Keine Menschen zweiter Klasse

Kommentar Asylbewerber können mit 225 Euro pro Monat kein würdiges Leben führen, urteilten die Karlsruher Richter. Eine Ohrfeige für die Politik
Vor dem Bundesverfassungsgericht protestieren Mitglieder von Pro Asyl und Campact für mehr Rechte von Asylbewerbern
Vor dem Bundesverfassungsgericht protestieren Mitglieder von Pro Asyl und Campact für mehr Rechte von Asylbewerbern

Foto: Uwe Anspach/dpa

Das Urteil war überfällig. Asylbewerber müssen mehr Geld bekommen und zwar auf dem Niveau von Sozialhilfe und Hartz-IV, entschied das Bundesverfassungsgericht. Die derzeitigen Sätze von 225 Euro seien mit dem Grundsatz einer menschenwürdigen Existenz nicht vereinbar. Bis der Bundestag die Leistungen neu regelt, gelte eine Übergangsregel: Betroffene erhalten von nun an Leistungen in Höhe von 336 Euro pro Monat, das gilt auch rückwirkend ab 2011 für noch nicht rechtskräftige Bescheide.

Für die Politik ist die Entscheidung der Karlsruher Richter eine Ohrfeige. Der Staat hat sich nicht darum gekümmert, Flüchtlingen und Asylbewerbern eine menschenwürdige Existenz zu bieten. Seit 1993 wurden die staatlichen Hilfen nicht mehr angehoben, obwohl die Preise deutlich stiegen.

Keine Anreize schaffen

Das Kalkül, das dahinter erscheint, ist ein zynisches: Asylbewerber sollen sich bloß nicht zu wohl fühlen in Deutschland. Die willkürliche Einweisung in bestimmte Unterkünfte – unabhängig davon, ob Verwandte oder Bekannte in der Nähe wohnen –, die oft schlechten Wohnverhältnisse in den Asylbewerberheimen und auch die niedrigen Sätze sollen abschreckend wirken.

Das Bundesverfassungsgericht hat direkt darauf Bezug genommen und konstatiert, dass "migrationspolitische Erwägungen" keine Rolle spielen dürften, was die Höhe der Leistungen angehe. Auch müsse das Existenzniveau gemessen an den Verhältnissen in Deutschland festgelegt werden – nicht an denen im Herkunftsland des Betroffenen.

Wie kann mit 225 Euro dem Grundrecht auf eine menschenwürdige Existenz entsprochen werden? Diese Frage beschäftigte schon die Diskussion um Hartz-IV, dessen Regelsatz allerdings 35 Prozent höher liegt. Das angesprochene Grundrecht umfasst neben der "physischen Existenz" auch die "Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen" und "ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben". Doch die Realität von Asylbewerbern sieht anders aus. Ihr Alltag ist davon bestimmt, sich überhaupt ausreichend ernähren zu können. Und nicht krank zu werden, denn nur in lebensbedrohlichen Situationen wird der Arztbesuch bezahlt.

Angstgeleitete Politik

Die Aufgabe des Staates ist es, die Schwächsten zu schützen, dazu zählen nicht nur Besitzer des deutschen Passes. Asylbewerbern, die oft schreckliche Erlebnisse verkraften müssen, die kalte Schulter zu zeigen, ist nicht angemessen für ein Land, das die Menschenwürde als oberstes Gebot in seiner Verfassung führt.

Eigentlich könnte man erwarten, dass Deutschland als eines der wohlhabendsten Länder, sich um jene Gruppe kümmert, die seine Hilfe am dringendsten benötigt. Stattdessen dominiert die Angst der Politik vor einem Ansturm an Flüchtlingen.

Dabei sprechen die tatsächlichen Zahlen inzwischen eine andere Sprache: Die Flut von Asylanträgen, wie es sie Anfang der neunziger Jahre während der Balkankriege gab, gehört der Vergangenheit an. Zwar stieg die Zahl der Empfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz 2010 im Vergleich zum Vorjahr leicht von 121.000 auf 130.000, doch gingen die Zahlen seit 2006 (damals: 194.000) deutlich zurück. Und damit auch die Leistungen, die 2006 bei 1,165 Milliarden Euro lagen und 2010 auf 789 Millionen gefallen waren.

Es ist Zeit für einen anderen Umgang mit Asylbewerbern und Flüchtlingen. Das Verfassungsgericht hat nun einen wichtigen Schritt getan, damit jene nicht mehr als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Jetzt ist der Bundestag am Zug.

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