„Entschuldigung, waren Sie in der SED?“

Hitzige Runde In Berlin-Mitte treffen sechs Bundestagskandidaten auf ihr Wahlpublikum. Überwiegend Senioren. Und nur einem von ihnen zugeneigt

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Nach gut einer Stunde hat sie genug. Die Frau, um die Siebzig, elegante Erscheinung, die Haare hochgesteckt, springt auf. Also, hebt sie mit lauter Stimme an, das reiche ihr jetzt, dieses Herumgerede dort vorne auf dem Podium. Sie habe eine konkrete Frage: Warum sie damals, als sie aus dem Osten kommend in Berlins Senatsverwaltung auf der Westseite der Stadt gearbeitet habe, 200 Euro weniger als ihre Kollegin verdient hätte.

Das vielstimmige Rufen des Publikums an einem Herbstnachmittag im Nachbarschaftstreff Torstraße 203 in Berlin-Mitte spornt sie an: Ja, erklären sollen die das mal da vorne, das sei es, was interessieren würde – die vierzig Senioren im schon leicht stickigen Versammlungsraum errichten ihre verbalen Barrikaden. Zuallererst gegen einen von denen da vorne, den von der CDU, den Jungschen. Der habe, so eine Frau zu ihrer Nachbarin, doch wohl nicht richtig aufgesattelt. Der, das ist Philip Lengsfeld, 41, Ostdeutscher, wie er in der Vorstellungsrunde betont hatte. Er erhebt sich, blickt energisch in die Runde und antwortet – mit einer Frage: „Entschuldigung, waren Sie in der SED?“ Das bringt den Saal nun endgültig zum Kochen, es gibt kein Halten mehr, Wortfetzen schwirren, Buhrufe sowieso. Herr Lengsfeld von der CDU hat verloren.

Das aber hatte er bereits vor Beginn dieses Wählerforums der Volkssolidarität, und er mag es gewusst haben. Volkssolidarität, das ist jener Verein, der als einzige ehemalige so genannte DDR-Massenorganisation die Jahre nach 1989 nahezu unbeschadet überstanden hat. Den gleichen Namen wie einst trägt. Und dessen Mitglieder zum überwiegenden Teil im Geiste in jenem Land immer noch zu Hause sind, das vor über zwanzig Jahren von der Landkarte verschwand.

Nicht verwunderlich, dass Klaus Lederer routiniert sein Publikum bei sich weiß. Mindestlohn, Schere Arm-Reich, Steuergerechtigkeit. Mit Lederer, dem Vorsitzender der Berliner Linkspartei, können die Senioren nicht streiten. Seine Argumente kennen sie, begleiten sie mit wohlfähigem Kopfnicken. Dem Herrn von der FDP mag man erst gar nicht zuhören. Hartmut Bade weiß um seinen verlorenen Posten im Wahlkreis 75, den Eva Högl für die SPD vor vier Jahren gewann, und der ihr heute vom ebenfalls anwesenden Grünen Özcan Mutlu mit guten Erfolgsaussichten streitig gemacht wird. Bade versucht es mit Argumenten, sehr technisch. Rentenfaktoren führt er ins Feld, das Konzept seiner Liberaldemokraten aus 2005 weise im Grunde genommen in dieselbe Richtung wie die Forderung der Rentner nach einer gleichen Alterssicherung in Ost und West. Vergeblich. Deutschland geht es gut, deklamiert er.

Herr Lengsfeld von der CDU stimmt ein: Wenn alles so schrecklich wäre in diesem Land, wie von den Linken um ihrer Selbsterhaltung stets und ständig behauptet wird, dann würde er sich gar nicht zu Wahl stellen. Herr Mutlu lächelt süffisant. Eva Morgenstern von der SPD, die für ihre Genossin Högl eingesprungen ist, kann da auch nicht so recht etwas zu sagen. Wohl wegen der großen Koalition 2005 bis 2009.

Zum Schluss die Frau der Piratenpartei: Sie habe zu alledem nichts sagen können, weil, und das hätte man doch in den vergangenen zwei Stunden gemerkt, das Ganze eine einzige Farce gewesen sei.

Vorhang!

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Geschrieben von

Constantin Rhon

Realist mit liberaler Grundhaltung.

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