In der Falle der "unmöglichen" Profitrate

Text zur Krise Wolfram Elsners neuer Text im pad-Verlag: Nötig: “solider und ‘langweiliger’ Kreditsektor” ohne “Spekulation und ohne Super-Profitraten" aufbauen.

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Seit 2008 beschäftigt uns die Krise. Trotz unzähliger Gipfel ist deren Ende längst noch nicht abzusehen. Man gewinnt gar den Eindruck, dass bestimmte Kräfte ein Interesse daran haben, dass das so bleibt. Immer mehr Menschen “landen” inzwischen auf der Verliererseite. Die Spaltung der Gesellschaften in Arm und Reich nimmt zu. Neoliberalismus wurde forciert. Regierungen haben sich dieser Entwicklung kaum entgegen gestemmt. Politik hat sich von den Apologeten des nach 1989/90 wieder erstarkenden Raubtierkapitalismus (Oskar Lafontaine) einlullen lassen. Mit weitreichenden Folgen für immer mehr von den negativen Auswirkungen betroffenen Menschen.

Der Volkswirtschaftler und Hochschullehrer Prof. Dr. Wolfram Elsner schreibt im Vorwort zu seiner kürzlich im pad-Verlag veröffentlichten Arbeit, “dass und wie das ‘neoliberale’ Kapital den entscheidenden Schub organisiert, der das fiktive Kapital aus dem konventionellen entstehen und zur umfassend dominierenden Kapitalform werden lässt, die die gesamte Ökonomie und Gesellschaft in die dauerhafte, unaufhebbare Verschuldung und die endlose Zinszahlung von privaten Haushalten, Unternehmen und Staaten getrieben, und dabei in letzter Instanz den gesamten ökonomischen Mehrwert abgesaugt – für das ‘Blasen- Spiel’ mit und für sich selbst. Dieses ‘Spiel’ allerdings wird die Menschheit in kürzester Zeit in verschiedenste Formen des Kollapses treiben, deren Zeitzeugen und Opfer wir ja bereits sind.“ Die Broschüre mit dem Text Elsner trägt den Titel “Die Menschheit in der Falle eine ‘unmöglichen’ Profitrate – Oder: ‘Neoliberaler’ Finanzkapitalismus vs. Demokratie und weitere menschliche Entwicklung”

Wolfram Elsner: “Der Kapitalismus kehrt zu seinen blutigen Wurzeln zurück”

Schon in einer früheren auf Readers Edition besprochenen Arbeit vertrat Wolfram Elsner die Meinung, dass “neoliberaler” Kapitalismus an sich weder “neo” (neu) noch “liberal” sei. Auch jetzt schreibt Elsner: der Neoliberalismus könne im “vernünftigen Sinne” auch nicht “liberal” sein. Vielmehr sei dieser “ein langfristig geplanter, von den Machteliten ideologisch durchgesetztes, dann staatlich-bürokratisch, mehr oder weniger gewalttätig, umgesetztes und auf Jahrzehnte der systematischen Rück-Transformation angelegtes Projekt der Umverteilung von Einkommen, Vermögenswerten, Macht und Ansehen von ‘unten’ nach ‘oben’. Der Kapitalismus kehrt zu seinen blutigen Wurzeln zurück (W. Elsner). Dabei seiner Gier nach Profit entsprechend. Wo es ihm möglich ist (und durch die Politik möglich gemacht wurde) übt er Lohndruck aus, arbeitet an der Zerstörung sozialer Errungenschaften, setzt De-Regulierungen und Privatisierungen durch. Auch im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Zerstörung der selbigen und die immer weitere Beschädigung etwa der Rente wird dabei bewusst in Kauf genommen. Zum Schaden derer, welche dringend darauf angewiesen sind. Stichwort: Einen armen Staat können sich nur die Reichen leisten.

Totschlagargument “Globalisierung”

Elsner: Zunächst “produzierte der ‘Neoliberalismus’, nach einer gewissen ökonomischen Euphoriephase, vorrangig einen beschleunigten systematischen Niedergang der Realökonomie und einen langfristigen Verfall der Profitraten – mit der Folge extrem verschärfter, allegegenwärtiger Umverteilungskämpfe”. Professor Elsner führt uns (Seiten 18/19) vor Augen, wie die “Globalisierung” – sozusagen als Totschlagargument – “unterm Strich als Herstellung eines exklusiven Handlungsraumes für große Kapitale organisiert wurde. Elnser: “Bei gleicher globaler Nachfragemasse und gleicher globaler Angebotsmasse, kann es logischerweise keine Verschärfung der Konkurrenz geben.” Globalisierung bedeute “die gegenseitige Eroberung der heimatlichen Absatzfelder der Konkurrenz zwecks Absatz der allseitigen Überproduktion”. Der einzelne Kapitalist, so Wolfram Elsner, nehme das “verschärfte Konkurrenz” wahr.

In Wirklichkeit, so könnte es auf einen einfachen Nenner gebracht werden, meine ich: balgen sich kapitalistische Raubtiere um den Einfluss auf und die Macht über Absatzmärkte. Desweiteren geht es um eine “internationale Neuordnung der Machtverhältnisee zwischen den größten Einzelkapitalen” (Elsner).

Als Leser kann man sich das wohl am besten vor Augen führen, wenn man sich Raubtiere in freier Wildbahn vorstellt, die sich um einen Brocken Fleisch balgen. Doch wir sind Menschen. Wollen, können wir auf Dauer in einer von Raubtieren mit Menschenantlitz beherrschten Welt leben?

Wolfram Elsners Befürchtung: die gesamte Erde Afrikas z.B. könnte im Grundsatz in wenigen Jahren verkauft sein

Mit dem Niedergang der Realökonomie ging einher, dass Massen angehäuften Kapitals fortan nach anderen Anlage- und Renditemöglichkeiten suchten. Eine regelrechte Spekulationsindustrie entstand. Wolfram Elsner erinnert daran, nichts an diesem anscheinend neuen Kapitalismus ist tatsächlich neu. Zu diesem Behufe zitiert er Karl Marx, der schon wusste, dass die “Ursprüngliche Akkumulation” ebenfalls bereits aus “Geldraub und Landraub (‘Bauernlegen’) bestand. “Am Ende” schreibt Elsner, müsse daher alles in die Proftitrate gepumpt werden, “als reales/produzierendes ‘konstantes’ (Sach-) Kapital mit produktivem Proftitversprechen, als unmittelbar verkaufbare (oder beleihbare) reale Werte (‘Assets’) oder als direkte Proftitmasse (Mehrwert), z.B. Zinszahlungen, was potentiell für die Menschheit noch irgendeinen künftigen realen Wert besitzt: Immobilien, Industriekapial (‘Asset-Stripping’), Sozial- und Naturplünderung, Ressourcen- und Land-Grabbing.” Zeuge alldessen werden wir nahezu alltäglich. Elsner gibt zu Bedenken: “Die Umverteilungserfordernisse für eine geforderte PR(Profitrate, d. A.) der Spekulationskonzerne übersteigen aber nicht nur die Kapazitäten von Staatshaushalten und sogar des globalen Sozialprodukts sondern am Ende tendenziell sogar die Ressourcenmöglichkeiten der Erde insgesamt (die gesamte Erde Afrikas z.B. könnte im Grundsatz in wenigen Jahren verkauft sein). Die allerdings auf lange Sicht gesehen gravierenden “Nebenwirkungen” dieses bedenklichen Tuns sind “unvereinbar mit demokratischen Ansprüchen und Prozessen”, schreibt Wolfram Elsner, “und selbst mit den seichtesten Formen parlamentarischer Vertretungsdemokratie mit regierungszugelassenen Parteienkartell, sowie darüber hinaus mit den elementarsten Notwendigkeiten weiterer menschlicher Entwicklung.”

Beim Lesen dieser Passage könnte einem Bundeskanzlerin Angela Merkels Satz von der Notwendigkeit einer “marktkonformen Demokratie” mit lautem Alarmklingeln in den Sinn kommen. Und man ahnt: Eine solche Entwicklung kann nicht gut ausgehen. Wobei wir sogleich wieder bei Elsners Buchtitel sind: “Die Menschheit in der Falle einer ‘unmöglichen’ Profitrate”.

Profitrate

Wikipedia-Eintrag: “Der Begriff der Profitrateist eine ökonomische Kategorie, die bei Karl Marx (1818-1883) eine zentrale Rolle spielt. Sie drückt den Verwertungsgrad des angewandten Kapitals aus. Es handelt sich hier um eine Lehnübersetzung aus dem Englischen „rate of profit“, auch „profit rate“. Im deutschen Sprachgebrauch ist das Wort „Profitrate“ marxistisch vorgeprägt. Stattdessen werden „bürgerliche“ Begriffe wie „Rentabilität“ oder „Kapitalrentabilität“ verwendet.”

Die Umverteilung von unten nach oben führte schnurstracks in die Finanzkrise

Bekantlich führte uns der verhängnisvolle Weg zurück zum blutigen Ursprung des Kapitalismus, die Umverteilung von unten nach oben sowie die ausufernde Spekulation schnurstracks in die Finanzkrise. Banken mussten durch den Staat gerettet werden. Verantwortliche wurden nicht zu Verantwortung gezogen. Es ging wie immer: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert. Staaten mussten sich wegen der Bankenrettungen verschulden. Im regierungspolitischen und medialen Mainstream taucht das von den Tatsachen gewaltige ablenkende, ja: lügende Wort “Staatsschuldenkrise” auf. Soll heißen: Dieser ist nur durch eine strikte Austeritätspolitik zu begegnen. Worunter wieder nur diejenigen schon arg gebeutelten Menschen zu leiden haben. In Griechenland können wir die schlimmste Auswüchse dessen besichtigen.

Der Broschüre enthält viele Grafiken, zur Umverteilung, Einkommensentwicklung, Gewinne, der Vermögenseinkommen, betreffs des realökonomischen Niedergang, über die Explosion des fiktiven Kapitals und zu Entwicklungen wie “Neoliberale” Staatsintervention, Schuldenstände, Zinsraten, die “Entwicklung ‘fauler’ Bankenkredite”. Auf Wunsch können diese Grafiken als pdf-Datei im größeren Format und in Farbe beim pad-Verlag angefordert werden.

Droht die “Prä-Diktatur”?

Fakt ist nach Wolfram Elsner, dass die “von den einzelnen großen Kapitalen explizit geforderten Proftiraten und von den ‘Finanzmärkten’ zu ihrer ‘Beruhigung’ und ‘Vertrauensschaffung’ implizit erforderlichen Profitraten auf eine explodierende Masse an fiktiven Kapital, die Möglichkeiten und Potentiale von Staatshaushalten, Lohn- und Gehaltsummen und ganzen Sozialprodukten” überschreitet. Mit demokratischen Mitteln sei all das nicht mehr darzustellen. Die Politik “der massivsten Zukunftsbelastungen für die normalen Menschen” sei darüberhinaus nicht mehr mit demokratischen Mitteln vereinbar. Eine beängstigende Entwicklung: Ist die “frühere formale Vertretungsdemokratie” bereits von der Postdemokratie (Colin Crouch) abgelöst? Droht sie von da in eine “Prä-Diktatur” abzugleiten?

Ungleichste Einkommensentwicklung und Vermögensverteilung

Die Menschheit steckt nicht nur in der Falle einer “unmöglichen” Proftitrate. Wir haben aufgrund der verschärften Jagd auf das Unmögliche heute die ungleichste Einkommensentwicklung und Vermögensverteilung (Seite 29 unten). Laut Wolfram Elsner, der die UN World Development Reports von UNCTAD und Weltbank seitdem Zahlen zurück-rekonstruiert werden können. Bedeutet: seit ca. dem Jahre 1880…

