Du nix Duschen hier - Nur für Deutsche

EU-Armut "Monitor": Allein 2011 kamen 200.000 Rumänen und Bulgaren nach Deutschland.” Sie zählen weniger als Asylbewerber. In Dortmund begegnet man ihnen eiskalt und unchristlich.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

“Monitor” berichtet: Allein 2011 kamen 200.000 Rumänen und Bulgaren nach Deutschland.” Wie leben sie im reichen Deutschland des Jahres 2012? “Monitor” hat einen dieser Menschen bei knackigen Wintertemperaturen in Dortmund begleitet. Das Gesicht dieses Mannes vom Leid gezeichnet. Dessen Augen nahezu ausdruckslos.

Ich habe vergangene Nacht nicht gut geschlafen. Vielleicht hätte ich gestern Abend nicht den letzten Beitrag des Polit-Magazins “Monitor” anschauen sollen? Aber er interessierte mich naturgemäß, weil dieser in der Stadt gemacht wurde, in der ich lebe: Dortmund. Ich kenne die Ecken wo die Aufnahmen gemacht worden sind: Die Dortmunder Nordstadt. Hier ist die Armut zuhause. Hier gibt es Probleme. Mehr als in anderen Stadtteilen. Mehr Menschen mit Migrationshintergrund leben hier als anderswo in der Stadt. In den letzten Jahren sind immer mehr Menschen aus den EU-Mitgliedsländern Bulgarien und Rumänien zugezogen. Sie sind Armut und Ausgrenzung in ihren Heimatländern entflohen. Letzteres trifft besonders auf die Bevölkerungsgruppe der Roma zu. Allesamt versuchen sie in Deutschland ein paar Euro zu machen, um ihre Familien daheim durchzubringen. Nicht wenige Roma fanden in Zeiten des Staatssozialismus in Bulgarien und Rumänien wenigstens noch als Hilfsarbeiter Verwendung und konnten sich so immerhin ihr kärgliches Brot verdienen. Damit war nach dem Ende des Staatssozialismus bald Schluß. Mehr und mehr Roma wurden entlassen. Den von der Bevölkerungsmehrheit meist verhassten Roma wurde als erstes die Tür gewiesen. Erst recht ging es ihnen an den Kragen (nicht selten sogar physisch in Form rassistischer Übergriffe) als ihre Heimatländer Mitglied in der Europäischen Union wurden.

Statt Armut auf den Arbeiterstrich nach Deutschland

In ihrer sich von nun an noch verschlimmernden Lage sahen sie in der EU, wohin sie nun visafrei reisen durften, verzweifelt eine letzte Chance irgendwie Geld zu verdienen. Das Schicksal eines Mannes, der nach Dortmund kam um seine Arbeitskraft zu verkaufen, griff die gestrigen Monitor-Sendung auf. Verkaufen, das trifft es genau. Wie etliche Bulgarinnen und Rumäninnen (viele von ihnen Roma) ihren Körper für sexuelle Dienste für lächerliche Eurosummen auf dem Dortmunder Straßenstrich (er wurde inzwischen geschlossen) an Freier verkauften, bieten bulgarische und rumänische Männer nun ihre Arbeitskraft auf dem so genannten Arbeiterstrich in der Dortmunder Nordstadt feil. Ich komme öfters daran vorbei. Ein Umzug ist schon für 50 Euro zu haben. Die Gesichter in die man dort blickt sind ausgezehrt. Ihnen ist Hoffungslosigkeit, Verzweifelung und Erschöpfung abzulesen. Ihre Besitzer sind allesamt Verlierer der EU. In meiner Schulzeit erblickte ich solch traurige Gesichter in Geschichtsbüchern, in denen über vergangene Wirtschaftskrisen Zeugnis abgelegt wurde.

Apartheid: Nix duschen hier. No sleep here. Nur Dortmund. Only Germany

“Monitor” berichtet: Allein 2011 kamen 200.000 Rumänen und Bulgaren nach Deutschland.” Wie leben sie im reichen Deutschland des Jahres 2012? “Monitor” hat einen dieser Menschen bei knackigen Wintertemperaturen in Dortmund begleitet. Das Gesicht dieses Mannes vom Leid gezeichnet. Dessen Blick nahezu ausdruckslos. Auch solche quasi von der Gesellschaft ausgestossene, vertriebene und vielfach gedemütigte Menschen bedürfen der Körperhygiene. Aber wohin, wenn man keine Wohnung hat, bzw. aus dieser ausgesperrt wurde? Wie eben dieser Ercan im “Monitor”-Bericht. Es gibt doch Hilfseinrichtungen, denkt man. Ja, denkste: Die aber sind z.B. in Dortmund anscheinend nur für Deutsche oder Dortmunder. Eine Form von Apartheid sozusagen? So erlebt von Betroffenen Nichtdeutschen und Nichtdortmundern und dem “Monitor”-Team in städtischen und kirchlichen Einrichtungen, wie etwa bei der Evangelischen Diakonie in Dortmund.

Dort, eruierte “Monitor”, ist man auf diese EU-Mitbürger gar nicht gut zu sprechen. Von christlichem Verhalten ihnen gegenüber keine Spur: „Bulgaren dürfen hier nicht duschen. Aber das wissen die genau. Aber sie kommen immer wieder. Und ich muss immer wieder diesen Zettel hier zeigen. Können sie das lesen? Das ist ihre Sprache. Also nix duschen!“Aber auch städtische, dem Dortmunder Sozialamt unterstehende Hilfseinrichtungen, zeigen Hilfesuchenden aus Bulgarien und Rumänien kaltherzig die noch um noch um einiges kältere Schulter: “Ist nur für Deutsche, nur für Dortmunder. Nicht für Rumänen oder Bulgaren. Ist leider so. Dürfen wir nicht machen.“ Und noch deutlicher: „Oh, no sleep here. Nur Dortmund, only Germany.“ Bedauern: „Ist leider so. Vom Sozialamt, Stadt Dortmund ist das so.“

Diakonie und Stadt Dortmund machen sich einen schlanken Fuß: Selber her gereist – Selber schuld

Als Begründung für ihr unchristlich-herzloses und brutal abweisendes Verhalten scheint Diakonie wie Stadt Dortmund da Folgendes zu genügen: Die Betroffenen hätten ihre Obdachlosigkeit selbst herbeigeführt. Die Stadt zuckt überdies mit den kalten Schultern: Handlungsbedarf bestünde seitens der Bundesregierung. Beides mag sachlich-bürokratisch gesehen zwar stimmen. Jedoch der Versuch, sich auf diese Weise einen schlanken Fuß machen zu wollen, ist nicht nur ziemlich billig, sondern auch ganz schön dreist. Immerhin sind verantwortliche Kommunalpolitiker meist Mitglieder jener Parteien, die im Bund mit für die Misere gesorgt haben. Diesen Misständen ist nur beizukommen, indem Kommunen, Land, Bundesregierung und nicht zuletzt die Europäische Union ernsthaft nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Der etwa, die Lebensverbesserungen der verzweifelten Arbeitsmigranten in deren Heimatländern verbessern zu helfen. Denn: Wer verläßt schon gerne seine Heimat, seine Familie? Dortmunder, wie anderen deutschen Kommunalpolitikern die mit derlei gewiss nicht einfach zu lösenden Problemen konfrontiert sind, sowie sich als christlich betrachende kirchliche Sozialeinrichtungen, sollten sich vor Augen führen: Wer betreffs der Verantwortung für soziale Missstände mit einem Finger auf andere zeigt, muss wissen, dass in dem Falle mindestens drei Finger auf einen selbst zurückweisen. Die Augen vor gravierenden sozialen Problemen zu verschließen, den Kopf in den Sand stecken oder Vergrämungsmaßnahmen gegen arme, in Not befindliche Mitmenschen zu ersinnen sind untaugliche Mittel. Damit ist ein Scheitern in diesen Angelegenheiten bereits programmiert.

