Brachiale Annäherung

Rot-Rot Ralf Stegner will die Kontakte zur Linkspartei verbessern. Seine ersten Äußerungen verschärften jedoch das Klima und zeigen seine Sozialisation in Schleswig-Holstein

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Brachiale Annäherung

Foto: Miguel Villagran/Getty Images

Am Sonntag soll Ralf Stegner, langjähriger Landes- und Fraktionsvorsitzender der SPD in Schleswig-Holstein, zu einem der Vize-Bundesvorsitzenden der SPD gewählt werden. Dieses Amt wurde ihm angetragen, nachdem ihm aus Gründen des Geschlechterproporzes der Weg zu der von ihm angestrebten Nachfolge von Andrea Nahles im Amt des Generalsekretärs verschlossen blieb.

Seither hat er auf Bundesebene in mehreren Interviews diejenige Rolle wahrgenommen, die gemeinhin mit Generalsekretärinnen und Generalsekretären verbunden wird: die Haudraufs der politischen Kommunikation zu sein. Nachdem mit Drobrindt, Nahles und Gröhe die bisherigen Amtsinhaber der Koalitionsparteien als Ministerin und Minister ins Bundeskabinett wechselten, oblag es Ralf Stegner, dazu beizutragen, dass über die Jahreswende die Große Koalition als mindestens so zerstritten wahrgenommen wurde, wie die schwarz-gelbe Koalition nach ihrem Start 2009. Sieht man einmal davon ab, dass diese Wahrnehmung dem Bedürfnis der Medien entgegenkommt, aus Kleinigkeiten Nachrichten zu erzeugen, ist Stegner jedoch eine sichere Bank für jeden Journalisten, der ein knackiges Statement braucht, aus dem sich Nachrichten und Erwiderungen der politischen Konkurrenz erzeugen lassen.

Als Koordinator der SPD-Linken im Parteivorstand war Stegner wiederum in den vergangenen Jahren durch eine im Vergleich zum damaligen Kurs seiner Partei moderate und offenere Haltung gegenüber der Linkspartei aufgefallen. In dem von ihm als Spitzenkandidat der SPD geführten Landtagswahlkampf 2009 schloss er Gespräche mit der Linken zur Regierungsbildung explizit nicht aus.

Wenn Ralf Stegner nun also als Bundes-Vize der SPD die Kontakte zur Linkspartei verbessern möchte, könnte er insoweit durchaus authentisch die seit dem Leipziger Bundesparteitag vom November 2013 geltenden neuen Doktrin im Umgang mit der Linken repräsentieren. Diese geht zwar auf der einen Seite davon aus, selbst auf Bundesebene die Bildung einer Regierung unter Beteiligung der Linken nicht mehr auszuschließen, hängt aber auf der anderen Seite weiterhin der Hybris an, dass Die Linke, wie vormals die Grünen, „Fleisch vom Fleische“ der SPD seien. In ihrer organisatorischen Eigenständigkeit sei Die Linke ein politischer Betriebsunfall sei, den man zumindest derzeit nicht rückgängig machen könne, mit dessen Resultaten man sich sogar einrichten müsse, jedoch nur solange es nicht gelingt, die konkurrierende Formation dem Erdboden gleich zu machen. Denn während man im Osten an ihr nicht vorbeikommt, sei sie im Westen ein Fremdkörper im Politikbetrieb, der zu verdrängen sei.

Gestörte Beziehung zwischen SPD und Linkspartei

Diese ambivalente Haltung gegenüber der Linkspartei zeigt, dass das Verhältnis der SPD, anders als zur Union, den Liberalen und eingeschränkt auch den Grünen, gegenüber Gysi, Kipping, Riexinger und Co. weiterhin von einer fast pathologischen Verbitterung geprägt ist.

Dass fast 90 Jahre nach der ersten bedeutsamen Abspaltung der linken Sozialdemokratie erneut eine politische Formation entstanden ist, die zu einer tektonischen Verschiebung im Elektorat der Sozialdemokratie führte, die SPD auf absehbare Zeit der Möglichkeit beraubte, auf Bundesebene stärker als die CDU/CSU zu werden und ihr im Übrigen den Spiegel der bis heute gespaltenen sozialdemokratischen Persönlichkeit im Umgang mit der Agenda 2010 vorhält, führte in den vergangenen Jahren zu einem notorisch schlechten Verhältnis zwischen den beiden Parteien, die in Wähler- und Mitgliedschaft sowie in vielen inhaltlichen Fragen die größten gemeinsamen Schnittmengen aufweisen.