Um uns aus der Falle zu befreien, müssen wir hart auf die Bremse treten

Wie können wir der Falle, der vielfachen Degenerierung – auch von Demokratie – entrinnen? Austeritätsprogramme unter der Knute der Troika. in Griechenland, Spanien und Portugal. “Expertenregierungen” in Athen (plus aufkeimende faschistischen Tendenzen) und Rom. Elsner sieht für diese Länder eigentlich nur die Möglichkeit des Austritts “aus einer ‘neoliberal’ verkorksten Währungsunion (…). Für alle anderen Länder eigentlich nur “auf Jahrzehnte angelegtes politisch-ökonomisches Rückverteilungsprojekt “infrage. Fiktives Kapital müsse in Massen vernichtet werden. Desweiteren seien die “finanziellen Massenvernichtungswaffen” (Warren Buffet) zu entschärfen bzw. zu zerstören, ein Trennbankensystem zu schaffen. Aufzubauen wäre ein “solider und ‘langweiliger’ Kreditsektor” ohne “Spekulation und ohne Super-Profitraten aufzubauen”.

Flapsig ausgedrückt können wir Wolfram Elsner am Ende der Broschüre in etwa so verstehen: Wir müssen, um uns aus der Falle zu befreien, hart auf die Bremse treten. Damit die Spekulanten vom Wagen purzeln. Freilich könnten sie dann “mit dem Rest des Klimpergeldes weiter ihr autistisches Umverteilungsspiel um die Blase treiben”. Aber kein Schaden mehr in der Realökonomie anrichten. Elsner hat Recht: Dann stünden die in Geiselhaft genommenen Staat nicht mehr an der Seite der “megareichen ‘Investoren’ und das bisherige “Spiel wäre sofort witzlos, uninteressant und würde in sich zusammenfallen.”

Bleibt nur die Frage: Mit wem ließe sich diese Lösung politisch umsetzen? Zur Beantwortung wäre diese freche Antwort nur eine von mehreren: Ein Prozent der Weltbevölkerung hält neunundneunzig Prozent deren Restes in Geiselhaft. Darauf passt Bert Brecht: “Reicher Mann und armer Mann//Standen da und sahn sich an.//Und der Arme sagte bleich://Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.”

Würdige Arbeit im Rahmen des “Ökonomischen Alphabetisierungsprogramms” des pad-Verlags

Wolfram Elsners neueste bei pad erschienene Arbeit reiht sich würdig ein in das “Ökonomische Alphabetisierungsprogramm” des Verlags in Zusammenarbeit mit Labournet. Sie ist m.E. vom Umfang und Verständnis her auch ökonomischen Laien zur Lektüre zu empfehlen. Zumindest jenen unter uns, die Krisenursache und Krisenverlauf besser verstehen wollen. Und sie zeigt Wege zu einer möglichen Umkehr auf. Wir verstehen mit Prof. Dr. Wolfram Elsner: Nichts an dieser negativen Entwicklung in der wir uns nach wie vor befinden ist neu. Wir haben es mit einem Kapitalismus zutun, der während seines ab 1989/90 forcierten rollbacks unter unser aller Augen gegen Leitplanken anrannte. Und zwar mit großem Erfolg für den alten Wolf im Schafspelz namens Kapitalismus: Die Leitplanken wurden von verführten und vielfach unter Druck gesetzten Regierenden, abgebaut. Teile dieses eigentlich sträflichen Tuns verkauften Regierende auch noch als “Reform”. Fazit auch dieses Büchleins: Diese Entwicklung war und ist nicht alternativlos. Mit Raubtieren kann und muss der Mensch leben. Mit dem Kapitalismus womöglich noch ziemlich lange. Aber er gehört (wieder) eingehegt, wenn uns Demokratie und Menschenrechte noch etwas bedeuten.

Eine Liste von weiteren Veröffentlichungen des Autors Wolfram Elsner finden Sie hier.

Wolfram Elsner:

Die Menschheit in der Falle einer “unmöglichen” Profitrate

oder: “Neoliberaler” Finanzkapitalismus vs. Demokratie und weitere menschliche Entwicklung

61 Seiten, 5 Euro (ISBN 978-3-88515-252-1)

Bezug bei pad-Verlag Bergkamen; E-Mail pad-Verlag@gmx.net

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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