Hoffnung Kindheit - El Shaddai in Indien

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Waisenkinder, Straßenkinder, misshandelte und missbrauchte Kinder -millionenfach in Indien unterwegs, sich durch den harten Alltag schlagend; Elend, Hunger, Tod als ständige Begleiter. Auch das ist Indien neben den zahlreichen Erfolgsmeldungen der aufstrebender Computerbranche, der Illusionsmaschine Bollywood und der atomaren Staatsmacht in den Weiten des asiatischen Raums. Tausendfache Parallelwelten und Widersprüche existieren friedlich und doch brutal nebeneinander.

https://lh5.googleusercontent.com/-hB2pUG0Qsg8/T3BVS2Y9xsI/AAAAAAAAFYI/a4vPfBbiI90/s400/Goa_11-12%2520223.jpgBildungswirt mit dem kleinen Navdeep zuhause bei den Gründern von El Shaddai Anita und Methew (Goa, Asangao), Februar 2012

Der kleine Navdeep ist 6 Monate alt. Mit 6 Monaten starrt er ins buchstäbliche Knastgrau. Eine dreckige Betonwand, links Beton, rechts Beton, unten und oben Beton, hinter sich rostige Gitterstäbe. Navdeep sitzt in einer modrigen Gefängniszelle, weil seine Mutter des Mordes schuldig befunden wurde. Mit den beiden befinden sich weitere 40 Frauen in dieser Zelle, die keine 20m² groß ist, nur blanker Boden, keine Betten, kein WC. Er starrt nur, spielt nicht, lacht nicht, nackte Angst quillt aus diesem Kindergesicht.

Das Gefängnis ist kein Platz für einen 6 Monate alten Jungen, so denkt auch Julia und holt nach zähen Verhandlungen den Jungen aus der Zelle. Julia ist die indische Frau von Pastor Matthew Kurian, dem Mit-Gründer des El Shaddai Charitable Trust (ESCT). Julia kümmert sich um Kinder, die mit ihren Eltern unschuldig im Gefängnis landen und holt sie dort heraus. Die Kinder sind immer unschuldig – in Indien gibt es keine Einrichtungen, die sich um Kinder von verurteilten Straftätern kümmern. Die Kinder müssen bei den Eltern bleiben. Im Haus und der Familie von Julia und Matthew sind die Kinder willkommen. ihnen wird vor allem Liebe und Geborgenheit entgegengebracht und es dauert lange, bis diese Kleinkinder das Trauma ihres Gefängnisaufenthaltes überwinden können. Julia bleibt in Kontakt mit den Müttern. Ziel ist natürlich Kind und Mutter nach Ablauf der Strafe wieder zusammenzuführen. Navdeep ist jetzt 18 Monate alt und hat Angst vor Spielsachen. Selbst vor einer hochgehaltenen Puppe nimmt er Reißaus. Navdeep fürchtet sich vor nahezu allem und Jedem und weint dabei sehr viel. Erst wenn er sich längere Zeit mit jemandem in einem Raum aufhält, beruhigt er sich. Navdeep ist bereits das vierte Kind, dass Julia und Mathhew aus dem Gefängnis geholt haben. Zwei wohnen noch immer bei ihnen, in Julia’s Nest, so heißt dieses Projekt von El Shaddai.

Der El Shaddai Charitable Trust wurde 1997 in Indien und Großbritannien von Anita Edgar (England) und Mathew Kurian (Indien) ins Leben gerufen. Die gemeinnützige Organisation wurde gegründet um Waisen-, Slum- und Straßenkindern systematisch zu helfen und verpflichtet sich dazu, benachteiligte Menschen in Indien zu unterstützen – vor allem Frauen und Kinder. So soll Kindern eine reale Chance zur Persönlichkeitsentwicklung und eine bessere Zukunft ermöglicht werden.

El Shaddai unterhält allein vier Kinderheime in Goa für über 200 Kinder, die von der Straße gerettet wurden. In Asangao wurde eine moderne Schule für alle aufgebaut. Da die Kinder aus ganz unterschiedlichen Staaten Indiens mit sehr unterschiedlichen Sprachen und Dialekten kommen, sich deshalb oft nicht verständigen können, ist Englisch die gemeinsame erste Sprache! Zudem gibt es mehrere Tagesstätten und Nachtunterkünfte für Slumkinder, mehrere Gemeindezentren auf den Dörfern außerhalb Goas mit Schule und Ausbildungszentrum, Essen auf Rädern in den Slums und ein Kinderhospiz für Todkranke. Insgesamt betreut der El Shaddai derzeit ca. 3500 Kinder in ganz Indien.

El Shaddai bietet Nahrung, Kleidung, Unterkunft und – am wichtigsten – Liebe, Solidarität und Sicherheit. Die Kinder gehen in die „Shanti Niketan Non Formal Schools“ und schließen diese mit Examen ab. In Ferienzeiten kann jedes Kind, frei nach Belieben, auch „zuhause“ bei Verwandten sein. Alle anderen Kinder – und das ist die Mehrheit - nehmen am Ferienprogramm teil. Während dieser Zeit findet auch der jährliche Hausanstrich und allerlei Reparaturen statt. Der monatelange Monsumregen von Juni bis September fordert seinen Tribut.

El Shaddai hat ein klares Bildungs- und Erziehungskonzept. Selbstermächtigung als oberstes Ziel heißt in allen Lebenslagen Hilfe zur Selbsthilfe: durch konsequentes alltägliches Lebens-Training, praktische und theoretische Aus-Bildung, Reflexion über Einzel- und Gruppenerwartungen und systematische Entwicklung personaler und sozialer Kompetenzen.

Die Mädchen des Rainbow House sind sehr interessiert an Schneiderei, Malerei, Taschen- und Schmuckherstellung, usw. Die Jungs engagieren sich sehr im Bereich der Schreinerei, Holzarbeit und ähnliche handwerkliche Arbeiten. Viele ältere Mädchen und Jungen arbeiten als Praktikanten in den Heimen und im Verwaltungsbereich des ESCT, um das „Arbeitsleben“ kennenzulernen.

Die Kinder aus den Wohnheimen nehmen jedes Jahr an den Protestmärschen zum Weltkindertag teil. Am 14.November in Margao und am 19. in Panaji (Goas Hauptstadt) gehen sie zur „Verhinderung von Kindesmissbrauch“ auf die Straße. Das „Teatro Per Caso“ aus Italien hat die Kinder in den letzten Jahren mit großem Erfolg im Seilspringen, Einradfahren, Straßentheater und Fotografie trainiert. Öffentliche Aufführungen des eigenen Könnens gehören zum Community-Alltag!

Die Wochenendausflüge an den Strand, Tanzübungen, Touren zum Fischen und eine Vielzahl von Wettbewerben und Aktivitäten in den Heimen sorgt dafür, dass die Kinder ihr ganz persönliches kleines Glück erfahren können.

All diese großartige Arbeit könnte nicht stattfinden ohne die Unterstützung von Gönnern, die El Shaddai durch Höhen und Tiefen begleiten. In Deutschland steht dafür ehrenamtlich mit herausragendem Engagement der gemeinnützige Verein „Hoffnung.Kindheit.e.V.“ ein. Aus eigener Anschauung konnte ich mich davon vor Ort überzeugen, dass die Spendengelder zu 100%(!!) auch in Indien ankommen.

(Der Bildungswirt/ Michael Miller 2012 für den Freitag in Indien unterwegs...)

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Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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