Flashmob für Inge Hannemann in Dortmund

Jobcenterdissidentin Momentan ist Inge Hannemann auf NRW-Tour. Wanne-Eickel und Dortmund liegen hinter ihr. Nach Köln ist sie heute wieder im Ruhrpott. Heute ist Gelsenkirchen dran.

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Gestern, High Noon, zwölf Uhr mittags, vorm Jobcenter Dortmund auf der Steinstraße. Ein kleine Schar Menschen wartet vor dem Gebäude. Sie machen aber - im Gegensatz zu vielen anderen Menschen zur selben Zeit keinerlei Anstalten ins Jobcenter hinein zu gehen. Der Chronist, der schon weit früher am Platz erschienen war, hatte noch den Streifenwagen der Polizei vorm Jobcentereingang stehen sehen und sich gesagt: Hier bist du richtig! Schließlich sind Kundgebungen oder andere Formen von Meinungsäußerungen vor diesen Einrichtungen nicht gern gesehen. Doch plötzlich - noch vor High Noon - wird der Polizeikombi angelassen und dreht Sekunden später Richtung Straße ab und rauscht davon.

Letztes Mal kamen nur drei

Wieder Sekunden danach treffen zwei Aktivsten ein. Darunter diejenige Person, welche den immer Dienstags vorm Jobcenter Dortmund stattfindenden Dauerflashmob (stets auf fünf Minuten begrenzt) "Solidarität mit Inge H." (hinter der Abkürzung verbirgt sich der Name Hannemann). verantwortet. Es ist jemand, der selbst vom Hartz-IV-System betroffen ist. Ja, der Flashmob wurde zum Zwecke der Solidarisierung mit der inzwischen wohl bundesweit bekannten "Jobcenterdissidentin" und Whistleblowerin Inge Hannemann aus Hamburg ins Leben gerufen. Dann "tröpfeln" weitere Teilnehmer des Flashmob zu dem Facebook eingeladen worden war nach. Das letzte Mal, erfahre ich, war man zu dritt. Klar: eigentlich müsste eine riesige Menschenmenge von Hartz-IV-Betroffenen vor dem Jobcenter stehen. Und sich nicht nur solidarisch mit der im Moment "freigestellten" Hamburger Jobcenter-Mitarbeiter, sondern auch im eignen Interesse Flagge gegen das Armut per Gesetz produzierene Unrechtsregime Hartz IV zeigen. Doch die, die hier jeden Dienstag beim Flashmob stehen, wissen, dass dies Überwindung kostet und nicht so einfach ist. Viele Menschen sind eingeschüchtert und vom System so niedergedrückt, manchmal auch schon durch dessen Folgen schon psychisch oder physich krank geworden, dass ihnen die Kraft für die Beteiligung an derlei Aktionen fehlt. Vielleicht manchmal allein schon aus dem Grund, weil sie die Hoffnung Veränderung (mit) bewirken zu können längst fahren gelassen haben.

Endlich biegt sie um die Ecke: Inge Hannemann

Der Veranstalter und die allmählich auf 18 Menschen angewachsene Menge "Flashmobber" treten unruhig von einem Bein auf das andere. Wird sie etwa nicht kommen, Inge Hannemann? Immerhin hatte sie doch ihre Zusage in Dortmund dabei sein zu wollen gestern bei ihrer NRW-Tour-Station Wanne-Eickel (der Bericht darüber) nochmals bekräftigt. Doch endlich, kurz vor zwölf, biegt die zarte Person im pinken Shirt - wie man sie kennt: mit tatkräftig-optimistischem Blick - um die Ecke! Sogleich wird sie erfreut von den schon Anwesenden mit warmem Händedruck überaus herzlich begrüßt. Einige waren schon am Montag bei der Veranstaltung in Herne dabei. Hannemann begegnet jeder und jedem beinahe wie langjährige Bekannte. Das kommt sichtbar von Herzen. Am Auftritt Hannemanns ist keine Sekunde etwas Gekünsteltes zu entdecken.

Noch rasch eine Pressemeldung überreicht

Der Chronist überreicht der "Hartz-VI-Rebellin ("Handelsblatt) noch rasch die in Wanne-Eickel avisierte Pressemeldung des Budrich-Verlages. Worin die nun schon 2. Auflage des Buches "Bestrafen der Armen. Zur neoliberalen Regierung der sozialen Unsicherheit" des Soziologen Loic Wacquant (hier eine Besprechung der Publikation). Die in der Studie behandelten Themen haben m.E. nicht wenig mit dem Hartz-IV-System zutun. Dann ist es schon höchste Zeit: zwölf Uhr und eine Minute. Die Aktiviste stellen sich aufgereiht wie auf einer Perlenkette vor dem Dortmunder Jobcenter auf und halten die ausgedruckten DIN-A-4-Zettel mit dem Aufdruck "Solidarität mit Inge H." (in der Mitte des Zettels prangt groß eine Hand mit hochgerecktem Daumen) in die Höhe oder vor ihre Körper.

Geschwind ist auch alles schon wieder vorbei

Ein paar "Kunden" des Jobcenters waren neugierig stehen geblieben. Einer von ihnen hatte auch ein Blatt angenommen und beim Flashmob spontan mitgemacht. Bis sich die überschaubare, jedoch nicht zu übersehende Gruppe solidarischer Menschen vor dem Jobcenter der Ruhrgebietsstadt wieder zerstreut dauert es noch eine geraume Weile. Man kommt miteinander ins Gespräch. Auch und immer wieder mit Inge Hannemann selbst. Sie, die ein Tag vorher noch frei heraus zugegeben hatte, das erste Mal im "Ruhrpott" zu sein, fühlt sich anscheinend wohl und gut aufgenommen von den Menschen im Revier. Keiner der Anwesenden, der Hannemann nicht Mut für ihr Engagement für unseres demokratische Gemeinwesen zugesprochen hätte. "Das stärkt und bestärkt mich", sagt die Hamburgerin lächelnd. Am 30. April ist ihr nächster Termin - ausgerechnet auf 12 Uhr festgelegt - vorm Arbeitsgericht in Hamburg. "Das stehen wir wieder hier. Punkt 12 Uhr", sagt jemand der Aktivisten, "und wir denken ganz feste an dich, drücken die Daumen!" Über Inge Hannemanns Gesicht huscht ein Lächeln. Auch sie werde im selben Augenblick daran denken, sagt sie den Leuten, dass in Dortmund (und vielleicht auch anderswo?) vorm Jobcenter Menschen solidarisch für ihr Anliegen den Daumen hochrecken und auch sonst für Inge Hannemann einstehen. Ein interessantes Gespräch mit "Inge", wie Viele sie nennen, gibt es noch, dann mahnt ein Begleiter mit einem nervösen Blick auf die Armbanduhr zum Aufbruch: Am Abend steht eine Veranstaltung mit Hannemann in Köln-Kalk unter dem Motto "Solidarität mit Inge Hannemann". Als man auseinander ging nahm wohl jede und jeder, eingeschlossen Inge Hannemann, das Gefühl mit auf den Weg: Diese Aktion gab Kraft für weitere. Nur: allzu geschwind war auch alles schon wieder vorbei.

Heute ist Inge Hannemann wieder im Ruhrgebiet zu Gast. Diesmal in Gelsenkirchen, um 19.00 Uhr
im IG Metall Haus, Augustastr. 18. Der Titel der Veranstaltung: „Gewollte Armut? Die Sanktionspraxis des Hartz IV Systems.“

Hier finden Sie alle Veranstaltungen mit Inge Hannemann in NRW.

Kleine Fotostrecke "Flashmob" für Inge Hannemann in Dortmund vorm Jobcenter (Inge Hannemann in weißer Hose und pinkfarbenen Shirt).



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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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