Liebevolle Körperverletzung I

Grundrechtekonflikt Kann über das Aufreger-Sommerthema Deutschlands, die Beschneidung, sachlich geschrieben werden? Ein Versuch.

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Liebevolle Körperverletzung?

Kann überhaupt noch ohne Verdächte und haltlose Unterstellungen über die religiös motivierte, weltweit praktizierte und Jahrtausende lang durchgeführte Beschneidung muslimischer und jüdischer Jungen diskutiert werden? - Kanzlerin Angela Merkel fürchtet, der deutsche Staat könne sich international lächerlich machen. Der Bundestag hat mit einer Resolution, die im Wortlaut zumindest eine Garantie der religiösen Praxis in Aussicht stellt, eine schnelle gesetzliche Regelung für den Herbst 2012 gefordert. Im Web tobt der Bloggerkampf, so, als stünden die Jus- und Moral -Absolventen, in dieser Sache selbst an den Schranken Justizias und hielten ihre Plädoyers für die Einser-Abschlussprüfung.

Kritiker der Beschneidung, unter ihnen auch 400 Ärzte, Juristen und Hochschullehrer (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/offener-brief-zur-beschneidung-religionsfreiheit-kann-kein-freibrief-fuer-gewalt-sein-11827590.html ), appellieren, grundgesetzlich garantierte individuellen Personenschutzrechte die den Kindern so zustehen wie den Erwachsenen, nicht einfach aufzugeben, indem man die bestehende, bisher kaum juristisch angefochtene Praxis ohne wesentliche Bedingungen weiterhin toleriert. - Tatsächlich können haarsträubende, wenn auch hierzulande eher seltene, Komplikationen und glatte Fehler, das allgemeine Risiko des chirurgischen Eingriffs, der begleitenden Schmerzlinderungs- und Anästhesiemaßnahmen, so wenig geleugnet werden, wie die mögliche psychische und körperliche Traumatisierung, die im sensiblen Alter zwischen 4 und 6 Jahren ein Risiko darstellt.

Nach der Urteilsbegründung der ersten kleinen Kammer der Kölner Landgerichts, erfüllt die Beschneidung männlicher Säuglinge und Kleinkinder aus religiösen Gründen immer den Tatbestand der Körperverletzung und der Kindesmisshandlung, sofern es sich dabei nicht um einen ärztlich gebotenen Eingriff handelt. Bei älteren Jungen kommt es danach zukünftig auf deren glaubwürdige und überprüfbare Zustimmung an, ob eine Beschneidung juristisch als Körperverletzung und Kindesmisshandlung gewertet wird. - Zum ersten und letzten Mal dürfte in Deutschland, ein mit dem Willen der Eltern handelnder Arzt, ein muslimischer Sünnet oder ein jüdischer Mohel frei gesprochen worden sein, sollte das Urteil Schule machen. Eine Anzeige der Eltern, weil sie damit eine Körperverletzung und Misshandlung forderten oder veranlassen, wäre bald die Regel.

Das Urteil hat Folgen

Das Kölner Urteil erzwingt, sich unter Zeitdruck mehr Gedanken zu machen als bisher, selbst wenn manche Beobachter lieber schmunzeln und lachen, über diese seltsame Ausformung des deutschen Regelwahns. Es wird nicht ohne klärendes Gesetz weiter gehen können, denn derzeit entscheidet allein die Willkür der Anzeigenden und die örtliche Staatsanwaltschaft nach den Vorermittlungen.

Bleibt es bei der einseitigen juristischen Interpretation des aktuellen Urteils, dann macht sich Deutschland tatsächlich zum Gespött der Welt. Ca. 750 Millionen muslimische Männer, ca. 12 Millionen jüdischer Beschnittene und 50-75 Millionen freie und tapfere US-Boys, an irgendwas oder an gar nichts aus dem Fundus der mehr als 2000 Religionen der großen Nation glaubend, gehen weder mehr, noch weniger glücklich als ihre unbeschnittenen Nachbarn durchs Sex- und Familienleben. Sie sind keine Opfer elterlicher oder religöser Gewalt.

Verallgemeinerte sich die Rechtsprechung des Landgerichts, so träfe es vor allem jüdische Gemeinden im Kern ihrer religiösen Überzeugungen. Aber auch für muslimische Eltern würde es zukünftig wesentlich schwerer, die rituelle Beschneidung zu den bisherigen Zeitpunkten durchführen zu lassen. Allein schon die Unsicherheit bezüglich des rechtlichen Status schadet von nun an jeden Tag, weil Menschen im Glauben, wie im absoluten Unglauben gleichermaßen, nach Auswegen für die Verwirklichung ihrer tiefsten Überzeugungen suchen und dabei häufig zu Risiken veranlasst werden, die sie besser nicht eingingen.

Aus der Körperverletzung wird ein zulässiger, medizinischer Eingriff

Juristische Meinungsbildungen zum Thema stellen selten Kompromisse oder Lösungswege für das Dilemma in Aussicht. Meist dominiert eine rigide vorgetragene Rechtsmeinung. Das ist zum Beispiel auch in den Fachaufsätzen der Fall, auf die sich die Kölner Richter bei ihrem Urteil beriefen (Holm Putzke).

Keine Frage, es muss so sein, denn dafür sind Juristen da. Ist ein Thema streitig, dann möge ein höheres Gericht oder ein hoffentlich salomonisch-weiser Gesetzgeber, letztinstanzlich festlegen was nun Recht ist, oder aber, das Volk in Gestalt seiner Abgeordneten, muss ein neues Gesetz erlassen. - An diesem Punkt ist die Diskussion unweigerlich angekommen.

Fast jeder Bürger des Landes dürfte wissen, dass ärztliche Eingriffe erst einmal den Tatbestand der Körperverletzung erfüllen. In Notlagen, zumeist aber durch Vereinbarungen zwischen Ärzten und Patienten, entsteht über die so genannte „informierte Zustimmung“ eine gültige Einwilligung (Behandlungsvertrag), die in einfachen Fällen nicht einmal schriftlich niedergelegt sein muss.

Nebenbei: Gesellschaft und Recht akzeptieren eine Vielzahl körperlicher, durchaus auch schmerzhafter Eingriffe außerhalb dessen was Ärzte als Heilkundige nach dem Stand der Wissenschaft und der guten Praxis für notwendig erachten. Das gilt selbst dann, wenn damit direkte Risiken, schädliche Folgewirkungen oder eine Stigmatisierung (Ausgrenzung durch Abweichungen von Standards) verbunden sein können. Es reichen dazu: Der Wille des mündigen Bürgers, sein Geldbeutel, das bürgerliche Gesetzbuch und die allgemeinen Geschäftsbedingungen der jeweiligen Dienstleister.

Was gilt nun aber bei einer, von den Eltern, -möglichst von beiden- , gewünschten Beschneidung aus religiösen Motiven, die an ihren Söhnen vollzogen werden soll?

Das entscheiden die Kinder nicht für sich! Äußerten sie sich zustimmend oder ablehnend, wenn sie es schon können, käme es eine längere Zeit der Kindheit darauf gar nicht an! Selbstverständlich gilt dies nicht nur für religiös erziehende Eltern, sondern für alle Sorgeberechtigten die durchaus „einschneidend“, gegen den Willen ihres Nachwuchses, jedoch im Interesse des Kindeswohls, erziehen dürfen und es nach unserem Rechtsverständnis sogar sollen.

Sind die Kinder jedoch älter, die Grenze wird bewusst nicht scharf definiert, weil „Reife“ nicht an einen festen Zeitpunkt gebunden sein kann, können die Eltern den Willen ihres Nachwuchses auch in diesen Fragen nicht mehr einfach übergehen. Auf den Willen den Kindes kommt es dabei viel früher an, weil in seine Körperlichkeit eingegriffen wird, als es uns die juristische Absicherung der freien Religionswahl, die mit 14 Jahren einsetzt, vorgibt.

Ist die Beschneidung eine Körperverletzung?

Das Kölner Gericht entschied sich dafür, den ärztlichen Eingriff bei einer religiösen Beschneidung eines vierjährigen Knaben, trotz der vorliegenden Willenserklärung der Eltern, als Körperverletzung und Kindesmisshandlung aufzufassen. Weil, so gesteht das Gericht in der Urteilsbegründung freimütig ein, die Juristen keine gefestigte Rechtsmeinung entwickeln konnten, blieb der handelnde Arzt noch einmal straffrei und die Eltern bisher unbehelligt.

Der Eingriff selbst wird in der Urteilsbegründung des Landgerichts eindeutig als Körperverletzung und Kindesmisshandlung bewertet. Das Gericht verwirft überdies auch hygienische oder medizinische Eingriffe, die so genannten säkularen Indikationen, sofern deren Notwendigkeit nicht ausreichend sicher belegt ist. In Zukunft müssen z.B. Phimosen, Verengungen der Vorhaut, zunächst ohne OP, meist mit kortisonhaltigen Salben, behandelt werden, bevor eine Beschneidung als notwendige Option gelten kann. Es ist genau zu dokumentieren, in welchem Alter und mit welcher Begründung operiert wurde.

Weil die Zufügung von Schmerzen und die irreversible Veränderung des Körpers, bei einem gar nicht rechtlich zustimmungsfähigen Kleinkind oder Kind, ohne zwingende medizinische Notwendigkeit, nach unserem Recht zunächst eine Körperverletzung darstellt, kann nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden.

Wie sieht es mit den religiösen Geboten aus?

Im Koran schreibt Allah die Beschneidung nicht vor. Allerdings verweisen Muslime auf die weithin akzeptierten Aussagen der Sunna, also jenen Worten und Handlungen Mohammeds, sowie der Zeitzeugenberichte über sein Leben und Wirken, die im Islam als glaubwürdig angesehen werden. Diese besagen, dass Männer beschnitten sein sollen, während es bei Frauen unter Umständen eine besondere Auszeichnung sein könnte, beschnitten zu sein. Bis zum Eintritt der Pubertät soll jeder Junge beschnitten sein.

Da im Islam die Bibel, bzw. die Tora als „Vorläufer-Buch“ des Korans gilt, stützen sich theologische Verteidigungen der Beschneidungspraxis islamischer Herkunft sehr häufig auf jene Texte, die auch jüdische oder christliche Theologen zu Rate ziehen. Sie stammen zumeist aus dem Buch Genesis , Kapitel 17, das auf die Geschichte des Urvaters Abraham eingeht. Im „Grundvertrag“ Abrahams mit seinen Gott wird die Beschneidung aller seiner männlichen Nachkommen, aller männlicher Verwandter (des Stammes) und der Sklaven (!) ein religiöses Gebot. Es ist das „Siegel“ zur Bestätigung des Bundes mit Gott. Abrahams Selbstbeschneidung lässt ihn im hohen Alter noch einmal zeugungsfähig werden (Hatte er eine Altersphimose?). Der Schnitt beweist des Stammvaters Gottesfurcht und Gehorsam und der Lohn ist die Fruchtbarkeit und Reinheit seines Samens. Diesem Gebot sollen alle männlichen Juden nachkommen.

Ebenfalls wesentlich ist eine Stelle im Buch Joschua, Kapitel 5. Dieser führte auf Geheiß Gottes die Beschneidung wieder ein, die während der vierzigjährigen Flucht aus Ägypten nicht praktiziert wurde. Innerreligiöse Kritiker verweisen daher besonders auf Moses Lebensweg. Der ließ seinen Sohn bekanntlich nicht beschneiden. Jahwe ging es auf der Ebene Moab um die „Beschneidung der Herzen“, gedacht als „Freilegung“ des Bekenntnisses und des Bundes mit dem Einen (D´varim, Deuteronomion, 30,6).

Moses betrat bekanntlich das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen sollten, nicht! Gerade er war der Urheber jenes vierzigjährigen Beschneidungsmoratoriums während der Flucht aus Ägypten. Joschua hingegen, konnte mit den Seinen das Land Kanaan erobern, nachdem am Tag auf dem Gilgal („Wälzplatz“) alle männlichen Juden der Wanderschaft nachträglich beschnitten wurden. Fortan fiel kein Manna mehr vom Himmel und das neue Land ernährte Israel. Der Beweis des Gehorsams sicherte den Besitz des gelobten Landes.

In den Sunna-Texten des Islams lassen sich, wie in der jüdischen Tradition, Stellen finden, die darauf verweisen, dass eine Beschneidung von Erwachsenen (z.B. Konvertiten) nur freiwillig und ohne Furcht erfolgen darf. Erwachsen sein, heißt gerade in diesem Zusammenhang nicht, erst 18 Jahre alt werden zu müssen.

Hier findet die Grundhaltung des Islams, nämlich „keinen Zwang im Glauben“ („Kuh“, II,256) auszuüben und der Satz, z.B. aus der Sure TĀHĀ (XX), dass der Glaube den Menschen nicht bedrücken solle, an anderer Stelle, z.B. in der Sure AL-BAQARAH („Kuh“, II) , dass den Muslimen die Befolgung der Gebote einfach sein soll und nur Gebote von ihnen verlangt sind, die sie als Mensch erfüllen können, ihren Ausdruck. Leiden und Schmerz in Verbindung mit dem religiösen Heil liegen nicht im Sinne Gottes. Die Beschneidung der Männer ist kein unbedingtes Gebot um sich Muslim nennen zu dürfen. Aber, sie ist eine weit verbreitete, fest verankerte und ewig lang ausgeübte Sitte in der Glaubenspraxis, zu deren Anlass kaum Klagegesänge unter den Gläubigen angestimmt werden, sondern zumeist freudige Feste und Feiern anstehen.

Andere Ausleger der Sunna, -eine kleine Minderheit-, betonen, es komme gerade auf den Schmerz der Beschneidung an. Der gläubige Muslim, der so in den Glauben eingeführte Junge, zeige so seine Bereitschaft, die Leiden und Schmerzen Mohammeds und weiterer Glaubenstreuer nachzuempfinden und dafür sein persönliches Opfer zu bringen. Diese Auffassung wird auch von muslimischen Theologen stark angezweifelt, weil sie im Widerspruch zu den Kernaussagen des Korans steht. Der will die Seelen heilen und im Leben helfen, der betont Frieden und Gewaltlosigkeit, sowie gerade die Unversehrtheit des Körpers als Gebot.

Kinder haben auch im Denken der meisten Muslime gar nicht die Willens- und Einsichtsfähigkeit, eine solche Ansicht, zur Religion gehöre Schmerz, zu prüfen. Genau das aber, schreibt das Wort Gottes im heiligen Koran vor. Hier wird also auch innerreligiös um Auslegungen gestritten.

Christoph Leusch

(Fortsetzung Teil II, https://www.freitag.de/autoren/columbus/liebevolle-koerperverletzung-ii )

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