Neue, alte Kriege, einfache Lösungen?

Weltpolizist USA Sollte die militärisch stärkste Nation der Welt, zur einzig legitimen Gewaltmonopolistin erklärt werden?-Vollmundige Hobbessche Glücksversprechen der Politikwissenschaft.

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Wider die Weltpolizei, aber für das Völker- und Menschenrecht zugleich?

Staatliche Integrität und Souveränität versus Menschenrechte

Tut sich da tatsächlich ein tiefes Dilemma auf, einerseits das Völkerrecht achten zu müssen, andererseits im eigenen Interesse, aber noch viel mehr, ausgestattet mit UN-Mandat, überall auf der Welt Ordnung zu schaffen, um die Einhaltung der Menschenrechte mit Waffengewalt durchzusetzen? Wenigstens die Selbstverteidigung gegen Terror muss doch, hinter den Bergen des Hindukusch, erlaubt sein?

Böse Fragen und alle Antworten wurden schon gefunden? - Die jüngst in der Beilage der Zeitung „Das Parlament“ sich zu Worte meldenden Politikwissenschaftler kämpfen mit einer Definition des „ asymetrischen“ und „neuen“ Krieges, die sie selbst, vor allem natürlich Herfried Münkler und Mary Kaldor, in die Welt setzten und fleißig ausbauten.

Das entwickelte Völkerrecht verbietet Angriffskriege, setzt sogar der Antwort auf eine Aggression strenge Grenzen und verbietet den angstrebten Regime change zugunsten einer uns genehmeren, unter Umständen auch dort, am Eingriffsort, friedlicheren Staatlichkeit. Es scheint so, als schütze das Völkerrecht Tyrannen und verbrecherische Regierungen, und die UN mandatiere, wenn sie Aktionen z.B. in Afghanistan sanktioniert, die Auflösung des zwischenstaalichen Rechts, das doch ein Grundpfeiler ihrer Gründungscharta war.

Diktatoren und Massenmörder vor Gericht?

Die andere Fundamentstütze des modernen Staatsrechtes, das sind die Menschenrechte: Wer in der so genannten dritten Welt Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt und den Staat zur Gewaltdiktatur nutzt, der muss zunehmend damit rechnen vor dem Internationalen Gerichtshof zur Verantwortung gezogen zu werden. Eingriffe der Völkergemeinschaft sind heute eher möglich, als noch zu Zeiten des kalten Krieges oder der Entspannugspolitik.

Damals flogen die Kommandos der großen und kleineren Mächte zumeist geheim ein, um kurzen Prozess mit jenen regionalen Kräften zu machen, die ihnen nicht passten. Menschenrechte standen nicht auf der Prioritätenliste. - Das Recht auf Sicherheit vor anderen Staaten oder deren Bewohnern wurde im Falle Afghanistans sogar so weit ausgedehnt, dass ein ehemals gefasstes Ziel, nämlich einen mutmaßlichen Massenmörder und seine Helfer zu fangen, durch eine Regime change- Lösung ersetzt wurde.

Im Falle des Irak, es ist mittlerweile Allgemeinwissen, genügte die geschürte Angst vor Massenvernichtungswaffen in den Händen eines brutalen Diktators und seiner verbrecherischen Staatsführung, um zwar nicht die ganze UN weich zu klopfen, aber doch eine große Zahl an Staaten in die Koalition der Willigen zu bringen. - Die Folgen waren verbrecherisch und die Gründe erwiesen sich als eine große Lüge.

Selbstverständlich griffe die Diskussion solcher Fragen ins Leere, ginge es nur um Staatlichkeit. Tatsache ist, in vielen Fällen in denen militärische Eingriffe befürwortet oder sogar durchgeführt wurden, handelte es sich beim Konfliktgegner überhaupt nicht mehr um einen Staat in der klassischen Struktur, sondern um den „Failed state“ oder das von mehreren Warlords umkämpfte Territorium eines ehemaligen Staates, oder um schwache Staaten, die einen großen Teil ihres Gebietes mehr oder weniger freiwillig Clans, Banden, Familien, Stämmen oder eingewanderten Söldnern überlassen hatten. - Die errichten, neben der Terrorherrschaft, oftmals auch eigene „Abgaben- und Steuersysteme“ und sie handeln, zur ökonomischen Absicherung ihres Tuns, international, mit Firmenpartnern aus dem Westen, mit heimlichen Verbündeten und in einigen Konfliktregionen, seit langem mit globalen Berufskriminellen.

Wir würden uns über so manchen ihrer „Partner“ mitten unter uns doch sehr wundern, kennten wir sie genau und hätten auch noch den Mut sie öffentlich zu benennen. Sie handeln mit begehrten Gütern (Drogen, seltene Erden, Koltan, Diamanten, Waffen, Öl, Edelholz, Gold). Im mildesten Fall kommen, ist man nicht gerichtsfest, erst die Anwälte, dann die Staatsanwälte.

Mittlerweile sitzen die Hauptprofiteure solcher Aktionen, die Mitspieler in den Konzernzentralen, nicht allzu weit von den Regierungssitzen der führenden Politiker dieser Welt entfernt. - In Hinterhöfen und gut versteckt, müssen nur noch die „angestellten“ Helfershelfer für das prinzipiell schmutzige Geschäft leben. - Die eigentlichen Organisatoren, verfügen bei den Regierungen über Zugänge und Einfluss. Sie können sogar auf beiden Seiten der Asymetrie agieren und Geschäfte machen.

Gestraft und massenhaft getötet wird jedoch nicht in Berlin, London, Paris, Moskau , New York. Kaum ein Firmensitz, geschweige denn ein Chef, steht unter Justizias Schwert und Waage oder unter staatlicher Dauerbeobachtung. Wer schaut schon bei Thales oder Haliburton nach? Vor Ort, in Sierra Leone, im Kongo, in Nigeria, in Afghanistan, da wird gehandelt und mit Söldnern scharf geschossen.

Frieden aus Macht

Sibylle Tönnies empfiehlt in Ihrem Beitrag „Die "Neuen Kriege" und der alte Hobbes“, man solle sich des Theoretikers für menschlich-wölfisches Verhalten und der staatspolitischen Leviathane wieder mehr erinnern, er sei zu Unrecht als Gewaltprediger und Anbeter des gewalttätigen, starken Staates in Verruf.

Vor allem gebe es keine „Neuen Kriege“, die Asymetrie sei alt, schon seit Römerzeiten eine Selbstverständlichkeit. Herfried Münkler aber, wolle sich nicht von seinen Begriffen lösen, obwohl er sich doch in einem neueren Buch mit den „Imperien“ beschäftigt habe. Trotzdem könne er nicht anerkennen, dass Hobbes, der Verkünder der absoluten Staatsgewalt, doch eine treffendere und praktikablere Lösung, lange vor den heutigen Politik- und Konfliktheoretikern gefunden habe.

„Demgegenüber soll auf die klaren Gedanken von Thomas Hobbes (1588-1679) hingewiesen werden, der die Monopolisierung der Gewalt ohne Umschweife propagiert hat.“, so Frau Tönnies.

Zwischenstaatliche Kriege, so die Politologin, sind menschenfreundliche Erfindungen der Moderne und eher ein Intrument, dem Krieg seinen Schrecken für die Masse zu nehmen. Die "ganz normalen Kriege" gebe es erst seit dem Dreißigjährigen Krieg und der erste Staatsvertrag, der das Prädikat völkerrechtlich wirklich verdiente, sei der Frieden von Münster und Osnabrück (1648) gewesen. Ja, in ihren Augen sind Hobbes und die anderen Staatsgewaltdenker eher jene, die den Prozess der Zivilisation (Norbert Elias), die Chance auf den allgemeinen Frieden und die Verfeinerung der Sitten erst ermöglicht hätten. Die späteren und neuen Theoretiker, vor allem auf dem europäischen Festland, im alten Europa, hätten zu sehr Kants "Zum ewigen Frieden" im Kopf.

Das Gewaltmonopol

Die Politikwissenschaftler, vermaledeit, schon wieder „die 68er“, hätten dem asymetrischen Krieg gehuldigt, ihn als Befreiungskampf, als Aufstand der Unterdrückten und Verdammten verklärt. Nun aber wendeten sie sich und das mit vollem Recht, aber doch eher verschämt, der alten Lehre vom Gewaltmonopol des Staates zu.

„Die prinzipielle Bejahung des Gewaltmonopols entspricht der weltgeschichtlichen Tendenz zur globalen Zentralisierung der militärischen Macht.“ - So spricht eine „Power-Frau“! - Das Staatssubjekt der neuen Weltordnung, der einzige und alleinige Weltpolizist, wenn nicht die Ökonomie dazwischen funkt, sind und bleiben, so die maßgebliche Meinung Frau Tönnies, die Vereinigten Staaten.

