"Man haut nicht das eigene Viertel zu Klump“

Hamburg An dem autonomen Kulturzentrum Rote Flora hat sich ein Machtkampf entzündet. Ted Gaier von den Goldenen Zitronen erzählt, wie er die Auseinandersetzungen erlebt hat

Wurfgeschosse, Knüppel, drastische Bilder – jetzt ist halb Hamburg zum „Gefahrengebiet“ erklärt worden. Wie haben Sie die jüngsten Auseinandersetzungen erlebt?

Wir waren mit dem Schwabinggrad Ballett auf einem Lautsprecherwagen dabei. Die Wahrnehmung, die wir von dort hatten, war eine ziemlich andere als das, was da medial verbreitet wurde. Wir und die vielleicht ein-, zweitausend Leute um uns herum waren von der Polizei gleich zu Beginn blockiert und getrennt worden von dem tobenden Kampf vor der Flora. Da stand man dann etwa vier Stunden lang im Schanzenviertel in der Kälte, und gelegentlich wurden die vorderen Reihen von Polizisten gegen Häuserwände gedrückt. Ab und an wurden Demonstranten, die Pfefferspray ins Gesicht bekommen hatten, zum Verarzten zum Lautsprecherwagen gebracht. Dass es uns dann gegen 18.30 Uhr gelang, mit unserem Wagen über Schleichwege zu den Esso-Häusern zu gelangen und dort eine inhaltlich sehr fundierte Kundgebung abzuhalten, darüber hat niemand berichtet. Auch nicht von dem Open Mike, das wir einrichteten, und über das auch etliche nicht gelernte Linke ihren Unmut zum Ausdruck brachten. Ein Obdachloser, zum Beispiel, der lange bei der Flora übernachtet hatte, außerdem mehrere BewohnerInnen der Häuser, ein afrikanischer Migrant – und Zlatko, der in den Esso-Häusern einen Club betreibt und eine sechsstellige Summe in sein Lokal gesteckt hat. Geld das jetzt einfach weg ist, ohne dass es dafür eine Kompensation seitens des Investors gäbe.

Bei den Diskussionen um die Hamburger "Gewaltspirale" gewinnt man den Eindruck: Der Protest spaltet sich gerade auf – in den vermummten Schwarzen Block auf der einen, und ein friedlicheres Lager, den „alternativen Block“, auf der anderen.

Eigentlich war ich immer der Meinung, dass diese Trennung von Militanten versus Friedlichen nicht funktioniert. Es gab bei fast allen Kämpfen der letzten fünfzig Jahre alle möglichen Protestformen, die in ihrer Unterschiedlichkeit zusammengedacht werden müssen. In Wackersdorf, Gorleben zum Beispiel. Und in der Hafenstrasse, die es so heute bestimmt nicht gäbe, hätte man damals nicht das Gewaltmonopol des Staates gebrochen. Aber das Problem mit dem sogenannten Schwarzen Block ist schon, dass sich von dieser Seite niemals jemand in einem Vorbereitungsplenum hinstellt und klar sagt: „Unser Ziel ist eigentlich nicht die Frage, was mit den Esso-Häusern oder mit der Roten Flora passiert, im Grunde genommen halten wir das für Kleinscheiß, sondern es geht uns darum, unseren Hass auf die Bullen zu artikulieren.“

Darauf könnte man sagen: „Dann seid ihr halt falsch hier, hier geht es jetzt um den konkreten Stadtbezug.“ Die Esso-Häuser und der Kampf der Lampedusa-Flüchtlinge sind nunmal keine anarchistischen Projekte, und die Rote Flora lebt auch von ihrer Akzeptanz im Schanzenviertel. Ausserdem – wie sagt die alte Gaunerweisheit: „Man haut das eigene Viertel nicht zu Klump". Ich finde, es ist eigentlich ein Riesenerfolg der Flora, dass sie eine derartige Akzeptanz im Viertel hat, obwohl sie bisher kaum Zugeständnisse an den realexistierenden Kapitalismus um sie herum gemacht hat. Wenn die Flora-Leute heute durchs Viertel gehen und Unterschriften sammeln, erklärt die Hälfte der umliegenden kleinen Läden ihre Solidarität.

Stimmt es, dass friedlichere Demonstranten in der Anti-Gentrifizierungs-Szene von manchen als „Peaceniks“ verhöhnt werden?

Ja, das gibt es. Wir vom Ballett haben deshalb bei den Demos absichtlich so ganz bunte, weite Puttärmel getragen, im Stile einer Salsa-Band – um uns gleich selbst als Peaceniks zu kennzeichnen, wenn wir eh schon so genannt werden, in Teilen des autonomen Umfelds. Ganz im Ernst: Man kann nicht den Budnikowski [Anm.d.Red.: einen Drogeriemarkt] einschlagen, schon gar nicht wenn da Leute drin sind. Während bei den kaputten Scheiben an einem neuen Investoren-Hotel bestimmt einige Kiezianer klammheimliche Freude empfunden haben werden. Was mich wundert ist, dass diese ganze militaristische „Marzialik“ nicht längst mal feministisch diskutiert wird. Der Frauenanteil bei den Leuten neulich schien mir in etwa der zu sein wie bei Dax-Konzernen.

Ted Gaier (*1964) ist Gründungsmitglied der Band Die Goldenen Zitronen und Aktivist beim Schwabinggrad Ballett – einem Polit-Kunst-Kollektiv, das sich in Hamburg stark in der „Recht auf Stadt“-Bewegung engagiert. Nach der Krawall-Demo rund um das linksautonome Kulturzentrum Rote Flora sagt er: „Wir müssten den militaristischen Ansatz auch mal feministisch diskutieren.“

Das neue Album der Goldenen Zitronen "Who´s Bad" ist vor wenigen Wochen bei Buback Tonträger erschienen, die Band ist zur Zeit bundesweit auf Tour

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Das Gespräch führte Christine Käppeler
Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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