Fällt die Occupy-Bewegung ihrer eigenen Offenheit zum Opfer?

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Ist Occupy unterwandert?
Wer nach allen Seiten offen ist, ist nicht ganz dicht, heißt es landläufig. Diese Erfahrung wird auch gerade in der Occupy-Bewegung gemacht, die sich mit einer tendenziell sehr begrüßenswerten Offenheit an alle Kritiker/innen des gegenwärtigen Systems wandte, Teil von ihr zu sein. Nun macht sich die Erkenntnis immer mehr breit, dass man doch gewisse Abgrenzungen vornehmen muss, um nicht von einzelnen Gruppen vereinnahmt zu werden, die sich diese Teils bewusste, vielfach allerdings unbewusste politische Naivität zunutze machen, um die junge Bewegung für sich zu instrumentalisieren oder gleich ganz unter den Nagel zu reissen.

In vielen Städten, in denen Occupy-Veranstaltungen stattfanden, nahm man obskure Gruppen wie BüSo als nicht zu vermeidende Randerscheinung wahr, allein bei Nazis rümpfte man etwas ernsthafter die Nase und viele – allerdings längst nicht alle – forderten eine Abgrenzung.

Jetzt verdichten sich die Hinweise darauf, dass die aus den USA stammende Zeitgeist-Bewegung systematisch versucht, die Occupy-Bewegung in Deutschland und Österreich zu unterwandern. Nachdem sie über Facebook einen Hinweis bekam, dass „sämtliche große Occupy-Seiten von Hamburg aus kontrolliert“ würden, wo die „Organisation der so genannten Dezentralen Occupy-Bewegung“ säße, deren Treffpunkt der gleiche sei wie der des Zeitgeist-Movement (im Midsommer in der Karolinenstrasse 2), recherchierte die taz ein wenig und stieß dabei auf einige Zusammenhänge zwischen Zeitgeist und Occupy. Zuvor war schon ein Administrator der Occupy Salzburg-Seite auf Facebook öffentlich zurückgetreten: Unter anderem war ihm aufgestoßen, dass in einem ORF-Bericht die Salzburger Demonstration am 15. Oktober nicht als Occupy-Veranstaltung, sondern als Zeigeist-Event dargestellt wurde, und sich das von Organisator Tom Stadlauer (laut taz u.a. Betreiber der Seite zeigeist-movement.at) in seinem dortigen Statement „diametral gegen die Linie der weltweiten Proteste gerichtet“ hätte (die Zeitgeist-Bewegung vertritt die Ansicht, es sei grundsätzlich falsch, Banken und Politiker für die derzeitigen Probleme verantwortlichen zu machen, es sei das System, was Schuld sei). Zudem hätte Stadlauer ein „unklares politisches Verhältnis zum Thema Holocaust.“, was hier auch belegt zu sein scheint.

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Foto: Popkontext

Was ist diese Zeitgeist-Bewegung?
2007 drehte der US-Amerikaner Peter Joseph einen ersten Film unter dem Namen Zeitgeist. Damals war er Verfechter der Ideen des rechten Libertären Ron Paul, einem in den USA sehr populären und umstrittenen Mitglied der Republikaner. Der Film erhob u.a. Zweifel an der historischen Existenz Jesu und Verschwörungstheorien zum 11. September 2001 und wandte sich gegen die internationalen Banken, die die Welt regierten. Laut dem US-amerikanischen Magazin The Tablet verwandte er dabei Aussagen von Eustace Mullins, Lyndon LaRouche, und dem rechten verschwörungstheoretischen Radiomoderator Alex Jones (Infowars / Infokrieger). Der Film wurde kostenlos ins Internet gestellt und fand aufgrund seiner spannend gestalteten Gesellschaftskritik weltweit großes Interesse nicht nur in rechten Kreisen.

Kurz darauf entdeckte Joseph das so genannte Venus-Projekt seines Landsmanns Jaque Fresco. Dieser hatte ein futuristisches technisches und philosophisches Konzept einer neuen, ressourcenbasierten egalitäre Gesellschaft entwickelt, in der die Menschen in modernen neuen Städten nur regenerative Energien nutzen. Die Funktion des Staates übernimmt hier ein Supercomputer, der anders als menschliche Politiker neutral und nicht beeinflussbar sei. Die Grundideen des bereits recht betagten Fresco stammen aus den 30er Jahren, als während der großen Depression der US-amerikanische Zeitgeist von linken Massenbewegungen geprägt war, und aus dem Futurismus. Teile seines Konzepts, wie z.B. die ausschließliche Nutzung regenerativer Energien, sind noch heute innovativ, während sich seine städteplanerische Vorstellungen und die völlige Technikgläubigkeit seit den 70er Jahren überholt haben und Fresco den Vorwurf des Totalitarismus und der Technokratie eingebracht haben.

Diese Ideen stellte Joseph in seinem zweiten Film, Zeitgeist: Addendum (2008), vor und gründete ein Jahr darauf die Zeitgeist-Bewegung, um diese Ideen in die Tat umzusetzen. Diese hat derzeit nach eigenen Angaben über 400 000 in so ganannten „Chaptern“ organisierte Mitglieder weltweit. 2011 folgte ein neuer Film zum Thema, Zeitgeist: Moving Forward.

Kritiker/innen sehen mehr als harmlose Sci-Fi-Spinner
Während sich die Mitglieder selbst als offen sehen und darauf hinweisen, dass "die Bewegung", wie sie sich unironisch nennt, offiziell weder als Sekte noch als Kult gilt, haben Außenstehende oft den Eindruck, dass Peter Josephs und Jaque Frescos Ideen unhinterfragt übernommen werden und sie in der ansonsten nach eigener Aussage basisdemokratisch organisierten Struktur die Funktion von Gurus haben. Sehr auffällig ist auch, dass die Zeitgeist-Mitglieder auf Kritik sehr empfindlich reagieren: Kritiker/innen werden sofort als Denunziant/innen, Lügner/innen und Uninformierte dargestellt und gern auch persönlich beleidigt und unterschwellig bedroht, während zur konkreten Kritik selten bis nie Stellung bezogen wird – sie wird pauschal abgetan.

Den Filmen wurde bescheinigt, dass sie oberflächlich interessant, spannend und auch politisch aufrüttelnd wirkten, genauerer Analyse jedoch nicht standhielten. Die Darstellungen seien stark vereinfacht, trage verschwörungstheoretische Züge und die Recherche sei weniger seriös als sie zunächst wirke. Besonders schwer wiegt der von der Zeitgeist-Bewegung immer wieder abgestrittene Vorwurf des strukturellen Antisemitismus und konkreter antisemitischer Motive in den Filmen. Letztere sind zwar nicht offensichtlich, wurden aber von Antisemitismus-Experten konkret benannt – so kommt u.a. aus der esoterikkritischen Skeptiker-Bewegung sogar das Fazit, die Filmreihe sei eine Neueauflage des antisemitischen Klassikers „Die Protokolle der Weisen von Zion“. 2009 schloss das StudieVZ das Zeitgeist-Diskussionsforum auf ihren Seiten, weil dort sehr bedenkliche Statements zum Holocaust veröffentlicht worden sind und auch Nazi-Seiten verlinkt wurde. Obwohl sogar Screenshots von zweifelhaften Äußerungen aktiver Zeitgeist-Mitglieder vorliegen , u.a. von Tom Stadlauer, dem Organisator der Salzburger Demo, streiten diese den Vorwurf als pure Denunziation ab, ohne jedoch konkret Stellung zum Gesagten zu beziehen.

Konkrete Gefahr für die Occupy-Bewegung
Sollte sich der derzeit noch anonyme und über Indizien belegte Vorwurf, die Zeitgeist-Bewegung habe gezielt die Occupy-Bewegung in Deutschland und Österreich unterwandert, bewahrheiten, bedeutet das einen massiven Vertrauensverlust für die Occupy-Bewegung. Wenn nicht genug offener gesinnte Menschen die Lust und die Kraft haben, solchen Vereinnahmungen – die übrigens auch von Seiten anderen Gruppen und Einzelpersonen beobachtet wurden – entgegenzutreten und wachsam zu sein, bedeutet es vielleicht sogar ihr Ende.

Generell sollte es eine Lehre für eine politisch unerfahrene junge Generation sein, dass auch beim Aufbau neuer, frische Strukturen und Denkansätze der Feind meines Feindes nicht notwendiger Weise mein Freund sein muss und das bei aller Offenheit gewisse Abgrenzungen und Wachsamkeit zwingend notwendig sind, um der Instrumentalisierung von Bewegungen nicht Tür und Tor zu öffnen. Es ist keine „Spalterei“, Manipulator/innen, Extremist/innen,Vertreter/innen menschenverachtender Gesinnungen und geschlossener, nicht kritisierbarer Denksysteme davonzuschicken, sondern eine simple Überlebensmaßnahme.



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Geschrieben von

Popkontext

Journalistin, Bloggerin, DJ, Fotografin - Kultur, Medien, Politik, Sprache // Websites: popkontext.de / wortbetrieb.de

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