„Betrachtet man die gegenwärtige Weltlage mit diesen Augen, so lässt sich konstatieren: Die Entscheidung ist gefallen, -zugunsten der USA. Solange sich die Weltmacht nicht offensichtlich im Abstieg befindet, (was allerdings viele Analytiker behaupten,) muss davon ausgegangen werden, dass die Welt-Gewaltmonopolisierung in den Händen der USA der nächste Schritt im Prozess der Zivilisation ist.“

So hingeschrieben, klingt das doch fast schon wie ein natürlicher Ausleseprozess, wie ein „Naturgesetz“ der Politik und des Staatsverstandes, wie ein Naturgesetz der Politikwissenschaften. - Beratung ist ja deren Hauptgeschäft.

Frau Tönnies bringt starke Argumente. Seit den späten 1990er Jahren sei das Völkerrecht, sein absolutes Angriffsverbot, völlig erodiert. Ob im ehemaligen Jugoslawien, oder im Irak, oder in Afghanistan, ob mit UN-Sicherheitsrat oder ohne ihn. Die Besitzer des Machtmonopols handeln und das sei letztlich auch gut so.

" Die Tatsache, dass die NATO auf eigene Faust gegen Serbien vorging und fast die gesamte Öffentlichkeit dies guthieß - das war das Neue. Das kam einem Dammbruch gleich, der zur Folge hatte, dass die USA nicht gerügt werden konnten, als sie nach 2001 in ihrem "War against Terror" das Völkerrecht eklatant verletzten.“ (…) „Die Erosion des Völkerrechts ist nur auf den ersten Blick ein Unglück. Als Wandlung der Weltordnung steht sie auf der geschichtlichen Tagesordnung; sie ist unvermeidlich.“

Woran liegt das? - Die Völkerrechtskonstruktion funktioniert nur, wenn die kosmopolitische Institution, in unserem Falle die UNO, den Staaten „Schutz und Schirm“ bieten kann. Ohne eigene Truppen und ohne Verfügungsgewalt über die Politik der mächtigen Territorialstaaten, fehlen die Sanktionsmöglichkeiten des „guten“ Leviathans. Was liegt also näher, als zunächst einmal die USA in diese Rolle zu denken. Die Vereinigten Staaten haben doch alles was man braucht. Bekenntnis und Verpflichtung auf die Menschenrechte, Demokratie, und vor allem ein "Gewaltmonopol", das tatsächlich jenes der fünf-bis sieben folgenden, mächtigsten Staaten dieser Erde weit übertrifft.

Mary Kaldor habe das erkannt, Herfried Münkler ziere sich noch anzuerkennen, was doch Gutes aus der Hobbesschen Lehre erwachsen sei. Die Kriege der derzeitigen neuen Weltunordnung fänden ja tatsächlich in den „failed states“ und nicht dort statt, wo sich das Hobbessche Ideal des „Leviathan“ vollständig durchgesetzt habe. - Damit die These richtig knallt, spitzt sie Frau Tönnies zu:

„Im Gegenteil: Je mehr Angst die Staatsmacht erregt, desto weniger muss sie faktisch einschreiten.“

Gleich geht es noch ein Stückchen weiter. Nicht nur biete die Theorie der „neuen Kriege“, die Angst vor den vielfältigen Bedrohungen aus der Asymetrie, genügend Gelegenheit bei den naturgemäß ängstlich und weich veranlagten Demokratiebürgern Zustimmung für Einsätze in den weit enfernt liegenden Gebieten zu sichern, sondern dieser Zustand sei auch eine Wohltat gegenüber dem alten Dogma der Nichteinmischung, die das Denken der UN und der Staaten im Kalten Krieg und in der Blockkonfrontation noch beherrscht habe.

Alles drehe sich ja letztlich darum, und da bildeten die neuen Theoretiker des Krieges eben keine Ausnahme, dem „Gewaltmonopol“ eine sichere Legitimität und Legalität zu verschaffen. Hobbes habe das gekonnt geschafft, in dem er den Staat als Garanten auch der abweichenden Bürger, der unterlegenen im realen Hauen und Stechen, zumindest in einer Vertragsfiktion, erträglich ausgestaltet habe. Auch die Unterlegenen oder widerständig Denkenden erhalten Schutz, wenn sie den Leviathan-Staat anerkennen. - In Tönnies Diktion ist der NATO-Vertrag eine solche Fiktion, denn in Wahrheit existierte historisch immer nur eine Schutzmacht und nicht die Abmachung unter Gleichen.

Ein Nebenaspekt: Die notwendigen neuen Kriege in der zukünftigen „Cosmopolis“ führen nicht die Bürger von Wehrpflichtarmeen, die wären dann ja gegen ihren Willen auf den Naturzustand zurück geworfen, sondern, es werden wohl Freiwillige (Söldner, wie zu Olims Zeiten) zu einem angemessenen Marktpreis und einem von ihnen persönlich eingegangenen Risiko. - Letztere Weiterung habe ich jetzt einmal aus mir heraus dazu geschrieben.

Tönnies Fazit:

„Die "Sole Super Power" zeigt bisher keine Neigung, den status naturalis der Welt aufzulösen und ihre lukrative Rolle als Wolf unter Wölfen aufzugeben. Sie muss erst dazu animiert werden, das "Schwert der Gerechtigkeit" tatsächlich in die Hand zu nehmen. Es wird ein Gewinn sein, wenn es die politische Korrektheit erlaubt, sie dazu offen aufzufordern - ohne dass verwirrende neue Begriffe zu Hilfe genommen werden müssen.“

Mein Fazit:

Im „Der Freitag“, aber auch in den wenigen anderen, ernst zu nehmenden Feuilletons, tobt der Streit um Sloterdijk oder Habermas, um das Zurück zu einfacheren, eventuell ästhetischeren und instinktnäheren Lösungen, oder aber, das Weiter-so in diskursiver Unübersichlichkeit, mit immer kritischeren „Fall-Lösungen“.

Die Sucht, es sich ein wenig einfacher zu machen, die ist sehr groß. Hier spielt sich das nun auf politikwissenschaftlichem und beraterischem Felde ab. Scheinbar weit entfernt von den Sorgen des Alltags, fern auch der "Steuer- und Gabedebatte", aber doch so nahe am „Parlament“, dass es garantiert nicht ohne Einfluss bleibt. - Die Bündnisgrünen wirken schon sehr mürbe.

Wo wären denn Angriffspunkte, der streitbaren Dame ein wenig Einhalt zu gebieten?:

Die Ermächtigung eines „Leviathan“, womöglich eines kosmopolitischen Staates, wirkt seltsam entrückt und dessen Gewaltmonopol mag zwar starke Schutzwirkungen versprechen, andererseits wäre die UN oder an ihrer Stelle, die nun „frei“ und im Sinne von Tönnies, dann selbstbewusst auftretende, darin sogar noch bestärkte Schutzmacht (USA) auch den Versuchungen ausgesetzt, die die Machtkonzentration mit sich brächte.

Wer kontrollierte dann das kosmopolitische Machtmonopol? Die "Fiktion von Schutz und Schirm", im Austausch für unbedingte Anerkenntnis, liegt doch zu nahe an der "Ermächtigung" ohne ausreichende Kontrollen.

Ich würde jedenfalls nicht freiwillig und ohne weiteres auf die beiden Säulen des internationalen Rechts verzichten wollen und fände mich dafür lieber weiter mit dem unvermeidlichen Streit im Fall der Fälle ab. Der verpflichtet nämlich die Monopolisten der Macht und ihre Kontrolleure, den Bürger als Souverän, Konsens herzustellen und diesen nicht schon als gegeben und verpflichtend hinzunehmen.

Ein zweiter Einwand ergibt sich aus der Art der derzeit geführten Interventionen. Selbst bei wohlwollender Betrachtung waren die bisherigen "Eingriffe", ob mit der neuen Theorie der Kriege oder mit dem Mischmasch der doch veralteten NATO-Theorie salviert, nicht gerade sehr erfolgreich, dafür aber durchaus brutal.

Wie immer, wenn in wissenschaftlichen Dingen zu viele Gewissheiten verkündet werden, -„Freitag“-Leser wissen das-, ist Vorsicht angesagt. Aber gekonnt vorgetragen und spannend lesen sich die Thesen Sibylle Tönnies allemal. Ich kann hier nur auf ihren lesenswerten Beitrag in „Aus Politik und Zeitgeschichte“, Heft 46, 2009 verweisen und empfehle auch die übrigen Essays aus dem Themenheft zu den "Neuen Kriegen" (Tönnies: www.das-parlament.de/2009/46/Beilage/005.html ; Themenheft- "Gerechtigkeit nach Konflikten": www.das-parlament.de/2009/46/index.html ).

Selbstverständlich gibt es in dieser unscheinbaren "Beilage" regelmäßig gute, vor allem gut belegte, thematisch zentrierte Beiträge zur Politik, Kultur, Länderkunde.

Grüße

Christoph Leusch

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