Die Linke wiederum hat es sich insbesondere in der Person ihres früheren Partei- und Fraktionsvorsitzenden, Oskar Lafontaine, nicht nehmen lassen, die Sozialdemokratie ebenfalls zum politischen Hauptangriffspunkt zu erklären. Wäre jemand auf die Idee gekommen, in der vergangenen Wahlperiode nur anhand der Pressemitteilungen und Statements linker Bundestagsabgeordneter auf die politische Zusammensetzung der Bundesregierung zu schließen, so hätte er davon ausgehen müssen, dass rot-grün weiterhin regiert.

Der Leipziger Beschluss der SPD ist insoweit ein Fortschritt, weil er anerkennt, dass die bisher bestehenden Lager rot-grün vs. schwarz-gelb nicht mehr zwangsläufig in der Lage sind, parlamentarische Mehrheiten zu erzeugen. Sollen Bündnisse aus SPD und CDU nicht der Koalitionsregelfall in Deutschland werden, ist erhöhte Flexibilität von allen Parteien gefordert. Eine Lockerung im Verhältnis zwischen beiden Parteien ist damit jedoch keineswegs zwangsläufig verbunden.

Raues politisches Klima zwischen Nord- und Ostsee

Dass ein designierter stellvertretender Parteivorsitzender der SPD es sich zur Aufgabe setzt, die Kontakte zur Linkspartei zu intensivieren, ist angesichts dessen ein kluger Schritt. Ob Ralf Stegner, der gemeinhin zu den klügsten und versiertestens Politiker Schleswig-Holsteins zählt, geeignet ist, das vergiftete Klima zu reinigen, ist nicht ausgemacht. Wer ihn und seinen Hang zur Brachialrhetorik verstehen will, muss einen Blick auf die politische Kommunikation in Deutschlands Nordwesten werfen.

Solange in Schleswig-Holstein die Landwirtschaft dominierte und im ländlichen Raum die traditionellen Wertevorstellungen und Vermittlungsinstitutionen wie Kirche und Bauernverband und Landfrauenbund dominierten, war das Land eine sichere Bank der CDU.

Doch obwohl das nordwestlichste Bundesland sozio-struktuell agrarisch-kleinstädtisch und vergleichsweise gering industrialisiert wie geschaffen für konservative und bürgerliche Parteien war, trugen abnehmende Bedeutung der Landwirtschaft, Suburbanisierung sowie ein in den 1980er Jahren stattfindender Wertewandel zu verbesserter Position der SPD im politischen Wettbewerb bei, die sich landespolitisch schon früh libertären Themenstellungen zugewandt hatte.

So konnte die SPD 1987 erstmals stärkste Partei im Landtag werden. Im Zuge der „Barschel-Affäre“ erlangte die Partei die absolute Mehrheit, doch sechs Jahre später stürzte der SPD-Hoffnungsträger Björn Engholm (SPD), Barschels Nachfolger als Ministerpräsident, im Zuge der „Schubladen-Affäre“, die mit der „Barschel-Affäre“ verknüpft war. Engholms Nachfolgerin Heide Simonis wiederum scheiterte 2005 in einem demütigenden Wahlverfahren an fehlender Unterstützung eines bis heute unbekannten Abgeordneten aus den eigenen Reihen. Nicht wenige behaupten bis heute, sich sicher zu sein, dass die fehlende Stimme bei der angestrebten Wiederwahl zur Ministerpräsidentin von Ralf Stegner kam.

Obwohl, anders als in anderen Bundesländern, bezogen auf die in der alten Bundesrepublik etablierten Parteien, also CDU, SPD, FDP und Grüne keine sich gegenseitig ausschließenden Vorbehalte bestehen, gilt das Klima zwischen CDU und SPD, aufgrund der genannten Affären, als so schlecht, dass Große Koalitionen „landesuntypisch“ genannt werden.

