The Good, the Bad und der Affenmann

Musik Beck macht es vor: Die Neubearbeitung eines Werks muss nicht an Retromanie kranken. Sein "Song Reader" inspiriert den "New Yorker" – und Philip Glass inspiriert Beck
Reworked: Der Komponist Philip Glass
Reworked: Der Komponist Philip Glass

Foto: Brad Barket/ Getty Images

Nostalgie war ja das große Thema unserer Ausgabe zum Jahresende 2012. Auch der Popjournalist Simon Reynolds kam darin zu Wort, der in seinem Buch Retromania der Popkultur diagnostiziert, dass sie von ihrer eigenen Vergangenheit krankhaft besessen ist. Exemplarisch nennt er das Cirque-du-Soleil-Projekt Love, für das Ex-Beatles-Produzent George Martin 130 Beatles-Aufnahmen verwurstete. Reynolds Diagnose ist schlüssig, doch dass nicht jedes Remix-Projekt an dieser pathologischen Neigung krankt, zeigt das Doppelalbum Rework: Philip Glass. Glass, im vergangenen Jahr 75 geworden, hat den Musiker Beck Hansen mit diesem Projekt betraut. Über Beck kann man diese Tage nicht sprechen, ohne sein neues Album Song Reader zu erwähnen, das in der eigenwilligen Form eines Songbuchs erschienen ist, welches der Fan selbst performen soll. Was dieser tut – 165 Youtube-Videos (Stand Altjahrabend 2012) sind auf songreader.net bereits abrufbar, hervorgehoben sei hier nur die ambitionierte Hausmusik-Version aus der New Yorker-Redaktion, die in jedem beliebigen Wes-Anderson-Film Bella Figura machen würde (ja, auch auf dem Unterseeboot von Steve Zissou). Der Rest sortiert sich von selbst in die Kategorien „The Good, the Bad and the Ugly“ ein.

Doch zu Glass und den Profis. Keigo Oyamada alias Cornelius zum Beispiel – auch der Beck Japans genannt, weil er zeitgleich zu dessen Loser-Phase in einem Affenkostüm schräge Casio-Spielereien veröffentlichte –, spielt überraschend nüchtern die Eröffnungsequenz der Komposition Glassworks auf dem Klavier nach. Ganz anders Beck, der unter dem Titel NYC: 73-78 ein 20-minütiges Medley komponiert hat, mehr Beck als Glass. Das Elektropopduo My Great Ghost raut den Glass’schen Sound so auf, dass die für ihn typischen Soundschleifen zu kreischen beginnen. Und auch der brasilianische Musiker und DJ Amon Tobin, scheint Warda’s Whorehouse übers Schmirgelpapier zu ziehen. Was man auch als Laie, bei aller Liebe zu Flächen und kristallinen Klängen, in den vergangenen Jahren mit Glass-Kompositionen ab und an selbst ganz gerne getan hätte, seit diese immer öfter nach Truman Show (Filmmusik 1998) und seltener nach Koyaanisqatsi (1983) klangen. Das Potenzial der kristallinen Klänge wiederum schöpft der Berliner Künstler und DJ Hendrik Weber aka Pantha du Prince (einer der besten dieser Tage, und auf Seite 15 im Interview) in seiner Bearbeitung von Mad Rush Organ voll aus. Das Flirren der hohen Orgeltöne bettet Weber in das für ihn so typische elektronische Klirren ein, die Klage der tieferen Lagen fängt er mit warmen Flächen auf.

Rework trifft es also: eine Wiederbearbeitung, eine Neubearbeitung. Vielleicht wäre in den vergangenen Jahren so mancher Unsinn nicht passiert, hätte dieses schöne Wort, das die Arbeit am Ausgangswerk im Namen trägt, sich durchgesetzt, und nicht der Remix, mit seiner begrifflichen Nähe zum klebrigen Misch-Getränk. Dem Wagner-Jahr sähen wir ein wenig angstfreier entgegen. Und Philip Glass? Kennt keine Angst vor nichts: Im Sommer 2013 hat seine Oper über Walt Disney Premiere.

Rework: Philip Glass Beck, Cornelius, Tyondai Braxton, u.a. Kora Records/ COADEX 2012

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

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