“Hüte Dich vor der Tüte”

CoLyrik Man könnte weltweit enormen Plastikmüll einsparen. Manche Familien agieren vorbildlich, gehen mit Stofftaschen zum Einkaufen...

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Kurzgeschichte

Hüte Dich vor jeder Tüte…

Die fünfzehnjährige Lisa ist aufgebracht, kommt nach Hause, geht zielstrebig auf ihre Mutter zu und haut ihr den leeren Jutebeutel um die Ohren.

„Spinnst Du! Bist Du jetzt völlig durchgeknallt? Was soll das?“, schreit ihre Mutter, die ziemlich fertig aussieht.

Lisa ist stinke sauer und schreit zurück: „Lass‘ mich doch in Zukunft mit Deiner völlig bescheuerten Öko-Erziehung in Ruhe und Papps kann sich seine Therapie in den Hintern schieben!“. Dann verlässt sie wie ein trotziges Kleinkind das Haus und schlägt dermaßen die Haustüre zu, so dass ihr Vater aus dem Büroschlaf erwacht. In der Einliegerwohnung ist seine Praxis untergebracht. Wenn er nicht gerade döst, arbeitet er als Psychologe. Jetzt ist er hellwach, liegt wohl auch daran, dass das selbstgetöpferte Windspiel zu Bruch ging. Er opfert sich und holt die Kehrgarnitur.

Mutter Irmi, begnadete Ökotrophologin, geht sofort in ihr Altarzimmer. Ein kleiner Raum, der eigentlich ihr Bügelzimmer werden sollte. Ein Zimmer voller Spiritualität. Ihr Rückzugsort, ein Platz der Stille. Es duftet nach Myrrhe, Weihrauch, Rosenduft und einem Hauch Knoblauch. Auf ihre Andachtsbuch-Sammlung ist sie besonders stolz. Zwischen eingestaubten Bibelschriften, unzähligen uralten Greenpace-Heftchen und vergilbten WWF-Flyern steht eine dicker Nabu-Ordner und ein Ringbuch mit Peta-Werbung im Regal. Ordner und Ringbuch sind aus Rindenmulch hergestellt. Für den Bund Umwelt und Naturschutz brennt stets eine Kerze aus Bienenwachs. In einem großen Würfel aus Plexiglas vom Recyclinghof liegen 255 Plastiktüten. Dieser spirituelle Würfel steht auf einem Sockel aus Treibholz. Überall im Zimmer befinden sich Kunstwerke aus Plastikmüll. Ein großer stabiler Joghurt-Becher dient als Klangschale. Auf dem Altar, ein Campingtisch aus den Siebzigern, steht neben einer Jesus-Abbildung aus deutscher Eiche auch eine Buddha-Figur aus Keramik. Bambuszweige komplimentieren gemeinsam mit Rosen aus dem Garten die heilige Stätte. Sie kommt hier zu Ruhe, wenn ihre Familie nicht mitmacht. Jetzt fängt sie an zu meditieren und leise erklingt im Hintergrund Indierock aus den Lautsprecher-Boxen. Ihr Gatte Heiner hat die Boxen in seiner Praxis aufgedreht.

Lisa findet ihre Mutter total peinlich. Vor jedem normalen Einfamilienhaus hängt zur Begrüßung ein Willkommensschild, ob im trendigen Rostdesign oder aus Keramik oder Holz. Über ihrer Eingangstür hängt zwar nicht der Slogan der EU. „Hüte Dich vor der Tüte“, aber dafür ein getöpfertes Schild mit der Aufschrift:

Gott behütet Dich vor jeder Tüte,

auch vor dem Kiffen in diesem ehrenwerten Haus!”

Lisa lädt schon keine Freunde mehr ein, weil die dann immer so dreist grinsen und blöde Sprüche reißen. Ihre Mutter schmiert ihr das globale Tüten-Problem jeden Morgen quasi mit dem vegetarischen Brotaufstrich aufs selbstgebackene Dinkelbrötchen. „Millionen Tonnen von Plastikmüll werden wahrscheinlich noch Hunderte von Jahren in den Meeren herumschwimmen!“, so einer der mutmachenden Aussagen, wenn Lisa noch total verschlafen ihren frisch gepressten Orangensaft von glücklichen Obstplantagen-Bauern trinkt. Kunststoff-Abfall zersetzt sich nur ganz langsam im Wasser und stellt deswegen eine Gefahr für Fische dar. Diese Botschaft hat Lisa natürlich verstanden und isst deshalb keinen Fisch mehr. Fisch mochte sie instinktiv noch nie. Ihre Mutter redet ihr auch nicht mehr ein, dass man Fisch essen muss, wegen diesen Omega-3-Fettsäuren.

Heute ist kein guter Tag für Lisa. Alles ging irgendwie schief. Die biologisch angebauten Möhren schmeckten in der Frühstückspause nach Chemie. Ihre Freundin übergibt sich während des Biologieunterrichts und erwischt ihre neuen Lammfellschuhe. Es ist ein ganz schlechter Tag für sie, als sie mit dem ollen Jutebeutel von Uroma Käthe am Nachmittag in der Stadt unterwegs ist. Ihr Idol Lars aus der Elften trifft sie durch Zufall ganz alleine in der Fußgängerzone. In der Schule ist Lars immer der Vorzeige-Öko-Typ schlechthin. Er ist nicht nur ein hübscher Kerl, sondern politisch aktiv, will Politikwissenschaften und Gender Studies studieren. Er rammt sie doch tatsächlich mit mindestens zwanzig größeren und kleineren Plastiktüten im Arm, als sie ihm nur „Hallo!“, sagen will. Da rutscht es Lisa völlig unkontrolliert heraus: „Gott behüte mich vor Lars und seinen Lümmeltüten!“. Und dann kommt sie nach Hause, sieht ihre Mutter und rastet völlig aus.

©Corina Wagner, November 2013

http://www.tagesschau.de/wirtschaft/plastiktueten110.html

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Corina Wagner

Wer das Wort Alphabet buchstabieren kann, ist noch kein/e Autor/in. (C.W.)

Corina Wagner

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden