Poetry Slam in Ulm - 11.01.2014 im Roxy

CoLyrik Berühmte und weniger berühmte Slammer trafen beim Poetry Slam in Ulm auf Corina Wagner, die das erste Mal in ihrem Leben auf einer Poetry Slam-Bühne stand...

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Poetry Slam Ulm, 11.01.2014

Es ist vollbracht. Vorbei. Den ersten Poetry Slam habe ich in meinem bereits fortgeschrittenen Leben hinter mich gebracht. Ganz ehrlich, also es gab schon schlimmere Abende in meinem Leben. Ich möchte es wieder tun. 5-6 Minuten auf einer Bühne zu verbringen, die wie gestern Abend nicht viel Sicht bot. Man sprach dort zumindest ins Dunkle. Wow! Cool! Jedenfalls war es dort im Roxy in der Werkhalle so. Diese war in Ulm bis auf den letzten Sitzplatz ausverkauft. Es wurde gemunkelt, dass zwischen 50-200 Leute umsonst kamen. Ca. 500 Leute sollen angeblich zugesehen haben. Anziehungsmagnet für diese Veranstaltung war wohl die Ankündigung der Cremé de la Cremé unter den Slammern. Junge begabte Menschen, die schon etliche Preise einheimsen konnten, weil sie nicht das erste Mal auf einer Slammer-Bühne standen. Bekannte Namen aus der Szene, quasi das Gelbe vom Ei aus der Sparte, lockte das Publikum an.

Patrick Salmen reiste zum Beispiel an. 2008 nahm er das erste Mal an einer Poetry-Slam-Meisterschaft teil. Ein routinierter Slammer durch und durch mit ganz vielen Titeln. Einer der wohl bekanntesten Favoriten für den Abend, ein echter Kurzgeschichtenmacher. Ein Star in der Szene, schreiben wohl die Zeitungen. Im November 2009 trat Martin Sieper auf der kleinen Marburger Lesebühne “Punk&Poesie" erstmalig auf, der inzwischen dank seiner witzigen Kurzgeschichten im Slammer-Metier nicht mehr wegzudenken ist und etliche Titel vorweisen kann. Theresa Hahl (Jahrgang 89) war nach Ulm gekommen. Sie tritt auch seit 2009 als Slam-Poetin auf. Hahl ist Protagonistin des Dokumentarfilms „Dichter und Kämpfer“ über die deutsche Slam-Szene, der auf der Berlinale 2012 seine Premiere hatte. Eine ausgezeichnete Nachwuchspoetin, die das Publikum fesselte, aber dies tat ein junger Mann mit seinen tiefgründigen lyrischen Worten aus Freiburg auch. Es war sein zweiter Slam und in Zukunft wird man meiner Ansicht nach noch viel von ihm hören. Insgesamt waren es 11 Teilnehmer, da ein Duo aus der Schweiz teilnahm. Es war aber nicht irgendein Duo, sondern das Team Interrobang aus Zürich, die die Gewinner des Schweizer Poetry Slam Team-Titels von 2013 sind. Valerio Moser und Manuel Diener wurden nun Zweiter. Sieger des Poetenwettstreits war tatsächlich auch ein Schweizer. Kilian Ziegler aus Olten gewann mit tobendem Applaus. Ziegler (Jahrgang 1984) gehört zu den erfolgreichsten und aktivsten Schweizer Slam Poeten. Seit 2008 nimmt er an Poetry Slams im In- und Ausland mit großem Erfolg teil. 2013 wurde er z.B. mit dem Förder-/Anerkennungspreis der Kulturstiftung "Kurt und Barbara Alten" ausgezeichnet. Ein Wortakrobat par excellence. Mein persönlicher Eindruck: Ein kluger, sympathischer Schwiegermutter-Typ, der es faustdick hinter den schweizer Ohren hat. Er kam, grinste, sprach und sprach und sprach über das Alpaka und dies sehr witzig und sehr gut.

Dana Hoffmann und Ko Bylanzky moderierten souverän durch die Veranstaltung.

