Kolumbien: Landraub und Bürgerkrieg

von Gerd Bedszent: Ein Beitrag aus der Drei-Monats-Zeitschrift BIG Business Crime, Ausgabe 01/2014

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Als kürzlich in Berlin mehrere Angestellte eines bekannten Discounters beim Auspacken kolumbianischer Bananenkisten plötzlich ein paar Kilo Kokain fanden, sorgte dies in der deutschen Öffentlichkeit eher für Erheiterung. Auch bei wohlorganisierten Vertriebsnetzen passieren gelegentlich kleine Pannen. Die Polizei bestätigte umgehend, dass es sich bei der durch Zufall aufgeflogenen Lieferung nur um einen winzigen Bruchteil der jährlich in Deutschland konsumierten Menge handelte.

In der Tat sind Drogenkartelle, Entführungen, Attentate und Guerilleros die wohl häufigsten Stichworte zum Thema Kolumbien, mit denen der durchschnittliche Zeitungsleser konfrontiert wird. Der Begriff „Militärdiktatur“ wird eher selten mit dem Andenland in Verbindung gebracht. Berechtigterweise, denn im Gegensatz zu den meisten Nachbarstaaten wurde Kolumbien – von einigen kurzen Intermezzi abgesehen – seit Mitte des 19. Jahrhunderts stets bürgerlich-parlamentarisch regiert. Offiziell zumindest. Denn tatsächlich ist das Land einer der repressivsten Staaten der Welt, hält derzeit einen traurigen Weltrekord an politisch motivierten Morden. Von den in den letzten zehn Jahren weltweit ermordeten 1.700 Gewerkschaftern gehen 60 Prozent auf das Konto kolumbianischer Paramilitärs.
Von wenigen positiven Ausnahmen abgesehen, macht sich allerdings kaum jemand die Mühe, Hintergründe der Situation im nördlichsten Andenstaat zu recherchieren. Die jahrzehntelang von einer Kaste stockkonservativer Großgrundbesitzer ausgebremste Modernisierung des Landes, das Eindringen ausländischen Kapitals, neoliberale Reformen und die Entwicklung eines offen kriminellen Sektors der Volkswirtschaft sorgten für die ständig weiter auseinanderklaffende Schere zwischen der in Armut und Hoffnungslosigkeit abgleitenden Bevölkerungsmehrheit und einer immer steinreicher werdenden Minderheit. Hinzu kommt eine noch aus dem 19. Jahrhundert stammende Tradition, anstehende Modernisierungsprojekte sowie dazu erforderliche Änderungen der Besitzverhältnisse auf dem Wege gewaltsamer Enteignung durchzusetzen. Folge ist nicht nur die Eskalation krimineller Bandenkriege, sondern auch eine nun schon Jahrzehnte währende Kette bewaffnet ausgetragener sozialer Auseinandersetzungen.

Vorgeschichte

Kolumbien ist geographisch gesehen ein Konglomerat höchst unterschiedlicher Regionen: fruchtbare Urwälder im Norden und an den Küsten, Hochgebirge im Landesinneren, unfruchtbare Steppenlandschaft an der Grenze zu Venezuela und Brasilien.

Das damalige Neugranada wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts von spanischen Konquistadoren erobert, die einheimische Bevölkerung dabei zum größten Teil ausgerottet oder assimiliert. Indigene Stämme bilden heute nur noch etwa zwei Prozent der kolumbianischen Bevölkerung. Eine weitere Minderheit sind die etwa 15 Prozent Afrokolumbianer – Nachkommen verschleppter Sklaven. Die Mehrheit der kolumbianischen Bevölkerung hat unterschiedliche Wurzeln. Die Oberschicht setzt sich fast ausschließlich aus direkten Nachkommen europäischer Einwanderer zusammen.

Die spanische Krone hatte das Gebiet nach der Eroberung an verdiente Konquistadoren verteilt – Keimzelle der ungleichen Besitzverhältnisse an Grund und Boden, die das Land noch bis in die Gegenwart hinein prägen. Im späten 18. Jahrhundert kam es zunehmend zu Aufständen gegen die Kolonialherrschaft – einer der bekanntesten war die Revolte der Comuneros im Jahre 1781. Nachdem sich auch Teile der einheimischen Oberschicht gegen die wirtschaftliche Umklammerung durch das spanische Mutterland auflehnten, begann unter Führung des aus Venezuela stammenden Simon Bolivar im Jahre 1809 der südamerikanische Unabhängigkeitskrieg, aus dem unter anderen die heutige Republik Kolumbien hervorging.
Die in der Kolonialherrschaft entstandenen Besitzverhältnisse blieben nach dem Abzug der Spanier allerdings unangetastet; als Sieger im Unabhängigkeitskrieg etablierte sich eine kleine Kaste konservativer Großgrundbesitzer, die ihre Herrschaft nunmehr ohne jede Einschränkung durch das spanische Königshaus ungebrochen fortsetzte. Als Gegner dieser Kaste formierte sich das liberale Bürgertum der Städte, das eine Modernisierung des Landes auf kapitalistischer Grundlage anstrebte. Beide politische Strömungen konstituierten sich 1848/49 als politische Parteien. Das 19. Jahrhundert war geprägt durch eine ganze Kette von Machtkämpfen und Bürgerkriegen, in denen sich Anhänger der Liberalen und der Konservativen gegenüberstanden.

Folge von Niederlagen der Liberalen war ab 1880 eine konservative Restauration. Mehrere bewaffnete Aufstände gegen die konservative Dominanz scheiterten. Die im Zusammenhang mit der bürgerlichen Entwicklung anstehende Modernisierung wurde in dieser Zeit nachhaltig behindert. Kolumbien blieb ein rückständiges Agrarland, das bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nur ansatzweise über eine staatliche Infrastruktur und nicht einmal über ein alle Regionen verbindendes Straßennetz verfügte. Die wenigen florierenden Wirtschaftszweige befanden sich fast ausschließlich in der Hand ausländischer, überwiegend US-amerikanischer Unternehmen.

Ein erster Bürgerkrieg in den Jahren 1899 bis 1902 führte zu einer massenhaften gewaltsamen Enteignung kleinbäuerlicher Wirtschaften durch konservative Großgrundbesitzer (Krieg der tausend Tage). Hintergrund waren die damals auf dem Weltmarkt explodierenden Kaffeepreise, die die Kaffeepflanzer zu einer gewaltsamen Ausweitung ihrer Plantagen veranlassten. Das als Folge der Auseinandersetzungen geschwächte Land hatte dann nicht mehr die Kraft, der im Jahre 1903 von den USA betriebenen Abtrennung der nördlichsten Provinz nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen. Die Konzessionserlöse für den daraufhin gebauten Panamakanal kamen ausschließlich der neugegründeten Republik Panama zugute. Immerhin ließ sich die kolumbianische Regierung im Jahre 1914 ihre nachträgliche Anerkennung der Sezession mit 25 Millionen Dollar von den USA vergüten.

Sozialer Widerstand und kriminelle Gewalt

Auf Grundlage dieser einmaligen Zahlung der USA und des weltweiten Nachkriegsbooms kam es in den 1920er Jahren zu einem begrenzten wirtschaftlichen Aufschwung. Dieser führte auch zum Erstarken der Linken. Diese verbanden im Unterschied zu den Liberalen die Auflehnung gegen verkrustete postkoloniale Besitzverhältnisse mit dem Kampf gegen soziale Verwerfungen infolge zunehmender kapitalistischer Durchdringung des Landes. Gewerkschaften wurden gegründet; es gab erste Arbeitskämpfe. Bei den Wahlen von 1921 überflügelte eine kurz zuvor gegründete sozialistische Partei sogar die Liberalen, die sich daraufhin beeilten, einige von deren Forderungen in ihr eigenes Programm aufzunehmen.

Die im Jahre 1926 gegründete Partido Socialista Revolucionario (PSR) vertrat dann schon klassische kommunistische Positionen. Ein von ihr unterstützter Streik der Bananenarbeiter im Jahre 1928 wurde auf Betreiben des US-Konzerns United Fruit Company (heute bekannt unter dem Namen Chiquita) jedoch durch das Militär zusammengeschossen; zwischen 1.000 bis 1.500 Arbeiter fielen dem Massaker zum Opfer. In der Folge schwappte eine Welle rechten Terrors durch das Land. Die PSR erklärte nach der Niederlage ihre Selbstauflösung; die Reste gingen in der 1930 gegründeten Partido Comunista Colombiano (Kommunistische Partei Kolumbiens) auf.

Sieger in den Auseinandersetzungen wurden schließlich die Liberalen, die im Ergebnis der Präsidentschaftswahl von 1930 (auch aufgrund tatkräftiger Unterstützung der Linken) nach fünfzig Jahren erstmals wieder an die Regierung kamen. In den Folgejahren unternahmen liberale Präsidenten zaghafte Versuche, die ungelöste Landfrage auf dem Reformwege zu lösen. Den Plantagenarbeitern wurde 1931 ihre Assoziationsfreiheit gesetzlich garantiert. Konservativer Großgrundbesitz und katholischer Klerus sah bereits darin einen "Vormarsch des Kommunismus". In den 1940er Jahren organisierten sich nach dem Vorbild der spanischen Falange faschistische Gruppen; es gab Putschversuche des Militärs. Eine vorübergehende Spaltung der Liberalen brachte im Jahre 1945 wieder die Konservativen an die Regierung.
Im Jahre 1948 wurde der populäre Rechtsanwalt und Präsidentschaftskandidat Jorge Elicier Gaitán – wahrscheinlich auf Betreiben konservativer Großgrundbesitzer – erschossen. Gaitán gehörte zum linken Flügel der liberalen Partei – offenbar fürchtete man, er würde nach seinem sich abzeichnenden Wahlsieg mit der lange angekündigten Landreform Ernst machen. Nach dem Mord kam es zur spontanen Revolte der Hauptstadtbevölkerung; die Menschen stürmten Polizeistationen und brandschatzten Wohnviertel der Oberschicht. Das Militär griff ein und schoss wahllos in die Menge. Der El Bogotazo genannte Aufstand, der auch auf andere Städte übergriff, dann aber nach wenigen Tagen wieder zusammenbrach, kostete etwa 5.000 Menschen das Leben.

Der Konservative Laureano Gómez, ein stockreaktionärer Verehrer Hitlers und Parteigänger der spanischen Franco-Diktatur, mutmaßlich in den Mord an dem Liberalen Gaitán verwickelt, ergriff in der Folge die Macht und rief mit Rückendeckung des Klerus zum "Heiligen Krieg" gegen Liberale und Kommunisten auf. Das war der Auftakt zu einem landesweiten, staatlich organisierten Pogrom, der Kolumbien für mehrere Jahre an den Rand eines Abgrundes führte. Klerikalfaschistische Gruppen und im Solde der Konservativen stehende Banden ermordeten oder vertrieben die Einwohner ganzer Dörfer. Die Abrechnung mit politischen Gegnern wurde dabei häufig zu kriminellem Landraub genutzt; Großgrundbesitzer eigneten sich den Grund und Boden der Ermordeten oder Vertriebenen schamlos an.

Obwohl die Führung der liberalen Partei keinerlei Wille zum Widerstand zeigte, sondern im Gegenteil zu Frieden und Mäßigung aufrief, bewaffnete sich ihre unmittelbar bedrohte Basis zur Selbstverteidigung. In der Folge plünderten auch liberale Guerillatruppen als feindlich betrachtete Plantagen und Dörfer, lieferten Militär und gegnerischen Banden blutige Kämpfe. Die zunehmende Auflösung der staatlichen Ordnung nutzen auch zahlreiche Kriminelle zur persönlichen Bereicherung.

Das jahrelange Gemetzel – es ging unter der Bezeichnung Violencia (Die Gewalt) als traumatisches Ereignis in die kolumbianische Geschichte ein – kostete insgesamt etwa 200.000 bis 300.000 Menschen das Leben. 1953, als die staatliche Ordnung endgültig zu zerfallen drohte, putschte das Militär unter General Rojas Pinilla. Dieser, ein gemäßigter Nationalist, der es verstand, sich mittels populistischer Parolen in der Bevölkerung Rückhalt zu verschaffen, verkündete eine allgemeine Amnestie, um den Bürgerkrieg zu beenden. Dass er außerdem auch noch von den Interessen der Oberschicht abweichende Ambitionen entwickelte und versuchte, eine eigene Partei zu gründen, brachte Vertreter der Konservativen an den Verhandlungstisch der Liberalen. Nach vier Jahren Militärherrschaft einigten sich beide Parteien schließlich auf eine Regierung der Nationalen Front – bis 1978 traten sie dann bei Wahlen gemeinsam an. Alle öffentlichen Ämter wurden nach einem zuvor ausgehandelten Proporz aufgeteilt; liberale und konservative Präsidenten wechselten sich ab. Obwohl es noch Jahre dauerte, die letzten während der Violencia entstandenen kriminellen Banden niederzukämpfen, konnte der Bürgerkrieg schließlich offiziell beendet werden. Die Militärregierung trat ab und die unter Kontrolle der Liberalen stehenden Guerillaabteilungen wurden demobilisiert.

Nachteil dieser Nationalen Front war allerdings die Verfestigung eines Systems von Ämterpatronage und Korruption sowie der Verlust jeder demokratischen Kontrollmöglichkeit. Und die Landfrage als Auslöser der Gewaltorgie blieb natürlich wieder ungelöst. Im Gegenteil: Die Liberalen beendeten als Bestandteil ihres Deals mit den Konservativen ihre Zusammenarbeit mit den bisherigen linken Unterstützern.

Ein 1961 erneut unternommener zaghafter Versuch einer Landreform führte unter dem Druck von Bauernverbänden bis 1985 immerhin zur Verteilung von 550.000 Hektar brachliegendem Boden an 30.000 Familien. Die Mehrzahl der Landlosen ging allerdings leer aus.

Land und Gerechtigkeit

Kolumbien ist derzeit das einzige lateinamerikanische Land, in dem noch heute eine linke Guerilla militärisch aktiv ist und über einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung verfügt. Ihr ursprüngliches Anliegen war der Schutz der Landbevölkerung vor den von Großgrundbesitzern bezahlten paramilitärischen Banden. Die quasi-staatliche Herrschaft der Guerilleros über verschiedene abgelegene Territorien Kolumbiens wird von der Mehrheit der Einwohner dieser Regionen als wesentlich gerechter empfunden, als die der notorisch korrupten und repressiven offiziellen Staatsgewalt.
Die Ursache für das Entstehen der Guerilla lag in der nach dem Ende der Violencia immer noch ungelösten Landfrage. Kleinere linke Guerillatrupps, die sich der Demobilisierung verweigert hatten, bildeten bäuerliche Selbstverteidigungsgruppen und übten in Siedlungen, auf die die landhungrigen Großgrundbesitzer keinen Zugriff hatten, eine Art lokaler Verwaltung aus. Ab 1962 ging das kolumbianische Militär, angeleitet von US-Beratern, bewaffnet gegen die bäuerliche Guerilla vor.

Im Jahre 1966 schlossen sich die Selbstverteidigungsgruppen nach Eroberung der von nur 48 Guerilleros verteidigten Siedlung Marquetalia durch die reguläre Armee zur Fuerzas Armadas Revolucionarias da Colombia – Ejérito del Pueblo (FARC) zusammen, erklärten der repressiven Staatsgewalt den Krieg, und orientierten sich politisch an der Kommunistischen Partei. Ihre Hauptforderung: „Den Siedlern, Besitzern, Mietern, Halbpächtern, Anteilseignern von Grund und Boden des Großgrundbesitzes und der Nation werden Besitzrechte derjenigen Grundstücke überschrieben, die sie bearbeiten. Jede Art der veralteten Bodennutzung, Halbpacht oder Miete gegen Naturalien oder Geld, wird abgeschafft.“ Mit militärischer Rückendeckung der FARC und anderer Guerillagruppen kam es insbesondere in den 1970er Jahre in Kolumbien zu einer neuen Welle von Sozialprotesten, Streiks und Landbesetzungen.

1982 unternahm die FARC mit Gründung der legalen Partei Union Pariotica (UP) einen Versuch, den militärischen Konflikt mit der Staatsmacht in den Rahmen einer politischen Auseinandersetzung zu überführen. Dieser Versuch wurde im Blut erstickt. Die UP entwickelte sich zwar schnell von einer marxistischen Kaderpartei zur offenen Plattform der kolumbianischen Linken und kam bei den Präsidentschaftswahlen von 1988 auf immerhin 4,5 Prozent der Stimmen. Zu dieser Zeit hatte jedoch bereits die systematische Jagd rechter Paramilitärs auf UP-Mitglieder eingesetzt. Zwei Präsidentschaftskandidaten der UP wurden ermordet, außerdem 8 Abgeordnete und 70 Gemeinderäte. Die Zahlenangaben zu den insgesamt ermordeten Mitgliedern schwanken zwischen 2.000 und 5.000. Eine Mitgliedschaft in der Partei wurde zum selbstmörderischen Unternehmen. Im Jahre 2002 wurde die faktisch kaum noch existente UP auch formaljuristisch als Partei aufgelöst.
Außer der FARC ist derzeit in Kolumbien noch die etwas kleinere Guerillaorganisation Ejército de Liberación Nacional (ELN) aktiv. Die ELN entstand bereits 1963 um einen Kern marxistisch geschulter Studenten und orientiert sich an den Schriften Ernesto Che Guevaras. Die studentischen Guerilleros vermochten sich nach recht kurzer Zeit in den von ihnen kontrollierten Regionen zu etablieren. International bekannt wurde die Organisation, als sich der sozial engagierte Universitätspfarrer Camillo Torres der ELN anschloss und kurz darauf, am 16. Februar 1966, im Kampf gegen das Militär ums Leben kam.

Der Tod des revolutionären Theologen führte seinerzeit zu heftigen Debatten in der katholischen Kirche und trug zur Entstehung der in Lateinamerika sehr starken Theologie der Befreiung bei. Und Torres blieb kein Einzelfall – bis in die jüngere Vergangenheit hinein waren in der Führungsspitze der marxistisch ausgerichteten ELN katholische Armenpriester vertreten, deren soziales Engagement in ihrer Teilhabe an der Guerilla mündete. Die ELN galt in den 1970er Jahren nach einer schweren Niederlage gegen das Militär als im Zerfall begriffen, konnte sich dann jedoch neu strukturieren und in weiteren Regionen verankern.
Aus einer maoistischen Abspaltung der Kommunistischen Partei entstand 1967 die Ejército Popular de Liberación (EPL). Diese dritte Guerillaorganisation war hauptsächlich in den Bananenanbauregionen Nordkolumbiens verankert. Im Jahre 1990, mit dem Zerfall des osteuropäischen Sozialismus, geriet die zuletzt an Albanien orientierte EPL allerdings in eine ideologische Krise; die Mehrheit ihrer Kämpfer ließ sich in der Folge demobilisieren. Zahlreiche ehemalige Maoisten finden sich später in Privatpolizeien der Plantagenbesitzer oder bei den rechtsradikalen Paramilitärs. Einige Rest-Abteilungen der EPL, die sich der Demobilisierung verweigert hatten, spielen derzeit keine Rolle mehr.

Eine vierte Guerillaorganisation bildete sich als Folge der wahrscheinlich manipulierten Präsidentschaftswahl von 1970. Die Nationale Volksallianz um den ehemaligen Putschgeneral und Diktator Rojas Pinilla unterlag damals dem Bündnis aus Konservativen und Liberalen. Obwohl Pinilla seine Niederlage akzeptierte, gründeten Teile des linken Flügels seiner Partei 1972 die Guerillaorganisation Movimiento 19 de abril (M 19). Diese war nicht marxistisch, sondern linksnationalistisch ausgerichtet und versuchte, sich mittels spektakulärer Aktionen vor allem in der städtischen Bevölkerung zu verankern.

Nach einer schweren Niederlage im Jahre 1985 – die Besetzung des Justizpalastes endete mit dem Tod sämtlicher Besetzer und zahlreicher Geiseln – legte das M 19 die Waffen nieder und versuchte, sich wieder in das politische Leben zu integrieren. 1989 gründeten ehemalige Guerilleros mit der Allianca Democrática M-19 eine weitere legale Partei, die bei den Wahlen von 1990 auf Anhieb 8 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt. Fast alle führenden Mitglieder dieser Partei wurden in der Folge von rechten Paramilitärs ermordet; ihre Reste gingen in der 2003 neu gegründeten Linkspartei Polo Democrático auf. Gustavo Pedro, der populäre linke Bürgermeister von Bogota, gegen den derzeit ein Amtsenthebungsverfahren läuft, war Mitglied der M 19.
Während des Bürgerkrieges kam es zu zahlreichen Hinrichtungen von Gefangenen und zu Morden an politischen Gegnern – auch in den Guerilla-Gebieten. Bei militärischen Aktionen der Guerilla sind nicht wenige zivile Opfer nachgewiesen. Von einer gezielten Terrorisierung ganzer Bevölkerungsgruppen durch die Guerilleros kann allerdings keine Rede sein. In einer 2013 veröffentlichten Studie heißt es, dass zwischen 1981 und 2012 in Kolumbien 23.154 Personen gezielt ermordet worden waren. In 10 Prozent der Fälle kamen die Täter aus den Reihen der staatlichen Sicherheitsorgane, 17 Prozent der Fälle sind den Guerilleros zuzuordnen, 23 Prozent den rechten Paramilitärs. In 27 Prozent der Fälle konnten die Urheber nicht festgestellt werden.

