Der Protest des Wiener Billeteurs an der Burg

Outsourcing Ökonomische "Zwänge" im Namen der neoliberalen Ideologie betreffen längst viele Bereiche. Auch das Wiener Burgtheater. Ein mutiger Billeteur wagte den Protest

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Millionen Menschen sind allein hierzulande während des zunehmenden Wirtschaftens im Sinne der neoliberalen Ideologie mehr oder weniger die Räder gekommen. Niedriglöhner, Prekarisierte schlagen sich mehr schlecht als recht durch ihr Leben. Besser einen Arbeitsplatz als arbeitslos, tönt seit gut zwei Jahrzehnten die herrschende Politik. Sie plappert damit nach was Industrie-, Wirtschafts- und Arbeitgebervereinigungen ihnen als unabdingbare Notwendigkeit förmlich eingetrichterten.

Fragwürdig: "Sozial ist, was Arbeit schafft"

Sozial sei, was Arbeit schafft, bekommen diejenigen vorwurfsvoll zu hören die meinen, man müsse von dieser Arbeit auch noch vernünftig leben können. "Sozial ist, was Arbeit schafft", diesen Slogan postulierten die neoliberalen Strategen der im Jahre 2000 vom deutschen Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründeten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Der Spruch erinnert fatal an den Slogan "Sozial ist, wer Arbeit schafft" des Vorsitzenden der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), Alfred Hugenberg (1985 - 1951), der Adolf Hitlers Machtübernahme durch die Bildung einer gemeinsamen Regierung ermöglichte.

Alles muss sich rechnen

Die neoliberale Ideologie erklärt qua ihres Handelns den Homo oeconomicus zu einer ihrer unabdingbaren Grundlagen. Alles muss sich rechnen. Immer mehr auch der Mensch selbst. Dieser muss dann rechnen, dass er irgendwie zurechtkommt. Diese Ideologie schafft im Bunde mit ihr willfährig beispringenden Politikern in der Praxis Zwänge, die vermeintlich Privatisierungen von einst staatlichen und öffentlichen Aufgaben zu unabdingbaren Notwendigkeiten erklärt. Einrichtungen kommen so unter Handlungsdruck. Ansonsten winken ihnen Budgetkürzungen. So kam auch das Outsourcing in Mode. Wurde hier da gar zu einer Art neuer Pest. Leistungen, die früher eine öffentliche Einrichtung selbstverständlich selbst erbrachte, werden ausgeschrieben und Private verhökert, die den billigsten Preis versprechen.

Betroffen sind auch Theater

Längst sind auch Theater davon betroffen. Wie in diesem Falle die Bundestheater in Österreich. Darunter sogar das legendäre Wiener Burgtheater. Anläßlich dessen 125-jährigem Jubiläum fand am 12. Oktober 2013 in dem altehrwürdigen Hause ein Bundestheaterkongress statt. Mutig zu nennen ist, dass dort während einer Pause der Billeteur (Platzanweiser) Christian Diaz die Bühne betrat, um eine Protestrede in Sachen Outsourcing zu halten (Videomitschnitt). Wie auch seine Kollegen selbst davon betroffen, übte er darin Kritik, dass die Wiener Bundestheater den gesamten Publikumsdienst bereits 1996 an einen fragwürdigen Sicherheitsdienstleister vergeben hat. Seine Träume vom Theater, so Diaz, sähen anders aus. Hier ein Ausschnitt dieser Rede:

(...) Ich bin einer von ca. 400 ArbeitnehmerInnen, die in den Wiener Bundestheatern als Publikumsdienst arbeiten. Als erste sichtbare Repräsentanten der Häuser tragen wir essenziell zur Inszenierung des Gesamtkunstwerks Theater bei. Gegenüber den Besucherinnen und Besuchern inszenieren wir das, was architektonisch österreichisches Nationaltheater, österreichische Hochkultur zu sein behauptet.

Auch wir sind Performer des Burgtheaters.

"Von welchem Theater träumen wir?" ist das Thema des Kongresses zu dem Sie heute hierher gekommen sind. "Von welchem Theater träumen wir?", das fragte ich mich auch, als ich mir vor einigen Monaten bewusst wurde, dass ich in Wirklichkeit nicht für das Burgtheater arbeite.

1996 nämlich gliederte die Bundestheater Holding den gesamten Publikumsdienst der Wiener Bundestheater aus, an den größten Sicherheitsdienstleister der Welt. Wir performen also das Burgtheater, sind aber eigentlich Security Angestellte.

Unser Arbeitgeber heißt G4S. Das steht für Group 4 Securior. G4S ist ein dänisch britisches Securityunternehmen mit Hauptsitz in Großbritannien. Es ist mit mehr als 600.000 Mitarbeitern, der größte Arbeitgeber an der Englischen Börse. Es agiert in mehr als 120 Ländern auf der Welt. G4S Österreich hat ca 3.000 MitarbeiterInnen und ist in
Österreich einer der Marktführer in Outsourcing und Security-Solutions. Das Dienstleistungsportfolio des Unternehmens ist sehr umfangreich. Hier eine kleine Zusammenfassung:

G4S ist spezialisiert auf Outsourcing Solutions. Das heißt, es profitiert von der Übernahme ehemals öffentlicher oder korporativer Dienst. (...)

Übrigens - wie im Videomitschnitt zu sehen - konnte Christian Diaz seine Protestrede nicht in Gänze halten. Die Kuratorin des Kongresses, Karin Bergmann, unterbrach Diaz. Die hier nur auszugsweise wiedergebene Rede ist via nachtkritik.de in voller Länge nachzulesen. Das Portal gibt auch folgende Stellungnahme der Burgtheater-Direktion wieder:

Die Direktion des Burgtheaters hat Sympathien mit allen, die in den globalisierten Märkten Gerechtigkeit suchen. Es ist uns bewusst, dass mit dem Besuch einer Tankstelle oder eines Oberbekleidungsgeschäftes der aufgeklärte Bürger in ständigen Gewissenskonflikt gerät. Nach unseren Recherchen wurden die Geschäftsgebaren der Sicherheitsfirma in Österreich immer wieder als gesetzeskonform überprüft.

Die diensthabenden Kollegen des Billeteurs haben sich nicht mit seiner Aussage solidarisiert.

Zum letzten Satz der Direktion: Man kann sich wohl denken, weshalb. Ob Christian Diaz noch als Billeteur arbeitet ist nicht bekannt.

"Ökonomische Zwänge"Ironie des Schicksals: Gerade das Burgtheater, das eine berühmte Spielstätte ist und auf seiner Bühne nicht selten Gesellschaftskritik in Form von kritischen Theaterinszenierungen geboten wird ist offenbar schon seit Jahren ebenfalls gezwungen sich eines neoliberalen Instruments, einer Outsourcing von Serviceleistungen zu bedienen. Die Kuratorin begründete das, als sie sich anschickte Billeteur Diaz von der Bühne zu komplementieren, mit "ökonomischen Zwängen".

Eine Frage sei zum Schluss erlaubt: Wohin werden uns diese vorgeblichen (gemachten) Zwänge unsere Gesellschaften wohl noch führen?

Artikel in anderen Medien dazu:

Berliner Zeitung

Der Standard

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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