Zum 8. März: Internationaler Frauentag 2014

AntóniasGeschichte2 Passage aus „Abschied von Bissau“: Jugendzeit von Antónia, Tochter des Vorarbeiters von Joaquím (bekannt aus den Mindelo-Kapiteln)

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Foto: Wikimedia Commons, Karneval in Bissau, Mädchen-Tanzgruppe

Liebe dFC,

es folgt Antónias Geschichte 2:

Helder fädelte die Beziehung zwischen seiner Tochter und dem „patrão“ geschickt ein. Er sagte sich: „Der „patrão“ ist in diesen unsicheren Zeiten der Einzige, dem wir vertrauen können. Er ist weder Kolonialist noch Parteigenosse, von beiden haben wir Arbeiter nichts zu erwarten; er ist Weißer, ist Kapitalist, der an unserer Arbeit gut verdient. Andererseits ist er zu uns wie ein ‚Vater‘ und unsere Familien haben ein halbwegs gutes Auskommen. Wenn Antónia und meine anderen Kinder eine Berufsausbildung mithilfe des „patrão“ machen könnten, wäre ich mehr als zufrieden.“

Er meinte, die ‚Schwäche‘ des „patrão“ gegenüber seiner Tochter zu kennen, denn dieser hatte sich des Öfteren lobend über seine Tochter geäußert. Seit einigen Jahren schon hatte Joaquím keine Lebensgefährtin mehr an seiner Seite. Nur einmal über die Jahreswende hatte ihn eine alte Jugendfreundin aus Lissabon besucht. Ansonsten lebte er mehr und mehr zurückgezogen, wohl auch, weil ihn dieser ‚Neue Staat‘ maßlos enttäuschte und er sich selbst in einer großen Lebenskrise befand.

Antónia war inzwischen 17 Jahre alt geworden. Sie begann, berufliche Ambitionen zu haben und träumte davon, später einmal Landwirtschaft oder Biologie zu studieren. Ihr Vater animierte sie, die nachmittäglichen Traktor-Fahrten mit Joaquím nicht aufzugeben, sondern im Gegenteil die Gelegenheit beim Schopfe zu fassen, um so viel wie möglich von den praktischen Kenntnissen des „patrão“ auf dem Gebiet der Landwirtschaft für die Schule und ein eventuelles späteres Studium zu nutzen.

Joaquím war für Antónia lange eine ‚väterliche‘ Persönlichkeit gewesen. Er war ein „tuga“, wie die Portugiesen während der Kolonialzeit genannt wurden, seinem Alter nach hätte er ihr Vater sein können, er war der „patrão“ ihres Vaters, einer der reichsten Männer im Land, aber er ermöglichte ihr seit Jahren den Schulbesuch, machte ihr ab und an kleine Geschenke, weihte sie in die Geheimnisse der Landwirtschaft ein und verbrachte Stunden mit ihr beim Vorlesen. Zu ihm hatte sie als Kind Vertrauen wie zu ihrem Vater gefasst. Natürlich träumte sie davon, dass er ihr vielleicht auch später noch helfen würde, damit sie einmal studieren könnte. Aber daran mochte sie gar nicht denken, denn dieses Privileg kam wohl nur seinen eigenen Kindern zugute.

Antónia befolgte den Ratschlag ihres Vaters, die Begegnungen mit Joaquím weiterhin aufrechtzuerhalten. Die Augenblicke, wenn beide gemeinsam die weiten Felder vor der Abenddämmerung abfuhren, wurden für sie mit der Zeit zu einem immer intimeren Ereignis. Beide verloren nach und nach die Scheu vor dem anderen und suchten die gegenseitige Nähe. Helder und auch Antónias Mutter blieb das nicht verborgen. Wenn ihre Tochter gegen Einbruch der Dunkelheit heimkam, bemerkten sie ihre Unruhe. Aber die Eltern waren sich darin einig, mit Antónia nicht darüber zu sprechen. Sie wollten ihrer Tochter die Entscheidungen selbst überlassen, hofften jedoch, dass der „Patrão“ und ihre Tochter zueinanderfinden würden.

Und so musste es denn unweigerlich kommen. Antónia hatte sich schon seit einiger Zeit vorstellen können, dass Joaquím ihr erster Mann und Geliebter sein könnte, trotz aller Differenzen. Nur die Ungewissheit vor der ersten sexuellen Begegnung ließ sie anfangs zögern. Sie war nicht verliebt, jedoch fühlte sie eine ungeheure Neugier und auch Stolz, dass ein Mann wie Joaquím Interesse an ihr haben könnte. Sie fand ihn wesentlich reifer und männlicher als die Männer und Jungen, die sie kannte. Auch war er sympathischer, klüger und liebenswerter; niemals hatte sie ihn unbeherrscht gesehen. Seine Nähe war ihr mit den Jahren ein Bedürfnis geworden.

Als er erstmals bei einem ihrer gemeinsamen nachmittäglichen Besichtigungen der Zuckerrohrfelder die Gelegenheit nahm, ihre vollen Lippen mit den seinen zu ertasten, erschauerte sie ob der ungewohnten Berührung. Doch sie ließ ihn gewähren, auch als er ihr Gesicht in beide Hände nahm und ihren offenen Mund begehrte.

„Antónia, das bleibt ein Geheimnis unter uns, versprich es mir. Ich will Dir nicht wehtun, und Du sollst wissen, dass ich Dich sehr schätze, und dass ich froh bin, wenn ich Dir mit der Schule helfen kann.“

„Senhor“, sie redete ihn bisher stets mit „Senhor“ an, „abgemacht, das bleibt unter uns, Sie können mir vertrauen.“ Antónias Antwort war leise, erregt und doch bestimmt.

Die folgende Nacht sollten beide mit wenig Schlaf verbringen. Joaquím war sich nicht sicher, ob Antónia mit ihren Eltern darüber spräche. In diesem Fall würde er sich umgehend entschuldigen und das Vorkommen als einen ‚Ausrutscher‘ bezeichnen, der ihm nicht wieder vorkommen würde. Außerdem würde Antónia ihn wohl nicht mehr an den Nachmittagen besuchen kommen. Antónia verschwieg das Geschehnis und fragte sich, wie sich ihr Geheimnis in der Zukunft entwickeln würde. Sie spürte, dass sie in eine neue Welt eintrat, die sie ungeheuer erregte und neugierig machte. Insgeheim hatte sie Angst, Joaquím könnte seine Zuneigung bereuen, sich entschuldigen für das Geschehene und versichern, das käme nicht noch einmal vor; zudem sei er außerdem viel zu alt, um mit ihr eine Beziehung zu haben.

Am Nachmittag darauf gab sie sich anfänglich so natürlich und unbefangen wie möglich, als sei der Tag zuvor wirklich ein einmaliger ‚Ausrutscher‘ gewesen. Joaquím war froh über ihr Kommen; damit zeigte sie, dass sie über die Entwicklung ihrer Beziehung einzig selbst entscheiden wollte, ohne Helder und ihre Mutter mit einzubinden. Nach einigen verlegenen Augenblicken wurden beide wieder voll in den gegenseitigen Bann gezogen, den sie am Vortag zum ersten Mal erfahren hatten. Diesen Nachmittag waren ihre Berührungen von wachsender Neugierde und beiderseitigem Zugeständnis geprägt. Antónia überließ nicht nur Joaquím die Initiative, auch sie begann ihre eigene Entdeckungsreise.

Joaquím wunderte sich über sich selbst. Er hatte lange Ehejahre hinter sich, hatte ein stürmisches und ihn grundlegend veränderndes Verhältnis mit Luisa gehabt. Er glaubte sich erfahren und routiniert in Liebesbeziehungen, doch jetzt mit Antónia fühlte er sich auf einmal wie am Anfang seines Erwachsenenlebens: Als wäre Antónia nach Teresa seine erste Freundin, mit der er nicht nur sein sexuelles Erwachen, sondern auch seine Zuneigung, seine liebende Wärme, sein Bedürfnis nach Beschützen ausleben würde.

Auf der anderen Seite sagte sich Antónia, dass sie zwar nicht Hals über Kopf in Joaquím verliebt sei, dass sie aber wissen möchte, was es heißt, Frau zu sein, was es heißt, einen Mann zu besitzen, sich mit ihm auszutauschen, Geheimnisse zu teilen, ihm vertrauen zu können, von ihm Hilfe zu erfahren, aber auch ihn mit ihren Gefühlen beschenken zu können. Sie ahnte, dass sich ihr eine unbekannte Sinneswelt auftun würde, dass Emotionen geweckt würden, die sie schwerlich in den Griff bekäme. Aber das war ja von ihr gewollt, und sie war sich bewusst, dass sie sich unbedingter als ihre Freundinnen und angstfrei in das Abenteuer des Lebens stürzen wollte. Außerdem würden die großen Unterschiede zwischen Joaquím und ihr es beiden erlauben, die Beziehung jederzeit zu beenden.

Mit diesen Gefühlen auf beiden Seiten hatten sich Antónia und Joaquím in ein Verhältnis verfangen, das von beiden wechselseitig und beinahe wie von Zwang getrieben vorwärts gestoßen wurde, immer unter dem Antrieb der Entdeckung des Anderen. So bauten sie sich ihre eigene Welt, zu der Dritte keinen Zugang hatten. Helder und seine Frau sahen das Unvermeidliche mit wohlwollenden Augen, obwohl sie doch auch Angst hatten, ihre selbstbewusste Tochter könnte sich in dieser neuen Welt verlaufen. Aber sie hofften, Joaquím wäre ihr zumindest am Anfang ihres Weges eine vertrauenswürdige Stütze.

Joaquím und Antónia begannen, das Mittagessen beinahe täglich gemeinsam einzunehmen und auch die anschließende Siesta zusammen zu verbringen. Nach und nach wurden für beide diese Stunden zu etwas Selbstverständlichem in ihrem Tagesablauf, und auch Amélia und die Farmarbeiter gewöhnten sich an diese neue Situation ihres „patrão“. Die Beziehung zu Joaquím machte Antónia immer sicherer und zielstrebiger in ihrem Auftreten. Ihre Schulfreundinnen betrachteten sie mit zunehmendem Respekt, hatte sie doch in vielen Dingen ein reiferes Urteil als sie. Die portugiesischen jungen Lehrer, die über die bilaterale Kooperation ins Land gekommen waren, schätzten ihre Ernsthaftigkeit und ihren Fleiß, und sie hätten ihr am liebsten den Hof gemacht, wenn sie nicht bei den geringsten Annäherungsversuchen so unnahbar reagieren würde.

Joaquím hatte wieder einmal Antónia zum Mittagessen eingeladen. Beim letzten Besuch hatte er ihr versprochen, ihr neben dem Schulgeld auch Geld für neue Jeans und ein T-Shirt zu geben. Zu Amélia hatte Joaquím am Morgen gesagt, sie solle den Mittagstisch für beide decken und auch ein Dessert aus Süßkartoffeln zubereiten. Widerspruchslos nahm sie die Anweisung entgegen, aber innerlich grämte sie sich nach wie vor, dass es Helders Tochter war und nicht ihre eigene, die vom „patrão“ mit Aufmerksamkeit bedacht wurde. Dabei musste sie auch an João denken, der ebenso wie Joaquím neben einer jungen Frau aufblühte wie in ihren ersten Ehejahren. Warum hatte sie nicht das gleiche Recht wie ihr Mann? Sie sehnte sich nach einem Liebhaber, einem Mann, mit dem sie ihre intimsten Wünsche ausleben konnte? Warum auch nicht? Vor Jahren noch, als Joãos zweite Frau ins Haus kam, kehrte sie regelmäßig zur Trockenzeit zu ihren Eltern in ihr Heimatdorf zurück, um sich mit ihrem Jugendfreund zu treffen. Der hatte seinerseits eine große Familie, aber das tat ihrer gegenseitigen Beziehung keinen Abbruch. João wusste davon, ließ sich jedoch äußerlich nichts anmerken. Bei den „Pepel“ und den „Balante“ nahmen sich die Frauen das Recht auf einen Liebhaber, und die Männer hatten das zu akzeptieren.

Antónia betrat das Haus als sei es ihr eigenes. Als sie inmitten des großen Eingangssaales, der gleichzeitig als Speisesaal und Wohnzimmer diente, stand, hatte Amélia den Eindruck, dass diese junge Frau dem halb abgedunkelten Raum neuen Reiz verlieh, und dass sich ihr alle Gegenstände unterzuordnen hätten. Obwohl Antónia erst siebzehn Jahre alt war, strahlte sie eine natürliche Persönlichkeit aus, die die Menschen ihrer Umgebung nicht gleichgültig ließ.

Als kurz darauf Joaquím die Türschwelle überschritt und Antónia bereits am Tisch sitzen sah, hellte sich seine Mine sogleich auf. Gerade erst hatte er ein unangenehmes Gespräch mit einigen Parteikadern aus dem Bairro hinter sich, die ihn um kostenlosen „aguadente“ angingen. Unter allerlei Vorwänden verlangten sie wie selbstverständlich diese Dienstleistung und betonten dabei, dass er sich glücklich schätzen könne, bisher nicht enteignet worden zu sein. Doch selbst die Ärmsten hatten für ihren Schnaps, den sie meistens für Trauerfeierlichkeiten oder animistische Zeremonien benötigten, zu bezahlen. Ansonsten bekamen nur die Farmarbeiter zum Monatsende einen halben Liter umsonst zum Lohn.

„Antónia, wie geht’s?“ Joaquím gab ihr zur Begrüßung auf beide Wangen ein „beijinho“, ein Küsschen. „Ich nehme schnell eine Dusche, dann essen wir.“

Daraufhin verschwand er im Schlafzimmer, streifte sich die verschwitzten Kleider ab und gab sich einige Minuten dem belebenden Gefühl hin, das das Wasser auf seinem Gesicht und Körper hinterließ. Es war, als wolle er sich die Belästigungen vonseiten der Regierung, die in den letzten Jahren stetig zugenommen hatten, vom Leibe spülen. Doch der Gedanke, dass er gleich mit Antónia essen würde und danach eine Siesta mit ihr verbrächte, versetzte ihn in jugendlichen Aufruhr.

Erfrischt und gut gelaunt setzte er sich Antónia gegenüber und befragte sie nach ihrem heutigen Schultag. Beide ließen sich den in Kokosmilch gekochten Reis mit Hühnchen und Erdnusssoße schmecken. Dazu gab es frischen Mangosaft und zum Nachtisch Süßkartoffelpudding.

Als Joaquím und Antónia schließlich satt, zufrieden und nackt nebeneinander unter dem Mosquitonetz lagen, und der Ventilator über ihnen frische Luft verströmte, wollte Joaquím nur noch Eines: Den Augenblick so intensiv wie möglich genießen, alles um ihn herum vergessen, sein Alter, seine Probleme, seine Arbeit. Er wollte wie ein Zwanzigjähriger, der noch nichts vom Leben erfahren hatte und gerade erst seine Sexualität und Liebesfähigkeit entdeckte, mit Antónia auf eine Reise gehen, die nur sie beide erleben würden, die niemand stören könne.

Joaquím konnte sich gar nicht genug sattsehen an diesem makellosen jungen Frauenkörper. Auch strömte Antónia einen Geruch aus, der alle seine Sinne in Bewegung versetzte. Er bat sie, sich auf den Bauch zu legen. Erst mit den Fingerspitzen, dann mit seiner Zunge tastete er ihren Körper, ihre Rundungen und Vertiefungen ab. Er verlor sich in seiner ihm eigenen Landschaft der Begierde und wünschte sich, dass die Vereinigung mit Antónia ewig anhalten möge.

Antónia ihrerseits begann, die Liebesspiele mit Joaquím mehr und mehr zu lieben. Er war ihr erster Mann. Zuerst wunderte sie sich, warum ihre Freundinnen und die Frauen ihrer Familie der Sexualität eine so große Bedeutung beimaßen. Aber schon bald hatte Joaquím entdeckt, wie er Antónias Begierde wecken konnte, und es dauerte nicht lange, dass sie von sich aus nach Joaquím verlangte. Nicht nur Joaquím, auch sie geriet langsam in eine sexuelle Abhängigkeit, die sie nur schwer vor anderen zu verbergen wusste. Die Siesta mit ihm wurde ebenso für sie zu einem Sinnesereignis, von dem sie nicht mehr lassen mochte. Jedes Mal, wenn sie die Vereinigung mit ihm bis ins Innerste spürte, würde sie am liebsten laut Aufschreien und sich an Joaquím festkrallen, als wolle sie ihn mit Haut und Haaren besitzen und nie mehr loslassen. Dann überfiel sie zugleich ein solches Glücksgefühl, dass sie sich Joaquím in ihrer Fantasie als Zwanzigjährigen vorstellte, mit dem sie die Flucht in eine unbekannte Welt anträte.

Erst nachdem sich ihre ekstatische Spannung gelöst und einer wohligen Strömung Platz gemacht hatte, die nach und nach ihren gesamten Körper und ihr Gehirn zu durchfluten begann, kehrte auch ihr Realitätssinn langsam zurück. Doch dieser konnte ihre Zärtlichkeitsgefühle Joaquím gegenüber nicht bremsen. Als wäre sie dankbar für das Erlebte, musste sie ihn immer wieder streicheln und küssen, dort, wo er am empfindsamsten war. Auch liebte sie seinen Körpergeruch, der so verschieden war wie der, den sie von den Männern und Freunden ihrer Umgebung gewohnt war.

„Joaquím, fühlst Du Dich wohl bei mir?“ Sie hoffte, er hätte ähnliche Gefühle wie sie.

„Antónia, ich könnte den ganzen Nachmittag mit Dir im Bett verbringen!“

„Dann sag doch João und meinem Vater, Du fühltest Dich heute nicht wohl und hättest Angst, eine Malaria zu bekommen. Du müsstest im Bett bleiben.“

Joaquím brach in Lachen aus: „Meine Liebe, die errieten doch sofort den Grund meiner Abwesenheit, und das umso eher, wenn sie erführen, dass Du Dich um mich sorgen würdest.“

Das brachte Antónia ebenso zum Lachen, und sie warf sich bäuchlings auf Joaquím, um seinen und ihren Körper gleichzeitig zu fühlen.

„Wirst Du von jetzt an nur noch mich lieben,“ fragte Antónia überschwänglich.

„Antónia, Du weißt nicht, was Du fragst.“

„Joaquím, in letzter Zeit fühle ich mich wie besessen von Dir. Ich würde am liebsten vormittags die Schule schwänzen, hinaus auf die Zuckerrohrfelder laufen und Dich von den Arbeitern weglocken. Wir könnten uns zwischen den Zuckerrohrstauden verstecken. Dort wären wir allein, niemand würde uns sehen, und wir könnten uns Tag und Nacht lieben.“

Joaquím war wie betrunken von dieser ungestümen Macht und Jugendlichkeit, die Antónia verbreitete. Doch er konnte all die Jahre, die zwischen ihm und Antónia lagen nicht so einfach beiseiteschieben. Und nicht nur die Zeit stand wie eine schroffe Bergwand zwischen ihnen. Es lagen viele Berge dazwischen. Der Kolonialismus war gerade erst ein Jahrzehnt vorüber. Der ‚Neue Staat‘, der ‚Neue Mensch‘, alles nebulöse Verheißungen, die in zunehmendem Masse zur Verelendung der Guineer beitrugen. Dazu kam, dass außerhalb von Guinea Bissau ein Liebesverhältnis, wie er es mit Antónia hatte, aus den verschiedensten Gründen verurteilt würde. Antónia war so jung, sie wusste so wenig vom Daseinskampf des Lebens, von Rassismus, sozialer Ungerechtigkeit, religiösem Fundamentalismus, staatlicher Repression; sie ahnte ebenso wenig, welche Auseinandersetzung Joaquím mit sich selbst und seinem Alterungsprozess durchmachte. Sie kannte Joaquíms kleine Eitelkeiten nicht, wenn er sich morgens beim Waschen im Spiegel betrachtete und seiner zunehmenden Falten bewusst wurde, wenn er sich fragte, ob er wohl noch attraktiv für Frauen sei, oder ob diese ihn als alten Mann abtun würden. Sicher, er war sich bewusst, dass seine Virilität nicht unter den Jahren gelitten hatte, dass er beim Anblick einer anziehenden Frau beinahe mehr als früher in Unruhe geriet. Auch war ihm die körperliche Arbeit auf der Farm bisher nicht über den Kopf gewachsen. Doch erschrak er erst kürzlich über das plötzlich auftretende Ohrenrauschen, das er nach Stunden des Liegens verspürte. Des Weiteren plagte ihn seit einiger Zeit ein leichter Schmerz im rechten Handgelenk.

Aus all diesen Gründen kam Joaquím nicht umhin, sich Gewissensbisse über seine Beziehung zu Antónia zu machen. Hatte er in seinem Alter eigentlich ein Recht auf Liebe zu einer jungen Frau, die am Anfang ihres Lebens stand. Doch jedes Mal, wenn er in ihrer Gesellschaft war, verschwanden die Skrupel, und all seine Sinne wurden von ihr eingenommen. Ihr wiegender Gang, ihr offenes Lachen, ihre verführerische Stimme, ihre verheißungsvollen Lippen, ihre gerade Nase mit den sensiblen Nasenflügeln, die bei den geringsten Sinneswahrnehmungen in Bewegung gerieten, ihr Gesichtsprofil, ihre Lebenslust und Neugierde: Welcher Mann wurde von ihrer Gegenwart nicht gefangen?

Antónia ihrerseits machte sich weniger Gedanken um die moralische Seite ihrer Beziehung zu Joaquím. Sie genoss einfach die Entdeckung ihrer Sexualität als ein selbstverständliches Recht, das ihr in ihrem Alter zustünde. Ihre Mutter, die Frauen und Mädchen in der Nachbarschaft, alle hatten ihre ersten sexuellen Erfahrungen bald nach der ersten Menstruation gemacht. Auch waren Beziehungen zu älteren Männern, die ihre Väter oder sogar Großväter sein könnten, nichts Besonderes. Viele Mädchen und Frauen zogen derartige Beziehungen vor, da sie materielle Vorteile boten. Vor allem hatten auch die Schule und die Parteipropaganda dazu beigetragen, dass die Mädchen der Hauptstadt, im Gegensatz zu ihren Müttern, einen Schulbesuch und möglichst ein Studium im Ausland anstrebten, und das kostete viel Geld. Jedes Jahr wurden Stipendien für viele Länder vergeben, und die Familien waren stolz, wenn ihre Söhne und Töchter zu den Auserwählten gehörten, die in der ‚großen, weiten Welt‘ ihr Glück finden könnten. Vielleicht würden sie eines Tages mit einem Diplom in der Tasche und einer vielversprechenden Berufskarriere nach Bissau zurückkehren, oder sie würden als gut verdienende Emigranten monatliche Überweisungen an ihre daheimgebliebenen Familien schicken.

Antónia hatte viel mit ihren Klassenkameradinnen über die verschiedenen Optionen diskutiert, die ein Mädchen in ihrem Alter, die die einzige Oberschule in der Hauptstadt besucht, für die Zukunft hat. Seit zehn Jahren war Joaquím für ihren Schulbesuch aufgekommen, und sie machte sich Gedanken, wie es nach dem Abitur weitergehen sollte. Es war da einmal die Gruppe der Schülerinnen, die Kinder der Nomenklatura waren. Deren Väter, manchmal auch Mütter, waren die höchsten Kader in der PAIGC. Diese waren die „gente importante“, die neue Oberschicht, die Partei- und Regierungsbürokratie, die die Kolonialbeamten und portugiesischen Militärs ersetzt hatten, und die jetzt das Monopol der Verfügungsgewalt über die nationalen Ressourcen innehatten. Sie teilten sich selbstbestimmte, großzügige Einkommen zu, hatten sich die schönsten Häuser der ehemaligen Kolonialisten angeeignet, besaßen die einzigen Autos im Lande, zumeist von der schwedischen Regierung geschenkte Volvos, mit Klimaanlage inbegriffen, und hatten freien Zugang zu den „Armazéns de Povo“, den Volksläden, die als einzige das Recht auf den Import von Gütern besaßen. Die Kinder dieser Nomenklatura hatten prioritären Zugang zu Stipendien und konnten sich die Länder aussuchen, in denen sie studieren wollten. Obwohl die PAIGC eine sozialistische Partei war, ideologisch geschult von Experten aus der ehemaligen Sowjetunion und der DDR, und Guinea Bissau viele Stipendienangebote aus Ländern des damaligen Sowjetblocks bekam, zogen die Kinder der Nomenklatura ein Studium in westlichen Ländern vor. In dieser Gruppe befanden sich auch die Schülerinnen, die sich als Liebhaberinnen der Regierungs- und Parteiobersten eine Zukunft schmieden wollten.

