"Dr. Makellos" Steinmeier ein Heuchler?

Spionageaffäre Katja Kipping (Vorsitzende DIE LINKE) kritisiert die SPD in Sachen Spionageaffäre. Steinbrück wirft sie "Empörungstheater" und Steinmeier Heuchelei vor.

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Nun bekommt auch die SPD eins vor den Bug in Sachen Spionageaffäre. Es hätte - bei mir zumindest - Verwunderung und auch Empörung ausgelöst, wenn es nicht dazu gekommen wäre. Denn wie sagte Fußballer Andreas Brehme einmal so richtig: "Haste Scheiße am Schuh, haste Scheiße am Schuh!" Die vermeintlich weiße SPD-Weste ist nicht nur diesebezüglich etwas bespritzt. Auf diese Flecke zeigt nun Katja Kipping, Vorsitzende der Partei DIE LINKE" via Online-Ausgabe der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung". Die Linkspartei kann das guten Gewissens tun, denn sie ist die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die nicht in Geheimdienstschweinereien der Bundesrepublik involviert war. Ihr Glück: Die Partei war nie Mitglied einer Bundesregierung.

Kipping sagte der "Mitteldeutschen Zeitung":

"Es ist Zeit für einen Offenbarungseid der SPD." Offenbar auch eine Reaktion auf die Erklärung des stellvertretenden Regierungssprechers Georg Streiter. Dieser hatte zuvor erklärt, Rot-Grün habe 2002 die Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit dem US-Geheimdienst NSA abgesegnet und Steinmeier habe die Grundsatzentscheidung getroffen.

Katja Kippings Kritik: Steinbrücks "Empörungstheater" und Steinmeier "der größte Heuchler

Dass die sich offenbar mit weißer Weste dastehen sehende SPD nun so tut, als habe sie mit dem NSA-Skandal überhaupt nichts am Hut kritisiert Katja Kipping: "Während Steinbrück täglich ein Empörungstheater aufführt, kommt Schritt für Schritt heraus, dass Rot-Grün alle Türen aufgemacht hat, durch die die NSA und private Konzerne die Daten aus Deutschland absaugen."

Frank-Walter Steinmeier, Kanzleramtsminister unter Gerhard Schröder und jetziger SPD-Fraktionschef, sei "der größte Heuchler in der ganzen Spionageaffäre". Ihre Partei so Kipping weiter, sehe "keinen Weg, der an einem Geheimdienstuntersuchungsausschuss in der kommenden Legislaturperiode vorbei führt. Dann müssen auch die Schlapphutpaten der SPD aussagen."

Volle Breitseite gegen den Bug des Tanker der alten Tante mit dem traditionsreichen Namen SPD an der Seite. Starker Tobak gegen den ach so sympathisch scheinenden Frank-Walter Steinmeier. Den Mann, der nach dem Abgang Schröders eine zeitlang wie eine Sprechpuppe des "Genossen der Bosse" tönte. Aber Steinmeier kann auch anders. Das walte Hugo!

Frank-Walter Steinmeier und der Fall Murat Kurnaz

Der grauhaarige Mann, Chef des Kanzleramtes unter Gerhard Schröder, war der wichtige Mann im Hintergrund des SPD-Bundeskanzlers. Wohl wegen dessen penibler Gründlichkeit, soll er damals "Graue Effizienz" geheißen worden sein. Manche haben ihn wohl auch als "Dr. Makellos" bezeichnet. Murat Kurnaz - erinnert sich noch jemand? - wird "Dr. Makellos" nicht vergessen haben noch können. Mutmaßlich war nämlich Frank-Walter Steinmeier dafür verantwortlich, dass der Bremer Murat Kurnaz noch etwas länger im rechtsfreien Folterknast des George W. Bush, Guantánamo, dahinvegetieren musste.

In der Istanbul Post schrieb ich damals: Dass der Türke aus Bremen indes nun dennoch nicht frei ist und immer noch in Guantánamo statt in Bremen weilt, ist nicht nur sehr bedauerlich und unverständlich, sondern letztlich ein Skandal.
Nämlich deshalb, weil Kurnaz bereits im Oktober 2002 (!!!) hätte ein freier Mann und in Bremen sein können!
Jedenfalls steht jetzt unbestritten fest, dass die US-Gefangenwärter zu dieser Zeit den Vorschlag machten, Kurnaz nach Deutschland zurückzuschicken.
Doch dort war er offenbar aber unerwünscht. Im Bundeskanzleramt hieß es nur lapidar: Kurnaz sei Türke. Niemand interessierte, scheint's, dass Kurnaz' Lebensmittelpunkt Bremen war.

Den Hut im Kanzleramt hatte damals Frank-Walter Steinmeier auf.

Was damals kaum jemand interessierte, gibt heute zu denken: Laut Kurnaz' Rechtsanwalt Docke zeige der von ihm vertretene Fall deutlich, wie vor allem im US-Interesse Deutsches Recht gebeugt wurde.
Als die US-Geheimdienste beispielsweise Informationen über etwaige Kontakte Kurnaz' in die terroristische Szene von Deutschland begehrten, lehnte die verantwortliche Bremer Staatsanwaltschaft ab, weil man über den späteren Gebrauch jener Erkenntnisse seitens der US-Behörden nichts wisse, bzw. gar einen Mißbrauch damit befürchtete.
Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden aber erwies sich dann als treuer "Bruder" der US-Geheimdienste und hatte dagegen keinerlei Skrupel, die vom Bremer Landeskriminalamt erlangten Erkenntnisse postwendend an die Staaten auszuliefern.
Heute schweigt das BKA im Gegensatz zu damals allerdings fein still und verweist stattdessen pflichtbewußt und sich gesetzestreu gebend auf die Geheimhaltungspflicht.

Der frühere Innenminister Schily (SPD) und sein Nachfolger im Amte Schäuble (CDU) machen jedenfalls im Falle "Kurnaz" ganz und gar keine gute Figur.
In einem Bericht der Zeitung "Neues Deutschland" heißt es etwa, beide "würden immer mehr zur Schande für den Rechtsstaat, indem sie mindestens fahrlässig, vielleicht sogar absichtlich duldeten, dass Kurnaz seit mittlererweile vier Jahren ohne Anklage und Gerichtsverfahren in einem Folterknast einsitzen muss."
(mein Artikel in der Istanbul Post 1.5.2006) Gleiche Brüder, gleiche Kappen?

Erst im Jahre 2006 kam Murat Kurnaz endlich frei. Über die Ankunft des Murat Kurnaz in Deutschland berichtete ich wieder in der Istanbul Post darüber: Auch Anwalt Docke ist der Fall Kurnaz offensichtlich sehr nahe gegangen. "Gefesselt, gedemütigt, entwürdigt wurde er den deutschen Behörden übergeben.", so schilderte Bernhard Docke mit Entsetzen im Blick die Art und Weise, wie sich sein Mandant, nachdem er, mit einer US-Militärmaschine transportiert, welche ihn vom US-Lager Guantanamo zur US-Base Ramstein in Deutschland gebracht hatte, bei seiner Ankunft gefühlt haben musste.
Man muss sich das nur einmal vorstellen: selbst während des gesamten Fluges nach Deutschland war Kurnaz an Händen und Füßen gefesselt. Zusätzlich hatten ihn seine Bewacher noch am Boden des Flugzeuges angekettet. Die Augen waren ihm zugeklebt worden.

Menschenrechtliche Eiseskälte

Es mag angehen, das Frank-Walter Steinmeier "der größte Heuchler in der ganzen Spionageaffäre" ist, wie die Linksparteivorsitzende Katja Kipping der MZ-Online in Halle sagte. Wenn es darauf ankam, funktionierte der Mann hinter Kanzler Schröder perfekt als "Graue Effizienz" und schnurrte als Rädchen in "uneingeschränkter Solidarität mit den USA". Im Falle des Bremers Kurnaz übertraf Steinmeiers menschenrechtliche Eiseskälte gar die der CIA-Schergen, die den Türken irgendwann für unschuldig hielten. Steinmeier, ein "Dr. Makellos"? Menschenrechtlicher Effizienz? Fehlanzeige. Stattdessen: vasallenhafte Bündnistreue und Befolgung einer fragwürdigen Staatsräson.

Vielmehr: ein Heuchler, der sich sein eignes gar nicht so makelloses Tun im Nachhinein schönredet. Und Steinbrücks (wahltaktisches) "Empörungstheater" (Kipping) ist peinlicher wie die schlimmste Schmierenkomödie: es gerät letztlich zur Tragödie, die der eignen Partei schadet. Und die Wähler sagen - wenn sie es überhaupt noch interessiert: Die haben doch alle Dreck am Stecken. Aber wählen tun sie "Mutti" Merkel, weil sie - was, wie und warum können sie gar nicht sagen - alles so toll managt.

Ja, alle haben in der Spionageaffäre gehörig Dreck am Stecken: CDU, CSU, FDP, SPD und die Grünen. Und zwar über lange und längere Regierungsverantwortungszeiten hinweg. Deshalb war es an der Linkspartei (bislang noch sauber bezüglich gewisser Spionageschweinereien) mit dem Finger auf diese Schwachstelle hinzuweisen.

SPD muss sich ehrlich machen

Die SPD sollte dennoch die Traute aufbringen Licht in die dunkle Spionageaffäre zu bringen. Zu diesem Behufe muss sich die Alte Tante aber zunächst einmal schonungslos selbst ehrlich machen. Was heißt: eigne Fehler einzugestehen. Betreffs der Vergangenheit Konsqenzen ziehen und glaubwürdige Politik nach Vorne machen. Es nicht anders wie bei anderen schweren Fehlern. Hier zu nennen wären Agenda 2010 samt Hartz-IV-Unrecht. "Fußballphilosoph" Andi Brehme ist unumwunden zuzustimmen: "Haste Scheiße am Schuh, haste Scheiße am Schuh!"

Was nun, Herr Steinbrück? Den Vorhang des Empörungstheaters zu und alle Fragen offen? Ehrliche Antworten sind jetzt gefragt. SPD, sapere aude! - habt den Mut euch euren eignen Verstandes zu bedienen: Klare Kante zeigen!

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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