"volare" – heißt fliegen

Meeres Rauschen - mit Blick über den blauen Golf

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Wie eine geduckte rote Sphinx lauert der Baukörper auf einem Fels über dem Meer vor Capri: Im Jahr 1944 erscheint Die Haut des Autors Curzio Malaparte...... sein leuchtender Gesang schwebt über den faulenden Fleischbergen Europas, die sich willig der amerikanischen Befreiung unterwerfen – während der Kriegszeit baut der Dichter sein radikales Haus, die Villa Malaparte: „una casa come me: triste, dura, severa“ („ein Haus nach meiner Art: traurig, hart, streng“).

1933 wird Malaparte wegen kritischer Äußerungen aus der faschistischen Partei Italiens ausgeschlossen und auf die Insel Lipari verbannt, nach dem Krieg wendet er sich dem Kommunismus zu, konvertiert später zum Katholizismus und vermacht das exponierte Bauwerk der Volksrepublik China: Für uns Berliner Architekturstudenten ist die sagenumwobene Villa im Frühjahr 1987 eine himmlische Verheißung: Capri im Mai! Exkursion mit Residenz in der Legende!Nicht verraten, streng geheim! Nicht mehr als zehn! Zwei Gruppen je eine Woche!

Seitdem weiß ich um den Fluch der Villa Malaparte: Du wirst mich niemals vergessen! Und Du wirst keine finden wie mich.....

Am steilen Felsen der Insel Capri windet sich nur ein Fußweg mit beeindruckenden Aussichten, mit Gepäck empfiehlt sich die Anreise über das Meer, vom Hafen der Insel lässt man sich mit dem Boot bis zum Fuß des Felsens bringen, auf dem die Villa liegt, jeder Inselbewohner kennt die Bucht und den versteckten Anleger..... The international communist place – House like a Red hammer ist ein Foto bei Google earth benannt.

Ein Landeplatz für Götter ist das weite, flache Dach, blassrote Ziegel, uferlos im Blau des Meeres, im Blau des Himmels, es wird unser Lieblingsplatz nicht nur tagsüber, sondern auch während der Nacht. Wir schlafen unter den Sternen, weil es in den meisten Räumen des Hausesbetäubend nach Wanzengift riecht........

Unglaublich die Trinkgelage, die Mutproben: Balancieren auf der dünnen weißen Betonschale, dem Windschutz, Handstand und Radschlag am haltlosen Dachrand, der Attika, kein Geländer stört den Blick und den Gedankenflug: Ich fliege, ich fliege, jubelt das Lied am Bug der Titanic.....

Unendlich la scala, die Treppe, eine ebenso simple wie überwältigende Erfindung des Bauherrn oder seines Architekten Adalberto Libera, eine Eskalation der Perspektiven, Herzflimmern unweigerlich beim Hinabsteigen, beklemmende Ahnung beim Blick hinauf, Mut braucht man zum Bezwingen dieser Treppe himmelwärts - wartet oben der Priester mit dem Herzausreißer? - und wir proben jeden Tag eine neue Inszenierung.....

Unfassbar das Panorama, die Steilhänge, die bizarren Zypressen, die Felsnadeln, das Glitzern, vom Dach winken wir grüßend mit bunten Luftmatratzen hinüber zu den Kreuzfahrtschiffen, die den Golf von Neapel ansteuern....

In der Halle des Hauses entstehen unsere Arbeitsmodelle, das Thema des Semesters ist Glasarchitektur, der liebevoll-kritische Professor Schmidt-Thomsen begutachtet unsere Werke, bald ist das Abendessen fertig, die Töpfe klappern in der Küche, nahrhafte Aromen sind zu ahnen.....

Am letzten Tag tauchen wir mit unseren Arbeiten in das azurblaue Meer und opfern sie in einem spontan erfundenen, gewiss heidnischen Ritual.

Auf den zweiten Blick ist die Villa Malaparte konstruiert wie eine Arche, stabil im Fels verwurzelt, das Sonnendeck bietet Platz und Bühne, einen knappen Blickschutz, der an ein Segel erinnern kann, die Außenhaut ist schmucklos, verwittert bis an die Verwahrlosung, der Rumpf birgt seine Schätze im Inneren, die Marmorbäder, den Kamin mit Durchblick auf den Horizont... ein Ambiente mit Starqualitäten: Jean-Luc Godard drehte hier mit den Filmgöttern Brigitte Bardot, Fritz Lang, Jack Palance und Michel Piccoli le mepris (Die Verachtung).

Jemand hat alte Kassetten mitgebracht......I put a spell on You! von Screamin’ Jay Hawkins........ Ich verfluche Dich, damit Du mir gehörst, und dann tanzen sie wieder auf dem Deck, waltzing la malaparte, werfen ihre Herzen weit hinaus in die Nacht, zu den Feuern hinter den Horizonten und zu den wandernden Lichtern der einsamen Schiffe unter der Sternendrift...

Im Bauch der Villa wartest Du, eine Kerze flackert im Fenster der kleinen Kammer, ich bringe den Wein und ein altes Buch, das vor langer Zeit schon Sehnsucht nach Capri weckte, Das Buch von San Michele, und ich lese Dir heute Nacht etwas vor:

„.... Ruf des Meeres, herrisch, unwiderstehlich, gleich einem Befehl.... Ich sprang auf die Füße, fuhr in die Kleider, stürmte an die Brüstung der Kapelle und gab das Signal, die Jacht zum Auslaufen bereit zu halten. Ein paar Stunden darauf belud ich mein Schiff mit Vorräten für eine Woche, Rollen starker Taue, Spitzhacken und Spaten; dazu kam ein Revolver, all mein verfügbares Geld, ein Bündel von Fackeln aus harzigem Holz, wie sie Fischer auf ihren Nachtfahrten brauchen. Einen Augenblick später hissten wir die Segel dem spannendsten Abenteuer meines Lebens entgegen...“

Vor den großen Verheerungen Europas schrieb der Arzt Axel Munthe sein Buch von San Michele, labyrinthisch wie das gleichnamige Anwesen, das er auf der Insel Capri hinterlassen hat.

„...Tage später stand ich auf derselben einsamen Ebene, die besät war mit Bruchstücken von Mauerwerk, Riesenblöcken von Travertin und zerbrochenen Marmorplatten, überwuchert von Efeu, Rosmarin, wildem Geißblatt, Cistus und Thymian. Auf der zerbröckelnden Mauer aus Opus reticulatum saß der alte Hirte und spielte auf der Flöte seine Weise der Ziegenherde vor. Ich bot ihm ein wenig Tabak an, er reichte mir ein Stück frischen Ziegenkäse und eine Zwiebel. Die Sonne war schon hinter den Bergen verschwunden, der todbringende Malarianebel kroch langsam über die einsame Ebene. Ich sagte dem Hirten, ich hätte mich verirrt, ich getraute mich nicht, allein in dieser Wildnis meinen Weg zu finden, dürfte ich nicht diese Nacht bei ihm bleiben?

Er führte mich zu seiner unterirdischen Schlafstätte, die ich aus meinem Traum so gut kannte. Ich legte mich auf seinen Schaffellen nieder und schlief ein. Es ist alles zu wirr und phantastisch, um es in geschriebene Worte zu übertragen, und wenn ich es versuchte, würdet ihr es mir doch nicht glauben. Ich selbst weiß kaum, wo der Traum endete und wo die Wirklichkeit begann. Wer steuerte die Jacht in diese stille, verborgene Bucht? Wer führte mich durch diese pfadlose Wildnis zu den unbekannten Ruinen von Neros Villa? War der Hirte aus Fleisch und Blut oder war es Pan selber, der zu seinen Lieblingsgefilden zurückgekehrt war, um inmitten seiner Ziegen die Flöte zu blasen?

Stellt keine Fragen an mich, ich kann es euch nicht sagen, ich darf es euch nicht sagen. Ihr könnt die mächtige Granit-Sphinx fragen, die auf der Mauerbrüstung an der Kapelle von San Michele kauert. Doch ihr werdet sie umsonst fragen. Die Sphinx hat seit fünftausend Jahren ihr eigenes Geheimnis bewahrt. Die Sphinx wird auch meines zu bewahren wissen.“


Filmausschnitte (mit Musik!) Jean-Luc Godard, le mepris

Hier endet der 72. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

Ein Blick weitet den Horizont: Dieser Blog zieht um die deutschen Häuser

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