Dann gab es die Gruppe von Schülerinnen, die es auf eine Beziehung und Heirat mit den ausländischen Kooperanten abgesehen hatte, insbesondere die Kooperanten, die aus den westlichen Ländern in Guinea Bissau arbeiteten. Das waren zumeist junge Akademiker, die am Beginn ihrer internationalen Berufskarriere standen. Eine Beziehung mit ihnen bot eine Aussicht auf ein späteres Studium und Leben im Ausland.

Eine dritte Gruppe waren die Schülerinnen, die Kinder der kleinen nationalen Bourgeoisie waren, Kinder von Kaufleuten oder Verwaltungsbeamten, die auch schon als „Assimilierte“ in der Kolonialverwaltung tätig waren. Diese hatten ein Studium in Lissabon geplant, wo sie bei emigrierten Familienangehörigen Unterschlupf zu finden hofften.

Antónia gehörte keiner dieser Gruppen an. Sie hatte lediglich das Glück, dass ihr Vater auf Joaquíms Farm arbeitete, und dieser die intelligentesten Kinder seiner Arbeiter zum Schulbesuch ermutigte. Helder befürwortete unausgesprochen Antónias Beziehung zu Joaquím. Er selbst wünschte sich insgeheim für seine älteste Tochter ebenso ein Auslandsstudium wie sie selbst, wusste jedoch, dass er ein solches niemals finanzieren könnte. Und bezüglich der Partei hatte er inzwischen sämtliche Illusionen verloren. Schon kurz nach der Unabhängigkeit usurpierten und zentralisierten die höchsten Parteikader die Macht im neuen Staat, wie es selbst in den Jahrzenten vor der Unabhängigkeit der Kolonialverwaltung nicht gelang. Geheimpolizisten des KGB und der STASI halfen dabei gewaltig nach; es wurde ein guineischer Geheimdienst und eine Behörde für ideologische Wachsamkeit eingerichtet. Denunziantentum war weit verbreitet, vom ‚Neuen Menschen‘ Amilcar Cabrals war weit und breit nichts zu sehen. Helder und seine Freunde im Bairro und auf der Farm fragten sich, was denn aus der ‚Abschaffung der Herrschaft von Menschen über Menschen‘ geworden sei, wo doch die Herrschaft der PAIGC mindestens so absolut war wie die der portugiesischen Kolonialisten. Auch waren Helder und die übrigen Farmarbeiter entschieden gegen eine Enteignung von Joaquíms beiden Zuckerrohrfarmen. Die Cashewplantagen von Joaquím außerhalb der Hauptstadt, die gleich nach der Unabhängigkeit verstaatlicht wurden, waren inzwischen total heruntergewirtschaftet und die Arbeiter hatten die Farmen verlassen. Die Parteikader verstanden etwas vom Guerillakrieg, nicht aber wie ein landwirtschaftlicher Betrieb geführt werden musste, um wirtschaftlich zu sein.

Heute wagte Antónia zum ersten Mal, mit Joaquím offen über ihre Zukunftswünsche zu sprechen: „Joaquím, was wird aus uns beiden, wenn ich im kommenden Jahr meinen Sekundarabschluss gemacht habe?“

Joaquím antwortete ohne zu zögern: „Du solltest unbedingt ein Hochschulstudium beginnen. Du bist die Beste in Deiner Klasse, und mir würdest Du damit die größte Freude bereiten. Ich werde Dir dabei helfen. Du könntest entweder in Portugal oder Brasilien studieren.“

Antónia konnte ihre Glück gar nicht fassen. Sie stürzte sich auf Joaquím, herzte und küsste ihn und rieb ihren Körper an dem seinen. Sie wollte ihm so nahe sein, wie es nur eben ging und ihn tief in sich spüren, um jedwede Gedanken an eine Trennung zu verscheuchen.

„Aber dann werden wir nicht mehr so zusammenleben können wie jetzt!?“

Joaquím war mit einem Mal sehr ernst geworden. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete: „Das ist mir klar. Das wird früher oder später der Fall sein. Ich weiß nicht, wie lange ich noch leben werde und wann mich die Kraft verlässt, die Arbeit, die ich liebe, zu verrichten. Dass Du mir so wichtig geworden bist, dass ich Dich am liebsten für immer an meiner Seite hätte, ist wie ein Geschenk, das ich nicht erwartet habe. Aber ich kann von Dir nicht verlangen, dass Du Dein Leben nach mir ausrichtest. Im Gegensatz zu mir hast Du Dein ganzes Leben noch vor Dir. Und es wird ein reiches Leben sein, das ahne ich jetzt schon. Du wirst Dein Studium mit der gleichen Kraft absolvieren, wie Du jetzt Deine Schule bewältigst. Und Du wirst junge Männer kennenlernen, die Deine Interessen teilen. Den einen oder den anderen wirst Du so lieb gewinnen, dass Du Dir Kinder von ihm wünschst.“

Antónia entgegnete bestimmt: „Ich will jetzt nicht daran denken, was die spätere Zukunft bringen wird. Auf jeden Fall sind wir noch ein Jahr hier zusammen, und dieses Jahr möchte ich mit Dir als Deine Frau leben. Versprichst Du mir das?“

Joaquím wurde sich wie schon so oft bewusst, dass Antónia wie eine erfahrene Erwachsene scheinbar mühelos und gradlinig Entscheidungen traf, und dass sie mit Zielstrebigkeit jeden ihrer Schritte anging.

„Ich hätte nichts lieber, als dass Du ganz bei mir wohnst. Sprich mit Deinen Eltern darüber. Wenn Du willst, kannst Du schon heute Abend bei mir einziehen. Stell Dir vor, dann haben wir in Zukunft nicht nur die Siesta für uns, sondern auch die Nächte. Und ich brauch Dich auch nicht mehr vor den Bekannten zu verstecken.“

Joaquím und Antónia fielen sich von Neuem in die Arme und liebten sich, bis sie vor Ermattung in einen süßen Schlaf fielen.

Die nächsten Tage brachten für beide entscheidende Veränderungen mit sich. Antónia richtete sich in Joaquíms Haus ein, als sei sie nun die neue Hausherrin. Amélia passte das ganz und gar nicht, denn von jetzt an musste sie auch von Antónia Anweisungen hinnehmen. Bald wusste das ganze Bairro, dass der „patrão“ nicht mehr allein war, dass er eine neue Lebensgefährtin hatte. Den meisten im Bairro gefiel das, vor allem, weil Antónia eine der ihren war und keine „tuga“. Ihre Freundinnen beneideten sie, sie wussten, Joaquím würde ihr ein Studium und ein zukünftiges Leben frei von Armut ermöglichen. Antónia selbst kümmerte sich weniger um die Reaktionen der Nachbarn und Freundinnen. Sie stürzte sich nur umso eifriger in ihre Schulstudien und wollte Joaquím eine Stütze bei seiner Arbeit sein. Die Rollenänderung von der heimlichen Geliebten zur täglichen Gefährtin an seiner Seite vollzog sie, als sei es das Natürlichste in der Welt.

Joaquím wurde seinerseits von den wenigen Freunden, die ihm nach der Unabhängigkeit verblieben, beneidet. Sie wurden Zeugen, wie er trotz des immer schwieriger werdenden politischen Umfeldes mit noch größerer Aufmerksamkeit an seine Arbeit und an die Verbesserungen der Lebensbedingungen seiner Arbeiter heranging. Antónia behandelte er in ihrer Gegenwart wie eine ‚Prinzessin‘, der er die Wünsche von den Lippen absah. Der eine oder andere Bekannte meinte zwar, Joaquím mache sich lächerlich, in seinem Alter ein derart junges Mädchen zu hofieren, als sei er ein Zwanzigjähriger. Aber diejenigen, die Joaquím besser kannten, ahnten, dass sich da zwei Menschen gefunden hatten, die trotz der vielen Unterschiede einander wesensverwandt waren.

Tatsächlich war Joaquím glücklicher als je zuvor in seinem Leben. Es kam ihm vor, als würde er erst jetzt die Welt um sich herum wahrnehmen, wie sie wirklich ist. In Antónia erkannte er die enormen menschlichen und intellektuellen Fähigkeiten, die nur geweckt und entwickelt zu werden brauchten. Er war sich sicher, dass sie eine außergewöhnliche Persönlichkeit werden würde. Gleichzeitig war er traurig, dass er sie nur auf einer kurzen Wegstrecke ihres Lebens begleiten könnte. Das Leben seiner Arbeiter und deren Familien wurden für ihn zu bunten Bilderbüchern, in denen er seine Farben mit hineinmalte. In dieser begrenzten Umgebung fand Joaquím eine neue Sinnhaftigkeit. Es war, als ob er mit Antónia und den Arbeiterfamilien daranginge, das wahre ‚Neue Guinea Bissau‘ im ‚Taschenbuchformat‘ und im alltäglichen Leben zu erkunden. Gab es so etwas wie Gleichheit unter ihnen, Gleichheit zwischen Schwarz und Weiss, zwischen unterschiedlichen Weltanschauungen? Könnten Unterschiede zwischen der Handarbeit seiner Arbeiter und seiner planerischeren Tätigkeit verringert werden? Und wenn ja, wie?

Die offiziellen politischen Diskussionen um das ‚Neue Guinea Bissau‘ ermüdeten Joaquím immer mehr. Er und ein Großteil seiner Arbeiter waren zu der Überzeugung gelangt, dass das Land mit der PAIGC und ihrer Ideologie keine Zukunft haben würde. Die Ideologie stimmte nicht, sie war den verschiedenen Völkern und Kulturen wesensfremd und könnte nur mittels menschenverachtender Repression durchgesetzt werden. Die Ethik der Nomenklatura stimmte ebenfalls nicht. Machtbesessenheit und persönliche materielle Bereicherung auf Kosten der guineischen Völker würde das Land nach und nach ins Chaos stürzen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er gezwungen sein würde, Guinea Bissau zu verlassen. Die Zuckerrohrkooperative der Armee funktionierte nur bis zu den ersten Ernten. Die führenden Militärs in Bissau wurden immer begehrlicher. Anstatt die Überschüsse für neue Investitionen und Instandhaltung zu verwenden, wurden sie für persönliche Zwecke ‚privatisiert‘.

Seit Beginn seiner Beziehung zu Antónia schleppte Joaquím ein Problem mit sich herum; doch wusste er nicht, wie er es anpacken sollte. Er vertraute sich Antónia an, ohne zu hoffen, dass sie ihm bei diesem Problem helfen könnte. Wie konnte sie mit ihren siebzehn Jahren über Dinge urteilen, die außerhalb ihrer Erfahrungen lagen. Aber schließlich musste er es mit ihr besprechen. Irgendeine Lösung würde sich schon finden.

„Antónia, Du weißt wohl, dass ich eine Tochter habe, die Lourdes heißt, und die zehn Jahre älter ist als Du? Sie wohnt jetzt in Paris.“

„Joaquím, Du hast öfter von ihr gesprochen. Außerdem habe ich sie gesehen, wenn sie Dich besuchen kam. Was bedrückt Dich denn?“

„Wir sind uns erst in den letzten Jahren nähergekommen. Als sie klein war, habe ich sie fast nie gesehen. Zur ihr hatte ich nicht so eine Beziehung wie zu Dir. Sie kannte nichts von meinem Leben, und ich hatte keine Ahnung, wie sie in Lissabon aufwuchs, wo sie praktisch ohne Vater war. Erst mit Beginn ihres Studiums in Paris haben wir begonnen, uns regelmäßig zu treffen und haben nach und nach unsere Vater-Tochter-Beziehung aufgebaut. Das hat ihr bei der Studienauswahl und der Festigung ihres Selbstbewusstseins geholfen. In Portugal war es nicht einfach, als Kind einer schwarzen Mutter und eines weißen Vaters aufzuwachsen, der außerdem Jahre hindurch abwesend war. Lourdes‘ Mutter Luisa stammt aus Jal, woher auch Dein Vater kommt. Ich habe mit Lourdes die Familie in Jal besucht. Hier in Bissau hat sie auch die Motivation bekommen, Medizin zu studieren und die Wurzeln ihrer Herkunft kennenzulernen. Im kommenden Jahr, wenn Du Deinen Schulabschluss machst, wird Lourdes mich besuchen. Sie hofft, bis dahin auch mit ihrem Studium fertig zu werden und dann eine Zeit lang als Assistenzärztin zu arbeiten, bis sie als ausgebildete Gynäkologin anerkannt wird.“

„Wenn sie diesmal nach Bissau kommt, kann ich sie ja auch kennenlernen,“ schlug Antónia vor.

„Das ist ja gerade mein Problem. Ich habe Lourdes bisher nichts von unserer Beziehung erzählt. Was soll sie von ihrem Vater denken? Erst vor einigen Jahren hat sie Vertrauen zu mir gewonnen. Ich habe seit der Unabhängigkeit immer allein gelebt. Lourdes hätte es wohl gern gesehen, wenn ich wieder mit Luisa zusammengezogen wäre. Aber Luisa hat ihr Leben in Lissabon, ich habe das meine in Bissau.“

„Joaquím, hier in Bissau gibt es mehrere Beziehungen wie die unsrige. Niemand regt sich darüber auf.“

„Weißt Du, wenn ich ehrlich bin, habe ich Angst vor den Vorwürfen meiner Tochter, die ich so liebe. Andererseits habe ich Dich lieb, als seist Du meine Frau. Ihr beide seid mir die liebsten Menschen, die ich habe.“

Antónia machte Joaquím einen Vorschlag: „Joaquím, lass uns alle drei miteinander reden. Lourdes wird Dich verstehen, da bin ich mir sicher. Wenn sie Dich liebt, wird sie wollen, dass Du glücklich bist. Und sie wird sich davon überzeugen können, dass wir beide uns lieben, und dass auch Du sie weiterhin lieben wirst.“

Wieder einmal wunderte sich Joaquím, wie selbstverständlich und unkompliziert Antónia die schwierigsten Probleme anging. Sie machte ihm Mut, sich mit seiner Tochter auseinanderzusetzen. Antónia hatte recht, seine Beziehung zu ihr hatte weder mit Moral zu tun noch bedeutete sie einen Liebesentzug gegenüber seiner Tochter.

Ende der 2. Folge

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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