Mitte-Links in Sachsen

Landtagswahl Sachsen Die sächsische CDU kann sich Hoffnung machen, nach der Wahl allein zu regieren. Ihre Stärke aber liegt im Fehlen einer Mitte-Links-Alternative. Unbesiegbar ist sie nicht.

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Prognosen sind bekanntlich ein schwieriges Geschäft. Insoweit stellt die erste im Jahr 2014 veröffentlichte politische Meinungsumfrage der Dresdner Neuesten Nachrichten zur Landtagswahl am 31. August dieses Jahres nur eine Momentaufnahme dar. Konkrete Vorhersagen über die künftigen Mehrheitsverhältnisse im sächsischen Landtag lassen sich daraus naturgemäß nicht ableiten.

In den Umfragedaten spiegeln sich momentan überwiegend bundespolitische Entwicklungen. Erst mit dem Beginn des sächsischen Landtagswahlkampfes werden die Landesparteien und deren Positionen in die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger im Freistaat rücken.

Hegemonie der sächsischen Christdemokraten

Momentan könnte sich die CDU mit 49% Zustimmung Hoffnung machen, zur absoluten Mehrheit zurückzukehren. Zwischen 1990 und 2004 regierte die Union in Sachsen jeweils allein, musste jedoch 2004 ein Bündnis mit der SPD eingehen und regiert seit 2009 mit der FDP. Gefragt nach ihrer präferierten Regierungskonstellation gaben die 800 repräsentativ ausgewählten sächsischen Wahlberechtigten mit 28% einer CDU-Alleinregierung den Vorzug.

Von 1990 bis 2004 galt Sachsen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch als das Bayern des Ostens. Unter der Regentschaft von Kurt Biedenkopf gelang es der sächsischen Union dreimal hintereinander die absolute Mehrheit zu erringen. Doch nicht nur dass, die bei den Landtagswahlen erzielten 58,1% (1994) und 56,9% (1999) sind in der Geschichte der CDU die beiden besten Landtagswahlergebnisse seit 1946. Nur die Schwesterpartei CSU konnte bei den bayerischen Landtagswahlen 1974-1982 und 2003 höhere Zustimmungsraten erzielen.

Aber ebenso wie das bayerische Vorbild CSU, nur einige Jahre früher – im Ergebnis der Landtagswahl 2004 – musste die erfolgsverwöhnte Sachsen-CDU konstatieren, „dass der oftmals beschworene Sachsenmythos wie eine Seifenblase zerplatzt ist. Mit dem historisch einmaligen Einbrechen bei dieser Landtagswahl ist klar, dass die sächsische Union keine CSU des Ostens ist“ (Wöller/Kretschmer/Piwarz 2004: 6).

Die Landtagswahl 2004 war mehr noch als für die Union ein Desaster für die SPD. Erneut erlitten die Sozialdemokraten eine historische Niederlage. Nachdem sie bereits 1999 mit 10,7% ihr bis dahin schlechtestes Wahlergebnis der Nachkriegsgeschichte erzielten, rutschten sie nunmehr unter die 10%-Marke. Nur hauchdünne 0,6% sicherten der SPD 13 Mandate und bewahrten sie davor, die gleiche Mandatszahl wie die NPD (12) zu haben.

Die Union dominiert Sachsen seit 1990. Bis 2004 absolut und seitdem relativ. Konsensdemokratische Verfahren konnten sich aufgrund der CDU-Dominanz bislang kaum durchsetzen – ein spürbarer Wandel in der Regierungspolitik blieb so trotz rund zehnjähriger Koalitionspolitik der CDU aus. Dies kann Stabilität erzeugen, die Wählerinnen und Wähler schätzen, vor allem dann, wenn anders als in Thüringen, die Regierung wenig Skandale erzeugt.

Sie kann sich aber auch wie ein Mehltau über das Land legen und eine Situation erzeugen, in der die Partei des Ministerpräsidenten als guter Patriarch das Land zwar dominiert, aber die geringe Aussicht auf politischen Wechsel auch jede Empörung erstickt, selbst dann, wenn die Regierung durch Einflussnahme z.B. auf die Landesbank Milliarden an Steuergeldern versenkt und die Bank letztlich an den Abgrund führt.

Koalition als »informelle Einparteienregierung«

Die Koalitionspartner können unter solchen Bedingungen nicht gewinnen. Dies musste die SPD 2009 einsehen, die aus der Regierungsbeteiligung zwischen 2004 und 2009 keinen Vorteil schöpfen konnte. Mit den Ministerien Wirtschaft und Arbeit sowie Wissenschaft und Kunst besetzten die Sozialdemokraten sogar die beiden »Zukunfts-Ressorts« (Brümmer 2006: 246), die bei der absehbar positiven wirtschaftlichen Entwicklung des Freistaates die Chance versprachen, vom Aufschwung profitieren. Doch nichts dergleichen geschah. Die SPD lag bei der Wahl 2009 ebenso abgeschlagen hinter der CDU und der Linkspartei, wie eh und je.

Fünf Jahre später ist die FDP doppelt gebeutelt. Einerseits vom Niedergang ihrer Bundespartei, die seit September 2013 nicht mehr im Bundestag vertreten ist und andererseits als weitgehend unsichtbarer Partner einer CDU-dominierten Landesregierung. Insoweit überrascht es kaum, dass die die Liberalen derzeit mit 2% nicht einmal mehr im Landtag vertreten sein würden.

Die Vorbehalte im Mitte-Links-Spektrum

Abgelöst werden könnte die Union nach knapp einem Viertjahrhundert politischer Dominanz im Freistaat nur von einem Mitte-Links-Bündnis, bestehend aus Linken, SPD und Grünen.

In der Rangliste der Wunschkoalitionen liegt ein Bündnis der drei Parteien mit derzeit 22% auf Platz zwei. Erst an dritter Stelle folgt eine Wiederauflage der kleinen »Großen Koalition« aus CDU und SPD (21%), die schon mal aufgrund der dominanten CDU, die in dem Bündnis sechsmal so stark wie die SPD war, als »informelle Einparteienregierung« bezeichnet wurde (Jesse/Schubert/Thieme 2014: 115).

Dass die drei Mitte-Links-Parteien in der aktuellen DNN-Umfrage mit derzeit 15% für Die Linke, 17% für die SPD und 6% für die Grünen gerade einmal 38% der Wahlberechtigten auf sich vereinigen, ist sowohl eine Momentaufnahme als auch Ausdruck veritabler strategischer Fehler der drei Parteien.

Während Die Linke mehrfach gegenüber SPD und Grünen das Angebot unterbreitete, gemeinsam die Union unter Druck zu setzen und einen Regierungswechsel herbeizuführen, können sich SPD und Grüne zu einem solchen Vorgehen bislang nicht verständigen. Für Die Linke führt dies dazu, dass sie auf hohem Niveau stagniert bzw. sukzessive abschmelzende Zustimmungswerte konstatieren muss, die vor allem aus einem Sterbeüberhang der linken Wählerschaft resultieren. Ohne realistische Regierungsoption ist die Partei zur Opposition verdammt – ein Zustand, der bekanntermaßen eine Partei nicht zwingend klüger werden lässt, wie die sozialdemokratischen Daueroppositionen der SPD in Bayern und Baden-Württemberg oder der CDU in Nordrhein-Westfalen zeigen.

Die grüne Fraktionsvorsitzende im Landtag, Antje Hermenau, gehört zu den profiliertesten Politiker/-innen der Partei in Sachsen und steht einem schwarz-grünen Bündnis im Freistaat aufgeschlossener gegenüber als einem Mitte-Links-Bündnis. Die Zustimmung für ein solches Bündnis war innerhalb der grünen Landespartei nie einhellig vorhanden und hat sich in jüngerer Zeit abgekühlt. Von einer erkennbaren strategischen Entscheidung mit wem sie nach der Wahl ihre politischen Inhalte durchsetzen wollen, sind die sächsischen Grünen gleichwohl weit entfernt.

Wer die weiterhin bestehenden Vorbehalte der sächsischen SPD gegenüber der Partei Die Linke tatsächlich verstehen will, sollte die bereits 1993 erschienene Studie »Die SPD in Sachsen und Thüringen zwischen Hochburg und Diaspora« zu Rate ziehen, die u.a. vom heutigen Parteienforscher Franz Walter veröffentlicht wurde (Walter/Dürr/Schmidtke 1993).

Anhand von lokalen Fallstudien zeigen die Autoren, welche Ursachen dafür verantwortlich sind, dass die SPD nach der Wiedervereinigung nicht mehr an die Erfolge im früher roten Mitteldeutschland anschließen konnte, warum „von 1946 kein Traditionsbogen bis in das Jahr des realsozialistischen Zusammenbruchs“ reichte (Walter 1993: 33). Sowohl das kulturelle wie das soziale Profil der SPD hatten sich gewandelt. Aus der Arbeiterpartei wurde nach der Wiedervereinigung eine Partei, die durch Akademiker, weniger Pfarrer – wie gern kolportiert wird – sondern mehr durch Ingenieure und Techniker und Angestellte in sozialen und pädagogischen Berufen geprägt wurde. Selbst wenn die SPD in beiden Ländern sich in den vergangenen zwanzig Jahren auch diesbezüglich erneut wandelte, unter den Gewerkschaftsfunktionären in Sachsen und Thüringen einen verhältnismäßig stärkeren Einfluss hat als Die Linke, wird die Sozialdemokratie im Freistaat durch eine protestantische Intelligenz geprägt, deren Neigung zu einem ideologisch determinierten Mitte-Links-Bündnis so unterausgeprägt ist, wie bei den Grünen.

Doch auch ein Verständnis für die sächsische SPD ändert nichts an der Tatsache, dass die Wählerinnen und Wähler in Sachsen nur dann bereit sind, der Sozialdemokratie ihre Stimme in relevantem Umfang zu geben, wenn es sich um eine Bundestagswahl handelt. Daraus Wähler/-innenpotenzial für eine Landtagswahl werden zu lassen, ist der Sachsen-SPD bislang nicht gelungen und es spricht wenig dafür, dass sich dies 2014 ändern wird. Stimmen für die SPD bei der Bundestagswahl sind keine Anerkennung für die sächsische Landesliste der Partei, sondern ausschließlich Leihstimmen für sozialdemokratische Bundespolitik.

Die Stärke der CDU ist die Uneinigkeit von Mitte-Links

Die ersichtlich fehlende Bereitschaft der drei Parteien, die CDU gemeinsam ablösen zu wollen, führt zwangsläufig dazu, dass eine Wechselstimmung gar nicht erst entsteht. Dass in den Umfragen ein Mitte-Links-Bündnis der CDU nur selten gefährlich nahe kommt, gilt Kritikern einer Zusammenarbeit in allen drei Parteien als Beweis dafür, dass ein solches Bündnis über keine realistische Machtoption verfüge.

Während dies bei der Linken dazu führt, dass der moderate Spitzenkandidat, Rico Gebhardt, für sein Werben um Rot-Grün-Rot ein nur mittelmäßiges Ergebnis von zwei Dritteln des Landesparteitags erhält, neigen SPD und Grüne dazu, ihre Ausgangsposition für ein Bündnis mit der CDU verbessern zu wollen.

Aus einem Bündnis mit der CDU werden SPD oder Grüne nicht gestärkt hervorgehen. Die beiden bisherigen Koalitionen zeigen dies deutlich. Beide Parteien werden zur Spielmasse einer möglicherweise aus eigener Kraft allein regierungsfähigen CDU und die Landtagswahl zur drögen Bestätigung bestehender Kräfteverhältnisse.

Dabei sind die Lagerkräfteverhältnisse in Sachsen gar nicht so eindeutig bürgerlich, wie gemeinhin vermutet wird. Bei den Bundestagswahlen 1998, 2002 und 2005 erreichte das rot-rot-grüne Lager in Sachsen jeweils höhere Zustimmungswerte als schwarz-gelb. Bei den vergangenen Bundestagswahlen lag wiederum schwarz-gelb vor rot-grün-rot, was 2009 dem einmaligen FDP-Ergebnis und 2013 der Stärke der CDU im Osten geschuldet war, die bis auf einen Wahlkreis in Brandenburg alle ostdeutschen Wahlkreise, ohne Berlin, für sich gewinnen konnte.

Die CDU ist zwar weiterhin die dominante Partei in Sachsen aber ihre Hegemonie ist nur noch relativ. Unbesiegbar ist die Sachsen-CDU hingegen nicht.

Ihre Stärke besteht vielmehr darin, dass ihre Schwächen unsichtbar bleiben, weil in der Opposition jede Partei für sich dem Scheinriesen CDU beeindruckt gegenübersteht, statt ihn gemeinsam herauszufordern und auf tatsächliche Größe zu stutzen.

Beispiel Thüringen

Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick in das Nachbarland Thüringen. Die Landtagswahl 2009 hat - basierend auf einem dramatischen Vertrauensverlust der CDU unter dem damaligen Ministerpräsidenten Althaus - gezeigt, dass die CDU besiegbar ist. Am Ende konnte sie nur weiter regieren, weil Linke, SPD und Grünen in den Sondierungsgesprächen an sich selbst scheiterten.

Die Ministerpräsidentin, Christine Lieberknecht, hat daraus die Schlussfolgerung gezogen, Merkels Erfolgsrezept der »asymmetrischen Demobilisierung« anzuwenden. Sie weiß, dass sie nur gewinnen kann, wenn es ihr gelingt, der Opposition die Themen zu entziehen und dadurch deren Wahlkampfmobilisierung zu unterminieren. So gibt derzeit selbst Linksfraktionschef Ramelow zu, dass es schwierig sei, Themen zu finden, die Frau Lieberknecht nicht im Handumdrehen zu ihren eigenen erklärt.

Trotz alledem ist Frau Lieberknecht damit konfrontiert, dass ihr Kabinett als skandalumwittert und zerstritten gilt.

Zusätzlich hat der sozialdemokratische Vize-Ministerpräsident, Christoph Matschie, im Zuge der Entscheidung des Leipziger SPD-Bundesparteitages, künftig auch auf Bundesebene mit der Linken zu regieren, wenn sich dafür Gelegenheit bietet, ein von der Linken geführtes Regierungsbündnis mit der SPD in Thüringen nicht mehr ausgeschlossen.

Unerwartet haben die Wählerinnen und Wähler in Thüringen damit erneut eine tatsächliche Wahlmöglichkeit. Die SPD hat sich aus der Rolle des kleinen Koalitionspartners in die Position des Spielentscheiders gebracht.

Präsidiale Langeweile als Regierungskonzept

In Sachsen hingegen setzt der Ministerpräsident Stanislav Tillich auf ostentative Langeweile. Seine Strategie läuft darauf hinaus, wie bereits 2009 auf der Basis gestiegener Zufriedenheitswerte der Wählerinnen und Wähler mit der wirtschaftlichen und allgemeinen Entwicklung, durch den Appell an sächsisches landsmannschaftliches Bewusstsein („Tillich – der Sachse“) und eine Politik des freundlichen Patrons zu gewinnen.

Diese Strategie, die sich von denen Biedenkopfs und Milbradts unterscheidet, ist nicht unendlich verlängerbar.

In der ersten Dekade nach der Wende 1989/90 trugen die damaligen CDU-Regierungen unter Kurt Biedenkopf durch die Schaffung von Rahmenbedingungen dazu bei, das in Sachsen bestehende Innovationspotenzial für eine positive Wirtschafts- und Haushaltsentwicklung zu aktivieren. Biedenkopf repräsentierte den Typus des »Landesvaters« (Jesse/Schubert/Thieme 2014: 132). Am Ende stürzte er über das »System Biedenkopf«. Die Auswirkungen auf die CDU hatte sein Nachfolger zu vergegenwärtigen.

Milbradt, der von Biedenkopf erst 2001 als Finanzminister entlassen wurde, trat 2002 dessen Nachfolge an und agierte als »Landesmanager«. Den Absturz der CDU bei der Landtagswahl 2004 hatte Milbradt nur teilweise zu verantworten. Die dramatische Schieflage der sächsischen Landesbank, die milliardenschwere Folgekosten verursachte und dazu beitrug, die Reputation des deutschen Systems der öffentlichen Landesbanken zu zerstören, hingegen hatte Milbradt zu verantworten, auch wenn er behauptete keine Kenntnis von den Vorgängen gehabt zu haben.

Während die Kabinette Biedenkopf und Milbradt insoweit relevante Entscheidungen zur Landesentwicklung trafen, vermeidet das Kabinett Tillich solche Entscheidungen. Tillich regiert nicht, er repräsentiert. Seine bemerkenswerte Präsenz im Land überdeckt, dass die Landesentwicklung aus der Staatskanzlei und den Ministerien immer weniger aktiv gesteuert als vielmehr verwaltet wird.

Durch einen weitgehend flächendeckenden Einfluss auf der kommunalen Ebene, Verbänden und Kammern gelingt es der CDU, Wohltaten zu verteilen und Zustimmung zu erzeugen. Diese Verankerung wird Mitte-Links mittelfristig nur schwer erreichen können.

Die Hauptangriffsfläche der Staatsregierung sind die Herausforderungen, die ungelöst bleiben und die Entscheidungen, die vertagt oder nicht getroffen werden. Dabei sind es weniger die großen Pläne die fehlen – bekanntlich neigen die Wählerinnen und Wähler eher zur Reformskepsis – als vielmehr die Summe der kleinen alltäglichen Beispiele, an denen deutlich wird, dass der CDU das Gefühl für die Erfordernisse im Freistaat abhanden gekommen ist.

Mut bewies in dieser Staatsregierung bislang nur einer: der zurückgetretene Kultusminister Wöller, der sein Amt aufgab, als er feststellte, dass die Regierung nicht bereit war, den massiven Unterrichtsausfällen an den Schulen wirksam zu begegnen.

Die sächsische CDU wird am Ende dieser Wahlperiode fast ein Vierteljahrhundert im Freistaat regiert haben. Sie hat sich über diese Regierungstätigkeit aufgebraucht. Der Hinweis darauf, dass es bislang in Umfragen zur Landtagswahl keine Mehrheit gegen die CDU gibt, ist freilich weder Ausdruck christdemokratischer Stärke noch ein Zeugnis dafür, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger eine Staatsregierung ohne CDU nicht vorstellen können.

Es spricht im Gegenteil sehr viel dafür, dass die vom Kabinett Tillich praktizierte „präsidiale Langeweile“, wie DIE ZEIT feststellte, die Tendenz zur Nichtwahl steigert. Wo keine politische Auseinandersetzung stattfindet, wo Entscheidungen vermieden und Zuständigkeiten hin- und hergeschoben werden, statt Orientierung zu geben und sich auf den politischen Wettbewerb um die beste Idee einzulassen, werden immer mehr Menschen zu Nichtwählern. „Das ist die große Gefahr des Systems Tillich – zu glauben, das Volk sei zufrieden. Dabei müsste man sich fragen, ob man nicht nur großes Desinteresse gezüchtet hat. Und die Demokratie? Sie leidet“, bilanzierte DIE ZEIT zutreffend.

Die Chancen von Mitte-Links

Will Mitte-Links aus der Defensive kommen, müssten die drei Parteien sich gemeinsam darauf verständigen, der präsidialen Langeweile eine Alternative der Partizipation und Innovation entgegenzustellen.

Die CDU wird nicht auf den Feldern der wirtschaftlichen Entwicklung und Arbeitsplätze geschlagen. Besiegbar ist sie, wenn der Mythos der Übereinstimmung von Regierungspartei und Freistaat ins Wanken gerät.

Ein gemeinsamer Wahlauftritt von Mitte-Links würde den Bürgerinnen und Bürgern eine tatsächliche Entscheidungsmöglichkeit bieten. Nichts motiviert bekanntlich so sehr wie Wettbewerbe.

Die Wahlbeteiligung, die Mobilisierung im Mitte-Links- sowie dem Nichtwähler-Spektrum und der Wahlkampf würden profitieren, wenn in Sachsen über Alternativen und nicht nur über eine Regierungspartei und eine fixe Anzahl potenzieller Oppositionsparteien debattiert und abgestimmt werden könnte.

Dass ein Lagerwahlkampf, um den es sich damit zweifellos handeln würde, in Zeiten des heutigen Parteiensystems noch lange keine Einschränkung der Koalitionsmöglichkeiten nach der Wahl bedeuten muss, kann auf Bundesebene und in Hessen beobachtet werden. Selbst wenn der Versuch, die Union von der Regierung in Dresden abzulösen also scheitern sollte – gewinnen dürften die drei Oppositionsparteien bei dem Versuch in jedem Falle.

Jesse, E./Schubert, T./Thieme, T. 2014: Politik in Sachsen, Wiesbaden.

Walter, F./Dürr, T./Schmidtke, K. 1993: Die SPD in Sachsen und Thüringen zwischen Hochburg und Diaspora, Bonn.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Benjamin-Immanuel Hoff

Chef der Staatskanzlei @thueringende; Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. #r2g Twitter: @BenjaminHoff

Benjamin-Immanuel Hoff

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