Wenn man eine Feder fest zusammendrückt

Putin zur Krim Der russische Präsident Putin hat eine Rede zur Krim gehalten. Für den Westen müsste Vieles darin wie eine Backpfeife gewirkt haben. Jetzt ist Diplomatie gefragt

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Wenn man eine Feder fest zusammendrückt

Foto: ALEXEY DRUZHININ/AFP/Getty Images

Mit Spannung war die Grundsatzrede des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Ukraine/Krim-Problematik erwartet worden. Überraschendes konnte sie selbstverständlich nicht bringen. Für die Rede erhielt Putin tosenden Applaus. Manch eine, manch einer der im prunkvollen Saal anwesenden Menschen hatte Tränen in den Augen. Die Rede hatte die russische Seele tief be- und gerührt. Im Anschluss an die Rede unterzeichnete Putin feierlich den Vertrag zur Eingliederung der Krim in die Russische Föderation.

Zuschauer vor der Putin-Rede auf Linie gebracht

Wer wie ich die Putin-Rede im Ereigniskanal Phoenix anzuhören gedachte, wurde zuvor noch einmal im Stile der öffentlich-rechtliche Propaganda, mit der wir Zuschauer seit Tagen betreffs der Krim-Krise via Hörfunk und Fernsehen bestrahlt tagtäglich desinformiert wurden, quasi auf Linie gebracht. Eine rühmliche Ausnahme: Georg Restle vom WDR, der im großen und ganzen zu Ukraine, der Krim und Russland ausgewogen und sachlich kommentierte. Kurzum: Man wollte uns Zuschauer wohl noch einmal einschwören. Vonwegen völkerrechtswidriges Handeln der Krim und Putin. Der Westen ist gut. Putin auf falschem Weg. Geschenkt. Die nach dem prorussischen Ausgang des Krim-Referendums von der EU und den USA gegen bestimmte Krim-Politiker und und russische Personen verhängten Sanktionen - bzw. Sanktiönchen - des Westens wurden begrüßt. Später empfahl Studiogast Ingo Mannteufel (Deutsche Welle) sogar noch der Westens müsse mehr Härte zeigen gegen Russland. Wer das fordert - oder die Suspensierung Russlands von G 8 (inzwischen erfolgt) - hat nichts begriffen. Nötig wäre doch jetzt Diplomatie, Diplomatie und nochmals Diplomatie! In den vergangenen Tagen wurde viel vorm Auferstehen eines neuen kalten Krieges gewarnt. Dieser ist ja längst im Gange! Und Sanktions- und andere ins Auge gefasste Bestrafungsmaßnahmen (was ist das eigentlich für eine abstruse Denke, die dahinter steht?) sind doch genau das Gegenteil von Diplomatie. Der in seinem Agieren heuchlerische Westen hat es nicht begriffen.

Zu Präsident Putins Rede

Klar: Putin unterstützt mit der Abspaltung der Krim auch einen Bruch des Völkerrechts. Putin ist kein lupenreiner Demokrat. Auch das. Jedoch: müssen wir uns wundern, dass Russland Völkerrecht bricht? Dass Kosovo als Präzedenzfall hergenommen wurde. Auf damalige russische Kritik an der Abspaltung des Kosovo ohne das Einverständnis Belgrad, sagte Putin, habe der Westen geantwortet Kosovo sei ein "Sonderfall" und legitim. Nun ja. Dieser "Sonderfall" ist eben jetzt bumerangartig zurückgeflogen und dem heuchlerischen Westen als ein "Sonderfall Krim" gehörig an den Kopf geknallt.

Was überhaupt ist das Völkerrecht noch wert? Allein die USA haben das Völkerrecht seit 1945 um die 30 Mal gebrochen. Vielen, zu vielen, Menschen kostete das Handeln des selbsternannten "Weltpolizisten" das Leben.

Der Westen, so Putin, handele eben nach der Devise "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns".

Wladimir Putin ging in seiner überaus interessanten und an wichtigen Aspekten reichen Rede zunächst auf die Geschichte der Krim ein. Putin sprach darüber, was Russland für die Krim und die Krim für Russland bedeutet. Ebenfalls sprach er über die tiefe Verbundenheit der Ukraine mit Russland. Bezeichnete die Kiewer Rus als Quelle der russischen Städte. All dies und viele andere in der Rede Erwähnte hilft zu verstehen, warum die Russen in der Causa Krim so reagierten wie geschehen. Dazu gehört auch die Sicherung des für Russland seit ewigen Zeiten so wichtigen Standorts seiner Schwarzmeerflotte.

Und es nimmt nicht wunder, dass Putin in seiner Rede auch auf die vielen Erniedrigungen einging die Russland seit Anfang der 1990er Jahre hat erfahren müssen. Russland hat all diese Kröten geschluckt. Die westlichen Garantien, dass die Nato Russland nicht auf die Pelle zu rücken gedenke, sind lange schon nichts mehr wert. Russland hat es hingenommen. Dennoch machten westliche Kräfte weiter. Stichwort: Osterweiterung. Putin: "Man sagte uns, das ginge uns nichts an."

Frage am Rande: Würden die USA so etwas an ihren Grenzen hinnehmen? Wohl kaum.

Nun sollte es auch im Falle der Ukraine so weiter gehen. Sollte Russland nun noch zuschauen, wie die Nato das Kommando auf der Krim übernimmt und die russische Schwarzmeerflotte vertreibt? Der Westen habe das doch alles gewusst. "Unprofessionell und unverantwortlich" habe der Westen gehandelt. Schließlich habe man ja gewusst, dass Millionen Russischstämmige auf der Krim leben. Russland sei an eine Grenze gekommen und habe nicht mehr zurück gekonnt. Der russische Präsident war wie stets bei seinen Reden vorzüglich vorbereitet, gut informiert und in geschichtlichen Dingen bestens bewandert. Für die Situation Russlands fand Putin eine für jeden nur allzu verständliche Umschreibung: Wenn man eine Feder immer fester zusammendrücke, dann werde sie irgendwann auseinanderspringen.

Putin rief in Erinnerung, dass sein Land die Vereinigung von BRD und DDR eindeutig und mit Wohlwollen befürwortet habe. Im Gegensatz zu anderen Mächten.

Darüber sollten wir Deutsche ruhig einmal nachdenken, finde ich.

Diese Putin-Rede war über weite Teile auch ein geschichtlicher Exkurs. In den näher eintauchen sollte, wer begreifen möchte warum die Ukraine und Russland so viele Gemeinsamkeiten haben. Und warum die Krim so wichtig für die Russen ist. Viele der von Präsident Wladimir Putin aufgeführten Fakten können nachgeprüft werden. Der Westen, ginge er einmal für einen Moment in sich, müsste von diesen Wahrheiten eigentlich wie eine Backpfeife getroffen worden sein. Und so mancher Politiker schamroten Gesichts den Kopf senken.

Neuer Geschichtsabschnitt

Heute hat fraglos ein neuer Geschichtsabschnitt begonnen. Es ist etwas an sein Ende gekommen. Fester und fester zusammengedrückt wie eine Feder ist Russland nun hochgeschnappt. Nicht bereit sich länger erniedrigen und von Nato-, Wirtschafts und geostrategischen Interessen und deren Vertretern in EU und den USA auf den Pelz des russischen Bären rücken zu lassen. Man muss nicht alles, was Putin nun angestossen hat gut finden. Aber - und das hat dessen Rede heute gezeigt - Verständnis kann dafür durchaus aufgebracht werden.

Wen nun der Westen glaubt weiter mit den verbrauchten Mitteln des kalten Krieges auf Putin und die am vergangenen Sonntag bzw. heute geschaffenen Fakten reagieren zu müssen, ist er nicht nur schief gewickelt, sondern auch auf einen für uns alle gefährlichem Holzweg.

