Über den Dächern

Ostharz: Auf ein Glas Rotwein - ein Roman in Fragmenten

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Mehr als tausend Jahre schon wurzeln im morschen Sandsteinfelsen über Quedlinburg Stiftskirche und Schloss... im dunkel mit Bohlen verkleideten „Aurora-Zimmer“ der früheren Stiftshauptmannei treffen sich die Alten Freunde zum wöchentlichen Stammtisch.... heute haben sie einen Gast eingeladen, den neuen Chef des örtlichen Planungsbüros.... Wir treffen uns jede Woche, um über die Themen der Stadt zu reden, haben sie ihm gesagt, der Club ist nicht politisch aktiv, Sie finden bei uns Freunde aus jeder Partei... aber gelegentlich sammeln wir Geld für eine gute Sache, die Stadt ist so arm...

Nein, der Kamin ist nicht entzündet, dazu ist es schon zu warm... die kleinteilig verglasten Fenster der holzverkleideten Stube stehen offen, davor bietet der klare Abendhimmel einen tiefblauen Jagdgrund für pfeilschnelle Schwalben, die im Sturzflug hohe, kurze Töne kreischen.... im Sitzen sieht man nur die fernliegenden Hänge, der Schlossberg trägt seine Gäste wie ein Adlerhorst über den Dächern der kleinen Stadt. Wenn auch einige erfolgreiche Geschäftsfrauen in diesem Kreis dabei sind, wird das gutbürgerliche Bild der Abendgesellschaft doch überwiegend durch die hellen Hemden und dunklen Sakkos der Herren geprägt, die Kragen geöffnet.

Weit über neunzig Jahre zählt der Älteste, mit freundlichem Lächeln folgt er dem Grußwort des Vorstands, seine kleinen, hellwachen Augen blinzeln immer wieder hinüber zum Gast dieses Abends, einmal korrigiert er laut eine falsche Jahreszahl.

Beneidenswert, flüstert jemand neben dem Gast, würde ja viel drum geben, wenn ich in seinem Alter auch noch so fit wäre.... er war Chefarzt der Gynäkologie am Quedlinburger Krankenhaus, er kennt die meisten von uns seit der Geburt...

Dann kommen die bestellten Getränke... Bier zumeist, etwas Rotwein. Im Städtchen unten glänzen die Lichter auf und zeichnen die winkligen Gassen nach....

Wir müssen noch einen Antrag besprechen, fährt der Vorsitzende fort, ein Brief von Professor Meyerbohn hat mich erreicht.... er fragt ob wir der Stadt ein Kunstwerk stiften wollen... er lehrt an der Burg Giebichenstein, wie Sie wissen, ist anerkannt als Künstler, hat hier ein Haus am Fuß des Schlossbergs.... wir haben uns damals an seiner Skulptur für den Ratsbrunnen beteiligt....

Ja, man erinnert sich, eine lebhafte Bewegung kreist an den Tischen.

Leicht widerstrebend, ohne erkennbare Neigung fährt der Vortragende fort: In drei Jahren ist das Jubiläum der Wende, zwanzig Jahre sind es dann, Professor Meyerbohn möchte gerne eine Skulptur, ein Denkmal für diesen Tag schaffen, und er bittet uns, Geld dafür zu sammeln. Nun ist es raus.

Es wird sehr still. Jeder schaut in sein Glas.... Bier zumeist, etwas Rotwein.




Hier endet der 316. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.


Next

Back

Klick zum Gästebuch

Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

Ich schreibe um unser Leben. Bitte bleib dran.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

archinaut

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden