Presserat

Einstimmiges Votum: Wie der Presserat der Rechtsabteilung eines Gossenblatts folgt und den Pressekodex Pressekodex sein läßt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Im Juli erschien im Berliner Kurier (einem Medium, das beinahe glauben läßt, die Blödzeitung wäre ein seriöses) eine Karikatur. Darauf zu sehen ein, ich sag' mal, 'orientalischer' Geistlicher, der einem jungen Mann den Penis mit den Worten 'Oh-oh, heute ist nicht mein Tag' abtrennt. Darauf der junge Mann: 'Kopf hoch, es wird bald nicht mehr strafbar'.

Ich sah diese stürmer-kompatible Zeichnung zuerst in einem Blog von Jörg Lau, in dem er seinem Sinneswandel bezüglich seiner lange vertretenen Trennung zwischen Juden- und Muslimhaß noch einmal Ausdruck verleiht (better late than never, lieber Jörg Lau!) Die Zeichnung wurde außerdem in zweien der aktuell mehr als 80 Blogs über Beschneidung im Freitag diskutiert.

Aus meiner Sicht verstößt die Karikatur gegen Ziffer 1, 10 und 12 des Pressekodex. Sie unterstellt 'Orientalen' mangelnde Ethik, Gesetzestreue und Kunstfertigkeit. Sie setzt Beschneidung mit Kastration gleich (und füttert damit vorhandene Ängste). Sie schürt in bekannter Weise Haß gegen Juden und Muslime.

Ziffer 1: Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde

Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.

Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Medien.

Ziffer 10: Religion, Weltanschauung, Sitte

Die Presse verzichtet darauf, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen.


Ziffer 12: Diskriminierungen

Niemand darf wegen seines Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden.

Die Rechtsabteilung des Berliner Kuriers sah das in ihrer vom Presserat erbetenen Stellungnahme zu meiner Beschwerde erwartungsgemäß anders: Die Karikatur schmähe keine Religion. Wenn doch, sei sie ein Kunstwerk und unterliege der Presse-, Kunst- und Meinungsfreiheit. Der Zeichner greife die aktuelle Debatte um den Konflikt zwischen Juden und Muslimen (Bitte? Ich hatte ja eher den Eindruck größter Einigkeit) und die Strafbarkeit der Beschneidung auf (Bitte? Mir war so, daß seit Gründung der Bundesrepublik Beschneidungen straffrei durchgeführt und der Arzt im Kölner Urteil frei gesprochen wurde). Die Karikatur lasse diverse Deutungsmöglichkeiten zu. Es gehe jedoch um die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema, nicht um Schmähung von Personen. Bei der Darstellung der Nasen handele es sich nicht um eine antisemitische Aussage, sondern um den Wiedererkennungswert des Zeichners.

So weit, so absehbar.

Etwas überaschend fand ich, daß sich der Presserat einstimmig der Meinung der Rechtsabteilung des Berliner Kuriers anschließen konnte. Nur 'etwas überraschend' deswegen, weil auch meine Beschwerden gegen Josef Joffe wegen seiner demagogischen Schmähkritik (in ein zwei Artikeln) an Günter Grass es aufgrund ihrer 'offensichtlichen Unbegründetheit' nicht mal bis zum Beschwerdeausschuß schafften. Während der Presserat 2009 noch die Aussage 'Im Berliner Tiergarten lassen Muslime Müll zurück...' immerhin eines nichtöffentlichen Hinweis an Die Zeit für wert erachtete.

Also würde wohl heute auch diese Zeichnung den Presserat unbeanstandet passieren, schließlich thematisiert sie den weihnachtlichen Konsumwahn. Oder diese, die sich für Frauenrechte stark macht. Oder diese, ein beredtes Zeugnis des europäischen Pazifismus. Oder diese, die den interkonfessionellen Dialog zum Inhalt hat. Diese, die der Impfkritik eine Stimme verleiht. Und diese, die nicht nur Kritik an der Gier von Banken übt, sondern auch subtil auf die Notwendigkeit ergonomischer Sitzgelegenheiten für eine aufrechte Haltung hinweist.

Diese Zeichnungen lassen auch 'diverse Deutungsmöglichkeiten' zu und Satire darf bekanntlich alles. Bedauerlich bleibt, daß derzeit mehr gedeutet als gedacht und unter dieser Vorraussetzung alles gedurft wird. Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden