Lindenbaum, was ist von dir geblieben?

Paradoxie Die Thüringer Lyrikerin Daniela Danz versucht sich am heiklen Begriff des Vaterlands
Ausgabe 22/2014

Wenn du eine Wand einreißt, dann musst du den Raum vor Augen haben, den du damit schaffst, nicht den Dreck, der dabei entsteht.“ Mit diesem Motto leitet Daniela Danz ihren dritten Gedichtband V ein. Man kann vermuten, dass die Autorin, die 1976 in Eisenach geboren wurde, diese Aufforderung weder rein topografisch noch rein metaphorisch verstanden wissen will, sondern auch im zeitgeschichtlichen Assoziationsraum vom Fall der Mauer, die Osten und Westen voneinander isoliert hat.

Daniela Danz’ Gedichte öffnen erstaunlich große sprach-, kultur- und literaturgeschichtliche Hallräume. Bereits der Titel des dritten Bandes der Autorin zeigt dies. V könnte man als Anspielung auf Thomas Pynchons gleichnamigen Roman oder auch auf den Brecht’schen V-Effekt verstehen. Doch auf der Verlagsseite liest man, dass der Buchstabe von der Autorin als eine Chiffre für das Wort Vaterland gewählt wurde, das Danz als „transzendierte Heimat“ verstehe.

Das mag zunächst rätselhaft klingen und auch ein klein wenig so aussehen, als schrecke die Autorin davor zurück, ihr lyrisches Kind beim Namen zu nennen, denn Vaterland ist ja nun kein unbelasteter Begriff. Was könnte es mit dieser transzendierten Heimat auf sich haben? Um dies herauszufinden, bietet sich fürs Erste das Zitat an, das in Danz’ Einleitung zum ersten Teil des Bandes steht und den Begriff Vaterland definiert. Das Zitat stammt aus Johann Heinrich Zedlers Großem Universallexikon, es ist etwas länger: „Vaterland heißt in eigentlichem und genauerm Verstande derjenige Ort, woselbst jemand gebohren worden und das Licht der Welt erblicket hat. Sonst aber und ausserdem wird dieses Wort auch gar öfters demjenigen Orte beygeleget, allwo jemand seine wesentliche Wohnung und das Bürger-Recht erlanget hat. Man hälts insgeheim dafür, dass dem Menschen von Natur eine Liebe gegen sein Vaterland eingepflanzet sey, und dass in Krafft solcher Liebe er seinem Vaterlande, da ihm zumahl die erste Lufft, Nahrung und Erziehung gegeben, mit gar besondern Pflichten verbunden sey.“

Vaterland meint hier also neben der Liebe zum Ort, an dem man geboren ist, nicht zuletzt auch die Pflichten, die man ihm gegenüber hat.

Damit ist es etwas anderes als der Nahraum der Heimat, in den ein Mensch hineingeboren wird und in dem die frühesten Sozialisationserfahrungen stattfinden. Das Vaterland entsteht durch Codices und bestimmte Verhaltensformen. Der affektive Bezug zu ihm wird gerne instrumentalisiert. Vaterland ist längst zu einem Wort geworden, das man nicht gerne in den Mund nimmt und das doch eine Sehnsucht bezeichnet.

Wie Danz diese Paradoxien und Aporien, wie sie das komplexe Spannungsfeld der Begriffe Heimat und Vaterland in ihrem dichtenden Sprechen umkreist, zeigt sich etwa in Stunde Null: Loop, einem der Gedichte des Bandes. „Die Linde hat all ihre Blätter verloren / und vom Sommer blieb nichts als / der Wunsch dem alten Deutschland / noch einmal den Kopf zu kraulen /und zu versprechen dass seine Enkel / sich besser erinnern werden – was nützt / ein Gedicht, wo die anwachsenden / Berge der Dinge zum Jodeln zwingen.“

Im Ton zugleich leicht und sorgenvoll, wird im Bild der blätterlosen Linde auf das Volkslied In meines Vaters Garten, da steht ein Lindenbaum angespielt. Was im einst viel gesungenen Stück noch traulich-gemütvolle Geborgenheit verheißt, hat bei Danz mit dem Abwerfen der Fülle des Laubes seine Heimeligkeit schon verloren. Eine Kälte, die zum Innehalten zwingt, die zur Erinnerung ruft, wo das Verdrängen des Historischen noch immer an der Tagesordnung ist. Resignativ und anspielungsreich ist der zweite Teil des Gedichts, der von ferne an Paul Celans Ein Blatt, baumlos / für Bertolt Brecht erinnert: „Was sind das für Zeiten / wo ein Gespräch / beinah ein Verbrechen ist, weil es soviel Gesagtes / mit einschließt?“ Die blätterlose Linde bei Danz, so wird hier noch deutlicher, ist selbst schon ein Zitat, mit dem sich die Autorin in eine lyrische Tradition des Sprechens an der Grenze des Sagbaren bewegt, was bei Stunde Null: Loop aber nicht zum Schweigen führt, sondern ein „Jodeln“ nahelegt, eine nichtsprachliche, musikalisch-ethnische Praxis, die beim Zuhörer immer noch eine Reaktion zwischen Staunen und Irritation hervorrufen kann.

Das Jodeln wirkt hier so befremdend wie das Gedicht selbst. Es behauptet sich, seiner randständigen Position in der Welt der Künste durchaus bewusst, dennoch als eine Schichtung und Überlagerung von Versen vorangegangener (und im Fall von Brecht und Celan höchst geschichtsbewusst agierender) Dichter. Danz’ Gedichte sprechen nicht nur an dieser Stelle von dem Wunsch, dass die „Enkel des alten Deutschland sich besser erinnern werden“. Sie verkörpern diesen Wunsch durch ihre mit Geschichte und von Bezügen getränkte Sprache und lösen ihn auf diskrete und subtile Weise ein.

V. Gedichte Daniela Danz WallsteinVerlag 2014, 80 S.,16,90 €

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Geschrieben von

Beate Tröger

Freie Autorin, unter anderem für den Freitag

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