimmen = 59%]

Ja. Das Schloss wäre ein Gewinn. Was die Dresdener mit der Frauenkirche geschafft haben, sollten wir Berliner auch hinkriegen. [1055 Stimmen=41%]

Gesamt: 2546 Stimmen (Stand 23.03.2013 um 0.00 Uhr)

Ein versprochenes Spendenziel von 80 Millionen Euro wartet auf die wackeren Möchtegern-SpenderInnen, davon noch 55 Millionen unerfüllt.

Und sie schämen sich nicht.

Nicht die Presse.... keine einzige Stimme kritisiert den leicht durchschaubaren Zahlungsappell und die absehbare missbräuchliche Verwendung von öffentlichen Mitteln mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und Schärfe.

Nicht die Kreativen... haben vor der dröhnenden Dummheit des Vorhabens schmerzhaft versagt und bewerben sich als Hofnarren.

Nicht die Denkmalpfleger... verhinderten nicht den Abriss eines veritablen Zeitdokuments, schweigen aber zu Geschichtsklitterung und Fälschung.

Nicht der Förderverein.... verkündet unbeirrt die Illusion, das alte Preußenschloss erstehe wieder auf.

Nicht die Bundesstiftung... rechnet laut eigener Aussage mit einem deutlichen Anstieg der Spendenbereitschaft, wenn Bagger und Betonmischer auf der Baustelle zu sehen und zu hören sind.

Nicht die Parlamentarier des Bundestages... für den Beschluss zur Rekonstruktion, der vor inzwischen zehn Jahren das Abräumen des Palastes der Republik sanktionieren sollte.

Nicht der Berliner Regierende Bürgermeister.... die Verantwortung für das absehbare Desaster weist er schon heute von sich und sieht primär den Bund in der Bauherrnpflicht.

Nicht der Bundesbauminister... führt das großmächtige Projekt weiter, ohne seine Wähler in Bayern zu befragen: trotzdem werden sie zur Kasse gebeten.

Nicht die Kanzlerin... treibt durch Drohungen und Sanktionen Krisengelder in den europäischen Provinzen ein, ohne überflüssige Ausgaben im eigenen Haushalt zu überprüfen.

Nicht die Berliner... nach einer Forsa-Umfrage sind 61 Prozent gegen den Wiederaufbau des Stadtschlosses, pflegen jedoch als privilegierte Hauptstadtbewohner gern einen bequemen, opportunistischen Defätismus.

Nicht die Architekten und Ingenieure... versichern immer wieder diensteifrig und mundgerecht, dass die politisch gewünschten Termine und Kostendeckel eingehalten werden.

Nicht das kürzlich beauftragte Rohbauunternehmen..... Die Feinheiten müssen warten, damit das Große Ganze nicht in Gefahr gerät, so könne das Schloss im Gegensatz zum BER, der Elbphilharmonie und Stuttgart 21 ein Meilenstein deutscher Bauherrschaft sein, zitiert die Berliner Morgenpost einen Manager von Hochtief.


Aber ich schäme mich.

Vor meinen Kindern.

Vor der Welt.

Für ein Nationaldenkmal, das zu groß, zu beladen und zu teuer ist, um zu berühren. Für ein Veranstaltungszentrum, das authentische Geschichte rückstandsfrei ersetzt. Für unser Gemeinwesen, das bei jeder Großbaustelle aufs Neue um Millionen erpresst wird. Für die Verbindlichkeiten, die wir an dieser Stelle leichten Herzens jenen auflasten, die uns folgen.

Für meine müde Kanzlerin, für meinen gedankenlosen Bauminister, für unseren visionsbefreiten Bundestag, der eine traurige, mutlose Entscheidung traf, für unsere träge Biedermeier-Bürgerlichkeit, die Futterneid für Freiheit hält, für unsere Kultur, die in Ironien wandelt, für unser phantasieloses, sklerotisches Zombie-Land, das anderen wieder überheblich begegnet und sich mit einem Prunkschloss belohnen will, dessen Herrschaft bereits Millionen in den Tod schickte: Vom Schlossbalkon rief Kaiser Wilhelm II. die Deutschen im August 1914 zum Waffengang: "Es muss denn das Schwert nun entscheiden.... Mitten im Frieden überfällt uns der Feind."

Bald hundert Jahre her.... wann aber leben wir endlich zufrieden und glücklich bis an unser Lebensende?




Hier Link zu einer Petition gegen die Schlossrekonstruktion (nur noch 9 Tage!)

https://www.openpetition.de/petition/online/kein-neubau-des-berliner-stadtschlosses

Hier Link zur Leserumfrage des Berliner Tagesspiegel (rechte Spalte, bitte weit runterscrollen)

http://www.tagesspiegel.de/themen/Leserdebatte

Dieser Artikel wurde ebenfalls veröffentlicht auf der Seite www.schloss-freiheit.de

http://schloss-freiheit.de/2013/03/23/mussen-sich-berliner-fur-das-schloss-schamen/

Blick in die Presse

http://www.morgenpost.de/kultur/berlin-kultur/article114427763/Stadtschlossbauer-grenzen-sich-vom-BER-Desaster-ab.html

http://www.tagesspiegel.de/berlin/jetzt-doch-mit-kuppel-geheimer-spender-setzt-dem-schloss-eins-drauf/7960914.html

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/berliner-schloss-stadtschloss-mit-kuppel,10809148,22166210.html

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/forsa-umfrage-mehrheit-der-berliner-will-kein-schloss,10809148,21992530.html

http://www.welt.de/newsticker/news3/article114613164/Berliner-Schlosskuppel-soll-mit-Grossspende-wieder-historisch-aufgebaut-werden.html



Nachtrag zum 169. Eintrag vom 27.05.2011: Hinter uns liegen die Chronolysen (in vier Akten)... die Timeline im Blog archinaut: ist inzwischen justiert. Dieser Blog berichtet aus Deiner Welt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich werde Euch nicht schonen. Öffne Deine Augen.


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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

archinaut

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