Bei diesem Poetry Slam wurde vor Beginn entschieden, dass sich die TeilnehmerInnen nur mit einem Text präsentieren können. Durch die hohe Anzahl der TeilnehmerInnen wäre der Slam ansonsten zu lange geworden. Drei Frauen und acht Männer traten auf, wobei unter den Männern dieses bereits erwähnte Duo war. Es gab jeweils fünf Einzelauftritte, dazwischen erfolgte eine Pause. Nach den ersten fünf Auftritten wurde abgestimmt, wer am besten aus dieser Gruppe beim Publikum ankam. Dieser Sieger trat dann gegen den Sieger aus der anderen Gruppe an. Jene Slammer hatten dann die Möglichkeit noch einen zweiten Text vorzutragen. Dann musste das Publikum entscheiden, wer in ihren Augen den Slam gewinnen soll. Die Reihenfolge des Auftritts wird bei den Slams ausgelost. Die beiden Moderatoren übernahmen dies jeweils in der Werkhalle auf der Bühne. Auftritt für Auftritt wurde zuvor gezogen. Wer noch nie bei einem Poetry Slam dabei war, weiß also spätestens jetzt, dass so manche/r TeilnehmerIn wartet und wartet, bis der Name endgültig gezogen wird. Ich war als viertes an der Reihe.

Da ich überhaupt noch keine Poetry Slam-Erfahrungen sammeln konnte, entschied ich mich für einen total irren Text, so unter dem Motto, wenn ich keine Chance habe, den Whisky zu gewinnen, dann wollte ich mich wenigstens auf der Bühne austoben. Wann bekommt man schon mal die Gelegenheit vor ca. 500 Leuten als schizophrene Arbeitsuchende aufzutreten, die dann auf der Bühne schreien und keuchen darf. Ihre Jobvermittlerin als Sterbehilfe-Beraterin betiteln kann und genau deshalb las ich die Kurzgeschichte Suizidprediger vor. Ein sozialkritische Geschichte, die u.a. auf Sanktionen aufmerksam macht, aber auch Humor bietet und eine Menge Wahnsinn. Puren Wahnsinn!

Ich hätte gerne zuvor übrigens einen Soundcheck gemacht, scheint aber bei den Poetry Slams nicht üblich zu sein, so wurde mir später berichtet. Da hilft wohl nur die Routine. Ich benötige ansonsten nie ein Mikrofon, da meine Stimme ausgebildet ist, da fehlen mir Erfahrungswerte.

Ich hatte auf der Bühne meinen Spaß und möchte mich noch auf weitere Poetry-Slam Bühnen wagen. In Zukunft aber mit anderen Texten. Und wer weiß, also in einigen Jahren…

…. gewinne ich vielleicht in meiner Altersklasse eine Flasche Whisky plus Schnabeltasse. :-)

Wer die Kurzgeschichte Suizidprediger lesen will, kann es nun tun.

Kurzgeschichte aus dem Hause Wagner, die im Roxy am 11.01.2014 präsentiert wurde.


Suizidprediger

„Schönen guten Abend! Mein Name ist Angela Adipös, Freifrau von echt Grass“, wollte ich eigentlich zuerst sagen, wenn ich hier stehe, kommt meistens gut an, wenn man so aussieht wie ich. Mein Doppelkinn samt Merkelsyndrom habe ich mir inzwischen versichern lassen, hat den Kaiser von der Hamburg Mannheimer ein müdes Lächeln gekostet. Dem ist deswegen kein Zacken aus der Krone gebrochen, wie mir kürzlich. „Boaaaaar! Frau Fett!schrie mich Frau Hydra, meine Sterbehilfe-Beraterin, die verbissenste aller Jobvermittlerinnen an, als ich ihr völlig korrekt die Police zeigte, weil ich anstatt Mietzuschuss die Raten für die Versicherung von ihr… Und bevor ich die Worte noch zu Ende gestikulieren konnte, mischte sich völlig euphorisch meine gespaltene Zunge, ähm Persönlichkeit mit dem prägnanten Wort: „Doofi!“ ein. Echt Grass war dasss. Ich hab’s dann gut gelaunt formuliert bei ihr probiert. Gell! Nee! Doch, also bei der Hydra. Ich schwör! Blitzumfrage: Wer von Ihnen kennt die Hydra? „Doofiiiis!“ Gabriel halt Deine Klappe.

Boaaaaar! hat die sich angestellt. Irre, echt irre und grass. Echt grass! Ich spürte förmlich den Hass.

Man weiß ja heutzutage nie, wann man plötzlich als Sozialfall beim Zahnarzt landet. Und um die örtliche Betäubung aus Drittländern betteln muss. Manno! Die Hydra hat überhaupt keine Ahnung. Privatversichert! Klar doch. Neulich hat sie mir sogar den Job einer Suizid-Predigerin angeboten. Jawoll! Todernst meinte sie das. Grass! Nur weil ich so komisch aussah. Ich Stunden zuvor beim banalen Allgemeinmediziner ausharrte, der übrigens nebenbei noch anschaffen gehen muss. Anschaffen! Hä? Wie bitte? Dachte ich mir schon, dass sie jetzt grübeln, hat die Hydra auch getan und den Kopf wie wild… Boaaaaar! Grässlich. Irre, echt irre und grass, echt grass. Jawoll! Anschaffen! Ein Arzt! Teure Geräte natürlich, die ich mit Zusatzleistungen finanzieren soll, aber nicht kann. Und genau das hab‘ ich der Hydra auch gesagt und der Tusnelda von der Krankenversicherung. Und? Klar doch! Ich halte nichts von Prostitution. „Doofi!“„Mensch, sei still! Wegen Dir bekomm‘ ich immer nur Ärger." Doofi, Doofi, Doofi!

Wo war ich stehen geblieben? Mit Doppelkinn und Merkelsyndrom bei der Hydra. Genau! Echt grass war es bei ihr, so gegen vier. Gabriel nervte. Boaaaaar! Sind Sie verrückt!“, schrie mich automatisch die Sterbehilfe-Beraterin, also die Hydra an, als ich total lässig vor ihr saß und mich leichenblass weigerte, sie sich allerdings dabei im Tonfall steigerte, damit ich endgültig ihre neu ausgedachten Sanktionen annehme.

Gabriel haute ohne Vorwarnung auf ihren Tisch und antwortete: Liebe Deinen nächsten wie Dich selbst!“

Anschließend guckte ich die Hydra ganz sympathisch an. Wahnsinn! Irre wie sie starrte, echt irre und grass war dasss. Sie starrte und starrte Sekundenlang Totenstille im Raum. Dann ein Raunen.

Mit dem Gesicht hätte ich „echte Chancen“, sagte die Trulla dann vom Amt. Echte Chancen? Wie bitte? Ich? Die Hydra vom Jobcenter meinte völlig unkontrolliert, dass ich die richtige Person sei, die mit ihrem adipösen fadenscheinigen Gesichtsausdruck, auch ohne mit der Wimper zu zucken, Märchen erzählen und Sanktionen verhängen könnte. Sie sagte tatsächlich zu mir, dass ich mich beim Jobcenter als Nachfolgerin bewerben solle, man hätte ihren Zeitvertrag gekündigt.

"Boaaaaar!" , schrie ich - nee Gabriel für mich und ich knallte die Tür so laut zu, dass der Alarm ausgelöst wurde. Die Sirenen ertönten.

„Die Alte mit dem Schwabbelkinn war`s!“, grölte ein überqualifizierter Arbeitsloser hinter mir her, dem ich auf die Schnelle zeigte, zu was man mit einem Schwabbelkinn fähig ist. Jawoll! Ich sprang wie ein Wrestler in ihn hinein, also eher Gabriel mit gefühlten 100 Kilo in seine Weichteile, bevor ich hastig das Jobcenter verließ. Boaaaaar! Tat mir daaaaaas gut, ihm weniger. Es war mein ehemaliger Vorgesetzter, der zu meinen Füßen lag und “boaaaaar“ keuchte. Auf dem Weg nach Draußen hörte ich immer noch dieses Keuchen (boooaaar), dass mich auf die Idee brachte, mal bei einem Slam mitzumachen. „Doofi!“ Halt' die Klappe Gabriel.

Jetzt stehe ich hier unter enormen Boaaaaar- Druck und überlege mir gerade, ob ich schreien , flüstern, meucheln, keuchen, entfleuchen oder Ihnen einfach nur erzählen soll, dass ich mich heute Mittag im Internet als Suizidprediger ausgegeben habe. Ich arbeitete mit einem staatlich geförderten Unternehmen und einem von mir ausgesuchten Inkassobüro zusammen. Der Suizid kann klassisch oder skurril ausgeübt werden. Erste depressive Arbeitssuchende haben sich bei mir schon gemeldet. Boaaaaar. Nee! Ähm, bei Gabriel! „Doofi!“

Ist das nicht toll? Man muss nur auf der Suche nach einem neuen Job sein und sich an alle Formalitäten halten, die ich absolut staatsverträglich ausgewählt habe. Boaaaaaar würde auch die Hydra sagen, wenn sie nicht seit gestern kopfüber im Klo hängen würde. „Doofi!“

© Corina Wagner, Dez. 2013

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Corina Wagner

Wer das Wort Alphabet buchstabieren kann, ist noch kein/e Autor/in. (C.W.)

Corina Wagner

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