Die Jungs von der Müßig-Gang

Musik Von wegen Generation Aufputschmittel: Earl Sweatshirt und King Krule drosseln das Tempo
Ausgabe 50/2013
Chillt: King Krule
Chillt: King Krule

Foto: Cory Schwartz/ AFP/ Getty Images

Was bleibt von diesem Jahr musikalisch gesehen? Neue Alben von Daft Punk, Kayne West und Jay-Z, von Black Sabbath und David Bowie. Nicht zu vergessen die zehnte Platte von Tocotronic im 20. Jahr ihres Bandbestehens. 20 Jahre sind im Pop eine echt lange Zeit. Smells like Gerontokratie. Bevor wir uns in diesem Sinne auf das Nirwana-Gedächtnisjahr 2014 einstimmen – im April 1994 erschoss sich deren Sänger Kurt Cobain –, sei hier noch schnell auf zwei Musiker hingewiesen, die vor 20 Jahren noch nicht einmal geboren waren: Earl Sweatshirt und King Krule.

Beide sind Jahrgang 1994, der eine lebt in Los Angeles, der andere in London, sie sind weder verwandt noch musikalisch direkt verbandelt. Archie Samuel Marshall, wie King Krule mit bürgerlichem Namen heißt, ist ein spindeldürrer Brite. Zerstrubbelter roter Haarschopf, an den Seiten millimeterkurz rasiert. Meist trägt er Jackett, immer ein Hemd, beides latent zu weit geschnitten, soll heißen: sitzt perfekt. Seine erste Single hat er mit 15 unter dem ebenfalls tollen Namen Zoo Kid veröffentlicht. Im August dieses Jahres ist sein Album 6 Feet Beneath the Moon erschienen.

Im Kollektiv und solo

Über die Haare von Thebe Neruda Kgositsile alias Earl Sweatshirt gibt es wenig zu sagen. Er trägt meist Basecap oder Sonnenhut. Gerne auch ein Hemd, aber kurzarm. Er ist Mitglied des Kollektivs Odd Future, sein zweites Solo-Album Doris erschien ebenfalls im August. „Too black for the white kids, too white for the blacks“, rappt er über sich. Der Earl ist musikalisch im HipHop zu Hause, King Krule ist nicht so klar zu verorten. Seine Stimme tönt, als säße er seit Grundschultagen am Tresen, dieser Hypothese widersprechen seine feingliedrigen instrumentalen Arrangements, die so ziemlich alles zitieren, was die britische Musikgeschichte für Menschen hervorgebracht hat, die ihre Augen in Gesellschaft am liebsten auf den Boden einer Tanzfläche oder eines Bierglases heften oder zumindest hinter schwarzen Brillengläsern verbergen. „Easy, Easy“ heißt die erste Single, was durchaus programmatisch zu verstehen ist, denn eilig haben es die meisten seiner Songs – das gilt übrigens gleichfalls für Earl Sweatshirt – nicht. „Laid-back“ hieße das in London, im Deutschen fehlt ein adäquater Begriff. „Wie sagt man Chillen auf gut Deutsch?“, fragte neulich eine Schülerin hinter der Supermarkt-Kasse ihre Kollegin vom Band gegenüber. Ratloser Blick. „Müßiggang!“ „Müßig-Gang, Alte, was ist das denn?“

Andererseits: In dem durch Sofia Coppolas Film The Bling Ring wohl bekanntesten Song, an dem Earl Sweatshirt beteiligt war, Super Rich Kids mit seinem Odd-Future-Kollegen Frank Ocean, da geht es genau genommen tatsächlich nicht ums Chillen, sondern um Müßiggang aka aller Laster Anfang: „Too many bottles of this wine we can’t pronounce. (…) Too many joyrides in daddy’s Jaguar“. Die Kids im Film brechen dann aus Langeweile in Promivillen ein. Wie Earl Sweatshirt das mit seinem monotonen – „laid-back“ wäre auch hier das bessere Attribut – Bariton rappt, meint man die Schwere des unaussprechlichen französischen Rotweins im Kopf zu spüren. Das aber ist mit großer Wahrscheinlichkeit reine Projektion aus der seltsamen Welt der Erwachsenen.

6 Feet Beneath the Moon King Krule XL/ Beggars Group 2013

Doris Earl Sweatshirt Col/ Sony Music 2013

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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