Das gute Gericht in Alltag und Gesellschaft

Chat2Blog Kay.kloetzer, goedzak, Jörn Kabisch und Calvani chatten was das Zeug hält und sonst unter den Küchentisch fällt. Vom Spilling über den Wok bis hin zur Sternenküche

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Gestern habe ich mir eine Gurke gekauft. Hallo? Gibt es vielleicht noch eine unspektakulärere Information, mit der diese neue kleine Chatreihe eingeleitet werden könnte?

Mhm. Ich bin geneigt zu schreiben: nein. Sind es nicht die kleinen Dinge, die Großes bewirken? Haben sich nicht große geschichtsträchtige Handelsrouten quer durch Völker, Nationen und Kontinente gebildet, weil Menschen kleine Krümel Salz oder dünne Fäden Safran kaufen wollten?

Mal ehrlich: Manchmal fühle ich mich ganz erschlagen von der Last, die diese Perspektive eröffnet. Was für eine Verantwortung! Jeden Tag. Die Milch, die Marmelade, die Gurke – für all diese Lebensmittel, samt und sonders ihrer Herstellungsverfahren und Vertriebsstrategien kann ich mich entscheiden. Oder dagegen.

Und was mache ich? Ich kaufe Gurken. Immer häufiger. Und ich esse sie viel bewusster, seit ich Kabischs kleine Gurkenkolumne gelesen habe. Wie gesagt: Es sind die kleinen Dinge.

Ganz ähnlich ist es mir übrigens mit der Literatur ergangen. Was habe ich mich geärgert, wenn Literaturkritiker und Konsorten vor meinen Augen und Ohren mal wieder Medien-Ping-Pong spielten, sich mit gegenseitiger Kritik der immer gleichen Bücher die Bälle zu warfen und sich genauso gegenseitig ihre Bedeutsamkeit versicherten, während Wichtigeres unter den Tisch fiel. Aus dem Ärger darüber entstand die Idee, es anders zu machen. Alltagstauglicher. Authentischer. Aua! Dieser Begriff tut inzwischen weh, wenn man ihn liest, nicht wahr?

Aber Ärger und Trotz waren ziemlich schnell den wohltuenden Anregungen und Auswirkungen gewichen, die die Chats mit kay.kloetzer mit sich brachten. Wie oft dachte ich schon: Ach, davon muss ich kay.kloetzer erzählen, darüber könnten wir mal wieder chatten oder Ähnliches. Oftmals kam es gar nicht dazu. Zu wenig Zeit oder zu viel anderes zu tun… Dennoch mag ich diese kleinen Momente, die mich die Dinge anders oder intensiver sehen lassen, mich in meiner Sichtweise bestärken oder sie in Frage stellen – und sei es eben nur für einen kurzen Moment.

Und weil es nichts Gutes gibt, außer man tut es, habe ich mal wieder gechattet. Über Gurken und vieles mehr. Mit kay.kloetzer, goedzak und Jörn Kabisch. Vom Spilling über den Wok bis hin zur Sternenküche.

Aber genug gequasselt.

Vorhang auf!

Calvani: Morgens halb elf in den unterschiedlichsten Ecken Deutschlands: Was gab's zum Frühstück?

Kabisch: Brot mit selbstgemachter Rhabarber-Marmelade. Außerdem habe ich auf dem Markt Marmelade von Spillingen gefunden.

Goedzak: Um 6:30 h Joghurt und Tee, jetzt eben Käsebrötchen, Erdbeeren, Kaffee.

Kay.kloetzer: Bis jetzt nur Kaffee. Also zwei inzwischen. Um diese Uhrzeit kann ich noch nichts essen.

Kabisch: Und Calvani?

Calvani: Ich habe auch erst ein Ingwerteechen intus, aber da die Nacht lang war, habe ich noch um 4 Uhr früh einen Joghurt mit Vanillemark und gerösteten Mandeln gegessen. Zählt das schon als Frühstück?

Kabisch: Als Mitternachtsimbiss kann man das nicht mehr durchgehen lassen. Also Frühstück.

Goedzak: Das Wort Spillinge musste ich jetzt googeln. Was Ähnliches wie Quitten?

Calvani: Spillinge kenne ich auch nicht...

Kabisch: Nein, Spillinge sind wilde Pflaumen, hat mir der Verkäufer erklärt. Schmecken wie Mirabellen.

Kay.kloetzer: Das klingt ja klassisch. Gehört Ihr zu denen, die in Hotels am Büffet Dinge essen, die sie sonst nie essen würden? Also früh Würstchen oder so?

Calvani: Ich kriege morgens auch oft nichts runter v.a., wenn ich in Zeitnot bin, aber manchmal kann ich schon morgens Fritten essen. Fritten spielen sowieso eine große Rolle in meinem Leben: Ich liebe sie! Wilde Pflaumen – klingen auch für mich sehr interessant.

Kay.kloetzer: Ich habe gestern Holunderblütenmarmelade geschenkt bekommen. Aber noch nicht probiert. Soll sehr aromatisch sein.

Goedzak: Frage an den Spezialitäten-Kenner: Es gibt also die Lust und die Motivation, schon beim Frühstück immer mal was Neues auszuprobieren? Etwas, was hier kaum einer kennt. Wo nur ein kleiner Geschmacksunterschied zu spüren ist?

Kabisch: Das ist bei mir leider Berufskrankheit. Ich wechsele aus irgendeinem Grund jedes halbe Jahr meine Frühstücksgewohnheiten. Vor zwei Monaten waren es Honigbrote, nur Honigbrote, letztes Jahr „Alpen“-Müsli, nur „Alpen“-Müsli. Das kommt aus England.

Kay.kloetzer: Und woher kommen die Anregungen?

Kabisch: Ich bin immer auf der Suche. Man kann kaum mit mir einkaufen gehen, weil ich im Supermarkt und auf dem Markt immer rumlaufe wie im Museum.

Goedzak: Da würde ich doch gern mal dabei sein!

Kabisch: Es dauert Stunden und meine Frau fragt mich immer: „Was hast Du jetzt schon wieder entdeckt? Können wir mal weiter?“

Goedzak: Mit mir kann man nicht durch die Stadt spazieren, weil ich vor jeder Ruine stehen bleibe...

Kay.kloetzer: Auf dem Markt kann ich mir das gut vorstellen. Aber was gibt es im Supermarkt zu entdecken?

Kabisch: Die neuesten Entwicklungen der Industrie. Ich kaufe die nicht, aber ich will wissen, was Trend ist. Vor ein paar Jahren waren es Smoothies, dann probier ich auch mal. Schmecken wie Alete.

Calvani: Also ich hasse Shopping grundsätzlich, aber ich kann auch dann und wann stundenlang vor Regalen herumstehen und Zutatenlisten lesen...

Ich liebe Smoothies! Allerdings esse ich ohnehin zuckerfreie Fruchtzubereitungen für Kinder gerne… mit Joghurt und Mandeln und Vanille...

Kabisch: Ich finde den Kram zu süß, viel zu süß. Deshalb habe ich auch angefangen, selbst Marmelade zu machen

Calvani: Süß? Ja, dafür zuckere ich den Joghurt nicht.

Kay.kloetzer: Oh ja, Zutatenlisten liebe ich auch. Um mich so richtig aufzuregen. Und das Zeug natürlich nicht zu kaufen. Leider kann ich Wurst nicht selber machen.

Goedzak: Das mit dem Supermarkt ist interessant. Werden da nicht eigentlich in erster Linie Bilder von Lebensmitteln gezeigt? Und die Bilder wechseln. Sie müssen immer einem Trend entsprechen, einer gerade gängigen Vorstellung.

Kabisch: Der Supermarkt setzt auch auf den Landlust-Trend. Es gibt Landmilch, alles wird authentischer angepriesen, obwohl es auch aus den großen Fabriken kommt.

Goedzak: Welche Rolle spielt die Kompetenz, Lebensmittel beurteilen zu können? Ich meine, zu sehen, zu riechen, zu tasten, und Schlussfolgerungen aus diesen Sinneseindrücke zu ziehen...

Meine These: Der Normalkonsument kauft codierte Bilder. Ich meine nicht nur Bilder auf Verpackungen, auch z.B. das Idealbild des Apfels. Seine Sinne spielen dabei eine untergeordnete Rolle.

Calvani: Meinst du auch das soziale Bild der "Happy Family"?

Goedzak: Schon, aber erst mal geht es um die Vorstellung vom Essen vs. seine sinnliche Wahrnehmung und kompetente Beurteilung.

Calvani: Ach, kompetente Beurteilung - ganz ehrlich mir geht diese ewige Professionalisierung von allem und jedem auf den Keks. Nicht mal essen kann man einfach so, was einem schmeckt...

Goedzak: Es geht nicht um Spezialistenwissen.

Calvani: Um was dann?

Kabisch: Es muss natürlich und gleichzeitig sauber und rein sein. Wenn man sich neue Apfelzüchtungen ansieht wie Pink Lady, entsprechen sie alle dem Golden Delicious, nur die Farbe ist anders. Und bei Gala haben die Äpfel alle an der gleichen Stelle ein rotes Pausbäckchen. Komisch, so eine Vorstellung von der Natur.

Calvani: Wie unterscheiden sich denn eure heutigen Mahlzeiten von denen eurer Kindheit?

Kay.kloetzer: Ja, das hängt mit der Kindheit zusammen. Also der kulturellen Erziehung. Was zusammen auf den Teller gehört, in welcher Reihenfolge gegessen wird (Suppe, Hauptgang, Obst). Und so sehe ich es auch mit den codierten Bildern. Da geht es um Vertrauen.

Kabisch: Ich denke, unsere Bilder sind leider nicht mehr von so was wie Kindheit oder Essen bei Oma codiert. Bei mir ist das schon nicht mehr so.

Ich habe mich anfangs wirklich zwingen müssen, kleine wurmstichige Äpfel zu essen.

Kay.kloetzer: Doch hat man sie einmal gegessen, kann man den Geschmack der anderen nicht mehr ernst nehmen, oder?

Goedzak: Man greift nicht nach dem fleckigen Apfel, sondern nach dem, der einem allgemeinen Idealbild des Apfels entspricht. Man isst ihn - und er schmeckt, weil er aussieht, als müsste er schmecken.

Damit ist meine individuelle sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit, na, überlistet...

Kay.kloetzer: Das geht bei mir nicht mehr.

Calvani: Ich gestehe: Ich kaufe Pink Lady! Aber ich mag auch manchmal diese kleinen Äpfelchen. Die, die so aussehen, als müsste man Mitleid mit ihnen haben...

Goedzak: Diese 'Idealbilder' entwickeln sich weiter. ’Öko’, ’Bio’, 'gesund' usw., das kann man auch codieren... sogar ‚fairtrade’!

Kay.kloetzer: Ich denke, „Roh“ könnte das neue „Bio“ werden. Nur da kann man sicher sein.

Kabisch: Das verstehe ich nicht. Wieso roh? Roh wie natürlich?

Kay.kloetzer: Wie unverarbeitet.

Goedzak: "Ich habe mich anfangs wirklich zwingen müssen, kleine wurmstichige Äpfel essen zu müssen" - Warum ist das so gewesen?

Kabisch: Weil ich auch dem idealen Apfelbild der Blendamed-werbung aufgesessen bin.

Calvani: Apropos Idealbild: Was unterscheidet die Speise vom Gericht? Laut Duden ist es das "Anrichten", das - genau wie das juristische Gericht - unter dem Einfluss des mittelhochdeutschen "geriht(e)" steht. Esst ihr einfach nur, wenn ihr alleine seid oder gestaltet ihr euch ein Gericht? Das ist im Kern die Frage nach dem sozialen, nach dem theatralen Moment des Essens.

Kabisch: Ich ernähre mich, wenn ich allein bin. Ich esse, wenn ich mit anderen Leuten zusammen bin.

Calvani: Worin zeigt sich der Unterschied? Decken Sie den Tisch nicht? Essen Sie vor dem Fernseher? Ohne Serviette?

Kay.kloetzer: Genau. Das geht bis zur Tischkultur.

Goedzak: Muss es nicht auch schmecken, wenn Du allein isst?

Das 'theatrale' Moment ist doch die Inszenierung einer symbolischen Wirkung wegen, Eindruck schinden oder so.

Kabisch: Doch, es muss schmecken. Aber ich mache die schlimmsten Dinge: Vor dem Fernseher, aus der Schüssel, mit den Fingern…

Calvani: Ich auch, ich auch! Insbesondere vor dem PC.

Goedzak: Wenn das zum Genuss gehört, warum nicht.

Kay.kloetzer: Schmecken ja, aber die Funktion ist eben doch eine andere. Übrigens esse ich in Gesellschaft wesentlich weniger, auch wenn sich der Tisch biegt. Das hat sicher auch mit Genuss zu tun.

Goedzak: Das schlechte Gewissen deutet auf die Wirkungsmächtigkeit von Normen und von sozialdistinktiven Motivationen beim bedachten Inszenieren von Gerichten und dem Essen.

Kabisch: Das stimmt, aber Genuss und Essen ist eine kulturelle gemeinschaftliche Angelegenheit. Ich mag es lieber, das zu teilen. Nur ein warmer Bauch ist mir zu wenig.

Calvani: Unterwirfst du dich nicht gesellschaftlichen Normen beim Essen, Goedzak?

Goedzak: Schon, aber es ist eben das: Unterwerfung! Aus bestimmten Gründen, die über die Motivation des Genießens in Geselligkeit hinausgehen.

Calvani: Ist diese Unterwerfung denn schlecht?

Goedzak: Hab ich das gesagt?

Kay.kloetzer: Eine Familie, die keine gemeinsamen Mahlzeiten einnimmt, ist eigentlich keine. Und beginnen nicht viele Beziehungen mit einem gemeinsamen Essen? Oder ist das heutzutage nicht mehr so?

Kabisch: Vor zwei Wochen war ich im Kaufhof im Alex, ein paar Tage, nachdem ich meine Kolumne über Brunnenkresse geschrieben habe. Auf einmal hab ich zwei große Bund Brunnenkresse bei den Kräutern entdeckt und es ist mir ein lautes "Oh, wau, geil, Brunnenkresse" ausgekommen. Einige Leute haben mich ziemlich komisch angeguckt, als ich nach zehn Minuten wieder beim Gemüse vorbeikam, war der andere Bund auch weg. Das ist für mich auch schon Genuss.

Goedzak: Ich überlege gerade, ob ich mich von dem Schrei hätte verleiten lassen...

Calvani: Schöne Geschichte!

Sprecht ihr auch Leute im Supermarkt an? "Oh, sie kaufen das? Schmeckt das? Wie wird das zubereitet?"

Kay.kloetzer: Höchstens am Weinregal.

Goedzak: Nö, ich hab meist schon einen Plan beim Einkaufen.

Kabisch: Klar. Immer. Ich möchte mit den Leuten in Kontakt kommen, die mir was verkaufen. Ich will, dass die Leute eine Beziehung zu dem bekommen, was sie verkaufen. Das geht doch nur, wenn sie drüber reden müssen. Und nicht nur die Werbung erzählt: "Wir lieben Lebensmittel."

Goedzak: Mit den Verkäufern reden ist was anderes, mach ich auch.

Kabisch: Also zur Frage: Mit Mitkunden rede ich im Supermarkt sehr selten.

Kay.kloetzer: Das macht großen Spaß in sogenannten Bäckerläden, wenn man fragt, was so drin ist im Brot. Im besten Fall haben sie irgendwo eine Liste, meist aber keine Ahnung.

Goedzak: Mein Bäcker hält mir Vorträge, wenn ich nicht aufpasse. Meine Bio-Bäckerin, zu der ich nicht mehr gehe, äußerte sich immer sehr herablassend, wenn ich mich mal was zu fragen traute.

Kabisch: Welcher Bäcker ist das denn?

Goedzak: Bäcker Kolb in Halle a. d. Saale. Ich behaupte, Kolb macht das beste Brot in 'schland!

Kay.kloetzer: Na diese Industriebäcker, man kann ja nicht immer zu einem richtigen gehen. - Goedzak, da komme ich mal vorbei.

Calvani: Ja, nur in manchen Bio-Bäckereien spielen die Inhaltstoffe eine große Rolle... Bio ist ja inzwischen auch ein partiell inflationäres Synonym für bewussteres Essen.

Habt ihr schon mal selbst Brot gebacken?

Kay.kloetzer: Ich bekomme Brot gebacken. Es schmeckt immer anders, sieht immer anders aus, hat immer eine andere Konsistenz.

Goedzak: Nach dem Brot-Blog damals, Jörn, wollte ich eigentlich ein 'Wriezener Schrotbrot' von Kolb in der Redaktion vorbeibringen. Stand aber lange keine Berlin-Fahrt an damals.

Calvani: Mich hat übrigens die Gurken-Kolumne beeindruckt. Seitdem esse ich viel häufiger und bewusster Gurken. Das fiel allerdings erst nach und nach auf, aber es hält bis heute an.

Kay.kloetzer: Also bringen sie doch etwas: die Kolumnen, Sendungen, Bücher - es wird ja sehr viel über Lebensmittel und Gerichte und Essen geredet.

Calvani: Na, das Meiste an kulinarischem Zirkus geht mir auf die Nerven. Ich kann keine Kochshow gucken, weil es eben genau das ist: Show. Die Kolumne ist anders. Persönlicher. Ruhiger. Und damit eindringlicher. Jedenfalls für mich. Das hat mich auch so erstaunt: Es ist oftmals effektiver, fernmedial über Alltägliches zu reflektieren als direkt im Alltag. Ich backe übrigens hauptsächlich Nusskuchen - aber ich bin ja auch eine Frau.

Kabisch: Das hätte mich gefreut, goedzak. Ich backe tatsächlich selbst, aber selten Brot. Mein Gurkenkonsum ist nach der Kolumne übrigens auch angewachsen. Manchmal schreibt man so Sachen, die muss man dann aber auch noch umsetzen...

Goedzak: Backen - kriege ich nicht hin! Da scheint sich zu bestätigen, dass Backen nix für Männer ist...

Kabisch: Backen ist total was für Männer.

Goedzak: Anscheinend nicht für jeden Mann...

Kabisch: Und ich kaufe viel mehr polnische Gurken. Das ist etwas, was mich aufregt. In Berlin sind Gurken aus Polen eigentlich Gemüse aus der Region. Aber selbst die aufgeklärten Menschen im Bio-Supermarkt greifen lieber zu den Gurken aus Spanien oder Holland.

Calvani: Polnische Gurken kenne ich nicht, aber ich lebe ja auch näher an Holland als an Polen...

Goedzak: Tja, sogar in Masuren kann man jetzt auch fast nur noch spanisches Gemüse kaufen...

Kay.kloetzer: Warum das denn? Sehen die anders aus, die Gurken aus Spanien und Holland?

Kabisch: Die polnischen Gurken sind nicht so gerade.

Goedzak: Ist wie mit den Äpfeln, kay.kloetzer.

Mir gefällt die Kolumne, weil sie redundant ist!

Calvani: Redundant? Nö, kann ich nicht sagen.

Goedzak: Mein Lieblingstext in letzter Zeit war der über den 'god shot'.

Kabisch: Lieber goedzak, jetzt bin ich neugierig. War der god shot auch redundant?

Goedzak: Oh, jetzt habe ich wohl ein negativ besetztes Wort benutzt? Ich meine, das Drumherum um’s Kochen, die Geschichte(n), das Erzählen um den Umgang mit den Dingen, die Küche als Handlungsort usw. usf.

Ich war immer auf der Suche nach Büchern übers Kochen als sozusagen handwerklichen Ratgeber, keine Rezeptbücher... Gibt‘s kaum.

Kabisch: Ah, ich verstehe. Das ist ein Kompliment.

Goedzak: Yes!

Kay.kloetzer: Kocht Ihr nach Kochbuch?

Goedzak: Ich lange nicht mehr. Liegt aber auch daran, dass ich das einmal Eingeübte gern oft wiederhole.

Calvani: Nie! Ich suche mir aber einzelne Kombinationen, Ideen und Anregungen raus z.B. Orientalische Erbsensuppe mit Kümmel und Zimt. An alles andere halte ich mich nie.

Kabisch: Immer wieder, ja. Aber ich schaue nach den handwerklichen Tricks.

Calvani: Und du, kay.kloetzer?

Kay.kloetzer: Eigentlich nicht, manchmal schaue ich im Netz nach Details. Aber ich schreibe mir auf, was meine Mutter kocht, habe quasi ein eigenes Kochbuch.

Calvani: Dann hältst du die Tradition hoch? Ich koche kaum etwas so, wie meine Familie. Das finde ich auch ein bisschen schade, ist aber nun mal so, wie es ist.

Kay.kloetzer: Es sind eher neue Gerichte, nichts Traditionelles. Salate vor allem und Suppen.

Calvani: Salat? Beim Kartoffelsalat bin ich ausnahmsweise traditionell: Den mache ich, wie Mama ihn machte, nur mag ich lieber Salatgurken als saure Gurken darin - da haben wir's wieder: Die Gurke hat es mir angetan!

Goedzak: Von Rolf Schwendter stammt die These von der 'Weltmarktstrukturküche' (1988 schon). Ist polemisch gemeint, bedeutet aber im Kern auch, dass es eine handwerkliche usw. Vermischung der Regionalküchen gibt. Ich find‘s interessant, in den ethnischen und Regionalküchen nicht die Unterschiede zu suchen, sondern die Ähnlichkeiten, weil sich daraus sozusagen elementare Prinzipien und 'Bausteine' ableiten lassen, mit denen man dann ganz individuell umgehen kann.

Calvani: Interessiert dich das nur theoretisch oder kochst du auch dementsprechend?

Goedzak: Ich bin z.B. großer Wok-Fan, koche aber nie asiatisch.

Ich komm hier so als Theoretiker rüber, wa?

Calvani: Und was hat der Wok mit den hiesigen Brätern gemeinsam?

Ja, ein bisschen schon...

Goedzak: Das man kurz braten kann. Anders ist, dass er Bereiche unterschiedlicher Hitze hat, was man nutzen kann.

Calvani: Isch abe gar keine Wok...

Goedzak: Wann haste Geburtstag? Musst aber brav sein!

Calvani: Im November.

Kabisch: Welche europäische Regionalküche brät denn kurz?

Calvani: Ich weiß dazu leider nix. Zur Kurzbratküche, meine ich.

Goedzak: Ich hab doch auch keine Ahnung!

Calvani: Aber hier einen auf Theoretiker machen...

Ich brate Thunfisch kurz, weil er sonst austrocknet.

Goedzak: Stephen Mennell beschreibt den Übergang vom Garen ganzer Tierkörper und dem Anbraten blutiger Steaks in Europa zu den Gerichten mit feinen Soßen und Ragouts als einen Strang der Zivilisationsgeschichte (Vorbild: Norbert Elias).

Kabisch: Nein, weil europäische Küche immer auf Haltbarkeit aus war. Deswegen gibt es Eintöpfe, Suppen, eingelegtes Gemüse. In Asien sind viele Zutaten ganzjährig verfügbar. Da konnte sich eine Küche entwickeln, die immer aus dem Vollen schöpfte.

Kay.kloetzer: Auch als Kulturgeschichte?

Kabisch: Der Wok steht ganz weit oben, was Kochkultur angeht. Absolut.

Goedzak: Na, frisches Fleisch haben die jagdprivilegierten Schichten immer gleich kurz angebraten...

Kabisch: Ja, klar. Aber warum glauben wir immer, dass das Kochen nur von den Oberen Zehntausend weiterentwickelt worden wäre?

Goedzak: Ich würde mal behaupten, es waren die Mittelschichten, die das voran gebracht haben. Der Adel hat sozusagen distinktiv mit vollen Händen gewürzt...

Calvani: Ja, sind es nicht gerade die sog. Arme-Leute-Essen, die sich heute großer Beliebtheit erfreuen? Pizza fällt mir spontan ein.

Goedzak: ... die armen Bäuerlein haben nur Getreidebrei gegessen. Aber die wohlhabenden Bauern hatten genug und auch nicht zu viel, um 'gut' zu kochen. Später das städtische Bürgertum. Oder zugleich, wie auch immer.

Kay.kloetzer: So genannte Arme-Leute-Essen sind die, die immer "wiederentdeckt" werde.

Gekocht hat ja eigentlich die Magd. Und wenn die am Dorfbrunnen von einem neuen Rezept mit Brunnenkresse hörte, dann hat sie das probiert ... wenn es eine gute Magd war.

Calvani: Und der Dorfbrunnen ist inzwischen das Internet, nicht wahr?

Kabisch: Wem soll ich zuerst antworten? Wenn man bei Georg Seitz "Die Verfeinerung der Deutschen" nachliest, dann sind die Städter tatsächlich immer die, die seit Urzeiten per Copy, Paste und Mix die Küche vorangetrieben haben.

Goedzak: Ja, der wird Recht haben. Gutes Beispiel ist, was die Stadtbürger alles mit der Kartoffel vom ollen Fritz angefangen haben.

Kay.kloetzer: Seit wann gibt es eigentlich das elitäre Kochen, die Sterne-Küche und -Köche?

Calvani: Ja, und vor allem: Warum gibt es sie? Leistungsgesellschaft in punkto Genuss?

Kabisch: Die Sterneküche gibt es seit dem Aufkommen des Gummireifens: Michelin.

Goedzak: Das elitäre Kochen, wie du es nennst, kay.kloetzer, hat auch was mit der Entstehung einer Restaurantkultur zu tun.

Calvani: Und was gibt’s heute Mittag Elitäres bei euch?

Kay.kloetzer: Paprikagulasch mit Pennenudeln für 4,20 Euro. Kantine. Leider.

Calvani: Ich habe noch keinen Plan, muss erst noch was frühstücken. Es wird wohl Pasta werden. Oder Salat.

Kabisch: Ich weiß auch noch nicht. Eine Stulle irgendwo.

Goedzak: Gestern gab‘s den Rest eines Ragouts vom Sonntag. Heute: Laut eines mir per e-mail mitgeteilten Wochenspeiseplans gibt es 'Korianderhühnchen auf Gewürzreis’ für mich. Dafür gehe ich zwei Treppen runter. Im Eckladen unten im Haus führt eine junge Dame einen winzig kleinen Speiseladen.

Calvani: Bei mir gab's gestern Mittag Reis, Baby.

Kabisch: Heute ist Mittwoch: Guten Appetit bei den Canneloni.

Goedzak: Oh, schade, das Hühnchen verpasst...

Kay.kloetzer, goedzak, Jörn Kabisch.
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Geschrieben von

Calvani

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Calvani

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