Die Denke, Russland respektive Putin müsse jetzt wie ein unartiges Kind bestraft werden, ist absurd. Sie folgt ein wenig US-amerikanischer Manier nach alttestamentarischem Muster. Das ist nicht nur sehr dumm, sondern auch riskant. Putin wird eh darüber lachen.

Auf Europa, speziell Deutschland kommt es nun an

Hauptsächlich auf Europa kommt es hinfort an. Insbesondere aber auf Deutschland, das wegen seiner speziellen und vielfältigen Bindungen zu Russland prädestiniert ist, Gesprächsfäden wieder aufzunehmen. Nur so kann ein längst im Schwange befindlicher kalter Krieg wieder gestoppt werden. Viel Porzellan ist bereits zerschlagen. Die Erfolge der Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr sind schon in Ansätzen in Gefahr. Wollen wir warten bis alles Erreichte zerbröselt ist? Im Gegenteil: Eine neue Ostpolitik wird gebraucht. Keine Sanktionen und Ausschlüsse Russlands aus internationalen Gremien!

Der Ball liegt im Spielfeld des Westens

Wie schon erwähnt: Nicht mit allem, was Wladimir Putin tut und sagt müssen mir konform gehen. Aber Russlands legitime Interessen sollten auch uns Respekt wert sein. Ich finde der Ball liegt unterdessen im Spielfeld des Westens. Hätte der Westen Putins heutiger Rede gut zugehört, könnte wer das anerkennen. Das erforderte Größe. Aber auch Vernunft. Das Dumme ist nur: Den Westen gibt es nicht. Die USA haben Interessen, die sich mit denen der EU beißen. Auch kann Washington lauter als die Europäer nach schwerer Bestrafung Russlands rufen: Die Wirtschaftsbeziehungen der USA zu Russland sind marginal im Verhältnis zu denen die die EU und Russland verbinden. Der Westen muss künftig die Interessen Russlands respektieren.

Diplomatie!

Diplomatie, Diplomatie und nochmals Diplomatie sollte von jetzt auf gleich die Devise sein. Was wäre die Alternative: Schlafwandelnd in einen dritten Weltkrieg zu stolpern? Wer könnte daran ein Interesse haben? Da mag sich jede/er seine eigenen Gedanken dazu machen.

Mir fiel dazu ein eindrucksvolles Antikriegsgedicht von Jewegeni Jewtuschenko ein (via Deutsch-Russische Freundschaftsgesellschaft e.V.):

Meinst du, die Russen wollen Krieg?

Befrag die Stille, die da schwieg

im weiten Feld, im Pappelhain,

Befrag die Birken an dem Rain.

Dort, wo er liegt in seinem Grab,

den russischen Soldaten frag!

Sein Sohn dir drauf Antwort gibt:


Meinst du, die Russen woll’n,

meinst du, die Russen woll’n,

meinst du, die Russen wollen Krieg?

Nicht nur fürs eig’ne Vaterland

fiel der Soldat im Weltenbrand.

Nein, daß auf Erden jedermann

in Ruhe schlafen gehen kann.

Holt euch bei jenem Kämpfer Rat,

der siegend an die Elbe trat,

was tief in unsren Herzen blieb:

Meinst du, die Russen woll’n…

Der Kampf hat uns nicht schwach gesehn,

doch nie mehr möge es geschehn,

daß Menschenblut, so rot und heiß,

der bitt’ren Erde werd’ zum Preis.

Frag Mütter, die seit damals grau,

befrag doch bitte meine Frau.

Die Antwort in der Frage liegt:

Meinst du, die Russen woll’n…

Es weiß, wer schmiedet und wer webt,

es weiß, wer ackert und wer sät -

ein jedes Volk die Wahrheit sieht:

Meinst du, die Russen woll’n,

meinst du, die Russen woll’n,

meinst du, die Russen wollen Krieg?

(Hier gesungen)

Hier die Putin-Rede via Youtube in deutscher Simultanübersetzung.

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Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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