Da wird nicht gebastelt, da wird gearbeitet

Sprachkritik Wenn in den Medien über Menschen mit Behinderung berichtet wird, werden oftmals ausgrenzende Begrifflichkeiten verwendet
14 Menschen starben bei dem Brand in Titisee-Neustadt
14 Menschen starben bei dem Brand in Titisee-Neustadt

Foto: Christof Stache/Getty Images

Behindertenhaus, ein missverständlicher Begriff. Ein Wort, das es eigentlich gar nicht gibt. Da es in einer Schlagzeile zum verheerenden Brand in der Caritas-Werkstatt im Schwarzwald steht, ist trotzdem klar, worum es geht. Obwohl es ungenau ist. Denn dort wohnte ja keiner, dort wurde gearbeitet. Bis am vergangenen Montag in einem der Räume Gas aus einem Ofen austrat und sich entzündete. 14 Menschen starben vermutlich an Rauchvergiftung, neun weitere wurden verletzt. Die Medien berichteten ausführlich über diese Katastrophe, aber sie tun sich damit schwer.

Das ist nachvollziehbar. Denn der Begriff Behinderte geht leichter über die Lippen als Menschen mit Behinderungen oder beeinträchtigte Menschen. Und in den meisten Fällen ist er ja nicht diskriminierend gemeint. Trotzdem ist die Verunsicherung in der Wortwahl häufig spürbar. Denn eine Behinderung ist ja schließlich nur eines von vielen Persönlichkeitsmerkmalen, und das Wort Behinderte kann nie den ganzen Menschen bezeichnen. Da hilft auch nicht das Argument, dass sich einige selbst als Behinderte oder wie der Finanzminister gar als Krüppel bezeichnen. Es ist ein Unterschied, ob man über sich selbst spricht oder über andere.

Eine Sonderrolle wird zementiert

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann war wahrscheinlich wirklich erschüttert von dem Unglück und davon, dass es „ausgerechnet in einer Werkstatt für Behinderte“ stattgefunden hat. Nur ist sein „ausgerechnet“ falsch platziert. Weil diese Gefühlsäußerung sich dazu eignet, eine Sonderrolle jener Menschen zu zementieren, die sie meist nicht einnehmen wollen. Und weil es uns auf die überflüssige Frage stößt, ob das Entsetzen sonst auch so groß gewesen wäre.

In den Medien ist jetzt von den Schützlingen aus Titisee-Neustadt die Rede, als hätte sich die Aktion Sorgenkind nie in Aktion Mensch umbenannt. Ohne zu wissen, wie eigenverantwortlich die Menschen dort wirklich waren. Die Brandopfer werden in den Berichten häufig als doppelt hilflos dargestellt, vom Feuer eingeschlossen und im Rollstuhl sitzend gefangen, ohne zu klären, ob sie tatsächlich mangelnde Mobilität daran hinderte, ins Freie zu fliehen.

"Naturgemäß nicht rational"

Die Opferrolle passt zu gut. Da erklärt der Kreisbrandmeister, wir hätten es mit Menschen zu tun, „die naturgemäß nicht rational reagieren“. Auch er pauschalisiert. Ein Meniskusleiden ist ein Meniskusleiden, aber Menschen mit Behinderungen sind auf ganz unterschiedliche Art und Weise beeinträchtigt. Wir wissen im Moment einfach zu wenig, um dem Thema und den Menschen im Schwarzwald mit solchen Aussagen gerecht zu werden.

Wir wissen allgemein zu wenig über die Lebenswirklichkeit von behinderten Menschen, weil es eine Tragödie, einen Sporthelden oder eine Spendenaktion braucht, um sie in die Medien zu hieven.

Irgendwo stand in diesen Tagen, dass sich große Mengen brandbeschleunigender Materialien wie Holz und Klebstoff in den Räumen der Caritas befanden. Schließlich habe es in den Tagen vor dem ersten Advent viel zu basteln gegeben. Der Webseite der Werkstatt aber ist zu entnehmen, dass es dort um Holz- und Metallverarbeitung, Montage und Verpackung im Auftrag von Kunden geht. Da wird nicht gebastelt, da wird gearbeitet.

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Geschrieben von

Cara Wuchold

Kulturjournalistin

Cara Wuchold

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