°Wir° wollen eine Stadt bauen?

An Jakob Augstein Ein Blog wurde auf Wunsch eines der Organisatoren der Hamburger Mahnwache von der Online-Redaktion gelöscht und das dem Blogger mit unzureichenden Quellen begründet.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/07/ShadeClothOnScaffold.jpgBild von Horst Kiechle Creative Commons Wikimedia

Einer der Blogs, die ich vom Beginn des °Projekt Freitag° gern erinnere, lieber Jakob Augstein, war Ihre Kleine Kritik an der Kritik am Freitag, daraus:

Es gibt Netznomaden, die weiterziehen wenn die Steppe abgegrast ist. Und es gibt andere, die bleiben und Zisternen graben. Netznomanden werden keine Städte bauen. Wir wollen eine Stadt bauen.

Der Blog von Wilhelm Brüggen anläßlich der "Schlüsselübergabe" des Freitag an Sie ein knappes Jahr zuvor hieß: Ein gut bestelltes Haus.

Am 21.4.2014 erschien beim Freitag ein Blog über die Hamburger Mahnwache, geschrieben von einem Journalisten unter seinem bürgerlichen Name, mit seinem Bild, er ist Chefredakteur eines renommierten Reisemagazins und des dazugehörigen Verlags. Der Blog ist das Resümee persönlicher Inaugenscheinnahme einer von Querfrontlern, Sekten, Nazis, Inhabern kurioser Weltbilder unterlaufenen Demonstration, gut zu lesen, offenkundig mit Ortkenntnis und Hintergrundwissen geschrieben. Dieser Blog wurde bei Rivva, beim Störungsmelder/Zeit Online und auf vielen weiteren Plattformen verlinkt, hier und hier ist er im Original-Wortlaut nachzulesen.

***Update s.u.

Am 22.4.2014 erschien in einem YouTube-Kanal, der in Verbindung zu polizeibekannten Rechtsextremisten steht, ein Video, in dem u.a. zur *Festhaltung* des Blogautors aufgerufen wurde. Ich meldete das Video (erfolglos) als Cyberbullying bei YouTube und schrieb dem Freitag-Community-Support eine Email, in der ich auf das Video aufmerkam machte, um Anschluß an die Meldung bei YouTube und um Aufmerksamkeit zugunsten des Blogautors und für den zu erwartenden Kunstrasen bat. Tatsächlich dauerte es nur wenige Stunden, bis beim Freitag (neben erstaunlich vielen Neu-Nutzern mit lausigen Manieren und hermetischen Weltbildern in den letzten Wochen) ein Nutzer auftauchte, der u.a. des Blogautors Geschäftskontaktdaten inklusive Telefon- und Faxnummer veröffentlichte. Der Community-Support erhielt eine zweite Email von mir, vermutlich nicht nur ich meldete die (ich glaube) 5 Kommentare online. Sie blieben >14 Stunden stehen.

In der Nacht zum 23.4.2014 wurde das Auto des Blogautors demoliert. Offenbar ermittelt jetzt die Polizei, die Staatsschutz-Abteilung des LKA soll sich ebenfalls eingeschaltet haben.

Am 24.4. stellte ich bei Überprüfung der links in der Infoleiste meines Blogs fest, daß besagter Blog und die Diskussion verschwunden waren, ich nahm zunächst an, der Blogautor hätte ihn selbst zum Schutz seiner Person gelöscht. Kurz darauf erhielt ich die Information, daß nicht er selbst, sondern die Online-Redaktion den Blog auf den telefonisch geäußerten Wunsch eines der Organisatoren der Hamburger Mahnwache gelöscht und die Löschung dem Blogautor mit unzureichender Quellenlage seines Textes begründet hatte.

Wie? Wie bitte?

Ein Journalist hat für einen Kommentar seine Quellen zu nennen, vielleicht auch gleich noch seine Informanten? Eine Meinung, geschrieben nach dem persönlichen Eindruck einer politischen Demonstration, bedarf der Belegung durch zusätzliche Quellen? Der Organisator einer Demonstration wünscht ausschließlich unkritische Bespiegelung seiner Demonstration, droht andernfalls mit Klagen (eine unter den neuen Friiiiedensfreunden offenbar recht übliche Attitüde)? Der Freitag als linkes Meinungsmedium kommt diesem Wunsch bereitwillig nach und löscht einen nach allen Regeln des Pressekodex geschriebenen Blog? Der Freitag tritt einen Blogger, der wegen seines Blogs bedroht, gestalkt und geschädigt wird, zusätzlich ins Gesicht? Der Freitag reißt durch diese Bloglöschung ein Loch in die Vernetzung der Blogosphäre und damit in die Pressefreiheit auch anderer Medien?

Und ich dachte bislang, derlei läse ich bei Reporter ohne Grenzen über Irgendwoistan, nicht über Der Freitag, Berlin, Hegelplatz 1.

Ihre letzte Teilnahme an einer Diskussion beim Freitag fand im Mai des letzten Jahres statt, als Sie in Ihrem Blog Schluss mit kostenlos die Paywall der B***-Zeitung lobten, deren Berichterstattung in den Rang des Respektablen hoben und die °Kulturtechnik des Zahlens° anmahnten. Ihre letzten Worte an die FC waren: nuff said.

Davor schrieben Sie: °... Hans Leyendecker deckt irgendetwas auf und die Regierung muss sich warme Socken anziehen. Lachen Sie darüber? Ist Ihnen das egal? Ich nicht. Mir nicht. Das ist die Funktion der Presse. Erinnern Sie sich, was wir dieser Funktion verdanken. Das geht uns alle an. Buchstäblich. ... Es geht nicht um die Würde des Netzes. Es geht um die Standfestigkeit einer Säule der westlichen Demokratie. Nichts weniger, nichts mehr°

Lieber Jakob Augstein, Ihnen wird an jedem einzelnen Tag geldwerte Leistung durch Ihre Blogger angeliefert. Menschen investieren ihre unbezahlbare Freizeit, ihre Expertise, Recherche, Arbeit in die zu bauende Stadt des Freitag, sie graben fleißig an so mancher Zisterne. Mit unterschiedlichen Ansprüchen an das Medium, an das °Projekt Freitag° und an sich selbst, in unterschiedlicher Qualität und Quantität.

Zu den Montagsdemonstrationen und Mahnwachen wurde bis zum 26.4. um 6h nur von Ihren Bloggern berichterstattet und diskutiert. Es wurde der FC allein überlassen, sich mit zahllosen neuen Nutzern herumzuschlagen, die ganz dem Genörgel auf Ken Jebsens Twitter-Timeline zu folgen scheinen. Die Besonneneren in der FC haben die Drecksarbeit mit dem bräunlichen Kunstrasen beim Freitag gemacht, dessen Protagonisten m.W. überhaupt keine Quellen abverlangt wurden.

Ob das wohl genau die Netznomaden sein könnten, die Sie im März 2009 meinten? Die, um im Bild zu bleiben, in die Zisternen pissen, Geduld und Nerven der FC abgrasen, um danach, sich als Sieger fühlend, weiterzuziehen?

Und nein, den Blogautor (und einige andere neue Nutzer) zähle ich nicht dazu. Er hat einen in jeder Hinsicht diskussionswürdigen Beitrag geliefert. Die Löschung seines Blogs kann aber als Signal seiner Preisgabe, seiner auch physischen Angreifbarkeit gedeutet worden sein. Er hat sich vermutlich nicht nur oberflächlich warm anziehen müssen.

Es liegt in Ihrer Verantwortung als Finanzier, Herausgeber, Chefredakteur des Freitag, welcher Rahmen, welche Politik beim Freitag vorgegeben ist, die auch damit zu tun hat, wie viele Stellen der Online Redaktion zugebilligt werden, wie sie besetzt sind und wie infolgedessen mit Nutzern und ihrer Arbeit umgegangen wird. So manches Gegifte aus der FC an die Adresse der Online-Redaktion halte ich btw. für verzichtbar, die leistet jeden Tag beinahe Unleistbares.

Mich persönlich beschämt der Umgang mit dem Blogautor. Mich empört die auch darin zum Ausdruck kommende Gängelei und Intransparenz im Umgang mit Bloggern beim Freitag. Mich entsetzt die an ihm deutlich gewordene Auffassung und Umsetzung von Pressefreiheit, Pressekodex, Hausrecht.

Mir scheint aber, Sie sind zwischenzeitlich auch irgendwie weitergezogen. Bonne route, ich würde mich über eine Postkarte freuen...;-)...

Ihre dame.von.welt (Klarname und Kontaktdaten sind beim Freitag seit meiner Anmeldung im März 2009 bekannt)

P.S. 28.4. 23h

So sehr mich gestern der Umstand Ihrer Postkarte freute, so lang wird mir nun heute abend Ihr °A plus tard°, lieber Jakob Augstein.

Macht nicht den Eindruck, als würden Sie die in Diskussion und Blog aufgeworfenen Fragen nach dem Wohin der Reise des Freitag im Umgang mit seinen Bloggern noch beantworten oder gar Demokratie wagen wollen.

Ihre °keine Sympathien für die "Montagsdemonstranten"° würde ich nicht überschätzen...;-)... die sind weder Leistung noch Wert und sie hatten mich auch nicht sehr interessiert.

