Nicht nur vor Gericht und auf hoher See

Der Fall Mollath Die Causa Gustl Mollath machte Schlagzeilen. Mehrere Jahre war der Mann in der Psychiatrie weggesperrt. Im Sommer kam er frei. Heute ist das Buch zum Fall erschienen.

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Für mich war es die schönste Nachricht des 6. August 2013: "Gustl Mollath", meldete der Bayerische Rundfunk, "kann die Geschlossene Psychiatrie in Bayreuth unverzüglich verlassen. Das hat das Oberlandesgericht Nürnberg entschieden. Zugleich ordneten die Richter die Wiederaufnahme des Verfahrens an." Ich freute mich natürlich in erster Linie für den offenbar zu Unrecht in die forensische Psychiatrie gesperrten Gustl Mollath. Der Fall hat mich zutiefst erschreckt. Mein Bild über die deutsche Psychiatrie der Gegenwart bekam durch die betreffs diesen Falles an die Öffentlichkeit gedrungenen Informationen unschöne Kratzer. So leicht konnte also ein Mitmensch in einer Anstalt verschwinden? Ohne greifbare Aussicht diese auf absehbare Zeit wieder verlassen zu können! Ein Schock. Inzwischen wissen wir: die Causa Mollath ist gewiss kein Einzelfall hierzulande.

Den Makel loswerden

Gustl Mollath ist frei. Nun wartet er auf ein ordentliches Wiederaufnahmeverfahren. Wie Mollath selbst sagt, will er damit endgültig den großen Makel, der an ihm hänge loswerden. Kurz: Gustl Mollath möchte nicht mehr als so frei sein "wie es alle anderen Mitbürger sind". Ein nur zu verständlicher Wunsch.

Wie heute auf den NachDenkSeiten wiedergegeben, schreibt Gustl Mollath: "Was in unserem Land in der Justiz, Politik, Bankenwirtschaft und der Psychiatrie abläuft, muss öffentlich werden. Wir dürfen darüber nicht länger schweigen. Hinter der Fassade unseres demokratischen Rechtstaates herrschen Zustände, die ihresgleichen suchen und die an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte gemahnen. Ich weiß, ich hatte Glück. Großes Glück. Nur durch den Einsatz und die Unterstützung vieler Menschen, die mein Schicksal nicht kalt gelassen hat und die sich auf eine unglaubliche Art für mich eingesetzt haben, bin ich nun in Freiheit. Nur durch die in meinem Fall zustande gekommene Öffentlichkeit waren die Institutionen regelrecht dazu gezwungen, mich vor die Tür zu setzen. Aber: Meine nun wieder gewonnene Freiheit bedeutet für mich noch lange nicht, so frei zu sein, wie es alle anderen Mitbürger sind. An mir hängt ein großer Makel. Diesen Makel kann ich nur loswerden durch ein ordentliches Wiederaufnahmeverfahren, das jetzt immerhin wahrscheinlich geworden ist."

Heute ist das Buch zum Fall des Gustl Mollath, Staatsversagen auf höchster Ebene. Was sich nach dem Fall Mollath ändern muss“ (Westend Verlag, 208 Seiten, 12,99 Euro), erschienen.

Der deutsche Rechtsstaat hat Macken

Der deutsche Rechtsstaat wird stets in den höchsten Worten gepriesen. Und nicht selten aller Welt zur Nachahmung anempfohlen. Doch halt: Der deutschen Rechtsstaat hat Macken. Weshalb das Recht für den Einzelnen schon einmal ins Wanken kommen kann. Auch im Fall Mollath könnten derlei Aspekte eine Rolle gespielt haben. Zwar dürften Viele die Redewendung "Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand" kennen. Auch haben wir womöglich die Erfahrung gemacht, dass Recht haben und Recht bekommen zweierlei Dinge sind. Nun ja, in Deutschland (und Österreich) liegen die Dinge jedoch eingedenk dessen aber noch ein wenig anders.

Weisungsgebunden

Wikipedia kann man dazu erfahren: "Als Beamte sind Staatsanwälte - anders als Richter - weisungsgebunden (§146 Gerichtsverfassungsgesetz)[1] und unterliegen uneingeschränkt der Dienstaufsicht durch Vorgesetzte (§144 GVG) (§147 GVG). Damit ist die Einflussmöglichkeit auf die Staatsanwaltschaften und Staatsanwälte gegeben [2], zumal die Weisungsgebenden nicht an die Schriftform gebunden sind.[3][4] Ein Weisungsbeispiel berichtete die Süddeutsche Zeitung im Zusammenhang mit dem Fall Mollath.[5]"

Zum Thema der Weisungsgebundenheit von Staatsanwälten sei auch auf ein Stück von "Störsender.tv" hingewiesen. Auch darin wird u.a. der Fall Mollath angesprochen.

Anna Arnheiter: "Ein rechtspolitischer Skandal"

Zur Weisungsgebundenheit und auf die Causa Gustl Mollath im Speziellen heruntergebrochen schreibt die "IRONIMUS online"-Autorin Anna Arnheiter in ihrem Text "Lucida Intervalla – Lichte Momente"u.a.: (...) "Was bleibt? Ein rechtspolitischer Skandal, wie er in Deutschland nicht selten ist. Die Bemühungen, die Justiz in der Revolution im Jahre 1868 zu reformieren, sind in den Wirren der gescheiterten Bürgerbewegung stecken geblieben. Und so hat diese Feudaljustiz Bismarck, Kaiser Wilhelm II, die Weimarer Republik, das III. Reich und die Bundesrepublik weitgehend unbeschadet und unverändert überstanden. „Deutschland und Österreich sind die einzigen Länder der Europäischen Union, die keine weisungsunabhänge, eigenständige Justiz haben. Es existiert keine Selbstverwaltung der Justiz, keine Dienst – und Beförderungsrecht der Justiz und keine eigene Dienstaufsicht der Justiz,“ beklagt der bekannte Ordinarius für Kriminalistik und Strafrecht an der Frankfurter Universität, Prof. Dr. Alexis Albrecht!"

Und die Politiker fürchten zu Recht eine weisungsunabhängige Justiz! Womöglich könnte ja ein Staatsanwalt einmal auf die Idee kommen, gegen seinen EIGENEN Dienstherrn zu ermitteln? Italien und Frankreich sind so korrupt wie Deutschland, doch deren Justiz ist unabhängig und furchtlos! Ohne Ansehen der Person, bis hinauf zu den Staatspräsidenten, Ministern, Richtern und Staatsanwälten werden Amtsträger angeklagt und teilweise sogar zu Haftstrafen verurteilt! Deutschland aber ist kein Rechtsstaat und erfüllt nicht einmal die Mindestanforderungen an die Standards des Europäischen Gerichtshofes. Nur dort kann Gustl Mollath Recht erwarten! Und das kann dauern!"

Zur Beachtung empfohlen sei hier noch ein weiterer Artikel zur Psychiatrie auf IRONIMUS online u.a. mit der Aufzeichnung eines Telefongespräches, welches Nina Hagen kurz vor der Entlassung Gustl Mollaths aus der Forensik im Sommer dieses Jahres mit ihm führte.

Zur Information: "Editor in Chief" von IRONISMUS online ist der Kriminalschriftsteller und in Frankreich lebende Journalist Rainer Kahni ("Monsieur Rainer", der zumeist beißende Gesellschaftskritik auf Basis real existierender Missstände in Krimis verpackt, um - wie er selbst sagt - juristisch weniger angreifbar zu sein."

Fazit

Gustl Mollath ist frei. Das ist gut. Vielleicht nutzt die sich über diesen schockierenden Fall entfaltet habende große öffentliche Wirkung auch anderen Betroffenen. Eines indessen ist überfällig: Die, wie Gustl Mollath schreibt, "Hinter der Fassade unseres demokratischen Rechtstaates" herrschenden Zustände, "die ihresgleichen suchen und die an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte gemahnen" müssen so rasch als möglich beseitigt und künftighin unmöglich gemacht werden. Dazu bedarf es einer grundlegenden Reform.

Hinweis via NachDenkSeiten:

Heute Abend um 19 Uhr stellen der Autor, Wirtschaftskriminologe Hans See und der taz-Redakteur Kai Schlieter das Buch im Berliner taz Café vor.

Also wer in Berlin ist und die Möglichkeit hat: Nichts wie hin!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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