Der im TV-Beitrag zu Wort gekommene Arzt Dr. Klaus Harbig – der Flüchtlinge und Menschen wie Ercan unentgeltlich medinzisch behandelt – glaubt zu wissen, wie die Misere via EU-Aufnahme etwa der Länder Bulgarien und Rumänien entstanden ist: “Sicher hat man nicht mit so einem hohen Rücklauf von Armen gerechnet. Man wollte ja lieber verkaufen, denke ich, und da Geschäfte machen. Das war sicher der Grund, weil das Märkte sind. Aber die Kehrseite der Medaille hat man sicher nicht so gesehen. Aber man müsste jetzt reagieren, weil das Menschen sind, die Hunger haben, die frieren, die keine Unterkunft haben und die man nicht einfach jetzt so, so lassen kann.” Und der Doktor malt auch gleich aus, was passiert, wenn man weiter die Augen vor drängenden Problemen verschließt: „Die Folge wird sein, dass die Leute dann sagen, entweder ich verzweifele oder ich besorg mir selber was. Man kann sie auch nicht wegschicken, es sind EU-Bürger. Sie dürfen hier bleiben.“

EU: Märkte ja. Wer nichts hat, zählt nicht

Aber man behandelt sie wie den letzten Dreck: “Die Menschen, die keinen deutschen Personalausweis haben, sind hier vogelfrei” sagt der Doktor, “das ist meine Meinung. Denen geht es schlechter als Asylanten oder politischen Flüchtlingen oder Staatenlosen.“ Auf sie kann eben der Kapitalismus keine Rücksicht nehmen. Diesem System geht es um Markt und Märkte. Ein altes Lied: Money makes the world go round. Die Menschen zählen nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn sie nichts haben und nichts kaufen. Nicht nur die hier angekratzten Probleme und die Art wie man mit ihnen umzugehen pflegt, bringen ans Licht: Wir brauchen eine Europäische Union der Menschen. Ein Europa der Solidarität. Nicht eine EU der Märkte und des Großkapitals.

Grundgesetz Artikel 1 gilt für alle Menschen

Mag sein, dass es Asylbewerbern und politischen Flüchtlingen im Vergleich zu den Menschen auf dem Dortmunder Arbeiterstrich noch “gut” geht. Der Liedermacher und Politaktivist Heinz Ratz sagte in einem RE-Interview in Bezug auf die Situation von Asylbewerbern in Deutschland, auch für sie müsse das Grundgesetz gelten. Ich bin der Meinung Georg Restles (“Monitor”). Die Zuständigen bei der Stadt Dortmund, meint der, sollten einmal den Grundgesetzartikel 1 genau studieren. Darin steht: “Die Menschenwürde ist unantastbar.” Und eben nicht die Menschenwürde der Deutschen ist unantastbar. Das hier betrachtete düstere und uns allen eigentlich beschämen sollende soziale Problem ist sicherlich nicht einfach aus der Welt zu schaffen . Aber mit einem Anflug von Apartheidpolitik oder dem weiteren Ignorieren der Problem allein ist hier kein einziger Blumentopf zu gewinnen. Im Gegenteil! “A better world is in our hearts”, steht auf dem Occupy-Zelt in Dortmund geschrieben. Gilt das auch für die Verantwortlichen Stadtverwaltung? Und Krisenzeiten? Gerade da muss Solidarität groß geschrieben werden.

Alle Menschen werden Brüder?

Alle Menschen werden Brüder, heißt es in Beethovens 9. Sinfonie. Dem das Gedicht An die Freude von Friedrich Schiller zugrunde liegt. 1972 wurde das Hauptthema des letzten Satzes der 9. Sinfonie Beethovens zur Europahymne. Brüder (und Schwestern) zu werden scheint mir schwerer geworden zu sein. Frühere große Hoffnungen erleiden immer öfters Ent-Täuschungen. In diesen Zeiten sieht man stattdessen viel Entzweiung. Nicht Brüder und Schwestern sind das große Problem. Es ist die fortschreitende Spaltung der Gesellschaften Europas in Arm und Reich. Und in Oben und Unten.

Hier der Link zum Monitor-Beitrag.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

asansörpress35

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden