Zwischen den Fronten Front machen

Freitag-Salon Hamed Abdel-Samad und Jakob Augstein sprachen über faschistische Tendenzen im Islam: Personenschutz, Taschenkontrollen, ausverkauft. Schuld daran ist eine Fatwa

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Hamed Abdel-Samad und Jakob-Augstein im Maxim-Gorki-Theater
Hamed Abdel-Samad und Jakob-Augstein im Maxim-Gorki-Theater

Foto: eigene Aufnahme

"Abdel-Samad hat den Islam beschmutzt, für ihn ist der Islam eine schlechte Religion. Das Urteil ist, ihn zu töten, selbst wenn er bereut, weil er den Propheten Mohammed verunglimpft hat. Er muss getötet werden und Reue wird nicht akzeptiert." Das soll Scheich Assem Abdel-Maguid gesagt haben, der Vorsitzende Partei der Gamaa al Islamiyya, das berichtete jedenfalls vor 4 Monaten Anna Osius für die ARD.

Die Todesfatwa gegen den deutsch-ägyptischen Politologen erklärt die Personenschützer, die Taschenkontrollen und den Ausverkauf, noch bevor der gestrige Freitag-Salon überhaupt angekündigt worden war. Zum Glück hatten sich aber viele Eingeladene oder Interessierte nur reflexartig eine Karte gesichert und sie dann doch nicht abgeholt, sodass über 30 Freitags-Leser und –Blogger schließlich noch reinkamen.

Beim gestrigen Salon gab es sogar Pressekarten für Journalisten anderer Medien, unter ihnen Abdel-Samads Freund Henryk M. Broder. Vor knapp zwei Jahren, waren die beiden in der ersten Staffel von „Entweder Broder“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf „Deutschlandsafari“ unterwegs. Wie da ein Jude und ein Moslem einmütig über Deutschland und die dokumentiertermaßen manchmal etwas seltsamen Deutschen den Kopf schüttelten, wirkte wie eine neuartige Idee, wie Anhänger zweier sonst leider oft verfeindeter Religionen sich sehr schnell sehr einig werden können.

In Wahrheit saßen da jedoch zwei überzeugte Anti-Islamisten am Steuer ihres Safari-Gefährts, von denen lediglich ihrer Abstammung her gesagt werden kann, dass der eine jüdische und der andere islamische Wurzeln hat.

Bei Abdel-Samad geht die kritische Solidarität mit seiner Ursprungswelt so weit, dass er sein Leben für sie aufs Spiel zu setzen bereit war. Der von den deutschen Medien zum Klitschko der Arabellion hochstilisierte Wissenschaftler nahm im vergangenen Jahr freiwillig diese Rolle zwischen den Fronten ein. Zwischen den aus seiner Sicht faschistoiden Muslimbrüdern einerseits und der gerade gestürzten Machtelite andererseits stellte Abdel-Samad sich klar an die Seite jener Intellektuellen, die als ursprüngliche Vorhut der Arabellion mehr Freiheit und Demokratie als unter Mubarak gefordert hatten und unter den dann mehrheitlich vom Volk gewählten Muslimbrüdern dann noch weniger Freiheit bekamen.

Über Abdel-Samads Auftritt in Kairo, der ihm die Fatwa einhandeln sollte, schrieb vor knapp einem jahr Julia Gerlach in der Berliner Zeitung: „Den Zorn der Radikalen zog er auf sich, als er – auf Einladung des Vereins ‚die Säkularen‘ – kürzlich in Kairo einen Vortrag mit dem Titel ‚der religiöse Faschismus‘ hielt. Darin sagte er, dass der islamische Fanatismus nicht erst mit dem Aufkommen der islamischen Bewegungen im vergangenen Jahrhundert begann, sondern die Saat für Intoleranz und Unterdrückung bereits bei der Gründung des Islams durch den Propheten gelegt wurde.“

Die Religion als Problem

Damit war nicht nur die Fatwa, sondern auch die Diskussionslinie des gestrigen Abends vorgezeichnet. Dieselbe These wie auf dem Vortrag in Kairo steht auch im Zentrum seines im kommenden Monat erscheinenden Buches „Der islamische Faschismus“, aus dem Gastgeber Jakob Augstein ihm diverse Sätze vorhielt und sie kritisch zu hinterfragen versuchte. „Der Islamismus entstand parallel zum italienischen Faschismus und zum Nationalsozialismus. Sein faschistoi­des Gedankengut allerdings reicht viel weiter zurück - es ist bereits im Ur-Islam angelegt.“ (Klappentext)

Abdel-Samad sieht hier den entscheidenden Unterschied zum Christentum, das sich drei Jahrhunderte lang unter Verfolgung ausbreitete, während der Islam schon zu Lebzeiten des Propheten an die Macht kam. Jesus und/oder seine Anhänger (Ergänzung des Referenten) mussten und konnten den heidnischen Säkularstaat als Gott gegebene Institution neben der religiösen Gemeinde anerkennen und sagen: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gebt Gott, was Gottes ist.“ Der Prophet konnte diesen Unterschied schon deshalb nicht machen, weil er selbst der „Kaiser“ wurde und weltliche und geistliche Macht in einer Hand konzentrierte (der byzantinische Cäsaropapismus tat das zu Mohammeds Zeit allerdings ebenfalls).

Abdel-Samads scheinbar unvorteilhafter Vergleich kursiert in dieser oder jener Form schon seit langem. Man bringt ihn oft mit der Bergpredigt und christlichen Gewaltfreiheitsidealen zusammen, die tatsächlich in der Anfangszeit und dann später immer mal wieder im Christentum eine Rolle gespielt haben, allerdings auch oft genug von Menschen als Ideale hochgehalten wurden, die das Gegenteil praktizierten.

Jakob Augsteins erste kritische Anfrage war dann auch, dass der Autor die Religion für zu vieles verantwortlich mache und konkrete wirtschaftliche oder soziale Verhältnisse dabei doch auch eine Rolle spielen. Sein Gast erwiderte, er berücksichtige das alles und erklärte auch, wie beides hier für ihn erkennbar zusammenhängt.

Man weiß: Armut, wirtschaftlich-technologische Rückständigkeit und Islamismus treten häufig zusammen auf. Der Kolonialismus der Neuzeit habe deshalb zweifellos zum Islamismus geführt. Nur seien die Kolonialherren, die ihn verursacht hätten, in der arabischen Welt nicht die Europäer, sondern die Osmanen gewesen.

Abdel-Samad räumt im scheinbaren Widerspruch zur Kernthese aus seinem Klappentext sogar ein, dass die islamische Welt während des gesamten Mittelalters wissenschaftlich und technologisch führend und geistig liberaler war als Christentum. Dies sei aber dem weniger strengen Islam dieser Zeit und der großen Offenheit islamischer Herrscher gegenüber den Errungenschaften heidnischer Kulturen zu verdanken, mit denen der Islam bei seiner Ausbreitung in Berührung kam. Eine Offenheit, die den Christen damals fehlte, weil ihnen bis hinein in die Wissenschaft alles urpsrünglich Heidnische lange suspekt war.

Die Kreuzzüge hätten zwar viel Leid gebracht, aber auch Handelsbeziehungen und befruchtenden geistigen und technologischen Austausch. Die Stagnation sei erst in den 500 Jahren danach eingetreten, und dies habe mit einer Grundsatzentscheidung des Osmanischen Reiches zu tun, die von Gutenberg erfundene Technologie des Buchdrucks in der islamischen Welt nicht zu übernehmen. Dadurch sei sie von da an von der Entwicklung des Wissens abgeschnitten gewesen, sodass sie nicht vorbereitet war, als später die technologisch und logistisch auf der Höhe der Zeit ausgestatteten europäischen Kolonialherren gekommen seien und als nicht-islamische Kolonialmächte die Türken abgelöst hätten.

So lautet - etwas verkürzt - der für Abdel-Samads Analyse maßgebliche Abriss der wechselvollen Geschichte von Orient und Okzident. Er bedient sich durchaus materialistischer Logik, verkennt aber zugleich nicht, dass auch aus religiösen Ängsten begründete Entscheidungen den Gang der Geschichte beeinflussen können.

Religion als Folklore

Einen konstruktiven Beitrag zur Weltgeschichte traut Hamed Abdel-Samad der Religion indes nicht zu. Erträglich wird sie für ihn nur als entpolitisierte Gedankenwelt, reduziert auf private Überzeugung oder öffentlich zelebrierte Folklore. Ein starker Säkularstaat sollte seiner Ansicht nach der Religion – auch der christlichen in Europa – jede politische Macht nehmen, alle Privilegien beseitigen und ihr jede Bevormundung verbieten. Wenn deren Macht wegfalle, bleibe von der Religion nur Folklore übrig, mit deren Existenz man gut leben könne. Das gelte für das Christentum, wie für den Islam, nur dass das Christentum auf diesem Wege schon weiter sei, weil es den Säkularismus akzeptiert habe.

Ich selbst saß übrigens, während ich mir Abdel-Samads Weltdeutung anhören musste, in einer der vorderen Reihen, den schlagfertigen Hamed vor mir und den nicht minder schlagkräftigen Freund Broder hinter mir, der Abdel-Samads Pointen hin und wieder mit hörbar bissigen Spitzen ergänzte. Auch als mich JA freundlicherweise mit einer kritischen Frage zum Religionsbegriff zu Wort kommen ließ, blieben mir Broders spöttische Zwischenrufe nicht erspart.

Was mich an Abdel-Samads Religionsbegriff störte, war die absichtsvolle Reduktion auf bloße Folklore. Nicht, weil dies meine eigene Bedeutung als Theologe schmälert oder Theologie als solche gegenstandslos macht, oder vielleicht auch deshalb, aber vor allem, weil jede fehlerhafte Analyse wieder zu falschen Schlussfolgerungen führt. Und das könnte bei einem global so relevanten Thema ein verhängnisvoller Fehler sein.

Ich warf Abdel-Samad vor, er würde verkennen, dass Religion durch etwas anderes attraktiv sei, das mehr sei als bloße Folklore oder das bloße in Ruhe gelassen Werden von aggressiven Bevormundern. Jede Religion enthalte im Kern eine „soziale Utopie“, die ihre Anhänger anziehe (wie das Licht die Fliegen), die sie zum Teil nur beschwöre, zum Teil aber auch einfordere und verwirkliche. Im Christentum sei diese soziale Utopie u.a. unter dem Label „Reich Gottes“ und dem Ideal der Nächstenliebe thematisiert und durch soziales Engagement von Christen in die Tat umgesetzt worden. Eine vergleichbare soziale Utopie gebe es auch der Mutterreligion des Christentums, dem Judentum, aber auch im Islam. Gerade bei Fundamentalisten sei die Sozialarbeit in Brennpunkten besonders ausgeprägt, und diese Sozialarbeit würde bei den Sympathisanten entscheidend zur Glaubwürdigkeit der Fundamentalisten und zum Zuspruch für sie beitragen.

Hamed Abdel-Samad ließ dieses Argument jedoch nicht gelten. Das soziale Engagement bei den Islamisten bestritt er zwar nicht, das Sozialengagement sei aber nicht der eigentliche Zweck, sondern nur Mittel für etwas anderes, um nämlich Glaubwürdigkeit zu erlangen und Anhängerschaft zu rekrutieren.

Dieser Täuschungsvorwurf hebelt jedoch mein Argument nicht aus. Entscheidend ist dafür nicht, was die Islamisten im Schilde führen, sondern für welchen Islam sie in den Augen ihrer Anhänger stehen.

Auch Henryk M. Broder konterte meine Frage, noch vor Abdel-Samad und noch während ich sie stellte, mit der Bemerkung, das käme 400 Jahre zu spät – was ich nicht verstand – und schließlich mit der Bemerkung „Folklore und Missbrauch“. Das war zumindest verständlich.

Macht und Missbrauch hängen so eng zusammen, dass Missbrauch unter Umständen allein übrig bleibt, wenn man die Macht wegnimmt. Aber Broders Spitze zeigt auch, wohin die Abwesenheit jeder sozialen Utopie führt. In freier Anlehnung an das Bonhoeffer-Zitat mit der Gregorianik könnte man sagen: Folklore ist ohne Einstehen für eine soziale Utopie schon ein Missbrauch der Folklore, weil Folklore zur Begleitmusik von Machtmissbrauch wird, wo sie den gleichzeitig stattfindenden Missbrauch schweigend oder singend akzeptiert.

Was sonst noch geschah

Weil er mit dieser Spitze eher Wasser auf meine Mühlen goss, konnte mich Broder mit dieser kleinen Attacke nicht erschrecken. Zum Glück hatte der in seinem Eintreten für Gerechtigkeit manchmal übereifrige Publizist seine bislang schlimmsten Angriff insoweit zurückgenommen, als dass er sich vor gut einem Jahr öffentlich bei Augstein für seine Fatwa gegen diesen Kollegen entschuldigt hat. Auch wenn die von von Broder ursprünglich geforderte totale gesellschaftliche Ächtung Augsteins nicht auf Mord, sondern "nur" auf Rufmord gezielt hatte, war sie vom beabsichtigten Beseitigungseffekt her mit der Fatwa der Religionsgelehrten gegen Abdel-Samad durchaus vergleichbar. Allerdings ebenso, was ihre Wirkungslosigkeit und den paradoxen Effekt betrifft, dass die beide Autoren, Augstein wie Abdel-Samad, dadurch in der deutschen Öffentlichkeit nur noch bekannter und glaubwürdiger wurden und dass an ihrer statt kurze Zeit danach ihre Gegner erledigt waren: Der Broder durch einen unsichtbaren Zusammenhalt der Medien-Mogule und die Brüder durch die – von Säkularisten inzwischen herbeigesehnte - Konterrevolution des ägyptischen Militärs.

Am Tag vor diesem Salon waren die ersten 529 Muslim-Brüder in einem in der neueren Geschichte einmaligen Massenprozess abseits aller Menschrechtsstandards zum Tode verurteilt worden. Weitere Justizmorde könnten folgen. Auch wenn darüber gestern nicht ausdrücklich gesprochen wurde, war klar: Diese Unrechtsurteile waren nicht das, was Abdel-Samad und seine säkularistischen Freunde hatten erreichen wollen. Die Lösung ist weder der Islam der Muslim-Brüder, noch der jetzt wieder gegen sie wütende Anti-Islamismus der alten Eliten. Was Menschen brauchen, was ihnen gut tut, sieht anders aus. Und dieses "Andere", das ihnen gut tut, ist auch das, was, wenn man denn nach ihm fragt, und wenn er sie denn so geschaffen hat, im Sinne ihres Schöpfers sein muss.

Heute, zum Erscheinungstag der Buches, brachte der DLF einen "konzentrierten Salon-Mitschnitt". Marie Wildermann hat für ihre Buchbesprechung ein paar wesentliche O-Töne von JA und Hamed aus der live-Diskussion im Gorki zusammengeschnitten und (ohne zu werten) erläutert:

http://www.deutschlandfunk.de/islam-totalitaeres-gottesbild-als-vorbild-fuer-diktatoren.886.de.html?dram:article_id=281650

In einem audiformat kann man ihren Beitrag auch nachhören.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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