Das Geheimnis der Jakarta-Berlin-Connection

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http://www.pfarrverein-ekbo.de/src/images/Gongperformance_Sayo.jpegWenn man Freunde oder Bekannte nach dem viertgrößten Land der Erde fragt, kommt selbst bei mehreren Versuchen nur selten die richtige Antwort. Dabei gehört Indonesien als größtes mehrheitlich muslimisches Land mit seinem Wirtschaftswachstum und seinem hohen Anteil am tropischem Regenwald zu den Schlüsselregionen unserer globalen Zukunft. Noch unbekannter ist, dass Berlin und Jakarta zwei Hauptstädte sind, die weitaus mehr als nur das gemeinsame Autokennzeichen „B“ verbindet. Ein „Jakarta Berlin Arts Festival“ will diesen blinden Fleck jetzt beseitigen.

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Fragt man in der Berliner Senatskanzlei nach, wie es zur Städtepartnerschaft mit Jakarta kam, kennt offiziell niemand mehr die genauen Hintergründe. „Das Städtepartnerschaftsabkommen mit der indonesischen Hauptstadt wurde am 22. April 1993 unterzeichnet“, heißt es auf der website der Bundeshauptstadt lapidar zur Historie dieser Verbindung. Doch ein Blick in die Tagespresse jener Zeit verrät, dass es wohl anders war.

http://www.pfarrverein-ekbo.de/src/images/Soerdirdja.jpgTatsächlich hatte im April 1993 Jakartas Gouverneur Soerjadi Soerdirdja drei Tage lang Berlin besucht. Soerdirdja war auf Partnersuche für eine Zusammenarbeit auf den Gebieten Stadtplanung, öffentlicher Nahverkehr sowie Wasser- und Wohnungswirtschaft. Seine Stadt erstickte schon damals in einem täglichen Verkehrschaos. Es gab kein unabhängiges öffentliches Personennahverkehrssystem, das den Individualverkehr hätte entlasten können, selbst Busse mussten sich damals mit Autos dieselbenFahrspuren teilen. Soerdirdja wollte für Jakarta ein mehrgliedriges Nahverkehrssystem mit U-Bahn, Ein-Spur-S-Bahnen und Triple-Deckern. Berlin schien ihm dafür der richtige Partner zu sein – eine Stadt, in der eigentlich niemand ein Auto braucht. Deshalb wurde schon bei Soerdirdjas Besuch eine gemeinsame Erklärung über die geplante Zusammenarbeit unterzeichnet. Eine Vereinbarung sollte darüber aber erst geschlossen werden, „wenn die Verhandlungen dazu beendet sind“ (taz vom 23.4.1993).

Ein knappes später Jahr reiste Berlins damaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen zu einem Weltmetropolen-Kongress nach Asien. Diepgen hatte zwei unterschriftsreife Städtepartnerschaftenabkommen im Gepäck, von denen das mit Jakarta am 12.4.1994 unterzeichnet wurde. Als er wiederkam, war in Berlin ein handfester Koalitionskrach ausgebrochen, an dessen Ende Diepgen „verdonnert“ wurde,„vor Antritt seiner Auslandsreisen den Senat in Kenntnis zu setzen, wenn er mit anderen Städten Partnerschaften eingehen will“ (taz vom 20.4.1994).

Der Grund für diese Undankbarkeit der Berlinerinnen und Berliner war der ewige Konflikt zwischen Menschenrechten und Wirtschaftsbeziehungen. Den gab es sowohl in Jakarta, als auch in Peking, der zweiten neu gewonnenen Partnerstadt. Dort war die gewaltsame Beendigung der studentischen Proteste auf dem Platz des himmlischen Friedens erst fünf Jahre her, und in Indonesien regierte noch der blutige Diktator Hadji Mohamed Soeharto, der Staatsgründer Soekarno 1965 in einem Militärputsch entmachtet hatte. Deshalb forderten die Abgeordneten des Koalitionspartners SPD, dass diese beiden Partnerschaftsverträge zwar nicht sofort wieder aufgekündigt, aber doch erst einmal „nicht aktiviert“ werden sollten.

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Danach wurde es lange still um die Jakarta-Berlin-Connection. Abgesehen von einen weiteren Diepgen-Besuch mit offizieller Wirtschaftsdelegation im April 2001, wo es vor allem um den Bau der 1999 ausgeschriebenen, aber bis heute nicht realisierten U-Bahn ging, kam es erst vor 2 Jahren unter Diepgens Nachfolger Klaus Wowereit zu einer Auffrischung der Partnerschaft bei den Asien-Pazifik-Wochen. Neuer Gouverneur von Jakarta war inzwischen Fauzi Bowo, der in Brauschweig und Kaiserslautern studiert hat und 1994 Soerdirdjas Tourismusverantwortlicher war.

Das Jakarta Berlin Arts Festival, auf dessen Gala am morgigen Mittwoch Bowo und Wowi als Schirmherren zugegen sein werden, geht aber auf die Privatinitiative des Wahlberliners und Indonesienkenners Martin Jankowski zurück.

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Der in Greifswald geborene Künstler gehörte zwischen 1987 und 90 zu den Sprechern der Leipziger Bürgerrechtsbewegung um die Nikolaikirche und kam von dort 1995 nach Berlin, wo er zehn Jahre später der Gründungsvorsitzende des Künstlernetzwerks Berliner Literarische Aktion e.V. wurde. Seit 2003 war Martin Jankowski als Vertreter der neuen deutschen Literatur regelmäßig ein internationaler Gast bei indonesischen Kulturbegegnungen. Das brachte ihn auf die Idee, die Richtung dieses Kulturexporrs einmal umzudrehen und selbst zu einem Festival einzuladen.

Der Leipziger Ex-Revolutionär holte dazu unter anderem seinen seelenverwandten Schriftsteller-Kollegen Sosiawan Leak nach Berlin. Bei Sosia ist Martin sicher, dass er jeden Poetry-Slam in Europa gewinnen würde, selbst wenn keiner der Juroren auch nur ein Wort Indonesisch versteht.http://www.pfarrverein-ekbo.de/src/images/Sosia.jpg

Eigentlich heißt Sosia Sosiawan Budi Sulistio. Wegen seines plötzlichen Verschwindens und unerwarteten Wiederauftauchens während der Studienzeit hatten ihn Kommilitonen nach dem balinesischen Kobold Leak benannt. In dieser Zeit hat Sosia seine eindringliche Art der Lyrik-Performance entwickelt. Gedichte wie das erkennbar auf den Diktator Soeharto gemünzte „Der Schweinemann“ hätte er nur unter Lebensgefahr veröffentlichen können. Statt sie zu drucken, verbreitete er diese Poesie mündlich, als Untergrund-Poet, der in Studierenden-Clubs auftrat, die so etwas wie die Nikolaikirche Jakartas waren. Der Massenmörder Soeharto, auf dessen späteren Sturz der „Schweinemann“ anspielt, wurde 1998 in der ostasiatischen Wirtschaftskrise wirklich von seinem Volk aus dem Amt gejagt – fast zeitgleich mit seinem deutschen Freund Helmut Kohl, der allerdings nur demokratisch abgewählt wurde.

http://www.pfarrverein-ekbo.de/src/images/Mohamed.jpgGanz im Kontrast zu dieser kraftvoll-emphatischen und nicht selten drastisch-derben Dichtkunst des poetischen Aufrührers Sosiawan, steht die subtile Lyrik von Mohamed Faizi, den Martin Jankowski am vergangenen Sonntag in ein und derselben Matinee in der indonesischen Botschaft lesen ließ. Mohameds religiös inspirierte, feinsinnige Gedichte spiegeln die Erhabenheit menschlicher Existenz in ihren verborgenen Sehnsüchten nach dem All-Umfassenden wider in der Einsamkeit der Nacht, in der die Tiefen des Universums sichtbar werden.

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Neben Literaten hat der Impressario auch Maler und Fotografen, vor allem aber darstellende Künstler wie Tanz-, Theater- und Pantomine-Truppen, den Puppenspieler Agus Nur Amal, der mit Gebrauchsgegenständen hantiert, die Jazzband „Krakatau“, Gongspieler und Gamelan-Orchester und nichtzuletzt sogar den Modedesigner Harry Darsono eingeladen, der am Freitag im Goya eine Fashion Opera uraufführen will.

http://www.pfarrverein-ekbo.de/src/images/Dr_Menz.jpegAußer diesen Gästen aus dem fernen Inselreich kann man beim Festival auch in Berlin lebende Künstlerinnen und Künstler mit indonesischen Wurzeln kennen lernen. Zu letzteren gehört der über 70jährige Komponist Paul Gutama, der allerdings beim Eröffnungskonzert am vergangenen Samstag mit zwei Uraufführungen seines experimentellen Gamelan Orchesters „Banja Berlin“ schon seine Abschiedsvorstellung gab.

http://www.pfarrverein-ekbo.de/src/images/Moderation_evi_rejeki.jpegIn Berlin leben auch die Zwillinge Sonja und Shanti Sungkono, die indonesische Musik auf einem Kawai-Flügel vorstellten, und ebenso die beiden Moderatoren des Eröffnungskonzerts, der Rock-Pop-Musiker Tomi Simatupang, dessen neustes Album „agape“ demnächst erscheinen soll, und die Schauspielerin Evi Rejeki, die mit ihrem spontanen, humorvollem Charme sofort die Herzen der Zuschauer gewann.

Zu den Schwächen des Festivals gehört eindeutig, dass sämtliche Künstlerinnen und Künstler ohne Gage auftreten müssen. Das Budget, das vor allem aus Mitteln der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin und von Siemens Indonesia gesponsert wurde, reicht gerade mal für Flug und Hotel. Das wäre bei einer Promotiontour, die Künstlern ein neues Publikum erschließt, noch zu rechtfertigen, wenn wenigstens das funktioniert.

Leider schwieg dazu die Berliner Presse das Ereignis zu lange tot. Auch die Ausgestaltung der Formate passt nicht immer zu den Erwartungen, die hier beim Publikum geweckt werden. Bei der literarischen Matinee in der Botschaft galt das Interesse eines älteren Herrn vor allem Reiseprospekten, die aber am Büchertisch gar nicht auslagen. Am Samstag, nach dem Eröffnungskonzert, tat es einem Besucher beim Rausgehen um den Eintritt leid: „Det Jequatsche tu ick mir nich mehr an. Wir zahln jenuch für det Jequatsche im Bundestach, da muss ick nich noch für det Jequatsche hier bezahlen.“

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Tatsächlich hatte das Konzert zu gefühlten fünfzig Prozent aus Reden bestanden, was für ein zahlendes Publikum eindeutig zu viel ist. Ein klassischer Formatfehler, der durch ein entsprechend erweitertes Beraterteam relativ einfach zu vermeiden gewesen wäre. Ein Festival, das die breite Masse ansprechen will, muss deren Bedürfnisse ernst nehmen, dann lässt sich ihr erfahrungsgemäß fast alles verkaufen – selbst Qualität.


Bilder (in der verwendeten Reihenfolge):

Der Gongspieler Sayo beim Eröffnungskonzert (F: Heinz Kunis)

Das Tanztheater Padnecwara bei der Aufführung von “Roro Mendut” (F: selbst)

Jakartas Ex-Gouverneur Soerjadi Soerdirdja (offizielles Galeriebild)

Jakartas jetziger Gouverneur Fauzi Bowo (offizielles Galeriebild)

Martin Jankowski um 1990 (F: unbekannt)

Sosiwan Leak bei Matinée in der Botschaft (F: selbst)

M. Faizi bei der Matinée (F: selbst)

Antje Engel singt zu Gamelan-Musik bei der Matinée (F: selbst)

Staatssekretär Dr. Meng (Berlin) beim Eröffnungskonzert (F: Heinz Kunis)

Evi Rejeki beim Eröffnungskonzert (F: Heinz Kunis)

Seine Exzellenz Botschafter Eddy Pratomo beim Eröffnungskonzert (F: selbst)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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