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***Nachtrag 24.5.2014: im Blog von Marian Schraube wurde aus dem Originalwortlaut des Hallaschka-Blogs der Halbsatz °sondern gibt als Wohnort ********* am ********* Stadtrand an° gelöscht (hier durch Sterne ersetzt, um nicht etwa die Anwaltskosten des Freitag noch zu erhöhen).

Diese Petitesse war ganz offenbar alles, was von den albernen juristischen Drohgebärden des Herrn Güldenpfennig übrig blieb.

Hätte Interesse an Hallaschkas Blog bestanden, wär's genau so simpel gewesen, verehrter Herr Augstein, sehr geehrte Verlagsleitung, liebe On-Red. Aber Kommunikation auf Augenhöhe, Wagen von Demokratie inklusive Einsatz für die Pressefreiheit auch der FC ist ganz offenbar die Sache des Freitag nicht.

Da möchte ich mir lieber nicht mehr vorstellen, wie mit den freien und den angestellten Journalisten des Freitag im Falle kritischer Bespiegelung und auf den Fuß folgender juristischer Drohgebärden eines Bespiegelten umgegangen würde.

Danke, war ein interessantes Lehrstück.

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Nachtrag 1.7.2014, von Marian Schraube: Demos und Unfrieden – ein Epilog

° ... Die Versuche, „die Medien“ und die darin zum Ausdruck kommenden kritischen Stimmen zu einer Claque umzufunktionieren, sind präpotenter denn je. Wer sich darauf zurichten lassen will oder auf diese Logik einlässt, sollte bedenken, dass er damit nicht nur sein Metier verfehlt oder das Medium desavouiert, für das er steht. Sondern er legt selbst Hand an bei zwei der wenigen ausdrücklich genannten und schwer errungenen politischen Freiheiten einer zivilen Gesellschaft: Die der Meinung und die der Presse.

Mit der Depublizierung des Originalartikels hat der Freitag einen groben Fehler begangen. Nicht weil es einen Journalisten getroffen hat, der als hinreichend bekannter Chefredakteur für Qualität garantieren würde. Oder weil es einen Artikel betroffen hat, der zwar pointiert, aber handwerklich unbedenklich und in der Sache zutreffend ist. Andere Medien, die den Artikel aufgenommen und weiter verarbeitet haben, hatten ebenso wenige Zweifel. Sondern weil, beginnend bei der Geschäftsleitung, die evidente Unsicherheit und der latente Opportunismus an die dortige Blogosphäre von freitag.de/community schlicht und einfach weitergegeben wurden.

Das ist ein schlechtes Signal, das falsche Beispiel und als Tendenz abzulehnen. Denn was bliebe als publizistische Richtschnur für die Blogosphäre, wenn nicht einmal die Einhaltung von journalistischen Mindeststandards vor der zwangsweisen Depublizierung feit? ...°

Auf Namensnennungen habe ich im Blogtext verzichtet, um den Drohszenarien gegen den Blogautor nicht noch zusätzlich Vorschub zu leisten.

Die Hamburger Linke hat am 22.4. eine kleine Anfrage zu Ausrichtung, Hintergrund und Vernetzungen der Hamburger Montagsdemonstrationen an den Senat gestellt.

Verbesserte Quellenlage zu dem mit dieser Begründung gelöschten Blog:

https://www.youtube.com/watch?v=uLAfJ8bhIsM

hier das Transkript der Rede, bitte vergleichen Sie den Kopf des Redners Güldenpfennig mit dem von 'Robin Nibor', der hier eine Frage von Hörstel liked. Über Hörstel und seine Inhalte mag man geteilter Meinung sein, ist für die Löschung des Blogs unerheblich, hat aber weitgehende Deckungsgleichheit mit den Inhalten von Güldenpfennig. Diesen link kann ich mangels FB-Mitgliedschaft nicht prüfen, ebensowenig diesen.

Güldenpfennigs Wohnort, Alter, Job, seine Präsenz auf den Seiten der SDAJ, der Partei und der Piraten ergibt sich aus einfacher Googlesuche.

Stellt sich die Frage, was genau Herr Güldenpfennig eigentlich verboten sehen möchte? Daß seine Stimme bei der Rede 2013 überschnappte? Das kann man hören. Der Rest ist Bespiegelung und Meinung über seine Person und die hat er als öffentliche Person, die er nun mal ist, wenn er sich filmen läßt, Demonstrationen organisiert und gern den Staat abgeschafft sähe (dessen Rechtsmittel er aber Spitze findet) zu dulden. Andernfalls muß ich auf ein Verhalten schließen, bei dem ich mir lieber nicht vorstelle, wie es aussähe, bekäme der jemals irgendeine Macht.

Und: es stellt sich die Frage, wegen was der Freitag den Blog gelöscht hat. Eine unzureichende Quellenlage kann es jetzt eigentlich nicht mehr sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

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