Pfefferspray ins Gesicht der Demokratie

Blockupy In Frankfurt am Main und in Essen bekam die deutsche Demokratie dieser Tage Kratzer ab. Die Staatsmacht ist anscheinend ziemlich nervös.

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In der Türkei geht die Polizei mit brutaler Gewalt gegen friedliche Demonstranten vor. Die Bundesregierung mahnt betreffs der Türkei die Gewährleistung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit an. Auf dem deutschen Auge jedoch ist sie offenbar blind.

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Die Staatsmacht ist offenbar nervös. Und zwar nicht nur in der Türkei. (Foto: Flickr/Khairul Abdullah)

Die Gewaltorgien der türkischen Polizei gegen friedliche Demonstranten in Istanbul und in anderen Städten des Landes werden im Westen zu Recht scharf kritisiert. Gilt aber umgekehrt, wenn Gewalt von deutscher Polizei Gewalt gegen Demonstrierende ausgeübt wird, ein anderes Maß?

“Die Polizeibrutalität in Frankfurt ist weder der Bundesregierung, noch der hessischen Landesregierung oder dem Frankfurter Polizeipräsidenten auch nur eine Silbe wert”, schrieb gestern Readers Edition-Autor Uli Gellermann in seinem Beitrag ” Merkel entschuldigt sich – Brutale Polizeigewalt in Frankfurt rund um die EZB” anläßlich des Agierens der Polizei bei den Blockupy-Protesten unter dem Motto “Widerstand im Herzen des Europäischen Krisenregimes” am Samstag.

Mit der Einforderung von demokratischen und Menschenrechten ist die deutsche Bundesregierung stets schnell bei der Hand. Woran an sich nichts verkehrt ist. Es sei denn es wirkt etwas heuchlerisch, weil man daheim selbst gegen derlei Rechte verstösst. Jüngstes Beispiel hierfür ist ein Tweet des Regierungssprechers Steffen Seibert: “BRegierung mahnt in d. #Türkei zu Besonnenheit. Meinungs- u. Versammlungsfreiheit sind Grundrechte, Staat muss verhältnismäßig reagieren.” Gut gezwischert, Herr Seibert. Zu diesem Tweet schrieb jemand auf Facebook: “Regierungssprecher hat extra #Türkei dazu schreiben müssen.” Dass bloß nichts verwechselt wird?

Das Grundgesetz hat man am besten parat

Immerhin wurde in Frankfurt am Main gegen die Staatsmacht (die Banken: “Geld regiert die Welt.”) demonstriert. Und da reagiert die Staatsmacht. Das walte Hugo! Da wurden Demonstranten eingekesselt. Und Bundestagsabgeordnete, die die Demonstanten schützten, abgeführt. Niema Movassat, Bundestagsabgeordneter der Partei DIE LINKE hat es selbst erlebt. In Frankfurt bekam die Demokratie Kratzer und ordentlich Pfefferspray ins Gesicht. Zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit notierte Movassat: ” Dafür ist das Grundrecht des Art. 8 Grundgesetz viel zu konstituierend für eine Demokratie. Eine Demokratie lebt davon, dass Versammlungen zur Artikulation der politischen Meinungskundgabe möglich sind. Ohne Versammlungsfreiheit auch keine Demokratie. So einfach ist das. Denn wo keine kollektive, öffentliche Meinungsbildung- und kundgabe möglich ist, befindet man sich in einem diktatorischen System. Das wusste offensichtlich die Polizei in Hessen nicht (vielleicht schicken wir dem Innenminister einige Ausgaben des Grundgesetzes zu?).” – Übrigens kann es nicht schaden, wenn jeder das Grundgesetz parat hat. Die Zeiten werden härter. Die Staatsmacht anscheinend nervöser. Hier kann es kostenfrei bestellt werden.

Falscher Abgeordnetenausweis?!

Mittlerweile interessiert manche Polizisten offenbar auch nicht mehr was Abgeordneten für Rechte haben. Armes Deutschland. Potzblitz: Was der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat in Frankfurt erleben musste, schlägt dem Fass den Boden aus: “Abgeordnetenrechte interessierten die Polizei (natürlich) auch nicht. Wieso auch – offenbar herrschte rechtsfreier Raum in Frankfurt. So wurde mir zweimal durch zwei verschiedene Polizisten erklärt, dass mein Abgeordnetenausweis eine Fälschung und ich kein Abgeordneter sei. Auch der Hinweis auf die Unterschrift des Bundestagspräsidenten unter dem Ausweis brachte nicht so recht weiter. Ich muss zugeben – so was habe ich das erste Mal erlebt!” [sic!]

Vergangenen Sonntag vermeldet Movassat weiter, “fand in Essen am Kennedyplatz eine Solidaritäts-Versammlung für die Menschen statt, die in der Türkei, insbesondere am Taksim Platz in Istanbul, gegen die Regierung Erdogan protestieren.” Auch dort wieder ging die Polizei wieder unverhältnismäßig und hart gegen Demonstanten vor. Eine Mitarbeiterin der LINKE-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen musste ins Krankenhaus. Zum Vorgehen der Polizei in Essen erklären Niema Movassat und Sevim Dagdelen, Mitglied der Bundestagsfraktion DIE LINKE, u.a. dies: “Wir fordern die Aufklärung der Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten in Essen am 2. Juni 2013. In Folge des Polizeieinsatzes in Essen wurde auch eine Abgeordnetenmitarbeiterin, die sich zuvor als solche zu erkennen gab, verletzt und musste ins Krankenhaus eingewiesen werden. Dies ist unerträglich. Wir werden sowohl den Bundestagspräsidenten Lammert informieren, wie auch rechtliche Schritte einleiten.” Den gesamten Text finden Sie hier.

Die Staatsmacht ist offenbar nervös. Und zwar nicht nur in der Türkei. Geld regiert die Welt. Stören da demokratische Rechte? Passen Sie schön auf unsere Demokratie auf, Liebe Leserinnen und Leser. In diesen Tagen hat die Demokratie Kratzer, harte Püffe und auch jede Menge Pfefferspray abbekommen. Das kann muss kuriert werden. Und das Positive? Solidarität wird anscheinend wieder etwas größer geschrieben dieser Tage. In Zeiten von Austeritätspolitik, deren Folgen zur Verarmung von vielen Europäern führt, wächst sie neben dem Widerstand dagegen wieder zart heran. Diktiert wird diese Politik maßgeblich von Deutschland im Sinne des Finanzkapitalismus und einer Bundeskanzlerin Angela Merkel, der wohl eine “marktkonforme Demokratie” ganz recht wäre. Als am vergangenen Samstag um die tausend Demonstranten von einer martialisch auftretenden Polizei auf einer Straße hinter dem Frankfurter Schauspielhaus stundenlang eingekesselt waren, versorgten dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Blockupy-Aktivisten mit Speis und Trank. Und zwar über von aus den Fenstern an Tauen herabgelassene Körbe und Beutel, die die Theaterschaffenden zuvor solidarisch gefüllt hatten. Fazit: Ganz erkaltet ist diese unsere Gesellschaft offenbar noch nicht. Dies stimmt leicht hoffnungsvoll.

Als Ergänzung zum Textbeitrag empfehle ich einen Videobericht mit Streiflichtern von den Blockupy-Protesten in Frankfurt am Main am vergangenen Wochenende von Theresia Reinhold und Sebastian Ballmann für Kontext-TV.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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