In aller Öffentlichkeit

Terror in Ägypten Über das Muster, nach dem sexualisierte Gewalt gegen Frauen in der ägyptischen Öffentlichkeit ausgeübt wird (mit einer Triggerwarnung erster Ordnung)

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Bereits im Mai 2005 wurde von Magda Adly (einer der Gründerinnen des Nadeem Center) von einem angeheuerten und bezahlten Mob berichtet, der protestierende Frauen in der Menge isolierte, um sie, ermuntert von der Polizei, sexualisiert zu belästigen, zu bedrohen, zu verletzen.

Damals richteten sich die Proteste gegen Mubarak. Mubarak wurde Geschichte, Mursi die Gegenwart - organisierte sexualisierte Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit des Tahirplatz ging weiter und nimmt laut amnesty international in kaum fassbarer Weise zu.

Europäische und us-amerikanische Medien begannen, sich dafür zu interessieren, als die Kriegsberichterstatterin Lara Logan am 11.2.2011, dem Tag von Mubaraks Rücktritt, von ihrem Filmteam weggezerrt und 25 Minuten von nach ihrer Schätzung 200-300 Männern bis fast an die Schwelle des Todes gefoltert wurde.

Am 24.11.2011 wurde die in New York lebende ägyptische Journalistin Mona Eltahawy während der Berichterstattung über Zusammenstöße zwischen Demonstranten + Polizei von Sicherheitskräften so verprügelt, daß sie ihr beide Arme brachen, sie wurde sexualisiert belästigt, verhaftet und zuerst im Innenministerium, danach beim Militärgeheimdienst 12 Stunden festgehalten und weiter gefoltert.

Am gleichen Tag wurde die Kriegsberichterstatterin Caroline Sinz von einem Mob mitten in der Menge auf dem Tahrirplatz gequält:

"I was beaten by a group of youngsters and adults who tore my clothes," she told Agence France Press. She was molested in a way that "would be considered rape", she said. "Some people tried to help me but failed. It lasted three-quarters of an hour before I was taken out. I thought I was going to die."

Die französische Sektion der Reporter ohne Grenzen warnte daraufhin, weiter weibliche Berichterstatter in Kairo einzusetzen (+ erntete vehementen Widerspruch).

Sexualisierte Gewalt gegen Yasmine El-Baramawy im November 2012: "Some looked like thugs, some looked like normal people. It was as if I was in a washing machine, being pushed and pulled and grabbed. I didn't know what was happening to me or when it would end. I thought that I would faint or die. But I didn't."

At one point, Yasmine was lifted onto the bonnet of a car by men claiming they had come to protect her. However, they simply continued the attack, whispering in her ear, "We are going to f**k you".

She recalls being covered with blood and excrement after having been dragged on the ground for so long. "It was in my hair, on my face, in my mouth," she says.

Eventually, passers-by from a nearby neighbourhood rescued her, including a woman dressed in traditonal Islamic dress. Months after the attack, she discovered, at a doctor's surgery, she had anal lacerations, evidence her aggressors had penetrated her with a knife.

Vorgestern berichtet von Sonia Dridi in I was gang raped in Cairo's Tahrir Square, die einen Monat vor der Gewalt gegen Yasmine El-Baramawy nur sehr knapp einem ähnlichen Angriff entkam.

Zum Lesen + Hören sehr zu empfehlen ist der Blog von Julia Tieke "I felt betrayed by the revolution itself" - Yasmine El Baramawy about 'sexual terrorism' and revolutionary inadequacies

Am 25. Januar 2013 wurden Angriffe auf 20 Frauen dokumentiert. Am vergangenen Wochenende dokumentiert Human Rights Watch mindestens 91 Fälle sexualisierter Gewalt in aller Öffentlichkeit des Tahrir-Platzes. Harass Map dokumentiert 167 sexualisierte Übergriffe, darunter 26 Vergewaltigungen auf oder in unmittelbarer Nähe des Tahrirplatz seit 2010.

Sexual Harrassment of Women is State sponsored

Sally Zohney ist sich sicher, dass ein Teil der Männer angeheuert ist, um Frauen vom Protestieren abzuhalten. "Die Art der Belästigung beim Demonstrieren ist anders als die alltägliche Belästigung auf der Straße", sagt Zohney. "Sie ist vulgärer, zielt auf Ehre und Stolz. Es soll den Willen der Frauen brechen." Doch gibt es auch Mitläufer unter den Angreifern. Viele der Männer ergreifen die Gelegenheit, wenn das Opfer hilflos ist. Wenn sie die Möglichkeit haben, eine Frau zu berühren. Sie nutzen den Raum der Anonymität, wenn große Menschenmengen zusammenkommen.

Meist wird den Frauen selbst die Schuld am Fehlverhalten der Männer gegeben. In einer Kultur, in der das männliche Geschlecht dominiert, werden so aus Opfern Täter gemacht. Auch der frühere Machthaber Hosni Mubarak propagierte einst, Frauen sollten sich verschleiern, um sexuelle Übergriffe zu verhindern. Dabei hat eine Studie des Ägyptischen Zentrums für Frauenrechte gezeigt, das unverschleierte und verschleierte Frauen gleichermaßen belästigt werden. (Zeit Online im August 2012)

Eine UNO-Studie legte Anfang des Jahres dar, daß 99,3% aller ägyptischen Frauen sexualisierte Übergriffe in der Öffentlichkeit erleben.

Dieser Blog ist keine Chronik und eins ganz sicher nicht: vollständig. Es gab xxx Angriffe auf demonstrierende + berichterstattende Frauen mehr und zwar nach einem sich auffällig ähnelnden Muster: Immer gegen Frauen, die für ihre Rechte demonstrieren oder darüber berichten, fast immer schien die Stimmung der Menge out of the blue zu kippen, fast immer wurden die Frauen von einigen Männer umringt, von ihren Begleitern, Kollegen, anderen Demonstrantinnen getrennt, um dann von zum Teil Hunderten von Männern von der Aufmerksamkeit der Menge und von jeder Hilfe abgeschirmt zu werden, die Berichte der mißhandelten Frauen gleichen sich in beklemmender Weise.

Human Rights Watch: Egypt, Epidemic of Sexual Violence

Falls Ihnen noch nicht zum Weinen oder Kotzen sein sollte, nach diesem-> Film wird womöglich beides der Fall sein (die Männer mit den Flammenwerfern, die in weißen T-Shirts mit rotem Quadrat + die in Warnweste und Helm sind Aktivisten der Operation Anti-Sexual Harassment/Assault, kurz: OpAntiSH oder von Tahrir Bodyguard).

Vom Ende des Films:

But we will not be silenced. We will not be broken. We will not shy away. There are mob sexual assaults in Tahrir Square and sorroundings. ... This is our square and our revolution, and we will fight this battle to the last breath.

Hoffentlich wird das nicht nötig. Godspeed.

Das Foto oben im Artikel stammt von Lilian Wagdy, die Graffittis zeigen Aliaa Magda Elmahdy und Samira Ibrahim (danke an den Freitags-Support für den Austausch).

Verwendete Quellen in willkürlicher Reihenfolge:

Lyla El-Gueretly kämpft gegen Belästigung British reporter sexually assaulted in Tahrir after Elections result Dutch Journalist Raped In Tahrir Square Magda Adly | Front Line Defenders Egypt protests- plea to keep women reporters out of Cairo withdrawn Epidemic of Sexual Violence Human Rights Watch French Journalist Caroline Sinz Brutally Assaulted in Cairo Studie zu Sexual Harassment des Egyptian Center for Women's Rights 2008 amnesty international Studie zu Sexual Harassment UN Women I was gang raped in Cairo's Tahrir Lara Logan 60 Minutes LivePulse- Egypt Sexual Abuse Mona Eltahawy Reportedly Detained, Sexually Assaulted In Egypt Muslim Brotherhood ‘paying gangs to rape women and beat men protesting in Egypt' OpAntiSH Facebook Nina Burleigh Gang rapes, the dark side of Egypt's protests Sexual Harassment of Women is State Sponsored Say Egyptian Women Sexual harassment, an Egyptian disease Sexuelle Belästigung- Frauen, die Opfer der ägyptischen Revolution Französische Reporterin Dridi sexuell belästigt Harass Map TWO-MINUTE TALKING POINT - The horrors of Cairo's Tahrir Square gangs by Maria CaspaniGang-raped in Tahrir Square Video von der Demonstration 12.2.2013 + von einem Mob Aussault beide vom OpAntiSH-Kanal mit Untertiteln.

Seven arrested for sexually assaulting student during Tahrir celebrations Die Wiederholungstäter vom Tahrir-Platz

Beim Freitag unter 'Alltag' einsortiert, was m.M.n. unter 'Politik' gehört: Julia Tieke über Yasmine El Baramawy Aus dem Schatten + Sarah Schaschek im Gespräch mit Shereen El Feki Sexualität ist der Schlüssel

Das Webprojekt zu Shereen El Fekis Buch: Sex and the Citadel | Intimate Life in a Changing Arab World + ein Interview mit ihr.

Last but not least: von Julia Tieke "I felt betrayed by the revolution itself" - Yasmine El Baramawy about 'sexual terrorism' and revolutionary inadequacies

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