Weißenfels: Abwasser-Rebellen geben nicht auf

Vorteilsprinzip In Weißenfels und Umgebung sollen Privathaushalte mehr Abwasserkosten zahlen als die großen Einleiter. Eine Bürgerinitiative sieht das nicht ein.

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Weißenfels will die Kapazität der örtlichen Kläranlage beträchtlich erweitern. Profitieren dürfte in erster Linie die Großindustrie. Bürger und das Kleingewerbe sollen blechen. Die wollen sich das nicht gefallen lassen. Der Bürgerprotest gegen das ihrer Meinung nach ungerechte Vorhaben drückt sich bereits seit mehreren Wochen in Unterschriftenaktionen und Demonstrationen in Weißenfels aus. Ich berichtete bereits an dieser Stelle darüber. Lesen Sie hier weiter.

Den Letzten beißen die Hunde

Nicht selten wurde den ostdeutschen Kommunen nach Wende und Wiedervereinigung von eifrigen Beratern aus den Altbundesländern völlig überdimensionierte Kläranlagen aufgeschwatzt. Deren Betrieb aber muss freilich irgendwie bezahlt werden. Und zwar hauptsächlich von den Bürgerinnen und Bürgern. Schwierig. Denn im Laufe der Zeit nahm die Bevölkerungszahl ab.Weil viele Menschen aufgrund des Mangels an Arbeitsplätzen in der Heimat ihr Glück in anderen Landesteilen oder gar im Ausland suchen mussten. Den Letzten – sagt der Volksmund – beißen Hunde. Die Wasser- und Abwassergebühren sind in den sogenannten neuen Bundesländern oft höher als im Westen. Schuld sind u.a. die Riesenkläranlagen.

Das Volk machte seinen Mund auf

Dem Volk stieß sauer auf, dass die Hauptlast der Kosten auf Privathaushalte umgelegt werden sollen. Das Volk machte den Mund auf. Heraus kam ein seinerzeit ein Hilferuf aus Weißenfels. Und zwar von der “Bürgerinitiative für mehr soziale Gerechtigkeit”. Auf die Bürgerinnen und Bürger dieser sachsen-anhaltinischen Kommune dürften wegen eines Herstellungskostenbeitrags seitens des Abwasserverbandes saftige Mehrkosten zukommen. Die örtliche Kläranlage ist für 76 000 Einwohnereinheiten ausgelegt. Nun soll sie auf 125 000 Einwohnereinheiten ausgebaut werden. Und das bei nur 30 000 Einwohnern? Nicht nur die ehemalige PDS – Landtagsabgeordnete (Sachsen-Anhalt), Heidelinde Penndorf , zeigt sich betreffs der zu erwartenden Mehrkosten für die Bürger tief besorgt. Via Facebook erklärt sie:

“Wir haben in Weißenfels eine Sondersituation – also muss auch eine Sonderlösung her – bei der Berechnung des Herstellungskostenbeitrags . Es wurde von der Geschäftsführerin des Abwasserverbandes zugegeben, dass 70% des Abwassers aus der Lebensmittelindustrie kommt. Unsere Kläranlage ist für 76 000 Einwohnereinheiten ausgelegt. Wir sind nur 30 000 Einwohner. Jetzt soll sie auf 125 000 Einwohnereinheiten ausgebaut werden – für die Industrie!!! Und die Grundstückseigentümer sowie Klein- und Mittelständler sollen das bezahlen - nicht die Verursacher! Das ist ein Politikum, in welches die Abgeordneten aller Parteien verwickelt sind – leider! Kommunalpolitik gegen das eigene Volk!!!”

Weißenfelser OB fordert Zurückhaltung

Das geschah im Juli. Nun geht es auf Ende August zu. Und „die Auseinandersetzung um die vom Zweckverband für Abwasserentsorgung Weißenfels (ZAW) beschlossenen Herstellungskostenbeiträge (HKB) spitzt sich zu“, schreibt diese Woche die Mitteldeutsche Zeitung. Und weiter: „Nachdem sich der Borauer Ortschaftsrat mit an die Spitze des Widerstandes gesetzt hat, hat der Weißenfelser Oberbürgermeister (OB) Robby Risch (parteilos) jetzt in einem Schreiben die Räte der betroffenen Ortsteile von Borau, Burgwerben, Langendorf, Reichardtswerben und Tagewerben um Zurückhaltung gebeten.“

Ein allzu bekanntes Prinzip

Der Bürgerinitiative, welche sich mit Unrecht beschäftigt geht da der Hut hoch. Zurückhaltung soll man üben? Wo die Hauptlast der entstehenden Kosten auf die Privathaushalte abgeladen werden soll und man die großen Schmutzwassereinleiter zu schonen beabsichtigt. Dies kommt manch einem bekannt vor: In der Finanzkrise werden die Zockerbanken ständig mit Steuergeldern gerettet. Bezahlen tun das die sogenannten kleinen Leute und ärmsten der Armen über Lohnzurückhaltung und mit Sozialabbau. Und bei den Stromkonzernen, die Energiewende betreffend, läuft der Hase ähnlich. Zur Kasse gebeten wird die Mass der Bürgerinnen. Großabnehmer werden geschont. Und nun auch noch beim Abwasser? Das stinkt den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern der oben genannten Gemeinden gewaltig.

Ortsbürgermeister: Für die Interessen der Bürger einsetzen

Der Ortsbürgermeister der Gemeinde Borau, Siegmar König (parteilos) teilt offenbar die Ansicht des Weißenfelser Oberbürgermeisters Risch, wonach Zurückhaltung in der Sache angebracht wäre. Beziehungsweise Volksvertretungen im Prinzip gar kein Mitsprache- oder Verhandlungsrecht hätten. Ja, wirklich, wo leben wir denn? König sagte der MZ: „Wir sind von den Bürgern gewählt worden und wollen uns auch für deren Interessen einsetzen." Ob man damit Erfolg habe, stehe auf einem anderen Blatt. Tue man nichts, so König, dann habe man auf keinen Fall Erfolg. Nun lägen die Hoffnungen der Borauer vor allem auf der Bürgerinitiative für soziale Gerechtigkeit (BI). Die wird offenbar eine Musterklage gegen die Abwasserbeiträge einreichen.

Bürgerinitiative macht mobil

Heidelinde Penndorf, Mitglied der BI, wohnt in Borau. Sie und ihre Mitstreiter haben bislang 2 700 Unterschriften gegen die Abwasserbeiträge zusammenbekommen. Die Menschen wollen sich vom Weißenfelser OB Risch nicht verbieten lassen demokratische Bürgerrechte in Ansprach zu nehmen. Zumal es sich um soziale Belange handelt.

Heidelinde Penndorf: „Die Presse lässt den Befürwortern der unsozialen Erhebung des Herstellungskostenbeitrages das letzte Wort in ihrem Artikel.
Wir fordern die Einhaltung des Vorteilsprinzips, dass durch die Satzung des Zweckverbandes für Abwasserentsorgung mit der neuen Satzung außer Kraft gesetzt wurde!!!
Es kann nicht sein, dass der Vorteil für viele Grundstücksbesitzer darin besteht, dass auf ihre Grundstücke Zwangshypotheken des ZAW eingetragen werden, weil sie nämlich die zig Tausende von Euro nicht bezahlen können!!! Es kann auch nicht sein, dass der Vorteil für die Grundstücksbesitzer darin besteht, dass sie ihre Grundstücke verkaufen müssen, weil sie zig tausende von Euro nicht bezahlen können!!!

Heidelinde Penndorf
Monika Zwirnmann
BI für soziale Gerechtigkeit Weißenfels"

Des Weiteren gibt Penndorf zu bedenken: „Wir haben in Weißenfels eine Sondersituation:
70% Schmutzwassereinleitung durch die Industriebetriebe
30% Schmutzwassereinleitung durch die Einwohner.
Conclusio:
den größten Vorteil haben die Industriebetriebe, dass sie direkte oder indirekte Einleiter in die Kläranlage Weißenfels sind.
Aus diesem Grund fordern wir eine Sonderlösung
Herstellungskostenbeitrag muss sein, sehen wir ein, dann aber nach dem Vorteilsprinzip
Wer den größten Vorteil hat, soll auch dementprechend zur Kasse gebeten werden!“

Das vielleicht heute politisch vergessen gemachte, aber eben doch richtige, Prinzip der SPD unter Willy Brandt: Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache.

Ungeheuerliches

Heidelinde Penndorf verweist auf Ungeheuerliches: „OB Risch hat zugegeben unter Zeugen, dass die Zwangshypotheken dann zum Eigenkapital des ZAW zählen!!!
OB Risch hat auch gesagt unter Zeugen, dass die Stadt kein Sozialamt ist und wenn die Leute den HKB nicht bezahlen können, dann eben verkaufen müssen. Und er hat zugegeben, dass die Industriebetriebe noch nie eine erhöhte Schmutzwasserabgabe leisten mussten!!!“

Sehr sozial eingestellt dieser Oberbürgermeister. Chapeau, Herr Risch! Was eigentlich nehmen sich manche auf Zeit gewählte Vertreter des Volkes, dem sie im besten Sinne dienden sollen, heraus?

Penndorf sagt es mit "Monsieur Rainer": "Wehrt Euch!"

Ist die Zeit vorbei, da sich die Bürger jede neoliberale Ungerechtigkeit gefallen lassen? Heidelinde Penndorf erinnert, dass das zumindest im Osten Deutschlands schon einmal anders war: „Wir haben es 1989 schon einmal vermocht, wir können es wieder!!!“

Wir wird die Geschichte ausgehen? Werden die Bürger, wird die Demokratie, einen Sieg davontragen? Penndorf will nicht aufgeben. Sie ruft den Betroffenen zu: „Wehrt Euch!“ Entlehnt hat sie diesen Aufruf einem Buch des Journalisten und Schriftstellers Rainer Kahni („Monsieur Rainer“).

Was du nicht selbst tust ...

Ja, vieles ist nicht gut. In dieser Welt nicht und hier im Speziellen nicht. Stimmt. Es stimmt aber auch der Spruch, welcher zu Peter Sodanns wohl lebenswichtigsten Leitspruch wurde: “Was du nicht selbst tust, das tut für dich kein anderer” (Felix Lope de Vega Carpia (1562-1635). Da aber der Einzelne mehr im Verein mit anderen (hier der Bürgerinitiative) bewegen kann, kann auch für die von Unrecht bedrohte Bürgerinnen und Bürger in Weißenfels, Borau und anderswo gelten, was sich der Montagsdemo-Akteur Andreas Ehrholdt als Titel auf seine soeben veröffentlichtes Buch hat drucken lassen: „Solidarisiert Euch!“



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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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