Die nach dem Scheitern von Heide Simonis gebildete Koalition aus CDU und SPD unter Führung von Peter Harry Carstensen (CDU) sollte diese Annahme bestätigen. Geprägt vom Widerwillen der beiden Parteien, gemeinsam zu regieren, aber insbesondere durch die persönliche Abneigung der beiden Hauptprotagonisten, dem Ministerpräsidenten Carstensen auf der einen und dem damaligen Innenminister Ralf Stegner auf der anderen Seite.

Zwei Jahre später, 2007, zwang Carstensen die SPD unter Androhung des Koalitionsbruchs dazu, Stegner als Minister zurückzuziehen. In einer Rochade wurde er Fraktionsvorsitzender, während der bisherige Amtsinhaber als Innenminister ins Kabinett wechselte.

Die gegenseitigen Beschimpfungen zwischen Stegner und Carstensen sind legendär. Ihren Streit trugen sie sogar gerichtlich aus und entschieden sich letztlich zu einem Vergleich, nachdem der zuständige Richter erklärte, es sei schwer zu entscheiden, ob der Ministerpräsident oder der SPD-Fraktionsvorsitzende die Unwahrheit sagen würde.

Zuletzt zeigte die Art und Weise des Rücktritts der Kieler Oberbürgermeisterin und früheren ZEIT-Redakteurin Gaschke, dass politische Affären, Intrigen und Skandale die auch in anderen Bundesländern vorkommen, in Schleswig-Holstein in einer Härte ausgetragen werden, die keineswegs selbstverständlich ist.

Ralf Stegner – Eisbrecher oder Panzerkreuzer gegenüber der Linken?

Der künftige Bundes-Vize der SPD wurde, abgesehen von seinen Studienaufenthalten in Harvard, in dieser politischen Atmosphäre Schleswig-Holsteins sozialisiert. Als Referent, späterer Büroleiter der Ministerin, Staatssekretär im Sozialministerium sowie Finanzminister hat er zwischen 1990 und 2005 das geschädigte politische Klima im Land nicht nur internalisiert, sondern war aktiver Player.

Stegner, dem nach eigener Aussage gegenüber der FAZ „das politisch gelegentlich nützliche Talent zur Schauspielerei“ fehlt, ist politischer Stil weniger wichtig als ein Punkt im politischen Wettbewerb.

Als Peter Harry Carstensen seinen Abschied als Ministerpräsident nahm, verweigerte Stegner als SPD-Oppositionsführer ihm die Höflichkeit, sich im Landtag zu seinen Ehren zu erheben. Es ist eine Kleinlichkeit in dieser Geste zu erkennen, die stutzig macht. Zumal Stegner sich damit selbst widerprach, hatte er doch 2009 noch gegenüber der FAZ betont: "Wir sind sicher gegensätzliche Typen. Sein Denken ist mir fremd. Aber anders als oft beschrieben, habe ich da eine professionelle Einstellung".

Mit seinen ersten Äußerungen über das künftige Verhältnis der SPD zur Linken hat Ralf Stegner zunächst die Fronten verhärtet. Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Matthias Höhn, und der Sprecher der Linksreformer in der Partei, Stefan Liebich, haben es sich verbeten, von Stegner Haltungsnoten zu bekommen.

Auch sein wiederholt vorgetragener Hinweis, dass es im Westen keine Partei links der SPD im Landtag geben dürfe, die Partei aber ansonsten als Partner in Betracht käme, sofern sie das Diktum akzeptiere: „Die anderen müssen sich an uns orientieren“, dürfte ihm die Herzen der Linksparteimitglieder nicht zufliegen lassen.

Das politische Berlin tickt anders als Kiel und das Verhältnis zwischen SPD und Linken ist in Bund und Ländern bereits kompliziert genug - zumal im Wahljahr 2014, in dem Thüringen und Sachsen grundsätzlich als rot-grün-rote Regierungsländer in Frage kommen und in Brandenburg die rot-rote Landesregierung zur Wiederwahl steht. Mit einer Kommunikation in den politischen Koordinaten Schleswig-Holsteins werden die Beziehungen weiter verschlechtert.

Es wäre sinnvoll, wenn ein stellvertretender Parteivorsitzender die Kontakte zur Linkspartei intensivieren und verbessern würde. Dies setzt freilich voraus, das Eis zu brechen, statt den SPD-Irrtum zu verlängern, dass Die Linke sturmreif geschossen werden könnte..

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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