FARC und ELN wurden ab 1990 häufig als "stalinistische Relikte" bezeichnet und man wartete auf ihr zwangsläufiges Verschwinden. Von der tiefen Krise der kolumbianischen Linken Anfang der 1990er Jahre, als legale politische Parteien, Gewerkschaften und sonstige Organisationen sich auflösten, zerschlagen wurden oder auf winzige Restgruppen schrumpften, waren die Guerillaorganisationen allerdings kaum betroffen. Im Gegenteil: FARC und ELN gingen in dieser Zeit zum Bewegungskrieg über, eroberten Militärstützpunkte und brachten weitere Territorien unter ihre Kontrolle. 1998 eroberte die FARC kurzzeitig die Departementshauptstadt Mitú. Anfang 1991 und dann noch einmal Ende 2000 standen ihre Einheiten kurz vor der kolumbianischen Hauptstadt Bogota; es kam in den Vorstädten zu schweren Gefechten zwischen Sicherheitskräften und FARC-nahen Milizen.
Die Guerilla bewies durch ihre Existenz, dass sie entgegen dem eigenen Selbstverständnis weit weniger auf den Schultern europäischer Sozialismusmodelle steht als vielmehr in der Tradition einer jahrhundertelangen Kette von Bauernrevolten gegen den in der Zeit der spanischen Landnahme entstandenen Großgrundbesitz.
Gegen den Vormarsch bewaffneter Bauern organisierte sich allerdings die bewaffnete Gegenlandreform.

Revolutionäre Volksmacht und kriminelle Ökonomie

Ein jahrzehntelang existierendes Heer von mehreren tausend Guerilleros muss bewaffnet und unterhalten werden. Das Dilemma, sich als Parallelmacht zum existierenden Staat Finanzquellen erschließen zu müssen, aber andererseits auf das Wohlwollen der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Regionen angewiesen zu sein, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte sämtlicher Guerillabewegungen.

Die beiden noch aktiven Guerillaorganisationen FARC und ELN dulden in ihren Territorien die Tätigkeit gewinnorientiert arbeitender Unternehmen, wenn diese sich bereit erklärten, einen Teil ihres Umsatzes als "Revolutionssteuer" abzuführen. Gelegentlich wurde den Unternehmen von der Guerilla außerdem die Anwendung besonders umweltschädlicher Technologien untersagt und sie waren angehalten, ihren Beschäftigten einen angemessenen Mindestlohn zu zahlen. Es handelte dabei um einen mit Waffengewalt unternommenen Versuch, klassische sozialstaatliche Forderungen durchzusetzen.
Unternehmen, die sich der Besteuerung und der Kontrolle durch die Guerilla widersetzen, haben mit Anschlägen zu rechnen. FARC und ELN führten unter anderem einen jahrelangen Krieg gegen die im Nordosten Kolumbiens operierenden ausländischen Ölkonzerne. Die Guerilleros begründeten ihre zahlreichen Anschläge auf Förderanlagen und Pipelines der Ölindustrie damit, dass bei den zwischen Regierung und ausländischen Unternehmen abgeschlossenen Verträgen die Bevölkerung leer ausgehe, es sich also schlicht um eine Ausplünderung des Landes handele.

Von den Ölkonzernen bezahlte Lobbyisten üben im Gegenzug permanent Druck auf die US-Regierung aus, das kolumbianische Militär bei seinem Krieg gegen die Guerilla zu unterstützen. Doch dazu später. Bei den Anschlägen der Guerilleros sorgte das auslaufende Öl in den betroffenen Regionen jedenfalls für massive Umweltschäden. In mindestens einem Fall entzündete sich der Ölteppich und zerstörte ein ganzes Dorf; über 70 Menschen starben.
Die von allen Guerillaorganisationen Kolumbiens geübte Praxis, Angehörige der Oberschicht zu entführen und erst nach Zahlung eines Lösegeldes wieder freizulassen, ist selbstverständlich kriminell. FARC und ELN verwiesen in diesem Zusammenhang auf die oft zweifelhafte Herkunft der so enteigneten Vermögen – besonders häufig wurden von ihnen Familienangehörige bekannter Drogenbosse gekidnappt. Auch legten die Guerilleros Wert auf die Feststellung, ihre Gefangenen gut zu behandeln, und verwiesen in diesem Zusammenhang auf menschenunwürdige Zustände in staatlichen Gefängnissen.
Dass die Guerilleros im Jahre 2002 ausgerechnet die grüne Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt entführten, ist allerdings schwer nachvollziehbar. Kolumbien geriet infolge dieser Aktivitäten jedenfalls nicht zu Unrecht in den Ruf, das Land mit der weltweit höchsten Entführungsrate zu sein. Die permanente Befürchtung der Oberschicht, Opfer eines Kidnappings zu werden, trug im Jahre 2002 maßgeblich zum Wahlsieg des rechten Hardliners Álvaro Uribe Vélez bei. Im Februar 2012 erklärte die FARC ihre jahrzehntelang geübte Praxis von Entführungen bedingungslos für beendet.
Die Tolerierung des Anbaus von Kokasträuchern sowie das Erheben von Steuern auf den Ankauf der aus Kokablättern hergestellten Pasta Básica de Cocaina brachte insbesondere der FARC den Ruf ein, eine Narcoguerilla zu sein. Verschwiegen wird dabei zumeist, dass die überaus gewinnbringende Extraktion von Kokain aus dem Grundstoff Pasta Básica erst in Drogenlabors außerhalb der Guerillagebiete stattfindet. Und dass Regierung und rechte Paramilitärs bis zum Hals im Drogengeschäft stecken. Überliefert ist beispielsweise, dass beim Vormarsch der FARC im Jahre 1983 ein Drogenlabor unter aktiver Mithilfe des regulären Militärs von den Betreibern evakuiert wurde.
In einem Interview äußerte sich der FARC-Commandante Tirofijo zu diesbezüglichen Vorwürfen wie folgt: "Wir haben uns mit den Bauern zusammengesetzt und gefragt: Warum baut ihr Koka an? Und die Menschen sagten: Weil es das Einzige ist, was einen Wert hat und was wir verkaufen können. (...) Der Koka-Anbau ist nicht Schuld der Campesinos, sondern die Schuld des Systems, das keine Lösung für dieses Problem zulässt." Tatsächlich sind der überaus genügsame Kokastrauch und die leicht zu transportierende Pasta Básica einzige Einnahmequelle der Bevölkerung entlegenen Regionen, in denen die Guerilla vorzugsweise operiert.
Fruchtbare und verkehrstechnisch gut erschlossene Ländereien befinden sich zumeist in den Händen von Großgrundbesitzern und ausländischer Agrarkonzerne. Aus der Anfangsphase der Guerilla sind Versuche nachgewiesen, den Anbau von Kokasträuchern zu unterbinden. Dies wurde bald wieder unterlassen, da es die Guerilla die Sympathie ihrer kleinbäuerlichen Basis kostete. Die ELN unterbreitete der Europäischen Union im Jahre 1995 ein Konzept zur Unterbindung des Kokaanbaus. Der Vorschlag blieb unbeantwortet. 1998/1999 führte auch die FARC mit der kolumbianischen Regierung und US-Diplomaten Gespräche über ein Pilotprojekt zur Umstellung von Kokaanbau auf alternative Agrarprodukte. Die USA lehnte den Vorschlag schließlich ab.

Immerhin findet der in großen Teilen Kolumbiens tobende Krieg zwischen Drogenkartellen in den Guerillagebieten nicht statt. Angesichts des weitgehenden Versagens der staatlichen Institutionen gegenüber krimineller Gewalt profilierte sich die Guerilla als nicht korrumpierbare Ordnungsmacht. In einem UNICEF-Bericht des Jahres 2000 beklagt beispielsweise eine kolumbianische Bäuerin die Untätigkeit der Behörden ihres Landes gegenüber der ausufernden Gewalt in den Koka-Anbaugebieten. Sie bringt ihre Argumentation abschließend auf folgenden Punkt: "Die einzigen, die für Gerechtigkeit sorgen, sind die Guerilleros." Und die katholische Sozialarbeiterin Maria Geraldina Cardozo Aragón schildert die Verhältnisse in einer 1999 bis 2002 von der FARC beherrschten entmilitarisierten Zone wie folgt: "Es gab keine Morde, keine Überfälle, keinen Diebstahl. Wenn jemand etwas anstellte, dann konnte man sich bei der Guerilla beklagen und die stellte die Ordnung wieder her." Mit Einmarsch der Armee in diese Zone eskalierte dann wieder die Gewalt. Der Anbau von Kokasträuchern im Süden Kolumbiens und die Produktion von Kokain sind eben nicht der Präsenz der Guerilla geschuldet, sondern haben ihre Wurzel in denselben sozialen Problemen, die letztlich zum Aufkommen der Guerilla führten.

Terror der Gegenlandreform

Rechte Paramilitärs gelten zu Unrecht neben dem Militär und der Guerilla als dritte Konfliktpartei im kolumbianischen Bürgerkrieg. Tatsächlich arbeiten die Paramilitärs meist mit dem Militär zusammen; häufig sind Soldaten und Polizisten nebenher für rechte Todesschwadronen tätig. Obwohl es auch gelegentlich Konflikte zwischen Regierung und Paramilitärs gab und gibt, wurden staatliche Institutionen von den rechtsradikalen Mörderbanden kaum bekämpft.

In welcher Zeit die ersten Einheiten rechtsradikaler Paramilitärs entstanden, ist schwer nachweisbar. Bereits in der Zeit der Violencia nutzten konservative Grundbesitzer die Dienste krimineller Banden, um mit politischen Gegnern abzurechnen und in großen Stil Landraub zu betreiben. Die durch Vertreibung und Landraub geschaffenen großflächigen Ländereien wurden später häufig Keimzellen kapitalistisch betriebener Plantagenwirtschaft. (Der in jüngster Zeit von linken Soziologen und Publizisten thematisierte Prozess des "Landgrabbing" ist tatsächlich alt; nur ließen sich kapitalistische Agrarunternehmer anfangs von feudalen Großgrundbesitzern die Drecksarbeit abnehmen.)

Aus einem Dokument des US-Militärs aus dem Jahre 1962 stammt die Empfehlung an die kolumbianische Regierung, aus Zivilisten und Militärs gemischte Gruppen zu bilden, die mittels "paramilitärischer terroristischer Aktivitäten" Sympathisanten des Kommunismus bekämpfen. Interessant ist dabei, dass es zu dieser Zeit in Kolumbien eine linke Guerilla noch gar nicht gab.

1965 wurde jedenfalls die Existenz paramilitärischer Strukturen per Gesetz legalisiert. Und spätestens ab 1981 war der schmutzige Krieg gegen die kolumbianische Linke im vollen Gange. Als einer der auslösenden Momente gilt die Entführung der Tochter von Fabio Ochoa, damals einer der führenden Capos des Medellin-Drogenkartells, durch Mitglieder der Guerillabewegung M 19. Don Fabio, ein persönlicher Freund und Geschäftspartner des späteren kolumbianischen Staatschefs Uribe, weigerte sich, das geforderte Lösegeld zu bezahlen und baute statt dessen mit Unterstützung weiterer Drogenbosse eine Bande namens Muerte a Secuesstradores (MAS) auf.

Einzige Aufgabe des MAS war, Unterstützer und Sympathisanten der Guerilla zu ermorden. Nachdem eine ganze Reihe linker Aktivisten von der Drogenmafia als Geiseln genommen wurde, lenkte die Guerilla ein und ließ die entführte Studentin ohne Lösegeld wieder frei. Der Anführer des Entführungskommandos fiel kurz darauf der MAS in die Hände und wurde zu Tode gefoltert. Weitere Gewaltakte folgten; die M 19 wurde in der Stadt Medellin faktisch ausgelöscht. Mörderische Gewalt gilt seitdem in der kolumbianischen Oberschicht als legitimes und wirksames Mittel, um mit der Guerilla fertig zu werden. Die Aufstandsbekämpfung wurde zunehmend entstaatlicht.
Binnen kurzem bildeten sich weitere paramilitärische Gruppen, die beispielsweise unter dem Namen Vereinigte Bauernselbstverteidigungen, Tod den Kommunisten oder Vampire von XY auftraten und nicht nur die Guerilla verfolgten, sondern regelmäßig auch kritische Journalisten, Politiker, Gewerkschafter und Menschenrechtsaktivisten umbrachten. Gonzalo Rodriguez Gacha, einer der führenden Bosse des Medellin-Drogenkartells, soll beispielsweise für die Ermordung von etwa 1000 Anhängern der FARC-nahen Partei Union Pariotica (UP) verantwortlich sein. In den Reihen der Paramilitärs standen zeitweise britische und israelische Berufssöldner; es kam zu personellen Überschneidungen mit den verschiedensten internationalen Geheimdiensten. Zwecks Verbreitung antikommunistischer Ideologie kooperierten die Paramilitärs auch mit aus den USA importierten evangelikalen Sekten.

Es kam zur massenhaften Ermordung oder Vertreibung von Kleinbauern oder Pächtern, die man im Verdacht hatte, mit der Guerilla oder linken Organisationen zu sympathisieren. Wie im Krieg der tausend Tage oder in der Zeit der Violencia eigneten sich Großgrundbesitzer das Land der Ermordeten und Vertriebenen an oder kauften es für ein Spottgeld auf. Um den Landraub zu verschleiern, wurden von den Paramilitärs gelegentlich örtliche Katasterregister vernichtet. So konnte der Raub nachträglich nicht mehr bewiesen und juristisch angefochten werden.

Einer direkten militärischen Konfrontation mit bewaffneten Guerillaeinheiten gingen die rechten Paramilitärs zwar im Regelfall aus dem Wege. Aber da sie durch ihre Mordserien der Guerilla nach und nach das Umfeld von Unterstützern entzogen, konnten sie bald eine uneingeschränkte Schreckensherrschaft über ganze Regionen ausüben. Und sie kooperierten von Anfang an mit Armee, Polizei und Geheimdienst. Das Haus des Drogenbarons und MAS-Gründers Fabio Ochoa wurde beispielsweise durch den militärischen Geheimdienst als illegales Gefängnis genutzt. Bei einem organisierten Massenmord in der von der Linkspartei UP regierten Kleinstadt Sevogia am 11. November 1988, dem 44 unbewaffnete Zivilisten zum Opfer fielen, wurden die Mörder von Armee und Geheimdienst unterstützt.

Wie der deutsche Politologe und Journalist Raul Zelik schrieb, liefen die Aktivitäten der Paramilitärs auf einen "gewalttätigen Wiederaufbau der traditionellen Herrschaftsmechanismen" hinaus. 1997 konstituierten sich als übergreifende Organisation der paramilitärischen Gruppen die Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC). Versuche zur Gründung einer rechtsradikalen Partei als politischer Arm des Paramilitarismus blieben allerdings ohne durchschlagenden Erfolg.

Finanziert wurde das Netzwerk krimineller Mörderbanden nach eigenen Aussagen etwa zu 70 Prozent von den Drogenkartellen, außerdem von grundbesitzenden Viehzüchtern und Smaragdschürfern des kolumbianischen Südostens. Und es sind Zahlungen kolumbianischer Niederlassungen internationaler Großunternehmen auf Konten der Paramilitärs nachgewiesen: Nestlé, Chiquita, Del Monte, Dole. Die Unternehmen erklärten nach diesbezüglichen Enthüllungen zwar stets, sie seien Opfer einer Erpressung gewesen und die Zahlung wäre unter Zwang erfolgt. Die Blutspur ermordeter Arbeiter spricht jedoch eine andere Sprache. Beispielweise gab es von 1989 bis 2002 bei den kolumbianischen Abfüllstationen des Getränkekonzerns Coca Cola eine ganze Mordserie an aktiven Gewerkschaftern – seit 1986 hat die kolumbianische Arbeiterbewegung insgesamt etwa 3.000 ihrer Aktivisten durch Mord verloren, nicht mitgerechnet zahlreiche Familienangehörige. Die Täter kamen fast immer aus den Reihen der Paramilitärs.
Ein militärischer Sieg über die Guerilleros gelang den Paramilitärs trotz Zusammenarbeit mit Armee und Geheimdienst nicht. Sie konnten es durch mörderischen Terror allerdings erreichen, dass die Guerilla in vielen Regionen faktisch nicht mehr präsent ist.

Siegeszug der Drogenökonomie

Wie kam es nun zu der geschilderten Allianz von Allianz von Militärs, Grundbesitzern und Drogenkartellen?
Der Anbau von Kokasträuchern in den südlichen Gebirgsregionen Kolumbiens begann im Wesentlichen erst in den letzten Jahrzehnten. In geringen Umfang wurde Koka in Bergdörfern schon vorher zur Selbstversorgung angebaut. Wobei das traditionelle Kauen der Kokablätter mittlerweile als gesundheitlich unbedenklich gilt, ebenso wie der Konsum von aus Kokablättern gebrühtem Tee. Kokain als Droge wurde im 19. Jahrhundert erstmals aus Blättern der Kokapflanze extrahiert, ist also ein Produkt der westlichen Moderne. Seit der internationalen Drogenkonvention von 1961 gilt es als weltweit verbotene Substanz. Der illegale Konsum explodierte dann während der 1970er und 1980er Jahre. Aus bereits bestehenden kriminellen Gruppierungen, die zunächst vom Anbau und Export von Marihuana profitiert hatten, formierten sich länderübergreifend agierende Drogenkartelle.

Das Cali- und das Medellin-Kartell (benannt nach Städten, in denen sie ihren Hauptsitz hatten) importierten den Grundstoff für die Produktion von Kokain hauptsächlich per Flugzeug aus Bolivien und Peru und lieferten dann das Endprodukt auf dem Seeweg in die USA. 1983 legalisierte Präsident Betancur durch eine Steueramnestie faktisch die von den Narcos illegal erworbenen Vermögen. Die aus dem Drogenhandel erwirtschafteten Riesengewinne sorgten dafür, dass die führenden Köpfe der Narco-Kartelle – am bekanntesten war der berüchtigte Drogenboss Pablo Escobar – schnell in die Oberschicht aufstiegen. Als Folge umfängliche Landkäufe kam es zu einer Verschmelzung zwischen traditionellem Großgrundbesitz und den Familien der Drogenbosse.

Zivilgesellschaftliche Akteure der Linken und die Guerilla wurden von beiden als natürlicher Feind angesehen. Allerdings führten die Kartelle auch untereinander einen gnadenlosen Krieg um Marktanteile.

Neoliberalismus und Drogenkrieg

Zu einer massiven Steigerung des Anbaus von Kokasträuchern in Kolumbien kam es erst mit den neoliberalen Reformen ab 1988. Das Wirtschaftsprogramm des damaligen Präsidenten Virgilio Barco beinhaltete zunächst die üblichen Grausamkeiten – wie beispielsweise Beseitigung der Arbeitsschutzgesetze, Beschneidung der Rechte von Gewerkschaften und radikale Kürzung von Sozialausgaben. Dazu kamen auch eine forcierte Liberalisierung des Kapitalverkehrs sowie der Abbau von Zollschranken. Barco musste sein Programm gegen den massiven Widerstand breiter Bevölkerungskreise durchsetzen. Dies gelang ihm infolge des damals tobenden schmutzigen Krieges der Paramilitärs gegen die sozialen Bewegungen und die legale Linke.

Als Folge der neoliberalen Öffnung des Binnenmarktes wurde Kolumbien von auswärtigen Agrarprodukten überschwemmt – häufig hochsubventionierte Importe aus westlichen Industriestaaten. Vor allem die in entlegenen Gebieten ansässigen Bauern konnten mit den niedrigen Preisen der Importgüter nicht konkurrieren. Die Landbevölkerung verarmte rapide. Als Alternative bot sich – wie bereits ausgeführt – der Anbau von Kokasträuchern an, zumal er in verschiedenen Regionen von den Drogenkartellen per Kreditvergabe gezielt gefördert wurde. Bis Ende der 1990er Jahre verdreifachte sich der Kokaanbau. Binnen kurzem überholte Kolumbien die traditionellen Kokaproduzenten Bolivien und Peru. Mehrere mit Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angelaufene Programme zur Unterstützung alternativer Agrarproduktion blieben letztlich erfolglos, da an den strukturellen Problemen Kolumbiens nicht gerüttelt wurde.
Die Kosten für den Ankauf des Grundstoffes Pasta Básica de Cocaina betragen nach Schätzungen von Fachleuten in Kolumbien nur etwa ein bis zwei Prozent des in den USA erzielbaren Großhandelspreises für Kokain. Der Löwenanteil am Gewinn wird somit bei der chemische Extraktion des Kokains und seinen Transport in die USA oder nach Europa erzielt. Die Kokabauern erhalten von den im Drogenhandel insgesamt erwirtschafteten Milliarden also nur einen winzigen Bruchteil, können dadurch aber immerhin überleben.

Der seit 1988 tobende Krieg der Kartelle untereinander und die zunehmende Aushöhlung des Staates als Folge krimineller Gewalt bewog die Regierung schließlich zu einem ernsthaften Vorgehen gegen den Drogenhandel. Entscheidend war offensichtlich der Druck der USA, die sich spätestens ab Beginn der Crack-Welle mit den sozialen Folgen massenhaften Drogenkonsums und ausufernder krimineller Gewalt konfrontiert sah.

Bereits in den 1980er Jahren hatte der damalige US-Präsident George Bush senior die Kokapflanze als „Geißel der Menschheit“ bezeichnet. Die Bekämpfung der Drogenkartelle war zuvor eine reine Farce gewesen, da die von den kriminellen Organisationen unterwanderten und finanzierten Paramilitärs zeitweise ein Drittel des kolumbianischen Territoriums kontrollierten und Armee, Polizei und Justiz durch sie infiltriert waren. Die Unterzeichnung eines Abkommens mit den USA, nach dem inhaftierte Drogenbosse an die US-Justiz ausgeliefert werden können, wurde von der neureichen Oberschicht als Affront aufgefasst. Teile des Medellin-Kartells unter Führung von Pablo Escobar riskierten daraufhin eine offene Konfrontation mit der Staatsmacht; Escobar beabsichtigte offensichtlich, das von ihm kontrollierte Territorium aus der staatlichen Souveränität Kolumbiens herauszulösen. Damit hatte er allerdings den Bogen überspannt.

Spätestens seit dem Mord an dem liberalen Präsidentschaftskandidaten Luis Carlos Galan kooperierte die Staatsmacht mit dem Cali-Kartell gegen das Medellin-Kartell. Die Gewalt eskalierte – allein zwischen August 1989 und Januar 1990 kam es in der Stadt Medellin zu 263 Bombenanschlägen, in Bogota explodierten 200 Bomben. Etwa 1.700 Menschen fielen dem Narco-Terrorismus damals zum Opfer, darunter drei Präsidentschaftskandidaten. Nach offiziellen Angaben starben 400 Polizisten bei der Bekämpfung der kriminellen Kartelle.

Die Staatsmacht setzte sich jedoch langfristig durch – Drogenboss Escobar wurde im Jahre 1993 von Sicherheitskräften gestellt und sofort exekutiert. Das Medellin-Kartell war zu diesem Zeitpunkt bereits unter maßgeblicher Beteiligung des Cali-Kartells zerschlagen worden. Letzteres erklärte seine Selbstauflösung, woraufhin den Bossen für die begangenen Verbrechen wesentliche Strafmilderungen zugestanden wurde. Gemäß der damaligen Gesetzeslage waren bis zum Jahr 1989 infolge krimineller Aktivitäten erlangte Vermögen ohnehin legalisiert und dem Zugriff der Justiz entzogen.

Der kolumbianische Drogenhandel war damit aber keineswegs unterbunden, nicht einmal maßgeblich gestört. Neugegründete Unternehmen, die im Verborgenen agieren und nach den Kriterien rigoroser Profitmaximierung arbeiten, übernahmen die freigewordenen Marktanteile. Sie begnügten sich mit der einträglichen Position eines Zwischenhändlers – den Transport übernahmen nun mexikanische Drogenkartelle. Die neuen Drogenbosse umgaben sich nicht mit bewaffneten Gorillas, sondern mit Rechtsanwälten und promovierten Betriebswirten. Der Drogenhandel entwickelte sich von der kriminellen Schattenwirtschaft hin zu einem ganz normalen Zweig der kolumbianischen Volkswirtschaft. Einziger Unterschied zu anderen Branchen ist die Illegalität des Produktes und daraus resultierende Rechtsunsicherheiten im Geschäftsverkehr. Dafür garantieren diese Unternehmen außerordentlich hohe Gewinnspannen.

Sämtliche Anstrengungen sowohl der kolumbianischen als auch der US-Regierung im Anti-Drogen-Kampf mussten also ins Leere laufen. Selbst wenn es gelang, einen führenden Drogenboss zu inhaftieren, wurde seine Stelle sofort von einem Nachrücker besetzt. Der italienische Politologe Dario Azzelini beschrieb das Drogengeschäft als "integraler Bestandteil eines Systems, das darauf beruht, alles zur Ware zu machen, was sich vermarkten lässt". Das Scheitern des von den USA betriebenen Drogenkrieges sei daher vorprogrammiert. Tatsächlich hat die Zerschlagung der beiden großen kolumbianischen Drogenkartelle Mitte der 1990er Jahre weder zu einer spürbaren Verknappung der Kokain-Lieferungen in des USA geführt noch zu wesentlichen Preisveränderungen auf dem illegalen Markt.

Chemischer Luftkrieg

Der von der US-Regierung in den 1990er Jahren propagierte Anti-Drogenkrieg beschränkte sich zunächst darauf, den Transport von Kokain auf dem Seeweg in Richtung USA zu blockieren. Als die Kartelle daraufhin auf den Landweg über Mexiko auswichen, gingen die US-Behörden massiv gegen den Anbau von Kokasträuchern vor. Von der Clinton-Regierung wurde 1999 der Plan Colombia entwickelt und umgesetzt. In der Folge flossen innerhalb von 3 Jahren 1,6 Milliarden US-Dollar an die kolumbianische Regierung, davon 70 Prozent direkt an Polizei und Militär.

Ein Großteil des Geldes war ausdrücklich für die Zerstörung der Koka-Pflanzungen im Süden des Landes bestimmt – also in den Gebieten, wo die Guerilla am aktivsten war. Kolumbien avancierte damals schlagartig zum weltweit drittgrößten Empfänger von US-Militärhilfe (nach Israel und Ägypten). Offiziell sah der Plan vor, dem innerstaatlichen Konflikt in Kolumbien die Geldquellen zu entziehen. Da die Aktionen des Militärs sich jedoch hauptsächlich auf Gebiete beschränkte, in denen die Guerilla aktiv war, wurde von den USA propagierte Antidrogenkrieg eindeutig zum Bestandteil einer Aufstandsbekämpfung.

Hochgerüstete Militäreinheiten drangen in die Anbaugebiete ein und rissen die Koka-Sträucher massenhaft aus dem Boden. Zunehmend setzte das Militär aber auch großflächig Herbizide ein. Allein im Jahre 2002 wurden 100.000 Hektar Land aus Flugzeugen besprüht und 30.000 Kokapflanzen vernichtet. Den Einsätzen fielen zugleich große Flächen des Regenwaldes zum Opfer und Felder, auf denen die Bauern zur Selbstversorgung Nahrungsmittel angebaut hatten. Mit Herbiziden vergiftet wurden auch von internationalen Hilfsorganisationen geförderte Projekte, die den Bauern den Umstieg von Koka auf alternative Agrarprodukte ermöglichen sollten.

Die ökologischen Folgen waren für die besprühten Regionen gravierend, für die Gesundheit der Bevölkerung erwies sich die Besprühung als katastrophal. Es dürfte kaum verwundern, dass die Guerilleros sich auf die Seite der betroffenen Dörfer stellten und begannen, Sprühflugzeuge und Hubschrauber gezielt abzuschießen. Dies führte zu einer weiteren Eskalation des militärischen Konfliktes. Zahlreiche Menschen flüchteten aus den umkämpften und chemisch verseuchten Regionen in die Armutsviertel der Städte.
Durch massive Besprühungen wurden zwar im Jahre 2004 die Kokaanbauflächen um 88.000 Hektar reduziert. Aber nur vorübergehend. Die Kokabauern wichen bei der Offensive der Drogenbehörden einfach auf andere Regionen aus und kehrten nach einigen Jahren, wenn der Boden sich erholt hatte, wieder zurück. Was voraussehbar war: An den sozialen Ursachen, die zu dem Koka-Anbau führten, hatte sich nichts geändert.

Kommunitärer Staat und Antiterrorkrieg

Der kriminelle Bandenkrieg und der Bürgerkrieg zwischen Regierung, Paramilitärs und Guerilla beförderten im Jahre 2002 den Wahlsieg von Álvaro Uribe Vélez. Die Bevölkerung wollte Frieden – um jeden Preis. Und Uribe, ein rechtsradikaler Hardliner, der sich als Saubermann gerierte, hatte diesen versprochen. Er rief einen "kommunitären Staat" aus, versprach, binnen kurzer Zeit den Drogenhandel zu beenden, die Paramilitärs zu demobilisieren, mit der Guerilla aufzuräumen und den Bürgerkrieg so zu beenden. Keines seiner Versprechen hielt er. Was kein Wunder war, da der vorgebliche Saubermann selbst bis über den Hals in Drogensumpf steckte und in unzählige Verbrechen der Paramilitärs verwickelt war.

In Uribes Regierungszeit wurden die paramilitärischen Banden offiziell demobilisiert und gaben ihre Waffen ab. Tatsächlich gründeten sich zahlreiche Gruppen unter anderem Namen neu und setzen ihren mörderischen Krieg gegen linke Aktivisten ungebrochen fort. Uribe lieferte zwar einige führende Drogenbosse in die USA aus. Gleichzeitig sorgte er jedoch dafür, dass die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen der gewesenen Paramilitärs vor US-Gerichten nie zur Sprache kamen. Die kriminellen Bandenführer kamen demzufolge mit vergleichsweise milden Urteilen davon. Im Namen eines vorgeblichen Krieges gegen den Terror wurde die kolumbianische Armee von den USA weiter hochgerüstet. Die Regierung George W. Bush stellte unter dem Druck von Lobbyisten der Ölindustrie im Jahre 2002 erneut 38 Millionen US-Dollar für den „Antiterrorkrieg“ in Kolumbien bereit.

Während der Präsidentschaft von Uribe stiegen in Kolumbien die Menschenrechtsverletzungen massiv an, es gab weiter Opfer politischer Gewalt. Im unter Uribe forcierten Krieg der hochgerüsteten kolumbianischen Armee gegen FARC und ELN wurde hauptsächlich die Bevölkerung terrorisiert. Die Militärführung versprach den Soldaten Kopfprämien für getötete Guerilleros. Diese gingen folglich dazu über, Unschuldige zu töten und so völlig gefahrlos zu den versprochenen Prämien zu kommen. Nachweislich wurden Arbeitslose durch falsche Versprechungen angeworben, um dann ermordet, in FARC-Uniformen gesteckt und als im Gefecht gefallene Gegner präsentiert zu werden.

Der kriminelle Drogenhandel wurde unter Uribe hingegen kaum gestört. Erst nach seinem politischen Abgang entschloss sich sein Nachfolger Juan Manuel Santos zum ernsthaften Vorgehen gegen das mit seinem Vorgänger verschwägerte Cifuentes-Villa- Drogenkartell. Die Familie Cifuentes kooperierte mit El Chapo, dem Chef des mexikanischen Sinaloa-Kartells, einem der weltweit am meisten gesuchten kriminellen Drogenbosse. Bei einem Schlag gegen die Führungsspitze des Cifuentes-Villa-Kartells wurde auch die Nichte des nunmehrigen Ex-Präsidenten Uribe von der Polizei festgenommen. Nach kurzer Zeit verschwand Ana Maria Uribe allerdings spurlos wieder aus der Haft und mit ihr sämtliche Akten zu dem Fall.
Uribes Präsidentschaft endete am 30. Mai 2010. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass sein Geheimdienst verfassungswidrig über Jahre hinweg die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes von Kolumbien abgehört hatte, wurde ihm am 26. Februar 2010 gerichtlich untersagt, zur Wiederwahl anzutreten. Sein Nachfolger Juan Manuel Santos, der als Uribes Verteidigungsminister über Jahre hinweg vergeblich versucht hatte, mit der Guerilla fertig zu werden, entschloss sich zu einem moderateren Kurs und nahm Verhandlungen mit der FARC auf.

Friedensverhandlungen und Ausblick

Zwar ist in Kolumbien nur ein relativ geringer Teil der Gewaltakte politisch motiviert – etwa 15 Prozent. Die soziale Situation in dem Andenland bleibt jedoch maßgeblich geprägt durch die repressive Herrschaft, die die Oberschicht seit langem ausübt. Nach Schätzungen unabhängiger Organisationen wurden in den letzten 30 Jahren in Kolumbien 600.000 Personen von bewaffneten Gruppen und staatlichen Sicherheitsorganen ermordet.
Der Konflikt hat längst die Grenzen Kolumbiens überschritten – sowohl die Guerilla als auch Regierungstruppen und Paramilitärs operierten auch in den Grenzregionen Venezuelas und Ecuadors. Gebiete der Nachbarstaaten wurden häufig von kolumbianischen Militärflugzeugen mit Herbiziden besprüht. Aus Kolumbien stammende Paramilitärs und Drogenkartelle griffen auf Seiten der Konservativen offen in die politischen Auseinandersetzungen Venezuelas ein.

Hauptursache der seit Jahrzehnten in Kolumbien tobenden und militärisch ausgetragenen Konflikte ist und bleibt die Landfrage. Für das Jahr 2012 gab das UN-Flüchtlingshilfswerk für Kolumbien offiziell die Zahl von 4,9 Millionen Binnenflüchtlingen an, etwa ein Zehntel der Gesamtbevölkerung des Andenlandes. Schätzungen anderer Organisationen gehen allerdings von bis zu 5,5 Millionen Flüchtlingen aus. Zwischen 1980 und 2010 wurden im Windschatten von Bürgerkrieg und Drogenkrieg über 6 Millionen Hektar Land unter Zwang übereignet oder ganz einfach geraubt. Noch im Jahre 1960 beanspruchte eine Oberschicht von 0,6 Prozent der Bevölkerung 40,4 Prozent des Nutzlandes für sich. 2011 besaßen dann 1,15 Prozent der kolumbianischen Landeigentümer 52,2 Prozent des kultivierbaren Bodens. Jahrzehnte des Bürgerkrieges haben die Situation, die zur Eskalation der Auseinandersetzungen führte, also weiter verschärft. Ohne grundlegende Lösung der aus Ungleichverteilung von Grund und Boden resultierenden sozialen Probleme muss jeder Frieden brüchig bleiben.
2012 wurde zwar unter der Regierung Santos ein Gesetz zur Rückgabe geraubter Ländereien erlassen, aber ob dessen Umsetzung gelingt, ist derzeit unklar. Die Guerilleros der FARC unterbreiteten bei den Friedensverhandlungen in Havanna ein komplettes Reformprogramm, das als wichtigsten Punkt die Abschaffung unproduktiven Großgrundbesitzes sowie die Einrichtung geschützter Zonen für kleinbäuerliche Wirtschaften beinhaltet. Zweifelhaft ist, ob die Santos-Regierung über ihren neoliberalen Schatten springen kann und einem solchen Reformplan zustimmt. Regierungsvertreter Humberto de la Calle betonte nach erfolgreicher erster Verhandlungsrunde mit der Guerilla jedenfalls: „Die legalen Besitzer haben nichts zu befürchten.“
Ebenfalls offen ist, wer die von der FARC angestrebten Schutzzonen kleinbäuerlichen Besitzes, wenn sie denn zustande kommen, nach Demobilisierung der Guerilla vor wiederbewaffneten Paramilitärs schützen soll und auch kann. Seit dem Jahre 2008 wurden 68 Vertriebenen-Vertreter ermordet, die eine Rückgabe geraubten Landes gefordert hatten, davon allein 20 im Jahre 2011.
Der kolumbianische Bürgerkrieg dürfte auch mit Unterzeichnung eines endgültigen Friedensvertrages zwischen Regierung und Guerilla kaum beendet sein. Er könnte allerdings einige Jahre pausieren. Der leidgeprüften Bevölkerung des Andenlandes ist es zu wünschen.

Zum Autoren:

Gerd Bedszent ist Tiefbauingenieur und Diplom-Kaufmann. Er schreibt u.A. für die Zeitschrift „Ossietzky“ und die Tageszeitung „junge Welt“.

Zum Thema Südamerika s. auch: Staatsstreiche und Militärinterventionen in Lateinamerika nach 1945

BIG Business Crime ist eine Dreimonatszeitschrift des gemeinnützigen Vereins Business Crime Control e.V.
Herausgeber: Business Crime Control e.V., vertreten durch den Vorstand Erich Schöndorf, Stephan Hessler, Wolf Wetzel, Victoria Knopp, Hildegard Waltemate, Hans Scharpf, H.-Thomas Wieland
Mitherausgeber: Jürgen Roth, Hans See, Manfred Such, Otmar Wassermann, Jean Ziegler
Verantwortliche Redakteurin: Victoria Knopp
Redakteure: Gerd Bedszent, Reiner Diederich, Stephan Hessler
An dieser Stelle veröffentlichen wir ausgewählte Artikel aus der Zeitschrift BIG Business Crime online.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

BIG Business Crime

BIG Business Crime ist eine Drei-Monats-Zeitschrift des Vereins Business Crime Control e.V. Seit Ende 2018 online unter: big.businesscrime.de

BIG Business Crime

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden